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OGH vom 09.11.2010, 10Ob16/10s (10Ob17/10p)

OGH vom 09.11.2010, 10Ob16/10s (10Ob17/10p)

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj E*****, geboren am , und des mj E*****, geboren am , beide vertreten durch das Land Kärnten als Jugendwohlfahrtsträger (Magistrat der Stadt Villach, Jugendamt, Gerbergasse 6, 9500 Villach), über die Revisionsrekurse des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, gegen die Beschlüsse des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht je vom , GZ 2 R 225/09d 38 und 2 R 240/09k 37, womit infolge Rekurses des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, die Beschlüsse des Bezirksgerichts Villach je vom , GZ 2 PU 106/07y 24 und 25, bestätigt wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Den Revisionsrekursen wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Der am geborene E***** und der am geborene E***** sind die Kinder von S***** und A*****. Die Kinder, deutsche Staatsbürger, befinden sich im Haushalt der Mutter, die ebenfalls die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, in Villach. Der Vater, ein Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina, lebt in Sarajevo.

Nach Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft der Eltern im August 2008 (der Vater kehrte damals nach Bosnien und Herzegowina zurück) stellten die Kinder am den Antrag, den vom Vater zu leistenden monatlichen Unterhalt mit 187 EUR für den älteren Sohn und mit 165 EUR für den jüngeren Sohn festzusetzen. Grundlage des Antrags war, dass der Vater in Bosnien im Baugewerbe tätig sei und dort im Monatsdurchschnitt etwa 800 EUR netto verdiene; weiters erziele er aus der Vermietung eines Büros monatlich 300 EUR, sodass ihm insgesamt im Monat durchschnittlich 1.100 EUR zur Verfügung stünden.

Nachdem sich der Vater nicht gemäß § 17 AußStrG zu dem Unterhaltsfestsetzungsantrag geäußert hatte (siehe ON 3), setzte das Erstgericht mit Beschluss vom (ON 9) den vom Vater monatlich zu leistenden Unterhalt antragsgemäß mit 187 EUR bzw 165 EUR fest. Dieser Beschluss blieb unangefochten.

Mit Beschlüssen je vom (ON 24 betreffend E*****, geboren am , und ON 25 betreffend E*****, geboren am ) gewährte das Erstgericht den beiden Kindern Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe.

Das Rekursgericht gab den gegen die Gewährung eines 85 EUR (betreffend E*****, geboren am ) bzw 75 EUR (betreffend E*****, geboren am ) monatlich übersteigenden Unterhaltsvorschusses erhobenen Rekursen des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, nicht Folge. Es bestünden keine begründete Bedenken (§ 7 Abs 1 Z 1 UVG) dagegen, dass die im Exekutionstitel festgesetzten Unterhaltspflichten (noch) aufrecht seien. Bedenken dieser Qualität würden voraussetzen, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit eine schon zur Zeit der Schaffung des Exekutionstitels vorhandene oder durch Änderung der Bemessungsgrundlagen inzwischen eingetretene Unangemessenheit der titelmäßigen Unterhaltsfestsetzung anzunehmen sei. Ungeachtet der wirtschaftlichen Verhältnisse in Bosnien und Herzegowina seien begründete Bedenken aber letztlich zu verneinen, weil durchaus einiges dafür spreche, dass der Vater in der Lage sei, einen monatlichen Durchschnittsverdienst von 1.100 EUR zu erzielen.

Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht nachträglich im Hinblick auf die in der Zulassungsvorstellung aufgezeigte Rechtsprechung zu, wonach begründete Bedenken bejaht worden seien, wenn ein Unterhaltsschuldner in sein im Vergleich zu Österreich - wirtschaftlich schwächer gestelltes Heimatland zurückgekehrt sei.

Gegen die Entscheidungen des Rekursgerichts richten sich die Revisionsrekurse des Bundes mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Vorschussgewährung in einer monatlichen Höhe von 85 EUR (betreffend E*****, geboren am ) bzw 75 EUR (betreffend E*****, geboren am ). Hilfsweise wird jeweils ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die Kinder beantragen in ihren Revisionsrekursbeantwortungen, den Revisionsrekursen des Bundes nicht Folge zu geben. Die übrigen Verfahrensparteien haben sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionsrekurse sind zulässig, weil ungeachtet der zwischenzeitig erfolgten Novellierung des § 7 Abs 1 Z 1 UVG eine Stellungnahme des Obersten Gerichtshofs geboten ist, inwieweit bei einem Aufenthalt des Unterhaltsschuldners in seinem im Vergleich zu Österreich wirtschaftlich beträchtlich schlechter gestellten Heimatstaat „begründete Bedenken“ zu bejahen sind. Sie sind jedoch nicht berechtigt.

Vorweg ist festzuhalten, dass im Hinblick auf das Antragsdatum () noch § 7 Abs 1 Z 1 UVG in der Fassung vor der Novellierung mit dem FamRÄG 2009, BGBl I 2009/75, anzuwenden ist.

In seinen Rechtsmittelausführungen macht der Bund im Wesentlichen geltend, dass nach der (zweitinstanzlichen) Rechtsprechung „begründete Bedenken“ iSd § 7 Abs 1 Z 1 UVG zu bejahen seien, wenn der Unterhaltsschuldner in sein Heimatland zurückkehre, in dem die wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich schlechter als in Österreich seien; eine Orientierungshilfe dafür biete ein Vergleich der Bruttoinlandsprodukte pro Kopf. Im konkreten Fall müsse davon ausgegangen werden, dass ein Unterhaltsschuldner in durchschnittlichen Fällen in Bosnien und Herzegowina kaum ein Einkommen erzielen könne, das ihn in die Lage versetze, für seine beiden Kinder Unterhalt in der Höhe von insgesamt 352 EUR leisten zu können; als angemessen könne unter Bedachtnahme auf die geringeren Lebenshaltungskosten in Bosnien und Herzegowina ein Gesamtbetrag von 160 EUR angesehen werden.

Dazu wurde erwogen:

1. Über Vorschussanträge ist grundsätzlich auf der Basis des § 11 Abs 2 UVG zu entscheiden. Die Beschränkung der Stoffsammlung im Bewilligungsverfahren soll eine rasche Vorschussgewährung begünstigen ( Neumayr in Schwimann , ABGB 3 I § 7 UVG Rz 33). Nur im Fall von „begründeten Bedenken“ im Sinne einer hohen Wahrscheinlichkeit der materiellen Unrichtigkeit der titelmäßigen Unterhaltsfestsetzung sind die Titelvorschüsse zu versagen.

2. Wenn dem Unterhaltspflichtigen die Begründung eines Wohnsitzes im Ausland nicht im Sinn einer Umgehung der Unterhaltspflicht vorwerfbar ist (RIS-Justiz RS0047599), ist bei der Beurteilung der Höhe der Unterhaltspflicht von den ausländischen Arbeitsmarktverhältnissen auszugehen. So hat es die Rechtsprechung einem unterhaltspflichtigen Vater ägyptischer Herkunft, der die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen hat, nicht nachteilig angerechnet, dass er nach der Scheidung der in Österreich geschlossenen Ehe wieder in sein Heimatland zurückkehrte, um dort eine Beschäftigung aufzunehmen (6 Ob 360/97b = EFSlg 84.870; siehe auch RIS Justiz RS0047599).

3. Der Bund beruft sich in seinem Revisionsrekurs auf mehrere zweitinstanzliche, leitsatzartig in der EFSlg veröffentlichte Entscheidungen, in denen bei einem Aufenthalt des Unterhaltsschuldners in einem von der wirtschaftlichen Lage her nicht mit Österreich vergleichbaren Staat (Kroatien, Serbien, Bosnien und Herzegowina, Ägypten) begründete Bedenken gegen die materielle Richtigkeit des in Österreich geschaffenen Unterhaltstitels bejaht wurden.

Einige dieser Entscheidungen gehen erkennbar davon aus, dass der Unterhaltsschuldner nach der Titelschaffung freiwillig oder zwangsweise in seinen Heimatstaat zurückgekehrt ist, während dieser Aspekt in anderen Leitsätzen nicht erkennbar ist.

4.1. Jedenfalls sind regelmäßig begründete Bedenken gegen das Aufrechtbleiben der titelmäßigen Unterhaltspflicht zu bejahen, wenn der Unterhaltsschuldner nach Schaffung eines österreichischen Unterhaltstitels aus Österreich in seinen Heimatstaat zurückkehrt, in dem mit den österreichischen nicht vergleichbare schlechte wirtschaftliche Verhältnisse herrschen, die die Einkommenschancen stark verringern.

4.2. Eine solche Situation liegt im konkreten Fall nicht vor, weil bereits der Titelschaffung zugrunde lag, dass der Vater in Bosnien und Herzegowina beschäftigt ist und dort ein Einkommen erlangt, das beträchtlich unter einem vergleichsweise in Österreich erzielbaren liegt.

4.3. Mangels einer Änderung der für den Unterhaltsschuldner maßgeblichen Verhältnisse seit Titelschaffung müssten die begründeten Bedenken bereits gegen die Festsetzung der Höhe der Geldunterhaltsverpflichtung im Unterhaltsbeschluss vom (ON 9) bestehen.

4.4. Zweifellos ist bei Entscheidungen, die auf Versäumungswirkungen beruhen, die Gefahr einer materiellen Unrichtigkeit größer als bei Entscheidungen, die auf kontradiktorischer Grundlage ergangen sind (vgl Neumayr in Schwimann 3 I § 7 UVG Rz 1).

Allerdings kann nicht mehr oder weniger generalisierend ausgeschlossen werden, dass der Vater tatsächlich in der Lage ist, in Bosnien und Herzegowina ein aus Arbeit und Vermietung resultierendes Monatsdurchschnittseinkommen von 1.100 EUR zu erzielen. Da bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Z 1 UVG ein strenger Maßstab anzulegen ist (RIS-Justiz RS0108443 [T1]) und eine non liquet-Situation in Bezug auf die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Z 1 UVG zu Lasten des vorschussgewährenden Bundes geht (RIS-Justiz RS0108443 [T2]) haben die Vorinstanzen zu Recht die Gewährung der über 85 EUR bzw 75 EUR hinausgehenden Vorschüsse nicht versagt.

5. Zusammenfassend ist demnach den Revisionsrekursen des Bundes ein Erfolg zu versagen.