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VfGH vom 23.06.2009, B1134/08

VfGH vom 23.06.2009, B1134/08

Sammlungsnummer

18804

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Vorschreibung eines Wasserleitungsbeitrags für ein Sortierzwischenlager trotz zwischenzeitig beantragter Befreiung von der Anschlusspflicht für dieses (Holz)Lager ohne Wasserentnahmestellen infolge Unterlassung der Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt

Spruch

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Steiermark ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zuhanden ihrer Rechtsvertreter die mit € 2.340,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die beschwerdeführende Gesellschaft ist Eigentümerin eines

Gebäudes mit einer Nutzfläche von 2.439 m², das als Sortierzwischenlager für Holz genutzt wird. Mit Schreiben vom beantragte sie bei der Marktgemeinde Gratwein die Befreiung von der Anschlusspflicht an die öffentliche Wasserleitung für das auf dem Grundstück errichtete Sortierzwischenlager. Mit Bescheid vom erteilte der Bürgermeister der Marktgemeinde Gratwein der beschwerdeführenden Gesellschaft diese Befreiung "für die Nutzwasseranlage Sprinkleranlage". Der Bescheid enthält den ausdrücklichen Hinweis darauf, dass die Anschlussverpflichtung im Übrigen (dh. für "sonstig noch bzw. künftig benötigte Nutzwässer oder Trinkwasser") unberührt bleibt. Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Gesellschaft Berufung. Diese Berufung ist derzeit noch unerledigt.

2. Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde Gratwein vom wurde der beschwerdeführenden Gesellschaft für das erwähnte Gebäude ein Wasserleitungsbeitrag in bestimmter Höhe vorgeschrieben. Die dagegen erhobene Berufung wurde abgewiesen, die Vorstellung an die Steiermärkische Landesregierung blieb erfolglos. Gegen den den Berufungsbescheid bestätigenden Vorstellungsbescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom richtet sich die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die beschwerdeführende Gesellschaft unter anderem die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums geltend macht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt.

3. Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie den angefochtenen Bescheid verteidigt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Zur Rechtslage:

1.1. Nach § 1 Abs 1 des Stmk. Wasserleitungsbeitragsgesetzes, LGBl. 137/1962 in der Fassung LGBl. 62/2001, sind die Gemeinden des Landes Steiermark, die öffentliche Wasserversorgungsanlagen betreiben, ermächtigt, einen Wasserleitungsbeitrag als einmalige Abgabe zur Deckung der Kosten der Errichtung und der Erweiterung der öffentlichen Wasserversorgungsanlage zu erheben. Nach § 2 Abs 1 leg.cit. entsteht die Beitragspflicht mit der "Anschlusspflicht eines Gebäudes (einer Anlage) an die öffentliche Wasserleitung nach den Bestimmungen der §§1, 2 und 11 des Gesetzes vom , LGBl. Nr. 8/1932, betreffend die von den Gemeinden errichteten öffentlichen Wasserleitungen, in der Fassung des Gesetzes vom , LBGl. Nr. 8". Diese Verweisung ist seit In-Kraft-Treten des Stmk. Gemeindewasserleitungsgesetzes 1971 teilweise obsolet (vgl. § 12 leg.cit.): Das Entstehen der Anschlusspflicht richtet sich nunmehr nach den Nachfolgeregelungen des Stmk. Gemeindewasserleitungsgesetzes 1971, LGBl. 42 idF LGBl. 7/2002.

1.2. § 2 Abs 1 des Stmk. Gemeindewasserleitungsgesetzes 1971 normiert eine Ausnahme vom Anschlusszwang für vorhandene (private) Wasserversorgungsanlagen, wenn das daraus bezogene Wasser zum menschlichen Gebrauch und Genuss vollkommen geeignet ist und in genügender Menge zur Verfügung steht.

Dieselbe Norm sieht hinsichtlich des "Bezugs des Nutzwassers für Betriebszwecke" durch "industrielle, gewerbliche und landwirtschaftliche Anlagen ..." unter bestimmten Voraussetzungen eine bescheidmäßige Befreiung vom Anschlusszwang vor.

Eine solche Befreiung wurde der beschwerdeführenden Gesellschaft hinsichtlich des Nutzwassers für die Sprinkleranlage zuerkannt.

1.3. § 36 Wasserrechtsgesetz 1959, BGBl. 215, (in der Folge: WRG) trifft zum Anschlusszwang an öffentliche Wasserversorgungsanlagen folgende Regelung:

"Anschlußzwang bei öffentlichen Wasserversorgungsanlagen.

§36. (1) Zur Wahrung der Interessen eines gemeinnützigen öffentlichen Wasserversorgungsunternehmens kann ein Anschlußzwang vorgesehen, ferner die Einschränkung der Errichtung eigener Wasserversorgungsanlagen oder deren Auflassung dann verfügt werden, wenn und insoweit die Weiterbenutzung bestehender Anlagen die Gesundheit gefährden oder die Errichtung neuer Anlagen den Bestand der öffentlichen Wasserleitung in wirtschaftlicher Beziehung bedrohen könnte. Die näheren Bestimmungen bleiben der Landesgesetzgebung überlassen.

(2) Gegenüber Betriebswasserleitungen öffentlicher Eisenbahnen darf ein Anschlußzwang nur vorgesehen werden, wenn und insoweit die Benutzung solcher Anlagen die Gesundheit gefährden könnte."

Das Stmk. Gemeindewasserleitungsgesetz 1971 lautet auszugsweise:

"§1

(1) In jeder Gemeinde, die eine öffentliche Wasserleitung errichtet oder errichtet hat, haben, unbeschadet der Bestimmungen des § 3 Abs 2, die Eigentümer jener Gebäude, die mit Wasser aus der öffentlichen Wasserleitung versorgt werden können, auf eigene Kosten in diesen Gebäuden eine Wasserleitung (Hausleitung) herzustellen und dauernd in gesundheitlich einwandfreiem Zustand zu erhalten sowie das notwendige Trink- und Nutzwasser ausschließlich aus der öffentlichen Wasserleitung zu beziehen, wenn der Gemeinderat dies beschließt und eine Wasserleitungsordnung (§9) aufstellt.

(2) Als Gebäude, die mit Wasser aus der öffentlichen Wasserleitung versorgt werden können, also im Verpflichtungsbereich nach Abs 1 liegen, sind jene zu betrachten, bei denen die kürzeste Verbindung zu einer Versorgungsleitung der öffentlichen Wasserleitung nicht mehr als 150 m mißt.

..."

1.4. Die im Stmk. Gemeindewasserleitungsgesetz 1971 normierte Anschlusspflicht ist eine in Ausführung des § 36 Abs 1 WRG erlassene Vorschrift (worauf im Übrigen auch in der Präambel des genannten Landesgesetzes hingewiesen wird). Diese Bestimmungen beruhen auf dem Kompetenztatbestand "Wasserrecht" (Art10 Abs 1 Z 10 B-VG), der diese Materie grundsätzlich in Gesetzgebung und Vollziehung dem Bund zuweist, es dem Bundesgesetzgeber jedoch in Art 10 Abs 2 B-VG erlaubt, die Landesgesetzgebung zu ermächtigen, "zu genau zu bezeichnenden einzelnen Bestimmungen Ausführungsbestimmungen" zu erlassen (zu § 36 WRG vgl. VfSlg. 4883/1964, 6059/1969).

Nach § 1 Abs 2 des Stmk. Gemeindewasserleitungsgesetzes 1971 besteht innerhalb des Pflichtbereichs für "Gebäude, die mit Wasser aus der öffentlichen Wasserleitung versorgt werden können", die Pflicht, eine Hausleitung zum Anschluss an die öffentliche Wasserleitung herzustellen und das "notwendige Trink- und Nutzwasser" ausschließlich aus der öffentlichen Wasserleitung zu beziehen. Dieser Bestimmung entsprechend normieren § 1 und § 2 Abs 1 der Wasserleitungsordnung der Marktgemeinde Gratwein vom 28. November

1991, dass die "Eigentümer jener Gebäude, welche ... im

Verpflichtungsbereich der öffentlichen Wasserleitung liegen", im Gebäude eine Wasserleitung herzustellen und zu erhalten und "das notwendige Trink- und Nutzwasser aus der öffentlichen Wasserleitung zu beziehen" haben.

2. Die Beschwerde ist berechtigt:

2.1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes vor (zB VfSlg. 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998, 16.488/2002), wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder einem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

2.2. Sowohl im Verfahren vor der belangten Behörde als auch in der Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wird vorgebracht, dass es sich bei dem in Rede stehenden Gebäude um ein ausschließlich gewerblich genutztes, vollautomatisiertes (Holz)Lager handle, in dem keine Arbeiter tätig, keine Aufenthaltsräume vorhanden und mangels Bedarfs keine Wasserentnahmestellen eingerichtet seien.

Die belangte Behörde ist ungeachtet dessen davon ausgegangen, dass der Anschlusszwang (und damit die Wasserleitungsbeitragspflicht) alle "Gebäude" im Pflichtbereich erfasst, und ist auf das Parteivorbringen zur konkreten Eigenschaft des Gebäudes - offenbar in der Annahme, dieses sei irrelevant - nicht eingegangen. Dadurch hat sie die Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt unterlassen und damit Willkür geübt:

Zwar spricht der Wortlaut des Stmk.

Gemeindewasserleitungsgesetzes 1971 von einer Anschlusspflicht für "Gebäude [innerhalb des Pflichtbereiches], die mit Wasser aus der öffentlichen Wasserleitung versorgt werden können". Damit kann aber nicht gemeint sein, dass es für die Anschlusspflicht bereits ausreicht, dass ein Anschluss rein technisch herstellbar wäre. Der Zweck der Wasseranschlusspflicht liegt in der "Wahrung der Interessen eines gemeinnützigen öffentlichen Wasserversorgungsunternehmens" (§36 WRG). Die Anschlusspflicht soll somit offensichtlich sicherstellen, dass die Wasserversorgung eines Gebäudes im Versorgungsbereich einer öffentlichen Wasserversorgungsanlage grundsätzlich durch diese und nicht auf andere Weise (privat) erfolgt. Eine Anschlusspflicht kann daher überhaupt nur dann in Betracht kommen, wenn im Zusammenhang mit einem Gebäude oder einer Anlage ein Wasserbedarf gegeben oder zumindest in absehbarer Zeit zu erwarten ist. Andere einschlägige Landesgesetze bringen diesen Gedanken deutlich zum Ausdruck, wenn sie etwa die Anschlusspflicht vorsehen für die Eigentümer von "sonstigen Bauwerken, Betrieben oder Anlagen, bei denen üblicherweise Trink- oder Nutzwasser benötigt wird" (§4 Wasserversorgungsgesetz Vorarlberg, LGBl. 3/1999 idF LGBl. 58/2001) oder für die Eigentümer der "im Versorgungsbereich gelegenen Grundstücke, die bebaut oder sonst mit Wasser zu versorgen sind" (§6 Abs 1 Gemeindewasserversorgungsgesetz Kärnten, LGBl. 107/1997 idF LGBl. 78/2001), bzw. wenn sie auf den "Wasserbedarf in Gebäuden mit Aufenthaltsräumen" abstellen (§1 Abs 1 Nö Wasserleitungsanschlussgesetz 1978, LGBl. 6951-2) oder von Gebäuden und Anlagen sprechen, "in denen Wasser verbraucht wird" (§1 Abs 1 Oö Wasserversorgungsgesetz, LGBl. 24/1997 idF LGBl. 90/2001).

Auch dem Stmk. Gemeindewasserleitungsgesetz 1971 kann - ungeachtet des weiter gefassten Wortlautes - kein anderer Inhalt beigemessen werden. Nichts könnte es nämlich rechtfertigen, für ein Gebäude, das nach Art und objektiver Zweckbestimmung eine Wasserversorgung überhaupt nicht benötigt, eine Anschlusspflicht vorzusehen und einen Wasserleitungsbeitrag vorzuschreiben.

Auch die Befreiung eines Gebäudes von der Anschlusspflicht hinsichtlich bestimmter Nutzwässer führt nicht dazu, dass die Behörde von der Lösung der Frage entbunden wäre, ob eine Anschlusspflicht für das betreffende Gebäude im Übrigen (dh. für sonstige Nutzwässer oder Trinkwasser) überhaupt noch in Betracht kommt. Indem die belangte Behörde jedoch das auf die Eigenart des Gebäudes abzielende Vorbringen der beschwerdeführenden Gesellschaft ignoriert hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Willkür belastet.

2.3. Der Bescheid war daher aufzuheben.

III. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 360,-- sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in Höhe von € 180,-- enthalten.