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OGH vom 24.10.2017, 15Os117/17w (15Os118/17t)

OGH vom 24.10.2017, 15Os117/17w (15Os118/17t)

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wetter als Schriftführer in der Medienrechtssache des Antragstellers Dr. Gerald R***** gegen den Antragsgegner Dr. Johannes S***** wegen § 6 Abs 1 und § 8a Abs 6 MedienG, AZ 112 Hv 61/15h des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen die Urteile dieses Gerichts vom (ON 23) und des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , AZ 17 Bs 305/16a, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner, zu Recht erkannt:

Spruch

In der Medienrechtssache des Antragstellers Dr. Gerald R***** gegen den Antragsgegner Dr. Johannes S***** wegen § 6 Abs 1 und § 8a Abs 6 MedienG verletzen die Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom , GZ 112 Hv 61/15h23, und des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , AZ 17 Bs 305/16a, § 8a Abs 2 iVm § 41 Abs 2 MedienG und § 8 Abs 1 VereinsG 2002.

Text

Gründe:

Der Medienrechtssache des Antragstellers Dr. Gerald R***** gegen den Antragsgegner Dr. Johannes S***** wegen der § 6 Abs 1 und § 8a Abs 6 MedienG, AZ 112 Hv 61/15h des Landesgerichts für Strafsachen Wien, liegt ein vom Antragsgegner Dr. Johannes S***** unterfertigtes und an den Antragsteller Dr. Gerald R***** gerichtetes Schreiben vom zugrunde (Beil C./ zu ON 23), das jeweils per E-Mail an diesem Tag an (inklusive Antragsteller und Antragsgegner) insgesamt 23 Personen und am an 57 Personen gesandt wurde (US 5).

Mit Urteil vom (ON 23) wies das Landesgericht für Strafsachen Wien die am eingebrachten Anträge des Antragstellers auf Zuerkennung einer Entschädigung nach § 6 Abs 1 MedienG und auf Urteilsveröffentlichung nach § 8a Abs 6 MedienG ab.

Das Erstgericht traf im Wesentlichen folgende Feststellungen (US 2 ff):

Der Antragsgegner Dr. Johannes S***** ist Facharzt für Urologie und Landesobmann der Vereinigung Österreichischer Ärztinnen und Ärzte, Landesgruppe ***** (VÖA-Landesgruppe), sowie Vizepräsident der Ärztekammer für *****. Die VÖA-Landesgruppe ist ein Verein mit Sitz in *****; sie ist die stimmenstärkste Fraktion in der ***** Ärztekammer.

Der Antragsteller Dr. Gerald R***** ist Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. In der Ärztekammer für ***** ist er Mitglied des Vorstands, des Verwaltungsausschusses, der Vollversammlung und der Kurienversammlung. In der VÖA-Landesgruppe war er stellvertretender Obmann und Vorstandsmitglied. Der Antragsteller hat eine Kassenordination in ***** und eine Wahlarztordination in *****. Er bewarb sich mehrmals für eine Kassenplanstelle eines Facharztes für Gynäkologie und Geburtshilfe in *****, kam allerdings nie zum Zug. Nach einer Vielzahl erfolgloser Bewerbungen brachte der Antragsteller in drei Fällen bei Gericht Klage gegen die Ärztekammer für ***** und gegen die W***** betreffend die Reihung der Kandidaten ein; zur Besicherung seiner Ansprüche verknüpfte er diese jeweils mit einem Antrag auf Erlassung einer Einstweiligen Verfügung zur vorläufigen Verhinderung der Vergabe der ausgeschriebenen Kassenplanstelle. Aufgrund dessen wurden insgesamt sechs Planstellen vorübergehend nicht besetzt.

Am versandte der Antragsgegner in seiner Funktion als Landesobmann der VÖA-Landesgruppe ein von einem Rechtsanwalt verfasstes, von ihm aber unterfertigtes Schreiben mit dem Betreff „Ausschluss Mitglied Dr. Gerald R***** – Ersuchen um Stellungnahme“, per E-Mail an den Antragsteller und weitere 21 Personen. Bei den Empfängern handelte es sich um organschaftliche Vertreter der VÖA-Landesgruppe. Aufgrund der folgenden Korrespondenz mit dem Antragsteller versandte der Antragsgegner das inkriminierte Schreiben am neuerlich per E-Mail an den Antragsteller und weitere 55 Personen.

Dem inkriminierten Schreiben war vorangegangen, dass mehrere Vereinsmitglieder einen Antrag auf Ausschluss des Antragstellers aus der VÖA-Landesgruppe gestellt hatten. In diesem Schreiben wurden mehrere Vorwürfe gegen den Antragsteller erhoben, allen voran jener des mutwilligen Einbringens mehrerer Anträge auf Erlassung einer Einstweiligen Verfügung im Zusammenhang mit der Ausschreibung von Kassenplanstellen.

Im Zuge des darauf folgenden Schriftverkehrs verlangte der Antragsteller mehrmals die Einsetzung eines Schiedsgerichts, unterließ jedoch die Benennung von Schiedsrichtern.

In einem von der Ärztekammer für ***** auf Antrag des Antragstellers vom eingeleiteten und am beendeten Schlichtungsverfahren gemäß § 94 ÄrzteG 1998 konnte keine Einigung zwischen dem Antragsteller und dem Antragsgegner erzielt werden (vgl § 94 Abs 4 leg cit).

In rechtlicher Hinsicht unterstellte das Erstgericht das per E-Mail an mehr als 20 Personen versandte Schreiben des Antragsgegners vom der in § 1 Abs 1 Z 1 MedienG enthaltenen Definition eines Mediums.

Die medienrechtlichen Anträge des Antragstellers wies es mit der Begründung der „Unzulässigkeit des Rechtswegs“ ab; dies deshalb, weil es sich im Gegenstand um eine Streitigkeit aus einem Vereinsverhältnis im Sinn des § 8 Abs 1 VereinsG 2002 handle, die nach dieser Bestimmung zwingend vor Beschreitung des ordentlichen Rechtswegs vor einer Schlichtungseinrichtung auszutragen wäre. Im vorliegenden Fall habe der Antragsteller insbesondere die formgerechte, nämlich die Benennung zweier Schiedsrichter umfassende Anrufung eines Schiedsgerichts verabsäumt.

Der dagegen gerichteten Berufung des Antragstellers Dr. Gerald R***** gab das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht mit Urteil vom , AZ 17 Bs 305/16a (ON 32), nicht Folge.

Das Berufungsgericht qualifizierte die Ansprüche nach §§ 6 ff MedienG als „zivilrechtliche Ansprüche“ und unterstellte sie dem in § 8 Abs 1 VereinsG 2002 genannten Rechtsbegriff der (auf privatrechtliche Streitigkeiten abstellenden) „Rechtsstreitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis“. Nach dieser Bestimmung seien solche Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis – zunächst – vor einer Schlichtungseinrichtung auszutragen.

Im vorliegenden Fall sei kein „vom Vereinsverhältnis unabhängiger Anspruch“ geltend gemacht worden; vielmehr wären die inkriminierten Äußerungen „undenkbar“, wenn nicht Antragsteller und Antragsgegner demselben Verein angehört hätten, zumal diese im Zusammenhang mit einem allfälligen Ausschluss des Antragstellers aus dem Verein gefallen wären. Auf dieser Basis teilte das Berufungsgericht die Rechtsansicht des Erstgerichts, wonach „die Prozessvoraussetzung der Rechtswegzulässigkeit nicht gegeben“ sei; dies nicht zuletzt deshalb, weil es der Antragsteller unterlassen habe, seinem Begehren auf Einsetzung eines (Vereins-)Schiedsgerichts die Benennung zweier Schiedsrichter anzufügen (dies mit Blick auf § 16 der Statuten der Vereinigung Österreichischer Ärztinnen und Ärzte – Landesgruppe *****).

Die Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom und des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom stehen – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend geltend macht – mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 8a Abs 1 MedienG gelten für das Verfahren über einen selbständigen Antrag, soweit in diesem Bundesgesetz nichts anderes bestimmt ist, die Bestimmungen für das strafgerichtliche Verfahren aufgrund einer Privatanklage dem Sinn nach. Der selbständige Antrag muss bei sonstigem Verlust des Anspruchs binnen sechs Monaten nach der erstmaligen, dem Anspruch zu Grunde liegenden Verbreitung, Ausstrahlung oder Abrufbarkeit bei dem nach den §§ 40, 41 Abs 2 MedienG zuständigen Strafgericht eingebracht werden (Abs 2 erster Satz leg cit). Gemäß § 41 Abs 2 MedienG ist (auch) für das selbständige Verfahren das mit der Gerichtsbarkeit in Strafsachen betraute Landesgericht zuständig.

Die – im zivilgerichtlichen Verfahren bedeutsame – „(Un-)Zulässigkeit des Rechtswegs“, mit der die vorbefassten Gerichte jeweils die Antragsabweisung begründeten, bezieht sich auf die Abgrenzung der Aufgabenbereiche der verschiedenen Behörden, die zur Rechtsschutzgewährung eingerichtet sind, und auf die von den ordentlichen Gerichten anzuwendende Verfahrensart (vgl dazu Garber in Fasching/Konecny3 I JN § 42 Rz 6 ff; Mayr in Rechberger, ZPO4 JN Vor § 1 Rz 1; Rechberger/Simotta,Zivilprozessrecht8 Rz 185 ff). Dem Mediengesetz und der gemäß § 41 Abs 1 MedienG auch im selbständigen Entschädigungsverfahren subsidiär anzuwendenden Strafprozessordnung ist der Begriff der (Un-)Zulässigkeit des Rechtswegs dagegen fremd.

Der Sache nach angesprochen wird damit aber das Vorliegen eines (temporären) prozessualen Verfolgungshindernisses (vgl dazu Fabrizy, StPO12§ 281 Rz 85; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 621), das eine Verfolgung wegen der Tat ausschließt (§ 212 Z 1 zweiter Fall, § 281 Abs 1 Z 9 lit b, § 311 Abs 1 StPO).

Ein solches Verfolgungshindernis wird aber durch die Regelung des § 8 Abs 1 VereinsG 2002, auf die die vorbefassten Gerichte die Antragsabweisung stützten, nicht statuiert.

Nach dieser Bestimmung haben die Statuten des Vereins vorzusehen, dass Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis vor einer Schlichtungseinrichtung auszutragen sind. Sofern das Verfahren vor der Schlichtungseinrichtung nicht früher beendet ist, steht für Rechtsstreitigkeiten nach Ablauf von sechs Monaten ab Anrufung der Schlichtungseinrichtung der ordentliche Rechtsweg offen.

Indem die Norm unbestimmt auf „Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis“ abstellt und – anders als in der vergleichbaren Bestimmung des § 94 Abs 1 und 4 ÄrzteG – eine ausdrückliche (vgl auch Mayr in Rechberger, ZPO4 JN § 1 Rz 1) Bezugnahme auf Privatanklagen (hier: selbständige Entschädigungsanträge; § 8a Abs 1 MedienG) hingegen fehlt, zeigt sich, dass die Notwendigkeit eines vereinsrechtlichen Schlichtungsverfahrens die Einbringung eines Entschädigungsantrags nach dem MedienG nicht zu hindern vermag.

Zudem sieht das Regelungsregime des § 8 VereinsG 2002 – im Gegensatz zu § 94 Abs 3 ÄrzteG – keine Hemmung der Verjährungsfrist sowie anderer Fristen für die Geltendmachung des Anspruchs während der Dauer des Schlichtungsverfahrens vor. Im Hinblick auf die einander ausschließenden Fristen von jeweils sechs Monaten in § 8 Abs 1 VereinsG 2002 und § 8a Abs 2 MedienG wäre eine rechtzeitige gerichtliche Geltendmachung im Regelfall nicht möglich. Eine solch widersprüchliche Regelung aber kann dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden (vgl Krammer, Juristische Methodenlehre3, 105).

Die Bestimmung des § 8 Abs 1 VereinsG 2002 ist daher im selbständigen Entschädigungsverfahren – ungeachtet der Frage der rechtlichen Einstufung der Entschädigungsansprüche der §§ 6 ff MedienG (vgl dazu RIS-Justiz RS0108866) – nicht anzuwenden.

Die in den angeführten Urteilen des Landesgerichts für Strafsachen Wien und des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht erfolgte Verneinung der Kompetenz des Erstgerichts zur Entscheidung über den gegenständlichen selbständigen Entschädigungsantrag nach § 6 Abs 1 MedienG verstößt daher jeweils gegen § 8a Abs 2 iVm § 41 Abs 2 MedienG und § 8 Abs 1 VereinsG 2002.

Diese Gesetzesverletzungen gereichen dem Antragsgegner als Medieninhaber, dem gemäß § 41 Abs 6 MedienG in medienrechtlichen Verfahren die Stellung des Angeklagten zukommt, nicht zum Nachteil, weshalb sie lediglich festzustellen waren.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0150OS00117.17W.1024.000

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