VfGH vom 28.09.2011, B1129/10

VfGH vom 28.09.2011, B1129/10

Sammlungsnummer

19513

Leitsatz

Verletzung im Eigentumsrecht durch Zurückweisung von Anträgen auf Erlassung von Abrechnungsbescheiden betreffend Getränkesteuer; Anwendung einer ab 2010 auch für Landes- und Gemeindeabgaben geltenden Bestimmung der BAO über eine Antragsbefristung verfassungswidrig angesichts der dadurch bewirkten Sperre bzw Erschwerung der Rückzahlung von Abgabenguthaben

Spruch

I. Die beschwerdeführenden Parteien sind durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

II. Die Stadt Innsbruck ist schuldig, den beschwerdeführenden Parteien jeweils zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit je € 2.620,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt

1. Mit Bescheiden des Stadtmagistrates Innsbruck vom 1. bzw. wurden die von den beschwerdeführenden Parteien jeweils im Dezember 2009 eingebrachten Anträge auf Erlassung von Abrechnungsbescheiden gemäß § 163 Tiroler Landesabgabenordnung (in der Folge: TLAO) betreffend Getränkesteuer u.a. für die Wirtschaftsjahre 1995 bis 1998 teilweise als unzulässig zurückgewiesen, teils wurde ihnen nur für bestimmte Zeiträume stattgegeben. Mit den im Instanzenzug ergangenen Bescheiden der bei der Stadt Innsbruck eingerichteten Berufungskommission in Abgabensachen wurden die dagegen erhobenen Berufungen ab- bzw. zurückgewiesen und die erstinstanzlichen Entscheidungen jeweils mit der Maßgabe bestätigt, dass den Anträgen (nur) hinsichtlich des Zeitraumes ab Dezember 2004 stattgegeben wurde.

2. Dagegen richten sich die gemäß Art 144 B-VG erhobenen Beschwerden, in denen jeweils die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unversehrtheit des Eigentums und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt wird. Die belangte Behörde habe die Bundesabgabenordnung denkunmöglich angewendet bzw. ihr einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt.

II. Rechtslage

1. § 163 TLAO hatte bis zum folgenden Wortlaut:

"Bestehen zwischen einem Abgabepflichtigen und der Abgabenbehörde Meinungsverschiedenheiten, ob und inwieweit eine Zahlungsverpflichtung durch Erfüllung eines bestimmten Tilgungstatbestandes erloschen ist, so hat die Abgabenbehörde darüber auf Antrag zu entscheiden (Abrechnungsbescheid)."

Eine Vorschrift, die explizit anordnet, innerhalb welcher Frist ein solcher Antrag zu stellen ist, war in der TLAO nicht enthalten.

2. Mit wurden die bisherigen Landesabgabenordnungen durch die (novellierte) Bundesabgabenordnung (BAO) abgelöst. § 216 BAO, BGBl. 194/1961 idF BGBl. I 180/2004, lautet:

"Mit Bescheid (Abrechnungsbescheid) ist über die Richtigkeit der Verbuchung der Gebarung (§213) sowie darüber, ob und inwieweit eine Zahlungsverpflichtung durch Erfüllung eines bestimmten Tilgungstatbestandes erloschen ist, auf Antrag des Abgabepflichtigen (§77) abzusprechen. Ein solcher Antrag ist nur innerhalb von fünf Jahren nach Ablauf des Jahres, in dem die betreffende Verbuchung erfolgt ist oder erfolgen hätte müssen, zulässig."

3. Die Übergangsbestimmung des § 323a BAO, BGBl. 194/1961 idF BGBl. I 20/2009, sieht im hier maßgeblichen Zusammenhang Folgendes vor:

"(1) Für Landes- und Gemeindeabgaben gilt Folgendes:

1. Die Bundesabgabenordnung in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 20/2009 tritt, soweit sich aus den Z 2 bis 7 und Abs 3 nicht anderes ergibt, mit in Kraft. Verordnungen auf Grund des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 20/2009 dürfen bereits von der Kundmachung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 20/2009 an erlassen werden. Sie dürfen jedoch nicht vor dem in Kraft treten.

2. Abgabenrechtliche Begünstigungen, Berechtigungen oder Befreiungen von Pflichten, welche am nach bisherigem Recht zuerkannt waren, bleiben aufrecht, sofern sie nicht mangels Vorliegens der nach diesem Bundesgesetz erforderlichen Voraussetzungen durch Bescheid widerrufen werden.

3. Abgesehen von Verjährungsfristen gelten die Fristen dieses Bundesgesetzes auch für jene Fälle, in denen die für Landes- und Gemeindeabgaben maßgeblichen Fristen des bisherigen Rechtes am noch nicht abgelaufen waren.

4. bis 7. …

(2) …

(3) Folgende landesgesetzliche Bestimmungen sind für vor dem entstandene Abgabenansprüche auch nach dem anzuwenden:


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1.
§187a Burgenländische Landesabgabenordnung,
2.
§188a Kärntner Landesabgabenordnung,
3.
§186a NÖ Abgabenordnung 1977,
4.
§186a Oberösterreichische Landesabgabenordnung 1996,
5.
§182a Salzburger Landesabgabenordnung,
6.
§186 Steiermärkische Landesabgabenordnung,
7.
§187a Tiroler Landesabgabenordnung
8.
§106a Vorarlberger Abgabenverfahrensgesetz,
9.
§185 Abs 3 Wiener Abgabenordnung.

(4) …"

III. Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Die belangte Behörde geht in den bekämpften Bescheiden jeweils davon aus, dass sie in den Beschwerdefällen die ab auch für Landesabgaben maßgebliche Bestimmung des § 216 BAO anzuwenden habe. Danach sei ein Antrag auf Erlassung eines Abrechnungsbescheides nur innerhalb von fünf Jahren nach Ablauf des Jahres, in dem die betreffende Verbuchung erfolgt ist oder erfolgen hätte müssen, zulässig. Es handle sich bei dieser Vorschrift um eine Verfahrensvorschrift; für diese gelte nicht der ansonsten im Abgabenrecht zu beachtende Grundsatz der Zeitraumbezogenheit. Bei Änderungen verfahrensrechtlicher Rechtsvorschriften sei vielmehr die im Zeitpunkt der Entscheidung in Geltung stehende Rechtsvorschrift anzuwenden, auch wenn es sich um Rechtsvorgänge handle, die sich vor In-Kraft-Treten des neuen Verfahrensrechtes ereignet haben. Die belangte Behörde verweist in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Eine dem entgegenstehende Übergangsvorschrift sei in der BAO nicht enthalten.

§323a BAO betreffe nicht die Vorschrift des § 216 leg.cit.

2. Auch die Beschwerden gehen davon aus, dass die Vorschrift des § 323a BAO nicht anwendbar sei. Diese Vorschrift stelle ausdrücklich auf eine Frist im bisherigen Landesrecht ab. § 163 TLAO habe jedoch eine Antragsbefristung nicht vorgesehen. Diese Vorschrift sei erst mit außer Kraft getreten. § 216 BAO sei erst für Anträge maßgebend, die ab diesem Datum gestellt werden. In der Fassung vor BGBl. I 180/2004 habe auch § 216 BAO keine Befristung vorgesehen; in diesem Fall sei jedoch die Frist des § 1478 ABGB (30 Jahre) hilfsweise als zeitliche Grenze für die Stellung eines Antrages herangezogen worden. Somit sei davon auszugehen, dass diese Frist des § 1478 ABGB auch seinerzeit für § 163 TLAO anwendbar gewesen sei. In § 323a BAO werde jedoch ausdrücklich auf eine Frist im bisherigen Recht abgestellt (arg. "des bisherigen Rechts"). Für Fälle, die rechtzeitig nach § 163 TLAO vor In-Kraft-Treten der BAO neu, also vor dem , gestellt worden seien, könne die Übergangsvorschrift des § 323a Abs 1 Z 3 BAO nicht gelten.

Die Antragstellung sei vor dem Stichtag und damit nach Landesrecht gemäß § 163 TLAO rechtzeitig erfolgt. Die Frist des § 216 BAO könne nur zur Anwendung kommen, wenn der Übergangsbestimmung Rückwirkung zukomme. Diese müsse aber vom Gesetzgeber ausdrücklich angeordnet werden. Es könne dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass er mit der Vorschrift des § 323a BAO einen rechtzeitig gestellten Antrag auf Erlassung eines Abrechnungsbescheides nachträglich für unzulässig erklären und eine rückwirkende Belastung der Abgabepflichtigen bewirken wollte. Indem die belangte Behörde davon ausgehe, dass der Gesetzgeber eine rückwirkende Belastung der Steuerpflichtigen normiert haben wollte, unterstelle sie der Übergangsvorschrift einen verfassungswidrigen Inhalt und verwehre mit der Zurückweisung der Berufung den beschwerdeführenden Parteien jeweils die Feststellung der Verbuchung der Gutschriften aus den Nullfestsetzungsbescheiden betreffend Getränkesteuer.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und Gegenschriften erstattet, in denen sie u.a. die Abweisung der Beschwerden als unbegründet beantragt.

IV. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die zulässigen - in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm § 35 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen - Beschwerden erwogen:

Gegenstand der Beschwerden sind Abrechnungsbescheide betreffend Getränkesteuer, deren Erlassung offenbar deswegen beantragt wird, weil die buchungsmäßigen Konsequenzen aus Nullfestsetzungen der Getränkesteuer (im Gefolge des , Evangelischer Krankenhausverein Wien ua., Slg. 2000, I-01157) in den Jahren 1995 bis 1998 nicht gezogen worden waren. Der Verfassungsgerichtshof kann den beschwerdeführenden Parteien nicht entgegentreten, wenn sie die Erlassung eines Abrechnungsbescheides in diesem Zusammenhang als zweckentsprechendes Mittel der Rechtsverfolgung ansehen, ist es doch im Hinblick auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht ausgeschlossen, dass erst die tatsächliche Verbuchung des Getränkesteuerguthabens auf dem Abgabenkonto den Weg zur Rückzahlung eröffnet (vgl. dazu , sowie Taucher, Getränkesteuer - the never-ending story IV, RFG 2010, 110) und dass ein davon unabhängiger Rückzahlungsantrag nach §§187 bzw. 187a TLAO möglicherweise ohne Erfolg bleibt. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass eine rückwirkende Verkürzung der Antragsfrist mit der Folge, dass die Erlassung eines Abrechnungsbescheides nicht mehr zulässig wäre, das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzen kann (vgl. auch ua.).

Zu einem solchen Ergebnis führt aber die Rechtsauffassung der belangten Behörde. Unstrittig wurden die hier in Rede stehenden Anträge auf Erlassung eines Abrechnungsbescheides im Dezember 2009 gestellt, somit zu einem Zeitpunkt, der unter dem Aspekt der damals anwendbaren Bestimmungen der TLAO auch für die Jahre 1995 ff. offenbar noch als rechtzeitig zu betrachten war, so dass die Abgabenbehörden über den Antrag in der Sache hätten entscheiden müssen. Auch die belangte Behörde bestreitet nicht, dass die Anträge nach der bis Ende 2009 geltenden Rechtslage rechtzeitig gestellt worden waren. Der Umstand, dass ab dem für den Bereich der Landes- und Gemeindeabgaben die BAO, und damit auch deren § 216 wirksam geworden ist, hat zunächst zur Folge, dass für Anträge auf Erlassung von Abrechnungsbescheiden, die Zeiträume nach diesem Datum betreffen, die Fünf-Jahres-Frist des § 216 leg.cit. von Bedeutung ist. Eine Anwendung dieser Vorschrift auf Anträge, die vor diesem Datum gestellt wurden, ist dem Wortlaut nach nicht zwingend. Sie verbietet sich - im Sinne einer verfassungskonformen Interpretation der Rechtslage - dann, wenn sie dazu führt, dass zulässige Anträge nachträglich unzulässig werden, weil dem Abgabepflichtigen in diesem Fall der Weg zur Rückzahlung von Abgabenguthaben versperrt oder zumindest erschwert wird und es daher zu einer Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Unversehrtheit des Eigentums kommt.

Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang, dass die Übergangsvorschrift des § 323a Abs 1 Z 3 BAO kein anderes Auslegungsergebnis gebietet: Nach dieser Vorschrift sollen, wenn Fristen des Landes- oder Gemeindeabgabenrechts (ausgenommen Verjährungsfristen) am noch nicht abgelaufen sind, an ihrer Stelle die Fristen der BAO gelten. Den Materialien dazu (vgl. RV 38 BlgNR 24. GP, 14 f.) ist zu entnehmen, dass hiebei an den Fall gedacht ist, dass im Bereich der BAO großzügigere Fristen vorgesehen sind als im Landes- oder Gemeinderecht. Es ist kein Hinweis zu sehen, dass der Gesetzgeber damit auch Fristverkürzungen decken wollte, die zu einem verfassungsrechtlich bedenklichen Eingriff in Vertrauenspositionen bzw. zu einem Eigentumseingriff führen können.

V. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Indem die belangte Behörde dem Gesetz eine Bedeutung beigemessen hat, bei deren Richtigkeit das Gesetz verfassungswidrig wäre, hat sie die beschwerdeführenden Parteien in ihrem verfassungsgesetzlich geschützten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt.

2. Die angefochtenen Bescheide waren aus diesem Grund aufzuheben.

3. Der Kostenzuspruch beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Beträgen ist Umsatzsteuer in der Höhe von jeweils € 400,-- sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in Höhe von jeweils € 220,-- enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.