VfGH vom 16.06.1994, B1117/93
Sammlungsnummer
13774
Leitsatz
Keine Bedenken gegen die Einschränkung des Verfahrens zur Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat auf Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder der Ausweisung
Spruch
Die beiden Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden. Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
Jeder Beschwerdeführer ist schuldig, dem Bund (Bundesminister für Inneres) zuhanden der Finanzprokuratur die mit jeweils S 12.500,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die beiden Beschwerdeführer - Staatsangehörige von Kasachstan - waren am unter Umgehung der Grenzkontrolle in das österreichische Bundesgebiet eingereist und alsbald von Organen des Bundesheeres aufgegriffen und festgenommen worden. Mit Bescheiden vom selben Tag wurde über sie gemäß § 41 des Fremdengesetzes, BGBl. 838/1992 (im folgenden: FrG), die Schubhaft zur Sicherung der Zurückschiebung im Sinne des § 35 Abs 1 Z 1 FrG verhängt und vollzogen.
Ihr am gestellter Antrag, gemäß § 54 FrG festzustellen, daß ihre Zurückschiebung "in die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), im besonderen nach Rußland oder nach Kasachstan, oder nach Georgien" unzulässig sei, wurde mit Bescheiden der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See vom mit der Begründung als unzulässig zurückgewiesen, ein Antrag auf Feststellung gemäß § 54 FrG könne nur während eines Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes eingebracht werden, gegen die Beschwerdeführer sei aber ein Verfahren zur Vorbereitung einer Zurückschiebung anhängig.
2. Die dagegen erhobenen Berufungen wurden mit Bescheiden der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Burgenland vom als unbegründet abgewiesen und die erstinstanzlichen Bescheide aus den als zutreffend erachteten Gründen vollinhaltlich bestätigt.
3. Gegen diese Berufungsbescheide richten sich die vorliegenden, auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, in welchen die Verletzung der durch Art 2, 3, 5, 6 und 13 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Rechtsnormen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der bekämpften Bescheide begehrt wird.
4. Die - durch die Finanzprokuratur vertretene - Sicherheitsdirektion für das Bundesland Burgenland hat die Verwaltungsakten vorgelegt und Gegenschriften erstattet, in welchen sie die bekämpften Bescheide verteidigt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden, welche er wegen ihres sachlichen Zusammenhanges in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm. § 35 VerfGG zur gemeinsamen Beratung und Beschlußfassung verbunden hat, erwogen:
1. Die angefochtenen Bescheide stützen sich insbesondere auf § 37 Abs 1 und 3 sowie auf § 54 FrG; diese Bestimmungen stehen im folgenden Zusammenhang:
Der 5. Teil des FrG ("Maßnahmen zur Verhinderung der Einreise, zur Beendigung des Aufenthaltes und zur Beförderung ins Ausland") regelt in seinem 1. Abschnitt ("Verfahrensfreie Maßnahmen", §§32 bis 40) die Zurückweisung (§§32ff.), die Zurückschiebung (§35) und die Abschiebung von Fremden (§36). Demnach sind Fremde bei der Grenzkontrolle unter näher bestimmten Voraussetzungen "am Betreten des Bundesgebietes zu hindern (Zurückweisung)", wobei das Grenzorgan nach Befragung des Fremden auf Grund des von diesem glaubhaft gemachten oder sonst bekannten Sachverhaltes zu entscheiden hat (§32 Abs 3); eine Zurückweisung hat auch zu erfolgen, wenn die Grenzkontrolle im Bundesgebiet stattfindet (§§33, 34). Ferner können Fremde "von der Behörde zur Rückkehr ins Ausland verhalten werden (Zurückschiebung)", insbesondere wenn sie "unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist sind und binnen sieben Tagen betreten werden" (§35 Abs 1 Z 1). Hingegen können Fremde, gegen die ein Aufenthaltsverbot oder eine Ausweisung durchsetzbar ist, von der Behörde "zur Ausreise verhalten werden (Abschiebung)", wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind (§36).
Die Zurückweisung, die Zurückschiebung und die Abschiebung (sowie die Transitsicherung und die Durchbeförderung) von Fremden sind von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes mit unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt durchzusetzen, wenn dies auf andere Weise nicht oder nicht rechtzeitig möglich ist (§40).
An diese Vorschriften knüpfen die angewendeten Bestimmungen folgendermaßen an:
"Verbot der Abschiebung, Zurückschiebung
und Zurückweisung
§37. (1) Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung eines Fremden in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß er Gefahr liefe, dort einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.
(2) Die Zurückweisung oder Zurückschiebung eines Fremden in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß dort sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht wäre (Art33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolles über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974).
(3) Ein Fremder der sich auf eine der in Abs 1 oder 2 genannten Gefahren beruft, darf erst zurückgewiesen oder zurückgeschoben werden, nachdem er Gelegenheit hatte, entgegenstehende Gründe darzulegen. In Zweifelsfällen ist die Behörde vor der Zurückweisung vom Sachverhalt in Kenntnis zu setzen."
...
"Festellung der Unzulässigkeit
der Abschiebung in einen bestimmten Staat
§54. (1) Auf Antrag eines Fremden hat die Behörde mit Bescheid festzustellen, ob stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß dieser Fremde in einem von ihm bezeichneten Staat gemäß § 37 Abs 1 oder 2 bedroht ist.
(2) Der Antrag kann nur während des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes eingebracht werden; hierüber ist der Fremde rechtzeitig in Kenntnis zu setzen.
(3) Über Berufungen gegen Bescheide, mit denen die Zulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat festgestellt wurde, ist binnen Wochenfrist zu entscheiden, es sei denn, die Anhaltung hätte vorher geendet.
(4) Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag darf der Fremde in diesen Staat nicht abgeschoben werden. Nach Abschiebung des Fremden in einen anderen Staat ist das Feststellungsverfahren als gegenstandslos einzustellen."
Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (692 BlgNR 18.GP) führen zu § 37 FrG unter anderem aus (48):
"Anders als für die Abschiebung (§54) sieht der vorliegende Entwurf kein förmliches Verfahren für die Geltendmachung des Refoulementverbotes bei drohender Zurückweisung oder Zurückschiebung vor. Dennoch soll dem Betroffenen - im Rahmen des Möglichen - ein wirksamer Behelf (Art13 EMRK) auch in diesem Bereich zur Verfügung gestellt werden. Die Bestimmung des Abs 3 ist im Zusammenhang mit § 44 zu sehen. Damit ist gewährleistet, daß die zuständige Fremdenpolizeibehörde von allen Fällen, in denen ein Fremder zurückgewiesen oder zurückgeschoben werden soll und er sich nicht offensichtlich mutwillig auf das Refoulementverbot beruft, Kenntnis erhält. Die Entscheidung wird somit in Zweifelsfällen, auch im Fall der Zurückweisung, nicht vom Organ der Grenzkontrolle allein zu treffen sein."
und bemerken zu § 54, soweit dies im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung ist (55):
"Die Anwendbarkeit dieser Bestimmungen wurde auf die
Abschiebung beschränkt. Für die ... Zurückschiebung und die
Zurückweisung soll es genügen, daß bei Vorliegen einer Gefährdung
im Sinne des § 37 Abs 1 und/oder 2 ... die Behörde eine
Zurückschiebung, sowie ein Grenzkontrollorgan eine Zurückweisung zu unterlassen haben.
Auf die in diesem Zusammenhang in § 37 Abs 3 eingezogene Sicherung sei hingewiesen."
Fremde können unter anderem auch in Schubhaft genommen werden, um die Zurückschiebung zu sichern (§41 Abs 1); die Schubhaft ist regelmäßig mit Bescheid anzuordnen (§41 Abs 2); ihre Verhängung kann mit Beschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat angefochten werden (§41 Abs 4), dieser kann jedoch nur mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung angerufen werden (§51 Abs 1).
2. Die vorliegenden Beschwerden wenden sich nicht gegen die Verhängung der Schubhaft, sondern gegen Bescheide, die einen Antrag auf Feststellung nach § 54 FrG unter Hinweis auf § 37 FrG als unzulässig zurückweisen. Sie halten § 54 FrG wegen Verstoßes gegen Art 13 EMRK für verfassungswidrig, weil er den Rechtsschutz auf Fälle beschränke, in denen Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes anhängig sind. Die in § 37 Abs 1 und 2 FrG umschriebenen Gefahren hingen jedoch nicht von der Abwicklung solcher Verfahren ab. Im Fall der Zurückschiebung stehe dem Fremden somit keine "wirksame Beschwerde" nach Art 13 EMRK zu. Wenn die angefochtenen Bescheide auf die Möglichkeit der Schubhaftbeschwerde verweisen, übersähen sie, daß im Verfahren über eine Haftbeschwerde nicht zu prüfen sei, in welchen Staat der Beschwerdeführer abgeschoben werde und ob seine Ab- oder Zurückschiebung zulässig sei.
3. Der Verfassungsgerichtshof teilt diese Bedenken im Ergebnis nicht:
Die Zurückschiebung eines Fremden ist in § 35 FrG als sogenannte verfahrensfreie Maßnahme konzipiert, die nach § 40 FrG unter Anwendung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt durchzusetzen ist und sich - anders als die Abschiebung nach § 36 - nicht auf einen durchsetzbaren Bescheid über ein Aufenthaltsverbot oder die Ausweisung stützt. Die in der Zurückschiebung liegende Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt kann daher, und zwar ohne Rücksicht auf die Frage der Zulässigkeit einer möglichen Festnahme und Anhaltung (Schubhaft), nach Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG beim unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung bekämpft werden, daß ein Zurückschiebungshindernis nach § 37 Abs 1 und 2 FrG vorliegt.
Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, daß der Möglichkeit, Fremde an der Grenze am Betreten des Bundesgebietes zu hindern (Zurückweisung) oder sie zur Rückkehr ins Ausland zu verhalten, wenn sie unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist sind und sich erst kurz im Bundesgebiet aufhalten (Zurückschiebung), durch Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt regelmäßig erst im nachhinein begegnet werden kann. Aufgrund eines Fehlverhaltens des Grenzorgans oder der Behörde kann sich daher eine der in § 37 Abs 1 und 2 FrG umschriebenen Gefahren bis zur Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates vielleicht schon verwirklicht haben. Es läßt sich aber keine Verfassungsbestimmung finden, die einem einreisewilligen Fremden das Recht zum Betreten des Bundesgebietes bis zur Entscheidung über sein Begehren einräumt. Insbesondere kann Art 3 EMRK, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf, nicht etwa dahin verstanden werden, daß schon die bloße Behauptung der Gefahr einer solchen Behandlung im Herkunftsstaat den Anspruch auf Einreise und (begrenzten) Aufenthalt in Österreich auslöst. Soweit also die Hinderung an der Einreise überhaupt eine Verletzung von Rechten darstellt, die in der Konvention garantiert sind - was hier nicht im einzelnen zu untersuchen ist -, kann auch das Recht auf eine wirksame Beschwerde keine solchen Ansprüche zur Folge haben. Eine Beschwerde gegen eine Zurückweisung muß vielmehr schon dann als wirksam im Sinne des Art 13 EMRK angesehen werden, wenn sie binnen angemessener Frist zu einem Abspruch über die behauptete Verletzung und im Verletzungsfall zur Gestattung der Einreise führt. Dies ist aber durch die Möglichkeit der Anrufung des unabhängigen Verwaltungssenates sichergestellt.
Was für die Zurückweisung ausreicht, muß auch für die Zurückschiebung genügen, die lediglich die Umgehung der Grenzkontrolle wirksam verhindern und sogleich jenen Zustand herstellen soll, der beim Versuch eines gesetzmäßigen Grenzübertrittes bestehen würde. Hat der unabhängige Verwaltungssenat die Rechtswidrigkeit der erfolgten Zurückschiebung festgestellt, darf der daraufhin (wieder) einreisende Fremde nicht (neuerlich) zurückgewiesen werden.
Gegen die Einschränkung des besonderen Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG auf Fälle, in denen Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder der Ausweisung stattzufinden haben, bestehen daher keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Hat die Behörde aber die Anträge der Beschwerdeführer aufgrund unbedenklicher Vorschriften zu Recht als unzulässig zurückgewiesen, kann sie die Beschwerdeführer durch diese Erledigung auch in keinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt haben.
Die Beschwerden sind daher als unbegründet abzuweisen.
III. 1. Die Kostenentscheidung
gründet sich auf § 88 VerfGG.
2. Da von einer mündlichen Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwaren war, hat der Verfassungsgerichtshof von einer mündlichen Verhandlung abgesehen (§19 Abs 4 VerfGG).