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VfGH vom 06.10.1999, B1115/99

VfGH vom 06.10.1999, B1115/99

Sammlungsnummer

15598

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Nichtanrechnung von bei einer Pensionskassen AG verbrachten Dienstzeiten für die zwingend vorgeschriebene Verwendungspraxis für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft; keine Bedenken gegen § 2 RAO

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Schreiben vom beantragte der Beschwerdeführer bei der Wiener Rechtsanwaltskammer, ihm zwischen und erworbene Dienstzeiten bei verschiedenen privat- und öffentlich-rechtlichen Arbeitgebern gemäß § 2 Abs 1 RAO auf die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche Zeit der "praktischen Verwendung" anzurechnen. Unter anderem beantragte der Beschwerdeführer auch die Anrechnung der Dienstzeit bei der ÖPAG Pensionskassen AG vom bis als sog. Alternativ- oder Ersatzpraxis iS. des § 2 Abs 1 erster Satz zweiter Halbsatz RAO.

Mit Beschluß vom wies die Abteilung II des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien den Antrag zur Gänze ab. Gegen diesen Bescheid wurde vom Beschwerdeführer innerhalb offener Frist Vorstellung erhoben, der vom Ausschuß (Plenum) mit Bescheid vom keine Folge gegeben wurde.

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK), welcher mit Bescheid vom keine Folge gegeben wurde. In der Begründung führte die OBDK aus, daß die für die Anrechnung relevanten Zeiten vom bis bei der ÖPAG Pensionskassen AG deswegen nicht berücksichtigt werden können, weil die Tätigkeit bei diesem zum Raiffeisen-Konzern gehörenden Unternehmen keine solche ist, die von der taxativen Aufzählung der in § 2 Abs 1 erster Satz zweiter Halbsatz RAO angeführten alternativen Ausbildungsstellen umfaßt sei. Insbesondere könne die ÖPAG Pensionskassen AG als Unternehmen, das dem Privatwirtschaftsbereich zuzuordnen sei, auch bei extensiver Auslegung des im § 2 RAO normierten Begriffes der "Verwaltungsbehörde" nicht unter dieses Tatbestandsmerkmal subsumiert werden. Die OBDK habe daher schon aus diesem Grund nicht zu prüfen, ob die in Rede stehende rechtsberufliche Tätigkeit für die spätere Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich sei.

3. Dagegen wendet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie auf Freiheit der Erwerbsbetätigung und der Berufsausbildung in eventu die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, verzichtete jedoch auf die Erstattung einer Gegenschrift.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Der angefochtene Bescheid stützt sich insbesondere auf § 2 Abs 1 RAO in der hier maßgeblichen Fassung des Bundesgesetzes BGBl. 1985/556; diese Bestimmung sowie deren Abs 2 und 3 idF des Bundesgesetzes BGBl. 1992/176 lauten:

"§2

(1) Die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung hat in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei Gericht und bei einem Rechtsanwalt zu bestehen; sie kann außerdem in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei einem Notar oder, wenn die Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich ist, bei einer Verwaltungsbehörde, an einer Hochschule oder bei einem beeideten Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bestehen. Die Tätigkeit bei der Finanzprokuratur ist der bei einem Rechtsanwalt gleichzuhalten. Die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt ist nur anrechenbar, soweit diese Tätigkeit hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch eine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt wird.

(2) Die praktische Verwendung im Sinn des Abs 1 hat fünf Jahre zu dauern. Hievon sind im Inland mindestens neun Monate bei Gericht und mindestens drei Jahre bei einem Rechtsanwalt zu verbringen.

(3) Auf die Dauer der praktischen Verwendung, die nicht zwingend bei Gericht oder einem Rechtsanwalt im Inland zu verbringen ist, sind auch anzurechnen:

1. Zeiten des Doktoratsstudiums bis zum Höchstausmaß von sechs Monaten, wenn an einer inländischen Universität der akademische Grad eines Doktors der Rechtswissenschaften nach dem Bundesgesetz vom , BGBl. Nr. 140, über das Studium der Rechtswissenschaften erlangt wurde;

2. eine im Sinn des Abs 1 gleichartige praktische Verwendung im Ausland, wenn diese Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich gewesen ist."

1.2. Das Beschwerdevorbringen stützt sich im wesentlichen auf die Ansicht, der Beschwerdeführer habe bei der ÖPAG Pensionskassen AG eine rechtsberufliche Tätigkeit ausgeübt, die den in § 2 Abs 1 RAO aufgezählten rechtsberuflichen Tätigkeiten bei einer Verwaltungsbehörde, einer Hochschule oder bei einem beeideten Wirtschaftsprüfer und Steuerberater hinsichtlich der Ausbildung für den Rechtsanwaltsberuf gleichwertig und auch für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich sei. Nach Auffassung des Beschwerdeführers unterstelle die belangte Behörde dem Gesetz einen verfassungswidrigen - nämlich gleichheitswidrigen und einen die Freiheit der Erwerbsbetätigung und der Berufsausbildung verletzenden - Inhalt, wenn sie die Aufzählung der sog. Alternativ- oder Ersatzpraxis in § 2 Abs 1 erster Satz zweiter Halbsatz RAO als taxativ ansieht. Sie habe in sachlich nicht begründbarer Weise zwischen den im Gesetz aufgezählten und vom Gesetz nicht erfaßten - aber für die Ausbildung gleichwertigen - Ausbildungswegen differenziert und sei ihrer, aus der aus Art 6 und 18 StGG ableitbaren Verpflichtung, gleichwertige Ausbildungsalternativen zu berücksichtigen, nicht nachgekommen. Sollte die Annahme des Vorliegens einer bloß demonstrativen Aufzählung der die Alternativ- oder Ersatzpraxis bildenden Tätigkeiten in § 2 Abs 1 erster Satz zweiter Halbsatz RAO im Wege der verfassungskonformen Interpretation nicht möglich sein, stütze sich der angefochtene Bescheid auf ein verfassungswidriges Gesetz.

2.1. Der Verfassungsgerichtshof teilt diese Auffassung nicht:

Der Gerichtshof hegte schon bislang gegen § 2 Abs 1 RAO, der im Zusammenhalt mit den Absätzen 2 und 3 dieser Vorschrift anordnet, daß angehende Rechtsanwälte Rechtskenntnisse und sonst für den Beruf des Rechtsanwaltes erforderliche Kenntnisse und Fähigkeiten vornehmlich bei einem inländischen Rechtsanwalt und bei Gericht zu erwerben haben, wobei in eingeschränktem Maße eine Ausbildung in anderen Berufen - bei denen eine fachspezifische Aus- und Weiterbildung gesichert ist - für zulässig erklärt wird, keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. VfSlg. 12337/1990, 12670/1991, 12700/1991, 13560/1993, 14205/1995, 14410/1996, 14873/1997). Der Verfassungsgerichtshof sieht sich auch aus der Sicht der vorliegenden Beschwerde nicht veranlaßt, in eine Prüfung der genannten Rechtsvorschrift einzutreten.

2.2. Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschrift kann eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. zB VfSlg. 12670/1991) nur vorliegen, wenn die Behörde dieser Norm fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat; eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Freiheit der Erwerbsbetätigung läge diesfalls nur vor, wenn die Behörde das Gesetz denkunmöglich angewendet hätte (vgl. VfSlg. 13560/1993). Dies ist bei der gegebenen Sach- und Rechtslage jedoch offenkundig nicht der Fall. Ob die Behörde das Gesetz richtig auslegte, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen (vgl. zB. VfSlg. 13419/1993, 13606/1993).

2.3. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlage ist es auch ausgeschlossen, daß er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.