VfGH vom 07.10.2014, B1114/2011
Leitsatz
Aufhebung des angefochtenen Bescheides im Anlassfall
Spruch
I. Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
II. Das Land Oberösterreich ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.620,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin der Liegenschaft EZ 104, KG Emsenhub, bestehend aus den Grundstücken Nr 380/1 und .16. Auf dem Grundstück Nr 16 befindet sich eine Tischlereibetriebsanlage, für die im Jahr 1992 die gewerbebehördliche Betriebsanlagengenehmigung erteilt wurde und die seither an diesem Standort betrieben wird. Das Grundstück Nr 380/1 grenzt unmittelbar an das Grundstück Nr 378/4, KG Emsenhub.
2. Mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde Adlwang vom wurde dem Bauwerber im Anlassfall die Baubewilligung zur Errichtung eines Wohnhauses auf dem Grundstück Nr 378/4 erteilt. Der Beschwerdeführerin wurde die Baubewilligung allerdings nicht zugestellt, weil die Baubehörde I. Instanz davon ausging, dass sie ihre Parteistellung verloren habe.
3. Mit Schreiben vom stellte die Beschwerdeführerin den Antrag auf Zustellung einer Ausfertigung der Baubewilligung. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bürgermeisters vom als unbegründet abgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung vom wurde mit Bescheid des Gemeinderats der Gemeinde Adlwang vom als unbegründet abgewiesen. Die Beschwerdeführerin erhob diesbezüglich Vorstellung an die belangte Behörde, welche den Berufungsbescheid am behob. Am wurde der Beschwerdeführerin schließlich die Baubewilligung zugestellt.
4. Gegen diese erhob die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom Berufung, in der (neuerlich) der Einwand der heranrückenden Wohnbebauung geltend gemacht wurde, wobei auf die im Bauverfahren bereits vorgelegten Unterlagen (im Hinblick auf § 31 Abs 5 OÖ BauO 1994) verwiesen wurde. Mit Bescheid des Gemeinderates vom wurde die Berufung der Beschwerdeführerin als unbegründet abgewiesen. Dies wurde zusammengefasst damit begründet, dass der Beschwerdeführerin der Nachweis von zulässigen Immissionen auf das Baugrundstück im Sinne des § 31 Abs 5 OÖ BauO 1994 nicht gelungen sei.
5. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Vorstellung. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diese als unbegründet ab, wobei sie sich im Wesentlichen der Begründung des Gemeinderates anschloss.
6. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes sowie wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
7. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie festhält, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit des Flächenwidmungsplans der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen könne, weil die Verordnung im Hinblick auf die Rechtsauffassung im angefochtenen Bescheid, wonach mangels Beibringung eines Nachweises gemäß § 31 Abs 5 letzter Satz OÖ BauO 1994 der Einwand der heranrückenden Wohnbebauung keiner inhaltlichen Überprüfung zugänglich sei, im vorliegenden Fall nicht präjudiziell sei.
Zur Behauptung der Beschwerdeführerin, im Rahmen der Geltendmachung der heranrückenden Wohnbebauung komme es zur Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (nämlich § 31 Abs 5 letzter Satz OÖ BauO 1994), verweist die belangte Behörde u.a. auf den (Ablehnungs-)Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom , B5071/96 und das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 98/05/0046.
8. Die Gemeinde Adlwang legte die Verwaltungsakten betreffend die Erlassung des am vom Gemeinderat beschlossenen Flächenwidmungsplanes Nr 3 vor und erstattete ebenfalls eine Gegenschrift.
II. Rechtslage
§31 Abs 5 der Oberösterreichischen Bauordnung 1994, LGBl 66 idF LGBl 70/1998, lautet:
"§31
Einwendungen der Nachbarn
[…]
(5) Beim Neubau von Wohngebäuden auf bisher unbebauten Grundstücken (heranrückende Bebauung) sind auch Einwendungen zu berücksichtigen, mit denen Immissionen geltend gemacht werden, die von einer bestehenden benachbarten Betriebsanlage ausgehen und auf das geplante Bauvorhaben einwirken. Dies gilt jedoch nur für Immissionen, die auf Grund rechtskräftiger Bescheide zulässig sind. In diesem Fall hat der Nachbar die entsprechenden Nachweise beizubringen."
III. Erwägungen
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Die Beschwerdeführerin behauptet zunächst die Verfassungswidrigkeit des § 31 Abs 5 OÖ BauO 1994, auf den die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid gestützt hat.
2.1. Die Beschwerdeführerin erachtet diesen zunächst als zu unbestimmt und daher dem Legalitätsprinzip (Art18 B VG) widersprechend. Dazu weist der Verfassungsgerichtshof auf das von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift angeführte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom hin, das auf dem ebenfalls in der Gegenschrift erwähnten Ablehnungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes vom aufbaut. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes zeigen, dass unter Anwendung anerkannter juristischer Auslegungsmethoden ein relativ präziser Inhalt der damaligen Fassung des § 31 Abs 5 OÖ BauO 1994 ermittelt werden konnte. Die im Beschwerdefall angewendete Neufassung des Absatzes, LGBl 70/1998, hat jedenfalls im Hinblick auf dessen hinreichende Bestimmtheit keine wesentliche Änderung gebracht.
2.2. Die Beschwerdeführerin hält § 31 Abs 5 OÖ BauO 1994 auch deshalb für verfassungswidrig, weil die darin enthaltene Nachweispflicht ihr eine unverhältnismäßige Eigentumsbeschränkung auferlege. Darüber hinaus sei die Regelung unsachlich und widerspreche daher dem Gleichheitssatz. Auch mit diesem Argument ist die Beschwerdeführerin nicht im Recht:
Der Gesetzgeber hat die vorliegende Sonderregelung zur Wahrung der Interessen von Nachbarn geschaffen, auf deren Grundstücken sich eine im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen (insb. Bewilligungspflichten) betriebene Betriebsanlage befindet. Es ist im öffentlichen Interesse gelegen und verhältnismäßig, wenn der Gesetzgeber für solche Fälle die jede Partei im Verwaltungsverfahren ohnehin treffende Mitwirkungsobliegenheit (vgl. dazu die ständige Rechtsprechung des VwGH, jüngst zB dessen Erkenntnis vom , 2013/09/0159, das diesbezüglich besonders auf betriebsbezogene Umstände hinweist) dahingehend konkretisiert, dass der Nachbar selbst die entsprechenden Nachweise (idR die Betriebsanlagengenehmigung sowie Nachweise über die tatsächlich von der Anlage ausgehenden Emissionen) beizubringen hat. Die Regelung widerspricht auch nicht dem Gleichheitssatz, weil es sachlich gerechtfertigt ist, für Nachbarn, die eine Emissionsquelle betreiben, eine besondere Regelung zu schaffen.
Die Nachweispflicht darf freilich bei verfassungskonformer Auslegung – auch im Lichte des Art 11 Abs 2 B VG – nicht überspannt werden. So muss es etwa im Falle von für die Behörde offenkundigen Tatsachen, die nach § 45 Abs 1 AVG keines Beweises bedürfen (zB eine bei der Behörde selbst aktenkundige Betriebsanlagengenehmigung oder im seinerzeitigen Betriebsanlagenverfahren erstellte lärmtechnische Gutachten), ausreichen, auf diese Tatsachen hinreichend bestimmt hinzuweisen.
2.3. Der Verfassungsgerichtshof teilt also die Bedenken der Beschwerdeführerin gegen § 31 Abs 5 OÖ BauO 1994 nicht.
3. Die Beschwerde ist aber dennoch begründet:
3.1. Aus Anlass der vorliegenden Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art 139 Abs 1 Z 2 B VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des gesamten als "Siedlungs- und Freiraumkonzept" bezeichneten Planes im örtlichen Entwicklungskonzept Nr 2 der Gemeinde Adlwang sowie der Widmung "Bauland-Wohngebiet" für das Grundstück Nr 378/4, KG Emsenhub, im Flächenwidmungsplan Nr 3 der Gemeinde Adlwang ein. Mit Erkenntnis vom , V42-43/2014-10, hob er die in Prüfung gezogenen Bestimmungen zur Gänze als gesetzwidrig auf.
Die belangte Behörde hat somit eine gesetzwidrige Verordnung angewendet. Es ist – entgegen der Ansicht der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid sowie in ihrer Gegenschrift – nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilig war.
IV. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführerin wurde also durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg 10.303/1984, 10.515/1985).
2. Der Bescheid ist daher aufzuheben.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 220,– enthalten.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:VFGH:2014:B1114.2011