OGH vom 29.04.2015, 9Ob16/15s
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö*****, vertreten durch Dr. Roswitha Ortner, Rechtsanwältin in Villach, gegen die beklagte Partei Dr. E***** W*****, vertreten durch Mag. Rolf Gabron, Rechtsanwalt in Spittal an der Drau, wegen 1. Feststellung, 2. Einverleibung einer Dienstbarkeit, 3. Duldung und 4. Unterlassung (Gesamtstreitwert 12.000 EUR), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 43/14x 118, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom , GZ 21 Cg 127/08y 111, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens obliegt dem Erstgericht.
Text
Begründung:
Die Vorinstanzen gaben im zweiten Rechtsgang dem Klagebehren des alpinen Vereins auf Feststellung, dass diesem die Dienstbarkeit des Fußweges auf dem über die Grundstücke der Beklagten (Wald) verlaufenden Wanderweg zustehe, statt und verpflichtete die Beklagte, in die grundbücherliche Einverleibung dieser Dienstbarkeit einzuwilligen, die Instandhaltung und Markierung des Weges durch den Kläger zu dulden sowie jede Störung dieses Dienstbarkeitsrechts zu unterlassen.
Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass keine oberstgerichtliche Judikatur zur Frage der „Notwendigkeit“ eines Weges für einen alpinen Verein vorliege. Dem schloss sich die Revisionswerberin zur Begründung der Zulässigkeit ihrer Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO an. Die Revision sei aber auch deshalb zulässig, weil das Berufungsgericht krass abweichend von der höchstgerichtlichen Judikatur die Ersitzungsvoraussetzung der Redlichkeit des Besitzes bejaht habe.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Gegen das Urteil des Berufungsgerichts ist die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt. Dies ist hier nicht der Fall. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO):
1. Das Erstgericht hat die von der Beklagten erhobene Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges mit Beschluss vom rechtskräftig verworfen (Protokoll ON 23 Seite 2). Diese Frage kann daher auch nicht mehr unter dem Aspekt der Nichtigkeit des Verfahrens an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden (vgl RIS Justiz RS0035572).
2. Die geltend gemachten Verfahrensmängel und die behauptete Aktenwidrigkeit liegen wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat nicht vor. Diese Beurteilung bedarf nach § 510 Abs 3 Satz 3 ZPO keiner Begründung. Eine mangelhafte und unzureichende Beweiswürdigung kann im Revisionsverfahren nicht angefochten werden (RIS Justiz RS0043371). Das Berufungsgericht hat sich mit der Beweisfrage ausreichend auseinandergesetzt. Ob weitere Beweise aufzunehmen gewesen wären, ist eine Frage der nicht revisiblen Beweiswürdigung (vgl RIS Justiz RS0043320).
3. Mit der Frage der „Notwendigkeit“ eines Weges für die Allgemeinheit, die nach herrschender Rechtsprechung bei Ersitzung eines Wegerechtes zu Gunsten einer Gemeinde erforderlich ist, hat sich der Oberste Gerichtshof bereits in einer Vielzahl von Entscheidungen befasst (10 Ob 77/04b; 9 Ob 122/06s; 9 Ob 22/09i ua; M. Bydlinski in Rummel ABGB³ § 1460 Rz 5 mwN; Mader/Janisch in Schwimann/Kodek , ABGB 3 VI § 1460 ABGB Rz 15 mwN). Bei der Ersitzung eines Wegerechts durch die Gemeinde genügt es nach ständiger Rechtsprechung, wenn der Weg vom Publikum offenkundig zum allgemeinen Vorteil benützt wird (6 Ob 208/08v; 9 Ob 22/09i mwN). Auch wurde bereits ausgesprochen, dass für die Ersitzung von Wegedienstbarkeiten durch Gemeinden mit bedeutendem Fremdenverkehr der Bedarf nach geeigneten Wanderwegen in ausreichender Zahl genügt (10 Ob 144/99w = SZ 72/136; 10 Ob 77/04b; 9 Ob 22/09i ua). An die Notwendigkeit für die Wegbenützer ist kein besonders strenger Maßstab anzuwenden (RIS Justiz RS0010120 [T3, T 7]). Notwendigkeit ist nicht mit Unentbehrlichkeit gleichzusetzen (RIS Justiz RS0010120 [T4]). Nur völlige Zwecklosigkeit würde die Servitut vernichten (RIS Justiz RS0011589; RS0011582). Im Allgemeinen hängt jedoch die Frage des Utilitätserfordernisses einer Dienstbarkeit von den jeweiligen besonderen Umständen des Einzelfalles ab (10 Ob 77/04b; 9 Ob 122/06s; 6 Ob 208/08v; 9 Ob 22/09i ua), wobei die Frage, was letztlich tatsächlich bequem, nützlich oder notwendig ist, auch eine Tatfrage darstellt (9 Ob 122/06s). Für einen alpinen Verein wie den Kläger kann nichts anderes gelten als für eine Gemeinde (4 Ob 96/04b; 3 Ob 203/07k). Es ist allgemein bekannt, dass der Vereinszweck des Klägers, eines der größten österreichischen alpinen Vereine, nicht auf seine Mitglieder beschränkt ist, sondern sich auch an die Allgemeinheit richtet und unter anderem auch die Förderung des Wanderns und damit im Zusammenhang die Schaffung und Instandhaltung von Wanderwegen umfasst. So hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 4 Ob 96/04b ausgeführt, dass sich die Notwendigkeit eines bestimmten Wanderweges (für einen alpinen Verein) schon daraus ergibt, dass die Wanderer andernfalls auf einer Bundesstraße entlang gehen müssten.
Wenn das Berufungsgericht unter Berücksichtigung dieser Grundsätze den gegenständlichen Wanderweg als „notwendig“ ansieht, dann ist diese Beurteilung entgegen der Annahme der Beklagten nicht unvertretbar. Dieser Wanderweg ist neben einem anderen Weg der einzige markierte Weg, der von D***** auf den M***** führt. Er stellt aus sportlich-touristischer Sicht eine eigenständige Wanderroute dar. Am Bedarf dieses Wanderweges kann auch schon in Anbetracht des Umstandes, dass dieser Weg seit 1957 markiert, instand gehalten und von Wanderern frequentiert wird, kein begründeter Zweifel bestehen (vgl 10 Ob 144/99w). Ob im Zusammenhang mit der Prüfung der Notwendigkeit der Servitut wie etwa im Rahmen des § 484 ABGB oder der Begründung eines Notweges iSd § 2 NWG eine von der Revisionswerberin geforderte Abwägung mit ihren Interessen als Grundeigentümerin zu erfolgen hat, kann dahin gestellt bleiben. Der festgestellte Sachverhalt bietet keine Anhaltspunkte für die in der Revision behaupteten gravierenden Beeinträchtigungen des naturbelassenen Hochwalds und der Wildruhezone durch die auf dem „Trampelpfad“ zu erwartenden „Touristenströme“.
4. Ob in einem bestimmten Fall die festgestellten Umstände die Qualifikation des Verhaltens eines Ersitzungsbesitzers als redlich oder unredlich fordern, hängt ebenfalls von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab und wirft regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (8 Ob 96/14x; RIS Justiz RS0010184 [T13]). Ein Rechtsbesitzer ist redlich, wenn er glauben kann, dass ihm die Ausübung des Rechts zusteht (RIS Justiz RS0010137). Der für die Ersitzung erforderliche gute Glaube, also die Redlichkeit des Besitzers, fällt aber weg, wenn der Besitzer entweder positiv Kenntnis erlangt, dass sein Besitz nicht rechtmäßig ist, oder wenn er zumindest solche Umstände erfährt, die zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit seines Besitzes Anlass geben (8 Ob 96/14x mwN; RIS Justiz RS0010184). Die Redlichkeit des Besitzes wird im Zweifel vermutet (1 Ob 181/14w; RIS Justiz RS0034237 [T5]).
Die Revisionswerberin meint, dass dem Kläger aufgrund der beiden im unmittelbaren Nahbereich des Weges aufgestellten Tafeln mit sinngemäß folgenden Inhalt: „Achtung Privatbesitz“ und der Aufforderung, dass die Wege nicht verlassen werden dürfen und dem Hinweis auf den Wildeinstand mit einem Ruhegebot, der gute Glaube gefehlt habe. Die gegenteilige Rechtsansicht der Vorinstanzen, der Kläger habe gerade deshalb nicht an der Redlichkeit seiner Besitzausübung zweifeln müssen, weil auf den Tafeln darauf hingewiesen worden sei, dass die Wege nicht verlassen werden durften, er also davon ausgehen habe können, dass die Wege solange sie nicht verlassen werden benützt werden durften, stellt keine krasse und damit vom Obersten Gerichtshof korrekturbedürftige Fehlbeurteilung im Einzelfall dar. Die Vorinstanzen wichen mit dieser Beurteilung auch nicht in unvertretbarer Weise von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung ab. Die Fälle in denen Tafeln des Inhalts „Bis auf Widerruf freiwillig gestatteter Durchgang“ (1 Ob 41/08y) oder „Privatbesitz Durchgang bis auf Widerruf gestattet“ (6 Ob 323/99i) zu beurteilen waren, sind mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar.
Im Anlassfall darf zudem nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Vater der Beklagten diese Tafeln bereits Mitte der 60er Jahre aufgestellt hatte, der klagende Verein den Wanderweg bereits seit 1973 instandhält und markiert und sich die Klägerin dagegen erst ab dem Jahr 2004/2005 durch Übermalen der Markierungen widersetzt hat.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 3 ZPO.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2015:0090OB00016.15S.0429.000