OGH vom 10.10.2017, 10ObS102/17y

OGH vom 10.10.2017, 10ObS102/17y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Schramm und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Josef Putz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Maga. E*****, vertreten durch Strohmayer Heihs Strohmayer Rechtsanwälte OG in St. Pölten, gegen die beklagte Partei Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, 3100 St. Pölten, Kremser Landstraße 3, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen Kinderbetreuungsgeld-Sonderleistung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 30/17h10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 27 Cgs 281/16h7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 418,78 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 69,80 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Klägerin war aus Anlass der Geburt ihres ersten Kindes vom bis im Mutterschutz. Ab vereinbarte sie mit ihrem Dienstgeber bis Karenz nach dem Mutterschutzgesetz.

Von bis und von bis nahm sie an einem Weiterbildungskurs teil und bezog in diesen Zeiträumen gemäß der Bundesrichtlinie Aus und Weiterbildungsbeihilfen (BEMO) täglich jeweils 17,32 EUR an Beihilfe für die Deckung des Lebensunterhalts und 1,93 EUR pauschalierte Kursnebenkosten. Nach dem übte sie ihre Berufstätigkeit weiter aus.

Am wurde das zweite Kind der Klägerin geboren. Das absolute Beschäftigungsverbot begann am . Von bis bezog die Klägerin Wochengeld.

Mit Bescheid vom wies die beklagte Partei den Antrag der Klägerin auf Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes als Ersatz des Erwerbseinkommens aus Anlass der Geburt ihres zweiten Kindes für den Zeitraum bis ab. Der gegen diesen Bescheid von der Klägerin eingebrachten Klage gab das Erstgericht im Vorverfahren (AZ 27 Cgs 220/16p) statt. Es sprach der Klägerin aus Anlass der Geburt ihres zweiten Kindes für den Zeitraum bis Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens in Höhe von 46,58 EUR täglich zu und sprach aus, dass der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld in Höhe des bis bezogenen Wochengeldes ruhe. Das von der Beklagten im Vorverfahren angerufene Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Die gegen seine Entscheidung von der Beklagten eingebrachte außerordentliche Revision wies der Oberste Gerichtshof mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO mit Beschluss vom , AZ 10 ObS 89/17m, zurück.

Mit dem in diesem Verfahren angefochtenen Bescheid vom lehnte die Beklagte die Zuerkennung der von der Klägerin beantragten Sonderleistung bei Gerichtsverfahren gemäß § 24d Abs 2 KBGG für den Zeitraum bis , begrenzt mit dem rechtskräftigen Ende des Gerichtsverfahrens, ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Klage, mit der die Klägerin die Zuerkennung der Sonderleistung gemäß § 24d Abs 2 KBGG für den genannten Zeitraum begehrt.

Die Beklagte wandte dagegen zusammengefasst ein, dass die Sonderleistung gemäß § 24d Abs 2 KBGG nur gebühre, wenn Klage gegen die Ablehnung des Kinderbetreuungsgeldes als Ersatz des Erwerbseinkommens mangels Erfüllung des Erfordernisses der sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit iSd § 24 Abs 1 Z 2 KBGG erhoben wurde. Gegenstand des Vorverfahrens sei jedoch nur die Ablehnung des Kinderbetreuungsgeldes als Ersatz des Erwerbseinkommens aufgrund des Bezugs von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung in dem gemäß § 24 Abs 1 Z 2 KBGG maßgeblichen Zeitraum gewesen.

Das Erstgericht sprach der Klägerin die begehrte Sonderleistung gemäß § 24d Abs 2 KBGG von bis , begrenzt mit dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens AZ 27 Cgs 220/16p des Erstgerichts, zu. Gemäß § 24 Abs 1 Z 2 KBGG müsse im maßgeblichen sechsmonatigen Zeitraum eine durchgehende Erwerbstätigkeit iSd § 24 Abs 2 KBGG vorliegen. Weiters dürfe in diesem Zeitraum kein Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erfolgen. Diese Bedingungen müssten kumulativ vorliegen, § 24d Abs 2 KBGG nehme auf die gesamte Bestimmung des § 24 Abs 1 Z 2 KBGG Bezug. Der Gesetzgeber habe lediglich verhindern wollen, dass einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld „durch arbeitslose Eltern“ bezogen werde. Er habe aber in § 24d Abs 2 KBGG bewusst die Möglichkeit der Sonderleistung bei Streitigkeiten geschaffen, wenn die allgemeinen Voraussetzungen vorgelegen seien. Das anhängige Vorverfahren stelle daher einen Gerichtsstreit iSd § 24d Abs 2 KBGG dar. Da die Klägerin bis Wochengeld bezog, stehe ihr die Sonderleistung ab zu.

Das Berufungsgericht gab der von der Beklagten gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. Es sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung des § 24d Abs 2 KBGG fehle.

Gegen dieses Urteil richtet sich die am eingebrachte Revision der Beklagten, mit der sie die Abweisung des Klagebegehrens anstrebt.

Die Klägerin beantragt in ihrer am eingebrachten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist unzulässig.

1. Voraussetzung jeder Rechtsmittelzulässigkeit ist das Vorliegen einer Beschwer, also eines Anfechtungsinteresses, weil es nicht Sache der Rechtsmittelinstanzen ist, rein theoretische Fragen zu entscheiden (E. Kodek in Rechberger, ZPO4 Vor § 461 Rz 9 mwH). Die Beschwer muss zur Zeit der Einbringung des Rechtsmittels gegeben sein und zur Zeit der Entscheidung über das Rechtsmittel noch fortbestehen; andernfalls ist das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0041770).

2. Die Zuerkennung einer Sonderleistung gemäß § 24d Abs 2 KBGG in der hier anwendbaren Fassung BGBl I 2013/117 setzt die Erhebung einer Klage gegen die Ablehnung des Kinderbetreuungsgeldes als Ersatz des Erwerbseinkommens mangels Erfüllung des Erfordernisses der sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit (§ 24 Abs 1 Z 2 KBGG) voraus. Nach rechtskräftiger Beendigung dieses Gerichtsverfahrens ist diese Leistung auf ein zu gewährendes Kinderbetreuungsgeld gemäß § 24d Abs 2 Satz 2 KBGG anzurechnen.

3. Im Vorverfahren des Erstgerichts begehrte die Klägerin die Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens aus Anlass der Geburt ihres zweiten Kindes für denselben Zeitraum, für den sie in diesem Verfahren die Sonderleistung gemäß § 24d Abs 2 KBGG begehrt. Dieses Vorverfahren wurde nach Einbringung der Rechtsmittelschriften in diesem Revisionsverfahren mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom , AZ 10 ObS 89/17m, rechtskräftig beendet. Der Klägerin wurde im Vorverfahren Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens – unter Berücksichtigung des Ruhens während des Bezugs des Wochengeldes – in einem die Pauschalleistung nach § 24d Abs 2 KBGG übersteigenden Ausmaß zuerkannt. Daher fehlt es im konkreten Fall selbst dann, wenn dem Rechtsstandpunkt der Klägerin in diesem Verfahren Berechtigung zukäme, wegen der Anrechnungsbestimmung des § 24d Abs 2 Satz 2 KBGG an einer Grundlage für die Entscheidung über die hier begehrte Sonderleistung.

Die Revision war daher als unzulässig zurückzuweisen.

4.1 Die (nur) das Revisionsverfahren betreffende Kostenentscheidung beruht auf § 50 Abs 2 ZPO und § 77 Abs 1 Z 2 lit a iVm § 77 Abs 2 ASGG.

4.2 Bei „nachträglichem“ Wegfall der Beschwer (im Zeitraum zwischen Einbringung des Rechtsmittels und der Entscheidung darüber) ist der Erfolg des Rechtsmittels hypothetisch nachzuvollziehen (RIS-Justiz RS0106007). Die Kostenentscheidung ist so zu treffen, als ob das Rechtsschutzinteresse nicht weggefallen wäre; diese Prüfung hat nicht streng zu erfolgen (RIS-Justiz RS0036102 [T7]).

4.3 Für die Kostenentscheidung genügt daher der Hinweis auf die zutreffende Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass § 24d Abs 2 Satz 1 KBGG in der hier anwendbaren Fassung ganz allgemein von einem gerichtlichen Verfahren gegen die Ablehnung des Kinderbetreuungsgeldes als Ersatz des Erwerbseinkommens „mangels Erfüllung des Erfordernisses der sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit“ spricht und dazu ohne weitere Einschränkung ausdrücklich auf § 24 Abs 1 Z 2 KBGG verweist. § 24 Abs 1 Z 2 KBGG in der hier anwendbaren Fassung BGBl I 2011/139 definiert die Anspruchsvoraussetzungen für das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens schon nach seinem Wortlaut kumulativ: Ein Elternteil muss in den letzten sechs Monaten unmittelbar vor Geburt des Kindes, für das Kinderbetreuungsgeld bezogen werden soll, einerseits durchgehend erwerbstätig (iSd § 24 Abs 2 KBGG) sein und darf andererseits (arg: „sowie“) in diesem Zeitraum keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erhalten haben. Schon der Wortlaut dieser Bestimmungen spricht dafür, dass das von der Klägerin geführte Vorverfahren auf Zuerkennung eines Kinderbetreuungsgeldes als Ersatz des Erwerbseinkommens ein Verfahren iSd § 24d Abs 2 KBGG ist. Die Erfüllung sämtlicher anderer Anspruchsvoraussetzungen iSd § 24d Abs 2 KBGG war im Verfahren nicht strittig.

4.4 Die Beklagte wäre daher bei hypothetischer Prüfung mit ihrem Rechtsmittel im Ergebnis erfolglos geblieben. Der Umstand, dass die Klägerin in ihrer Revisionsbeantwortung nicht auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen hat, schadet ihr nicht, weil die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 10 ObS 89/17m erst nach Erstattung der Revisionsbeantwortung erging und die Klägerin den nachträglichen Wegfall der Beschwer nicht verursachte.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00102.17Y.1010.000
Schlagworte:
Sozialrecht

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