OGH vom 26.03.1987, 7Ob542/87
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Hule, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Pflegschaftssache der mj. Kinder Johannes L***, geboren am , und Andreas L***, geboren am , infolge Revisionsrekurses des ehelichen Vaters Gerhard L***, Beamter, derzeit unbekannten Aufenthaltes, vertreten durch Dr. Friedrich Grohs ua., Rechtsanwälte in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgerichtes vom , GZ. 3 R 380/86-63, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes St.Veit/Glan vom , GZ. P 242/86-60, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die minderjährigen Kinder Johannes L***, geboren am und Andreas L***, geboren am , entstammen der Ehe des Gerhard L*** mit Maria W***, geschiedene L***. Die Ehe der Eltern wurde am zu 23 Cg 522/74 des Landesgerichtes Klagenfurt rechtskräftig geschieden. Mit rechtskräftigem Beschluß des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom , 1 P 435/74-21, wurden die Kinder der Mutter in Pflege und Erziehung überlassen. Bereits vorher hatte jedoch der Vater die Kinder in Ausnützung seines Besuchsrechtes an einen unbekannten Ort gebracht. Seither ist weder der Aufenthalt der Kinder noch der Aufenthalt des Vaters bekannt. Im vorliegenden Fall haben die Vorinstanzen übereinstimmend den Antrag des Vaters, ihm "das Recht zur Pflege und Erziehung der Kinder zuzuerkennen", abgewiesen. Hiebei vertraten sie die Rechtsansicht, nach dem nunmehr geltenden § 176 ABGB komme eine Änderung in den Pflege- und Erziehungsverhältnissen nur dann in Frage, wenn sie im Interesse des Kindes dringend geboten sei. Dabei sei ein strenger Maßstab anzuwenden. Für die Prüfung dieser Frage sei jedoch die Erhebung der Umstände, unter denen die Kinder derzeit leben und die Prüfung der für sie zu erwartenden Lebensverhältnisse im Falle der Änderung bezüglich der Pflege und Erziehung erforderlich. Dies setze aber voraus, daß tatsächlich solche Erhebungen angestellt werden können. Infolge des unbekannten Aufenthaltes der Kinder und des Vaters sei dies nicht möglich. Eine Einvernahme der Kinder bei einer vom Vater nicht genannten österreichischen Vertretungsbehörde in irgendeinem Ausland komme nicht in Frage, weil mangels Kenntnis des Aufenthaltes der Kinder nicht beurteilt werden könne, ob diese Vertretungsbehörde überhaupt befugt sei, Personen einzuvernehmen. Da also einerseits eine Verschlechterung der Verhältnisse bei der Mutter seit der seinerzeitigen Entscheidung über die Pflege und Erziehung der Kinder nicht einmal behauptet worden sei und mangels Kenntnis des Aufenthaltes der Kinder Erhebungen mit dem Ziel einer Prüfung der Frage, ob die Verhältnisse beim Vater im Hinblick auf das Wohl der Kinder eine Änderung der seinerzeitigen Entscheidung rechtfertigen könnten, nicht möglich sei, war der Antrag des Vaters abzuweisen. Da im vorliegenden Fall übereinstimmende Entscheidungen der Vorinstanzen vorliegen, ist ein weiterer Rechtszug gemäß § 16 AußStrG nur wegen Nichtigkeit, Aktenwidrigkeit oder offenbarer Gesetzwidrigkeit zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Dem Revisionsrekurs ist zuzugeben, daß § 177 Abs. 2 ABGB die Anhörung mindestens zehnjähriger Kinder vor einer Entscheidung der angestrebten Art vorschreibt. Eine solche Anhörung setzt jedoch die Möglichkeit voraus, mit den Kindern Kontakt aufzunehmen. Dies wird im allgemeinen nur dann der Fall sein, wenn die Anschrift der Kinder bekannt ist. An einer solchen Kenntnis der Anschrift der Kinder fehlt es im vorliegenden Fall. Das Pflegschaftsgericht war daher gar nicht in der Lage, die Kinder zwecks Einvernahme vorzuladen oder ihre Einvernahme im Rechtshilfeweg zu veranlassen. Der Antragsteller hat auch eine solche Einvernahme im Rechtshilfeweg gar nicht beantragt, sondern will lediglich eine Befragung der Kinder durch eine von ihm nicht genannte österreichische Vertretungsbehörde im Ausland. Hier stehen beide Vorinstanzen auf dem Standpunkt, daß eine solche Befragung durch eine Vertretungsbehörde im Ausland in dieser allgemeinen Form im Gesetz nicht vorgesehen ist. Dabei handelt es sich um eine rein verfahrensrechtliche Entscheidung. Ein bloßer Verstoß gegen einfache Verfahrensvorschriften stellt jedoch weder eine Nichtigkeit noch eine offenbare Gesetzwidrigkeit dar (EFSlg. 39.811, 37.383, SZ 51/140 u.a.). Eine Nichtigkeit könnte daher eine bloß unrichtige Beurteilung der Verfahrensvorschrift des § 283 ZPO nicht begründen.
Inwieweit im Pflegschaftsverfahren die Verletzung des rechtlichen Gehörs eine Nichtigkeit begründen könnte, muß hier nicht erörtert werden, weil eine solche Verletzung nur dann gegeben ist, wenn das Gericht überhaupt die Möglichkeit gehabt hätte, das rechtliche Gehör wahrzunehmen. Dies setzt aber, wie bereits dargelegt, voraus, daß das Gericht den Aufenthalt jener Person, die ihren Standpunkt vor Gericht darlegen will, kennt.
Sicherlich könnte im Pflegschaftsverfahren eine gänzliche Außerachtlassung des Wohles Minderjähriger Nichtigkeit begründen, doch kann hier davon keine Rede sein. Die Vorinstanzen haben sich sehr wohl mit der Frage des Wohles der Kinder auseinandergesetzt und hiebei, vom Rekurswerber auch gar nicht bekämpft, dargelegt, daß die Verhältnisse bei der Mutter so sind, daß grundsätzlich durch einen Aufenthalt der Kinder bei ihr deren Wohl nicht gefährdet wäre. Ob aber die Verhältnisse beim Vater derart besser sind, daß sie im Hinblick auf das Wohl der Kinder eine Änderung der seinerzeitigen Entscheidung des Landesgerichtes Klagenfurt rechtfertigen würden, konnte mangels Kenntnis des Aufenthaltes des Vaters nicht geprüft werden. Wenn aber das Pflegschaftsgericht zwar auf das Wohl des Kindes Bedacht nimmt, weitere Erhebungen aber in dieser Richtung wegen Unmöglichkeit nicht anstellen kann, so liegt darin keine Nichtigkeit.
Auch die Menschenrechtskonvention schreibt nur die Berücksichtigung des Standpunktes von Personen in einem Verfahren vor, enthält jedoch keine detaillierten Bestimmungen darüber, auf welche Weise diese Berücksichtigung erfolgen muß. Insbesondere kann der Menschenrechtskonvention nicht entnommen werden, daß das rechtliche Gehör auch Personen gewährt werden muß, solange diese sich weigern, die in den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften hiefür vorgesehenen Formen einzuhalten. Die Menschenrechtskonvention gibt niemandem ein Recht, einem Staat, der durch seine Gesetzgebung die Wahrung des rechtlichen Gehörs ausreichend sichert, eine in dieser Gesetzgebung nicht vorgesehene Art der Anhörung aufzuzwingen. Mit dem Rekursgrund der Aktenwidrigkeit unternimmt der Antragsteller den unzulässigen Versuch, neuerlich die Frage aufzurollen, ob die seinerzeitige rechtskräftige Entscheidung richtig war oder nicht. An die Rechtskraft dieser Entscheidung ist das Gericht gebunden.
Daß der Antragsteller bisher weder seine noch die Anschrift der Kinder bekanntgegeben hat, kann er selbst nicht bestreiten. Ob er sie vielleicht doch noch einmal bekanntgeben hätte wollen, ist im derzeitigen Stadium unerheblich. Jedenfalls bleibt es ihm unbenommen, in einem weiteren Verfahren dem Pflegschaftsgericht jene Grundlagen in die Hand zu geben, die diesem Erhebungen nach dem Wunsch des Antragstellers überhaupt erst ermöglichen könnten. Eine offenbare Gesetzwidrigkeit liegt nur vor, wenn ein Fall im Gesetz ausdrücklich und so klar gelöst ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann und trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wird (JBl. 1975, 547, NZ 1973, 77 u.a.).
Durch die Nichtübernahme einer § 142 Abs. 2 ABGB aF ähnlichen Bestimmung ergibt sich deutlich, daß eine einmal getroffene Regelung, welchem Elternteil alle aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten (§ 144 ABGB) allein zustehen sollen, nicht bereits bei geringfügiger Veränderung der Interessenlage, sondern nur dann geändert werden soll, wenn das Wohl des Kindes oder der Kinder gefährdet ist, wenn also besonders wichtige Gründe vorliegen und Änderungen dringend geboten sind. Hier ist ein noch strengerer Maßstab anzulegen als nach der alten Rechtslage (EvBl. 1979/185, 7 Ob 553/86, 8 Ob 601/86 u.a.). Da das Erstgericht gegenüber der seinerzeitigen Entscheidung keinerlei Änderung feststellen konnte, begründet es demnach keine offenbare Gesetzwidrigkeit, wenn es eine neue Regelung abgelehnt hat. Mangels Vorliegens einer der im § 16 AußStrG genannten Gründe erweist sich der Revisionsrekurs sohin als unzulässig.