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VfGH vom 09.10.2004, B1096/03

VfGH vom 09.10.2004, B1096/03

Sammlungsnummer

17328

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Versagung der Übertragung einer Krankenanstalt von einer GesmbH auf eine Personengesellschaft infolge grober Verkennung der Rechtslage; Personengesellschaften nicht vom Betrieb einer Krankenanstalt ausgeschlossen; keine Prüfung der gesellschaftsvertraglichen Gestaltung in Bezug auf die Bedenken zB hinsichtlich eines geordneten Fortbetriebs

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Wien ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit EUR 2142,-- bestimmten Prozesskosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die beschwerdeführende Dr. Leopold S Gesellschaft mbH (mit den beiden Gesellschaftern Dr. Karoline S und Dr. Leopold S) betreibt die Krankenanstalt "Röntgen - Liesing" mit Standort in 1230 Wien.

2. Mit Bescheid vom wies die Wiener Landesregierung den Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft auf Übertragung der genannten Krankenanstalt auf die "Dr. Leopold S Gesellschaft mbH & Co KEG" - mit Dr. Leopold S als einzigem Kommanditisten - ab.

Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Sowohl aus dem Krankenanstaltengesetz des Bundes als auch aus dem Wiener Krankenanstaltengesetz 1987 sei "unzweifelhaft" abzuleiten, dass Rechtsträger einer Krankenanstalt nur eine juristische oder natürliche Person, nicht jedoch auch eine Personengesellschaft sein könne. Eine GmbH & Co KEG sei rechtlich eine Personengesellschaft. Würde nur eine Person (Kommanditist oder Komplementär) aus der (zweigliedrigen) Personengesellschaft ausscheiden, so könnte sie in dieser Rechtsform nicht mehr bestehen. Die Leistungserbringung durch eine Krankenanstalt müsse jedoch auch im Fall des Austausches oder Wechsels eines Gesellschafters sichergestellt sein.

3. Gegen diesen - keinem weiteren Rechtszug unterliegenden - Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, worin die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit vor dem Gesetz sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§61 des Wiener Krankenanstaltengesetzes 1987) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, worin sie den angefochtenen Bescheid verteidigt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Gemäß § 8 Abs 1 des Wiener Krankenanstaltengesetzes 1987 - Wr KAG, LGBl. Nr. 23/1987 idgF, bedarf die Übertragung einer Krankenanstalt auf einen anderen Rechtsträger der Bewilligung durch die Landesregierung. Diese Bewilligung kann nur erteilt werden, wenn dagegen keine "gewichtigen Bedenken" bestehen (§8 Abs 1 letzter Satz Wr KAG).

Die Verleihung des Öffentlichkeitsrechtes an eine Krankenanstalt setzt ua. voraus, dass diese von einer juristischen Person oder von einer Vereinigung juristischer Personen betrieben wird (§25 Abs 2 erster Satz Wr KAG).

Gemäß § 61 Abs 1 letzter Satz Wr KAG können private Krankenanstalten auch von physischen Personen errichtet und betrieben werden. § 61 Abs 3 Wr KAG normiert ein Fortbetriebsrecht der Witwe sowie der ehelichen Nachkommen im Fall des Todes des Inhabers der privaten Krankenanstalt.

2. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift irrig einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001 16.640/2002).

Ein solcher Fehler ist der Behörde in der Tat anzulasten:

2.1. Weder das Wr KAG noch das KAKuG schließen den Betrieb einer privaten Krankenanstalt durch eine Erwerbsgesellschaft oder eine sonstige Personengesellschaft ausdrücklich aus. Im Gegenteil:

Die soeben genannten Gesetze lassen vielmehr erkennen, dass eine Krankenanstalt nicht nur von juristischen oder physischen Personen errichtet und betrieben werden kann, sondern etwa auch von einer "Vereinigung von juristischen Personen" (so § 25 Abs 2 Wr KAG in Übereinstimmung mit § 15 KAKuG), worunter zunächst eine Gesellschaft nach bürgerlichem Recht, seit Inkrafttreten des Erwerbsgesellschaftengesetzes - EGG, BGBl. Nr. 257/1990, am wohl aber auch eine Erwerbsgesellschaft, deren Gesellschafter juristische Personen sind, zu verstehen sein dürfte.

Der Betrieb einer privaten Krankenanstalt ist somit nicht bloß juristischen und physischen Personen, sondern jedenfalls auch Erwerbsgesellschaften zugänglich, die aus juristischen Personen gebildet sind. Bei dieser Rechtslage kann jedoch - in verfassungskonformer Interpretation - nicht davon ausgegangen werden, dass die Gesetzgebung Personengesellschaften, die (nur) aus juristischen Personen bestehen, zum Betrieb von Krankenanstalten hätte zulassen, solche, die - wie im Beschwerdefall - aus juristischen und natürlichen Personen bestehen, aber hätte ausschließen wollen. Selbst wenn nämlich der Gesetzgeber in Verfolgung zulässiger rechtspolitischer Ziele den Kreis der für den Betrieb von Krankenanstalten in Betracht kommenden Rechtsformen beschränken dürfte - was hier aber offen bleiben kann -, so verstieße eine derartige Differenzierung (vor dem Hintergrund der vom Gesetzgeber natürlichen Personen eingeräumten Befugnisse) gegen den Gleichheitsatz.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 61 Abs 1 zweiter Satz Wr KAG, der lediglich zum Ausdruck bringt, dass "auch" physische Personen als Rechtsträger einer solchen Krankenanstalt in Frage kommen, nicht aber abschließend festlegt, in welchen Rechtsformen eine private Krankenanstalt errichtet und betrieben werden kann.

2.2. Die belangte Behörde hat daher mit ihrer Rechtsauffassung, Erwerbsgesellschaften seien vom Betrieb einer Krankenanstalt jedenfalls ausgeschlossen, die Rechtslage grundlegend verkannt. Von ihrem verfehlten Gesetzesverständnis ausgehend, hat die Behörde nicht ausreichend geprüft, ob die gesellschaftsvertragliche Gestaltung die von ihr angenommenen "gewichtigen Bedenken" iS des § 8 Abs 1 Wr KAG zu zerstreuen geeignet wäre: Es wäre nämlich Sache des Gesellschaftsvertrages der KEG, durch geeignete Regelungen einen geordneten Fortbetrieb der Krankenanstalt im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters (bei Auflösung der Komplementär-GmbH oder Tod des einzigen Kommanditisten) sicherzustellen (vgl. § 4 Abs 1 EGG iVm §§161 Abs 2 und 131 Z 4 HGB). Ob dies der Fall ist, hat die Behörde aber nicht untersucht.

Die beschwerdeführende Partei wurde somit durch den angefochtenen Bescheid in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt; der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VfGG. Der zugesprochene Kostenersatz enthält Umsatzsteuer in Höhe von EUR 327,-- sowie den Ersatz der entrichteten Eingabengebühr (§17a VfGG).

4. Dies konnte ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§19 Abs 4 erster Satz VfGG).