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VfGH vom 04.10.2003, B1095/01

VfGH vom 04.10.2003, B1095/01

Sammlungsnummer

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Spruch

Die beschwerdeführenden Gesellschaften sind durch die angefochtenen Bescheide in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Das Land Wien ist schuldig, den beschwerdeführenden Gesellschaften zuhanden ihrer Rechtsvertreter die mit jeweils € 2.143,68 bestimmten Prozesskosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Gemeinde Wien hat im Jahr 2000 bzw. 2001 in offenen Verfahren unter anderem

a) die Lieferung von Brot und Backwaren aus biologischer und konventioneller Produktion an die Krankenanstalten und Pflegeheime des Wiener Krankenanstaltenverbundes im Jahr 2001, mit optionaler Verlängerung für 2002 und 2003,

b) die Unterhalts-, Zwischen- und Grundreinigung in der Krankenanstalt Rudolfstiftung der Stadt Wien für das 2. Halbjahr 2001 und

c) die Lieferung von Fertigmenüs für das Mittagessen an Schulen der Stadt Wien

ausgeschrieben.

2. Jeweils vor Erteilung des Zuschlags haben Bewerber um den Auftrag den Vergabekontrollsenat des Landes Wien (im Folgenden: VKS) angerufen und die Nichtigerklärung einer oder mehrerer näher bezeichneter Entscheidungen der Gemeinde Wien als Auftraggeber begehrt.

a) Mit dem hg. zu B1095/01 [von dem von der Gemeinde Wien für den unter Pkt. 1.a) beschriebenen Auftrag als Vertragspartner in Aussicht genommenen Unternehmen] angefochtenen Bescheid erklärte der VKS über Antrag eines Mitbewerbers und gestützt auf § 99 Abs 1 Z 1 und § 101 Z 4 des Wiener Landesvergabegesetzes (WLVergG) "[d]ie Zuschlagsentscheidung de[s] Magistrat[s] der Stadt Wien, Wiener Krankenanstaltenverbund, Forum Einkauf, Wilhelminenspital der Stadt Wien vom , WSP-441-22/2000, ... für nichtig".

b) Mit dem hg. zu B1304/01 angefochtenen Bescheid gab der VKS den Anträgen der nunmehr vor dem Verfassungsgerichtshof beschwerdeführenden Kommanditgesellschaft auf Nichtigerklärung des Ausscheidens ihres Angebots aus dem unter Pkt. 1.b) beschriebenen Vergabeverfahren, in eventu auf Feststellung, dass der Zuschlag nicht der Antragstellerin als Bestbieter erteilt worden ist, sowie auf Nichtigerklärung des Widerrufs des Vergabeverfahrens gemäß § 99 Abs 1 Z 1 iVm §§48 und 101 WLVergG nicht statt.

c) Mit dem hg. zu B1382/01 bekämpften Bescheid des VKS wiederum wurden Anträge eines nicht für den Zuschlag in Aussicht genommenen Bewerbers um den unter Pkt. 1.c) genannten Auftrag unter anderem auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung und auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung gemäß § 99 Abs 1 Z 1 iVm § 47 WLVergG wegen Fehlens der für den Lieferauftrag erforderlichen Gewerbeberechtigung im Zeitpunkt der Anbotsöffnung als unbegründet abgewiesen.

3. In den gegen diese Bescheide erhobenen, auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerden erachten sich die beschwerdeführenden Gesellschaften entweder in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, namentlich auf Gleichheit vor dem Gesetz und auf Freiheit der Erwerbsausübung (B1095/01 und B1382/01) oder aber wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, in concreto der §§12 Abs 1 Z 1 und 94 Abs 2 WLVergG, in ihren Rechten (B1304/01) verletzt und beantragen die kostenpflichtige Aufhebung des jeweils angefochtenen Bescheides. Die zu B1304/01 beschwerdeführende Gesellschaft beantragt weiters - eventualiter und mit näherer Begründung - die Abtretung ihrer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

4. a) Die belangte Behörde hat in jedem der drei Beschwerdeverfahren die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie den Beschwerdevorwürfen entgegengetreten ist.

b) In zwei der drei Verfahren haben weiters der für den Zuschlag in Aussicht genommene Bieter und/oder die auftraggebende Gemeinde Äußerungen erstattet und die beschwerdeführende Partei hat repliziert.

5. Aus Anlass dieser Beschwerden leitete der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Worte "oder Gemeinde" in § 12 Abs 1 Z 1 WLVergG idF LGBl. 50/2000 ein.

Mit Erkenntnis vom heutigen Tag, G53-55/03, sprach er aus, dass die Wortfolge "oder Gemeinde" in § 12 Abs 1 Z 1 WLVergG idF LBGl. 50/2000 bis zum Ablauf des verfassungswidrig war.

II. Die Beschwerden sind im Ergebnis begründet:

Die Zuständigkeit des VKS zur Entscheidung über die unter Pkt. I.2.a) bis c) referierten Nachprüfungsanträge gründet sich auf die Worte "oder Gemeinde" in § 12 Abs 1 Z 1 iVm § 94 ff. WLVergG, die den VKS zur Kontrolle der diesem Gesetz unterliegenden Auftragsvergaben berufen hat.

Gemäß Art 140 Abs 7 B-VG ist ein für verfassungswidrig erkanntes Gesetz im Anlassfall nicht mehr anzuwenden.

Da in den Beschwerdefällen der VKS mit dem angefochtenen Bescheid vom (B1095/01), vom (B1304/01) bzw. vom (B1382/01) vor dem (aber auch vor der Kundmachung des BG BGBl. I 99/2002) tätig wurde und die angefochtenen Bescheide u.a. auf die die Anwendbarkeit des Gesetzes ausschließende Gesetzesstelle gestützt hat, hat er eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihm im Bescheiderlassungszeitpunkt nicht zukam. Da das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt wird, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt, verletzen die angefochtenen Bescheide die beschwerdeführenden Gesellschaften in diesem Recht ( ua., , B2214/98; vgl. auch ).

Die Bescheide sind daher aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist eine Eingabegebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 181,68 und Umsatzsteuer in Höhe von € 327,-- enthalten.

III. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Fundstelle(n):
WAAAD-78453