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OGH vom 19.11.2015, 12Os111/15p

OGH vom 19.11.2015, 12Os111/15p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Weißnar als Schriftführerin in der Strafsache gegen Zeynel Y***** wegen des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom , GZ 24 Hv 19/15k 23, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Zeynel Y***** der Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (I./), des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (II./A./) und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 15 Abs 1, 207 Abs 1 StGB (II./B./) schuldig erkannt.

Danach hat er am in W*****

I./ Tamara R***** außer in den Fällen des § 201 StGB mit Gewalt, indem er sie, als sie aufstehen wollte, mit seinen Händen auf eine Couch drückte, zur Duldung bzw Vornahme geschlechtlicher Handlungen genötigt, indem er ihr das T Shirt und den BH hochzog, ihre linke Brust in den Mund nahm, küsste und diese massierte, sie über der Kleidung im Vaginalbereich massierte und anschließend ihre rechte Hand auf seinen Penis legte;

II./ außer dem Fall des § 206 StGB an der am geborenen, somit unmündigen Tamara R***** eine geschlechtliche Handlung

A./ vorgenommen und zwar durch die im Punkt I./ beschriebene Tat

B./ vorzunehmen versucht, indem er nach der im Punkt I./ beschriebenen Tat seinen Penis entblößte und von ihr verlangte, diesen mit den Händen zu berühren, was Tamara R***** jedoch verweigerte, weshalb es beim Versuch blieb.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Zeynel Y***** kommt keine Berechtigung zu.

Die nicht näher konkretisierte Behauptung der Mängelrüge (Z 5), den Feststellungen des Urteils sei „nicht klar zu entnehmen, welche entscheidenden Tatsachen sowohl auf der objektiven als auch auf der subjektiven Tatseite das Gericht als erwiesen angenommen hat und aus welchen Gründen dies geschah“, führt den Tatumstand, der den Nichtigkeitsgrund bilden soll, weder ausdrücklich noch durch deutliche Hinweisung an und entzieht sich solcherart einer inhaltlichen Erwiderung.

Die Kritik, das Erstgericht habe „keine konkreten Feststellungen zum angeblich vorliegenden Vorsatz des Angeklagten zu verschiedenen Handlungen getroffen“ (der Sache nach Z 9 lit a), übergeht die Feststellungen zur subjektiven Tatseite (US 6) und verfehlt solcherart mangels Orientierung am Urteilssachverhalt den Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS Justiz RS0099810).

Entgegen dem pauschalen Vorwurf, das Erstgericht habe die Feststellungen zur inneren Tatseite nicht begründet bzw es lägen Scheinbegründungen vor (Z 5 vierter Fall), widersprechen die bezughabenden Erwägungen (US 6) weder den Gesetzen folgerichtigen Denkens noch grundlegenden Erfahrungssätzen ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 444):

Hinsichtlich des Alters des Tatopfers stützten sich die Tatrichter auf die als glaubwürdig beurteilte Angabe der Tamara R*****, wonach sie den Angeklagten wahrheitsgemäß darüber informiert habe, erst 13 Jahre alt zu sein, und das äußere Erscheinungsbild des Mädchens, sowie darauf, dass der Angeklagte das Mädchen auf einem ihm vorgehaltenen Lichtbild auf maximal 14 Jahre geschätzt habe, die eher kindliche als weibliche Kleidungswahl des Opfers, dessen Größe von ca 160 cm und den noch nicht reifen Gesichtsausdruck des Mädchens. Die Kritik , das Erstgericht habe sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Angeklagte über das tatsächliche Alter der Minderjährigen aufgeklärt worden sei, sondern dies „lediglich festgestellt“, übergeht prozessordnungswidrig, dass die Tatrichter diesbezüglich wie bereits angeführt der als glaubwürdig beurteilten Aussage des Tatopfers folgten.

Der vom Schöffensenat gezogene Schluss von einem gezeigten Verhalten auf ein zugrunde liegendes Wollen oder Wissen (US 12 f) ist zulässig und bei leugnenden Angeklagten in der Regel methodisch gar nicht zu ersetzen (RIS Justiz RS0116882, RS0098671).

Die Widersprüchlichkeit (Z 5 dritter Fall) der Begründung des Erstgerichts betreffend die innere Tatseite wird vom Beschwerdeführer lediglich substanzlos behauptet und entzieht sich solcherart einer inhaltlichen Erwiderung.

Im Übrigen wendet sich der Rechtsmittelwerber bloß mit eigenen Erwägungen über das Aussehen und Verhalten des Mädchens nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung. Gleiches gilt, soweit er aus der Aussage der Mutter des Tatopfers über die Erkennbarkeit des Alters ihrer Tochter und der diesbezüglichen Schätzung des Zeugen Boris A***** (US 12) für ihn günstigere Schlüsse zieht als das Erstgericht.

Der formelle Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5a StPO greift seinem Wesen nach erst dann, wenn aktenkundige Beweisergebnisse vorliegen, die nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt wird dadurch nicht eröffnet (RIS Justiz RS0119583).

Diesen Anfechtungsrahmen verlässt die Beschwerde mit dem Hinweis auf die von den Tatrichtern festgestellte stationäre Behandlung des Tatopfers wegen Sozialphobie (US 4), die mit dem festgestellten Verhalten des Tatopfers „in keinster Weise ... in Einklang (zu) bringen“ sei. Der Sache nach wendet sich die Tatsachenrüge unzulässig gegen die vom Schöffensenat bejahte Glaubwürdigkeit der Zeugin (RIS Justiz RS0106588, RS0099419) und erschöpft sich im Übrigen erneut darin, mit eigenen Erwägungen zu dessen Erscheinungsbild und Verhalten für den Angeklagten günstige Schlüsse zu ziehen, ohne erhebliche Bedenken im Sinne der Z 5a darzutun.

Der Kritik, das Erstgericht habe sich zu Unrecht nicht mit den „verschiedenen Aussagen“ der Minderjährigen auseinandergesetzt (inhaltlich Z 5 zweiter Fall) ist zu erwidern, dass der Beschwerdeführer keine ungewürdigten Widersprüche innerhalb der Aussage des Tatopfers aufzeigt (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 425). Vielmehr wurde dessen Aussage im Laufe der Tatschilderung vor seiner Sozialpädagogin und einer Ärztin in der Universitätsklinik für Kinder und Jugendpsychiatrie (ON 2 S 47, 49 f), seiner folgenden Einvernahme durch die Polizei (ON 2 S 17 ff) und abschließend im Rahmen der kontradiktorischen Einvernahme (ON 13) auch aufgrund der die fallrelevanten strafgesetzlichen Bestimmungen berücksichtigenden Fragestellung der Polizei sowie der Haft und Rechtsschutzrichterin immer genauer und detailreicher. Die ersten, rudimentär zusammengefassten Schilderungen des Tatopfers stellen daher keine den getroffenen Feststellungen widerstreitenden und solcherart gesondert erörterungsbedürftigen Beweisergebnisse dar (RIS Justiz RS0098646).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Mit Blick auf § 290 Abs 1 StPO bleibt anzumerken, dass auf Basis des Urteilssachverhalts (US 5 f) sämtliche Missbrauchshandlungen im Sinn des § 207 Abs 1 StGB im Zuge eines einheitlichen Geschehens an ein und demselben Opfer erfolgten und einer auf die Vornahme von geschlechtlichen Handlungen an der unmündigen Tamara R***** und Vornahme der geschlechtlichen Handlungen von dieser am Täter gerichteten Intention entsprangen. Sie stellen solcherart eine von einem einheitlichen Vorsatz des Täters getragene tatbestandliche Handlungseinheit (RIS Justiz RS0120233, RS0117038) dar, weshalb die Aufforderung an die unmündige Tamara R*****, den entblößten Penis des Angeklagten zu berühren (II./B./) bereits vom Schuldspruch nach § 207 Abs 1 StGB (II./A./) mitumfasst und dessen gesonderte Subsumtion verfehlt ist (vgl RIS Justiz RS0117038, RS0120233).

Dies bietet jedoch keinen Anlass für eine amtswegige Maßnahme gemäß § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO. Stellt nämlich einerseits der aufgezeigte Subsumtionsfehler per se keinen Nachteil im Sinn der genannten Bestimmung dar ( Ratz , WK StPO § 290 Rz 23), so ist andererseits dem durch die von diesem ausgelöste aggravierende Wertung des Zusammentreffens von drei Verbrechen (US 15) hergestellten Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO im Rahmen der Berufungsentscheidung Rechnung zu tragen (13 Os 149/07x mwN; RIS Justiz RS0090885; jüngst 12 Os 11/15g). Dabei besteht keine dem Berufungswerber zum Nachteil gereichende Bindung des Oberlandesgerichts an den Ausspruch des Erstgerichts über das anzuwendende Strafgesetz nach § 295 Abs 1 erster Satz StPO (RIS Justiz RS0118870).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2015:0120OS00111.15P.1119.000

Fundstelle(n):
EAAAD-78313