VfGH vom 12.06.2008, B1085/07
Sammlungsnummer
18451
Leitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Beiziehung einer gerichtlich beeideten Dolmetscherin für die kroatische Sprache in einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor einem Unabhängigen Verwaltungssenat; keine Verletzung im subjektiven Recht auf Verwendung der kroatischen Sprache als Amtssprache; keine Verfassungswidrigkeit einer Bestimmung des Volksgruppengesetzes über die subsidiäre Beiziehung eines Dolmetschers; keine Verpflichtung des Staates zur Bestellung von der Minderheitensprache mächtigen Organwaltern
Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Güssing
vom wurde gegen den nunmehrigen Beschwerdeführer wegen Verstoßes gegen § 20 Abs 2 der Straßenverkehrsordnung (Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet) eine Geldstrafe in bestimmter Höhe verhängt.
In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer im Wesentlichen geltend, er sei in seinem subjektiven Recht auf Verwendung der kroatischen Amtssprache verletzt worden, weil er nicht ohne Beiziehung eines Dolmetschers direkt und unmittelbar mit dem behördlichen Organwalter habe kommunizieren können.
Am wurde vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Burgenland (im Folgenden: UVS) eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, der - da der zuständige Organwalter des UVS der kroatischen Sprache nicht mächtig war - gemäß § 15 Abs 3 Volksgruppengesetz auch eine gerichtlich beeidete Dolmetscherin für die kroatische Sprache beigezogen wurde.
Im Rahmen dieser Verhandlung regte der Beschwerdeführer an, § 15 Abs 3 des Volksgruppengesetzes möge wegen Verfassungswidrigkeit angefochten werden, da Art 7 Z 3 des Staatsvertrages von Wien (im Folgenden: StV Wien) den Angehörigen der kroatischen Volksgruppe die Verwendung der kroatischen Sprache als zusätzliche Amtssprache ermögliche; die Durchführung einer Verhandlung in deutscher Sprache unter Beiziehung eines Dolmetschers entspreche nicht der Durchführung einer Verhandlung in der kroatischen Amtssprache.
Mit Erkenntnis des UVS vom wurde der Berufung keine Folge gegeben; dieser Bescheid wurde der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers in kroatischer und deutscher Sprache zugestellt.
2. Wie schon in seiner Berufung macht der Beschwerdeführer auch in der gemäß Art 144 B-VG erhobenen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof geltend, durch die Beiziehung eines Dolmetschers in seinem subjektiven Recht auf Verwendung der kroatischen Sprache als Amtssprache verletzt worden zu sein. Der UVS habe ihm damit die Durchführung einer Verhandlung in kroatischer Amtssprache verweigert und sich zur Rechtfertigung dieser Vorgehensweise auf § 15 Abs 3 Volksgruppengesetz gestützt. Diese Bestimmung sei jedoch wegen Widerspruches zu Art 7 Z 3 StV Wien verfassungswidrig.
Art 7 Z 3 erster Satz StV Wien beinhalte "bei richtigem Verständnis" (ua.) das Recht auf Verwendung der eigenen Sprache in direktem und unmittelbarem Kontakt mit den Behörden sowie das Recht, von den Behörden in der eigenen Muttersprache ohne Zwischenschaltung von Dolmetschern gehört und auch von den Staatsorganen direkt in der kroatischen Amtssprache angesprochen zu werden. § 15 Abs 3 VolksgruppenG widerspreche diesem grundsätzlichen Rechtsanspruch auf Verwendung der Amtssprache, da er die Zwischenschaltung von Dolmetschern ermögliche. Zudem sei diese Bestimmung mit Art 19 StGG nicht vereinbar.
Die Verweigerung einer mündlichen Verhandlung in kroatischer Amtssprache und anstelle dessen die Durchführung einer Verhandlung in deutscher Sprache unter Beiziehung eines Kroatisch-Dolmetschers stelle außerdem eine Verletzung der Bestimmung des Art 8 Abs 2 B-VG dar. Angesichts dieser Staatszielbestimmung zum Volksgruppenschutz sei eine verfassungskonforme Auslegung des VolksgruppenG dahingehend geboten, dass die Einschränkungen in § 15 Abs 3 leg.cit. nicht anzuwenden seien.
3.1. Der UVS als belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor; auf die Erstattung einer Gegenschrift wurde verzichtet.
3.2. Im Rahmen des verfassungsgerichtlichen Vorverfahrens haben sowohl die Bgld. Landesregierung als auch - auf Einladung des Verfassungsgerichtshofes - das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst Äußerungen erstattet, in denen die Bedenken des Bf. nicht geteilt werden.
II. Über die - zulässige - Beschwerde wurde erwogen:
1.1. Die Rechtsansicht des Beschwerdeführers, wonach sich aus Art 7 Z 3 erster Satz StV Wien ein Anspruch darauf ableiten lasse, dass jedenfalls der einschreitende Organwalter selbst die Sprache der Volksgruppe beherrschen müsse, sodass § 15 Abs 3 Volksgruppengesetz verfassungswidrig sei, ist nicht zutreffend.
Zwar ergibt sich aus der genannten Staatsvertragsregelung eine - dem Recht des einzelnen Volksgruppenangehörigen korrespondierende (vgl. VfSlg. 9744/1983) - Verpflichtung des Gesetzgebers und der Vollziehung, den Gebrauch der Minderheitensprache rechtlich und faktisch zu ermöglichen, was auch beinhaltet, im Rahmen des tatsächlich Möglichen eine Vorsorge zu treffen, dass der Minderheitensprache mächtige Organwalter zum Einsatz kommen. Aus der Zulassung der Minderheitensprache als "Amtssprache" kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass zweisprachige Organwalter bei den Behörden für den Verkehr mit Minderheitenangehörigen eingesetzt werden müssen. Eine Verpflichtung zu einem "ethnischen Proporz", also etwa zur Bestellung einer bestimmten Anzahl zweisprachiger Organwalter, kann aus Art 7 Z 3 erster Satz StV Wien (wie auch aus Z 4 leg.cit.) nicht abgeleitet werden. Für ein solches Verständnis spricht auch, dass einige Jahre nach Inkrafttreten des StV Wien mit dem "Bundesgesetz vom zur Durchführung der die Amtssprache bei Gericht betreffenden Bestimmungen des Artikels 7 § 3 des Staatsvertrages", BGBl. 102, eine (vergleichbare) Regelung geschaffen wurde, der zufolge "ein Dolmetsch beizuziehen" sei, wenn "der Richter der slowenischen Sprache nicht mächtig" ist (§3 Abs 3 leg.cit.). In den Erläuternden Bemerkungen zu dieser Regelung (RV 289 BlgNR 8. GP, 3) heißt es dazu:
"Die Parteien oder Beteiligten können sich im Verfahren der
slowenischen Sprache bedienen. ... Die Zuziehung eines Dolmetsches
ist dann nicht zu umgehen, wenn der Richter der slowenischen Sprache nicht mächtig ist; andernfalls würden sich unüberwindliche Schwierigkeiten bei der Besetzung dieser Bezirksgerichte ergeben."
Gegen eine Regelung wie jene des § 15 Abs 3 Volksgruppengesetz, die gleichsam "subsidiär" auf die Beiziehung von Dolmetschern abstellt, wenn kein zweisprachiger Organwalter zur Verfügung steht, bestehen daher unter dem Blickwinkel des Art 7 Z 3 erster Satz StV Wien keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. im gegebenen Zusammenhang auch Kolonovits, Sprachenrecht in Österreich (1999) 238f.; derselbe, Art 7 Z 2-4 StV Wien, in: Korinek/Holoubek (Hrsg.), Bundesverfassungsrecht, Rz 74).
1.2. Insoweit in der Beschwerde behauptet wird, § 15 Abs 3 Volksgruppengesetz untergrabe die "verfassungsrechtlich statuierte Gleichberechtigung der 'landesüblichen Sprachen' in ArtXIX StGG", ist auf das Erkenntnis VfSlg. 2459/1952 zu verweisen, wonach dem Art 19 StGG
"nach übereinstimmender Meinung von Lehre und Schrifttum, der sich der Verfassungsgerichtshof anschließt, durch die gemäß Art 149 B-VG als verfassungsgesetzliche Bestimmungen geltenden Art 66, 67 und 68 des Staatsvertrages von St. Germain im Zusammenhalt mit Art 8 B-VG derogiert wurde. Der aus der Zeit der Doppelmonarchie stammende Art 19 StGG hatte den Bestand von verschiedenen Volksstämmen und verschiedenen landesüblichen Sprachen zur Voraussetzung. Diese Voraussetzung ist aber seit dem Zerfall des alten Völkerstaates nicht mehr gegeben. Im heutigen Österreich gibt es keine Volksstämme und keine landesüblichen Sprachen im Sinne des Art 19 StGG, sondern nur mehr Minderheiten, deren rechtliche Stellung ausschließlich durch Art 67 des Staatsvertrages von Saint-Germain geregelt ist, so daß für eine Anwendung des Art 19 StGG überhaupt kein Raum mehr bleibt."
1.3. Was den behaupteten Verstoß gegen Art 8 Abs 2 B-VG anlangt, ist dem Vorbringen entgegenzuhalten, dass diese Staatszielbestimmung zwar ein Bekenntnis der Republik zu ihrer kulturellen Vielfalt in Gestalt ihrer autochthonen Volksgruppen darstellt, sich jedoch auch aus Art 8 Abs 2 B-VG keine Verpflichtung des Staates ergibt, dafür Vorsorge zu treffen, dass seine Organwalter der Minderheitensprache(n) mächtig sind. Diese Bestimmung enthält keine - über jene gemäß Art 7 StV Wien hinausgehenden - Verpflichtungen, sodass die Beiziehung von Dolmetschern den Anforderungen gemäß Art 8 Abs 2 B-VG jedenfalls genügt.
2. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.
Das Verfahren hat nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.
3. Die Beschwerde war daher abzuweisen.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.