VfGH vom 29.11.1996, B1079/96
Sammlungsnummer
14680
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch die Versagung einer Aufenthaltsbewilligung aufgrund der Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit; Außerachtlassung der besonderen Umstände des vorliegenden Falles und Unterlassung geeigneter Beweiserhebungen; kein krasser Verstoß gegen fremdenrechtliche Vorschriften durch kurzfristig verspätete Antragstellung im Inland des erst kürzlich aufgrund der ausländischen Rechtslage eigenberechtigten Antragstellers
Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in dem durch das BVG BGBl. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer, zu Handen des Beschwerdevertreters, die mit 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der am in Salzburg geborene Beschwerdeführer, ein jugoslawischer Staatsangehöriger, beantragte am beim Magistrat der Stadt Wien die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz, BGBl. 466/1992 (in der hier maßgebenden Fassung der Novelle BGBl. 351/1995; im folgenden: AufG). Er begründete sein Ansuchen mit einem selbst verfaßten, als Antragsbeilage vorgelegten Schreiben, das (auszugsweise, von gewissen Sprachmängeln bereinigt) wie folgt lautet:
"Ich, T Z, wurde in Österreich geboren. Meine Mutter M (aus Bosnien) ist bereits seit ihrer Jugend hier. Mein Vater M J (aus Mazedonien) hat mich entgegen einer Gerichtsentscheidung entführt. Dort in Mazedonien besuchte ich 4 Jahre die Volksschule. Im Jahre 1988 kam ich zurück nach Österreich, wo ich bis heute lebe. Ich war immer im Reisedokument meiner Mutter eingetragen, die eine unbefristete Aufenthaltsbewilligung hat. Mich konnte sie am Anfang in das Visum nicht eintragen lassen, weil mein Vater die Dokumente der Gerichtsentscheidung absichtlich zurückgehalten hat. Erst im Jahr 1993 hatten wir alles beisammen. Dann waren wir bei der Fremdenpolizei, wo uns gesagt wurde, daß ich einen neuen Reisepaß für mich nehmen soll, dann werde das Visum übertragen. Als ich den Paß bekommen habe, ist inzwischen das neue Fremdengesetz gemacht worden, in dem lang in Österreich Lebende und im Land Geborene nicht mehr berücksichtigt sind. Dann hieß es bei der Fremdenpolizei: 'Wir sind nicht mehr zuständig, sondern die MA 62.' Beim Magistrat hieß es: 'Zu spät. Sie müssen den Erstantrag machen.' Ich bin nur in Österreich zuhause, in Mazedonien habe ich keinen Kontakt zu meinem Vater und werde auch niemals einen aufnehmen. In Bosnien ist Krieg und alle unsere Familienmitglieder sind Jahrzehnte bereits in Salzburg, manche sind bereits österreichische Staatsbürger. Ich bin nur in Österreich zuhause, bitte um Verständnis."
2. Der Landeshauptmann von Wien wies den Antrag mit Bescheid vom unter Berufung auf § 6 Abs 2 AufG ab. Diese Entscheidung wurde im wesentlichen damit begründet, daß der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen sei; ein Fall, in welchem eine Antragstellung im Inland ausnahmsweise zulässig sei, liege nicht vor.
3. Der Beschwerdeführer ergriff gegen diesen Bescheid Berufung, in welcher er den Standpunkt einnahm, daß eine Antragstellung im Inland zulässig sei, und in diesem Zusammenhang u. a. ausführte:
"Ich wurde am in Salzburg geboren und hielt mich bis mit Sichtvermerken in Österreich auf. Seit habe ich wiederum meinen Hauptwohnsitz in Österreich. Der Sachverhalt, daß ich seitdem über keinen Sichtvermerk verfüge, ist auf ein Verfahren über meine Obsorge zurückzuführen, welches meine Mutter - in deren Haushalt in Österreich ich gelebt habe und die meine Pflege und Erziehung wahrgenommen hat - daran hinderte, mich gegenüber Behörden zu vertreten. Ungeachtet dieses Sachverhaltes ist auf Grund der Tatsache, daß ich in Österreich geboren wurde und mich hier vom bis mit Sichtvermerken rechtmäßig aufhielt, § 3 Z 3 der Verordnung BGBl 408/1995 anzuwenden, womit meine Antragstellung im Inland zulässig ist.
Der im angefochtenen Bescheid geltend gemachte Sachverhalt, daß ich nach dem gemäß IPR-Gesetz anzuwendenden Privatrecht der Bundesrepublik Jugoslawien bereits volljährig bin, darf entgegen der Rechtsauffassung der Behörde nicht zur Annahme verleiten, daß § 3 Z 3 der Verordnung BGBl 408/1995 nicht auf mich anzuwenden wäre. § 3 Z 3 der Verordnung BGBl 408/1995 stellt auf Familienangehörige iSd § 3 AufG ab. Eine Bewilligung gemäß § 3 Abs 1 Z 2 AufG kann aber gemäß § 3 Abs 4 AufG in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen und unter denselben Voraussetzungen, wenn dies zur Vermeidung einer besonderen Härte geboten ist, auch volljährigen Kindern von Fremden, die auf Grund eines vor dem ausgestellten Sichtvermerks rechtmäßig seit mehr als zwei Jahren ihren Hauptwohnsitz in Österreich haben, erteilt werden, wenn sie von diesen wirtschaftlich abhängig sind. Da ich mit meiner Mutter im gemeinsamen Haushalt lebe, eine Höhere Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt besuche und daher von meiner Mutter bis zum Abschluß dieser Schulausbildung wirtschaftlich abhängig bin, sind gemäß § 3 Abs 4 AufG iVm § 3 Abs 1 Z 2 AufG die Voraussetzungen des § 3 Z 3 der Verordnung BGBl 408/1995 erfüllt. In Anbetracht des angeführten Sachverhaltes ist meine Rechtssache zweifelsohne einer jener besonders berücksichtigungswürdigen Fälle, in denen die Erteilung einer Bewilligung gemäß § 3 Abs 1 Z 2 und Abs 4 AufG zur Vermeidung einer besonderen Härte geboten ist."
4. Mit Bescheid vom wies der Bundesminister für Inneres das erhobene Rechtsmittel unter Bezugnahme auf § 5 Abs 1 AufG und § 10 Abs 1 Z 4 FremdenG ab. Gemäß § 4 der Verordnung BGBl. 854/1995 könnten in Österreich geborene Kinder von Fremden, die aufgrund einer Aufenthaltsbewilligung oder eines vor dem ausgestellten Sichtvermerkes zum Aufenthalt in Österreich berechtigt sind, ausnahmsweise den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung im Inland stellen. Diese Regelung treffe nunmehr zu, und es sei der Beschwerdeführer zur Inlandsantragstellung berechtigt. Unbeschadet dessen sei für die Beurteilung seines Antrags wesentlich, daß § 5 AufG die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ausschließe, wenn ein Sichtvermerksversagungsgrund im Sinne des Fremdengesetzes vorliegt. Nach § 10 Abs 1 Z 4 dieses Gesetzes liege ein solcher insbesondere dann vor, wenn durch den Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet wird. Nach der auch auf den eigenen Angaben des Beschwerdeführers beruhenden Aktenlage lebe er seit in Österreich und sei seit in Österreich aufrecht polizeilich gemeldet, ohne im Besitz eines Sichtvermerkes oder einer Aufenthaltsbewilligung zu sein. Seit diesem Zeitpunkt, also seit , halte sich der Beschwerdeführer demnach unerlaubt und damit illegal in Österreich auf. Diese Tatsache stelle eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit sowie einen schwerwiegenden Verstoß gegen die fremdenrechtlichen Bestimmungen dar, zumal sein Verhalten auf andere Fremde durchaus Beispielswirkung haben könnte. Damit liege ein Sichtvermerksversagungsgrund gemäß § 10 Abs 1 Z 4 FremdenG vor und es könne dem Beschwerdeführer auch keine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden. § 10 Abs 1 Z 4 FremdenG finde durch § 5 Abs 1 AufG direkte Anwendung. Bei der von der Berufungsbehörde angestellten Interessenabwägung sei sehr wohl berücksichtigt worden, daß der Beschwerdeführer in Österreich geboren sei, hier die Schule besuche und seine Mutter in Österreich lebe. Dennoch habe die Berufungsbehörde festgestellt, daß gerade im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen unter Abwägung seiner privaten Interessen mit den öffentlichen im Sinne des Art 8 Abs 2 EMRK die öffentlichen Interessen überwögen.
5. Dieser Berufungsbescheid des Bundesministers für Inneres bildet den Gegenstand der vorliegenden Verfassungsgerichtshofbeschwerde, in welcher der Beschwerdeführer eine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend macht und die Bescheidaufhebung begehrt.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte - ohne auf die Sache einzugehen - die Abweisung der Beschwerde.
II. Die Beschwerde ist im Ergebnis gerechtfertigt.
1. § 3 Abs 1 Z 2 AufG besagt (verkürzt zitiert), daß ehelichen minderjährigen Kindern von Fremden, die aufgrund eines vor dem ausgestellten Sichtvermerks rechtmäßig seit mehr als zwei Jahren ihren Hauptwohnsitz in Österreich haben, eine (Aufenthalts-)Bewilligung zu erteilen ist, sofern kein Ausschließungsgrund vorliegt. Nach Abs 4 dieses Paragraphen kann in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen und unter denselben Voraussetzungen, wenn dies zur Vermeidung einer besonderen Härte geboten ist, eine Bewilligung (ua.) auch volljährigen Kindern der in Abs 1 genannten Personen erteilt werden, wenn sie von diesen wirtschaftlich abhängig sind.
Im Hinblick auf die von der belangten Behörde bejahte Anwendbarkeit des § 4 der Verordnung BGBl. 854/1995 (im folgenden auch QuotenV) unter dem Aspekt der Antragstellung auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung im Inland besteht kein Zweifel daran, daß bloß der herangezogene Ausschließungsgrund des § 5 Abs 1 AufG iVm § 10 Abs 1 Z 4 FremdenG der Handhabung der vorhin zitierten Bestimmungen im § 3 AufG entgegenstand. Die eingeschrittene Rechtsmittelinstanz leitete diesen Ausschließungsgrund daraus ab, daß sich der Beschwerdeführer seit unerlaubt in Österreich aufhalte, was eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle; sie nahm dabei einen schwerwiegenden Verstoß gegen fremdenrechtliche Bestimmungen an und hielt dieses Verhalten für geeignet, auf andere Fremde Beispielswirkung auszuüben.
Diese Auffassung der belangten Behörde beruht jedoch auf einer generalisierenden Betrachtungsweise, welche die im Verwaltungsverfahren behaupteten besonderen Umstände dieses Einzelfalles überhaupt außer acht läßt; auf diese Betrachtungsweise ist es auch zurückzuführen, daß es die Berufungsbehörde unterließ, im gegebenen Zusammenhang bedeutsame Umstände durch geeignete Beweiserhebungen klarzustellen. Der Beschwerdeführer brachte - wie vorhin schon erwähnt wurde - im Verwaltungsverfahren vor, daß die Fremdenpolizeibehörde ihre Bereitschaft bekundet habe, den unbefristeten Sichtvermerk seiner Mutter in einen eigenen, für ihn neu auszustellenden Reisepaß zu "übertragen" (damit ist gemeint: ihm ebenfalls einen unbefristeten Sichtvermerk zu erteilen), sich aber die Ausstellung des Reisepasses verzögert habe, weil sein Vater (widerrechtlich) Urkunden zurückbehalten habe. Er machte ferner geltend, daß er erst nach Ausstellung dieses neuen Reisepasses (- gemäß der Aktenlage wurde dieser am ausgestellt -) durch die Fremdenpolizeibehörde von der Änderung der behördlichen Zuständigkeit (infolge des Inkrafttretens des Aufenthaltsgesetzes) erfahren und sich erst dann antragstellend an den Magistrat der Stadt Wien gewendet habe. Bedenkt man, daß der Beschwerdeführer erst am durch Vollendung des 18. Lebensjahres die (nach ausländischem Recht zu beurteilende) Eigenberechtigung erlangte sowie daß (wie bei gebotener Durchschnittsbetrachtung anzunehmen ist) bei diesem Lebensalter (in dem österreichische Staatsbürger die Volljährigkeit noch nicht besitzen) keine besondere Erfahrung im Umgang mit Behörden anzunehmen ist, so läge beim Beschwerdeführer (im Fall, daß sich seine Behauptungen als zutreffend erwiesen) wohl kein Verhalten vor, das als krasser Verstoß gegen fremdenrechtliche Vorschriften einzustufen wäre. Es wäre dann nämlich nicht zu erkennen, worin die von der belangten Behörde befürchteten Beispielswirkungen auf andere Fremde liegen könnten und weshalb überhaupt durch den Aufenthalt des gewiß weitgehend integrierten, von seiner Mutter versorgten Beschwerdeführers in Österreich die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet sein sollte. Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs wäre unter der eben dargelegten Prämisse die in Betracht kommende QuotenV anzuwenden, womit - insbesondere im Hinblick auf § 9 Abs 3 AufG - selbstredend ein für den Beschwerdeführer positiver Ausgang eines solchen weiteren Verfahrens nicht vorhergesagt sei.
2. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, liegt (grundsätzlich nicht anders als eine Verletzung des Gleichheitsrechtes bei österreichischen Staatsbürgern) eine Verletzung des durch das BVG BGBl. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander vor, wenn die Behörde jegliche Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt unterläßt (s. mit Hinweisen auf die Vorjudikatur). Da dies nach dem Vorgesagten hier zutrifft, ist der angefochtene Bescheid infolge dieser Rechtsverletzung aufzuheben.
III. Die Kostenentscheidung stützt
sich auf § 88 VerfGG; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen 3.000 S auf die Umsatzsteuer.
IV. Dieses Erkenntnis wurde gemäß
§19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung gefällt.
Fundstelle(n):
OAAAD-78152