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OGH vom 20.02.2018, 10ObS10/18w

OGH vom 20.02.2018, 10ObS10/18w

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Ing. Christian StanglBrachnik MA BA (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und KR Karl Frint (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch Korn Gärtner Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Feststellung von Schwerarbeitszeiten, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 81/17v20, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 18 Cgs 204/16g16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der 1957 geborene Kläger ist seit 1985 Vertragsbediensteter der Stadtgemeinde H*****. Er war und ist als Stadtpolizist dieser Stadtgemeinde tätig und als solcher überwiegend im Außendienst eingesetzt. Seinem Dienstverhältnis liegt das Salzburger Gemeindevertragsbedienstetengesetz 2001 (und nicht das BDG 1979) zugrunde; er ist nach dem ASVG versichert. Seine Tätigkeit umfasst aber dieselben Aufgaben und Rechtsgebiete wie jene eines im Beamtendienstverhältnis stehenden Bundespolizisten. Darüber hinaus ist er mit einigen (näher festgestellten) Zusatzaufgaben betraut. Er hat auch dieselbe 18-monatige Ausbildung zum Sicherheitswachebeamten absolviert wie die im Bundesdienst tätigen Bundespolizisten.

Mit vom lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Anerkennung von Schwerarbeitszeiten im Zeitraum Mai 1997 bis Juni 2016 ab.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das auf Feststellung von Schwerarbeitszeiten in diesem Zeitraum gerichtete Klagebegehren.

Der bringt vor, die Verordnung der Bundesregierung über besonders belastende Tätigkeiten BGBl II 2006/105 gelte nur für Bundesbeamte, nicht aber für ihn als Gemeindepolizisten. Zur Vermeidung gleichheitswidriger Ergebnisse sei die analoge Anwendung des § 1 Abs 4 lit a dieser Verordnung erforderlich. Nach dieser Regelung gelten als Schwerarbeit auch Tätigkeiten mit erhöhter Gefährdung, ua die Tätigkeit eines Exekutivorgans des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach dem Sicherheitspolizeigesetz (SPG), sofern zumindest die Hälfte der monatlichen Dienstzeit im Außendienst geleistet werde. Seine Tätigkeit als Stadtpolizist im Vertragsbedienstetenverhältnis erfülle diese Tatbestandsvoraussetzungen.

Die bestritt und beantragte Klageabweisung. Besonders belastende Berufstätigkeit nach dem ASVG seien in der SchwerarbeitsV BGBl II 2006/104 der Bundesministerin für Soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz inhaltlich anders geregelt, als für Bundesbeamte nach der V BGBl II 2006/105. Auf nach dem ASVG versicherte Gemeindevertragsbedienstete sei diese Verordnung nicht anwendbar. Eine analoge Anwendung auf diese Personengruppe komme mangels Vorliegens einer Regelungslücke nicht in Betracht.

Die wiesen das Klagebegehren im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass der enge inhaltliche und zeitliche Zusammenhang, in dem die SchwerarbeitsV BGBl II 2006/104 und die V BGBl II 2006/105 erlassen worden seien, gegen das Vorliegen einer ungewollten Lücke in der Verordnung spreche. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und des Verfassungsgerichtshofs liege in unterschiedlichen Regelungen für Vertragsbedienstete und Beamte auch keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte.

Das Berufungsgericht erklärte die Revision für zulässig, weil eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung darin liege, ob auch die in einem Vertragsbediensteten-Verhältnis stehenden Stadtpolizisten Anspruch auf Anerkennung von Schwerarbeitszeiten haben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

I.1 § 607 Abs 14 ASVG und § 4 Abs 4 APG setzen voraus, dass der (die) Versicherte innerhalb der letzten 240 Kalendermonate vor dem Stichtag mindestens 120 Beitragsmonate aufgrund von Tätigkeiten erworben hat, die unter körperlich und psychisch besonders belastenden Bedingungen erbracht werden bzw unter „psychisch oder physisch besonders belastenden Arbeitsbedingungen“. Nach beiden Bestimmungen soll die Festlegung, welche Tätigkeiten als Schwerarbeit gelten, durch Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz nach Anhörung der gesetzlichen beruflichen Interessensvertretungen festzustellen sein. Diese Verordnung bedarf der Zustimmung der Bundesregierung. Mit dieser Maßnahme sollen Personen, die unter psychisch oder physisch besonders belastenden Arbeitsbedingungen Versicherungszeiten erworben haben, die Alterspension früher in Anspruch nehmen können.

I.1.3 Die daraufhin erlassene Verordnung der Bundesministerin für Soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz über besonders belastende Berufs-tätigkeiten

(Schwerarbeitsverordnung, BGBl II 2006/104) enthält in § 1 bestimmte taxativ aufgezählte Einzeltatbestände, in denen Tätigkeiten, aber keine Berufsgruppen aufgelistet sind (Arbeit im Schicht- und Wechseldienst, in Hitze oder Kälte, unter chemischen oder physikalischen Einflüssen, schwere körperliche Arbeit, Arbeiten der berufsbedingten Pflege von erkrankten oder behinderten Menschen mit besonderem Pflegebedarf.

I.1.4 Die SchwerarbeitsV trat mit in Kraft (§ 6 SchwerarbeitsV). Dass die vom Kläger als Stadtpolizist ausgeübte Tätigkeit unter einen der darin genannten Tatbestände fällt, wird im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemacht.

II. Zur V BGBl II 2006/105

II.1.1 Das Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (BDG) ist auf alle Bediensteten anzuwenden, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund stehen und die als „Beamte“ bezeichnet werden (§ 1 Abs 1 BDG).

II1.2 Nach § 15b Abs 1 BDG ist eine Versetzung des Beamten in den Ruhestand (frühestens) mit Vollendung des 60. Lebensjahres möglich, wenn er nach dem vollendeten 18. Lebensjahr eine Gesamtdienstzeit von 504 Monaten, davon mindestens 120 Schwerarbeitsmonate innerhalb der letzten 240 Kalendermonate aufweist. Gemäß § 15b Abs 2 BDG hat die Bundesregierung mit Verordnung festzulegen, unter welchen psychischen und physisch besonders belastenden Arbeitsbedingungen Schwerarbeit vorliegt.

II.2.1 Auf dieser Grundlage wurde parallel zur V BGBl II 2006/104 des Bundesministeriums für Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz die Verordnung der Bundesregierung über besonders belastende Berufstätigkeiten, BGBl II 2006/105, erlassen, die auf den Bereich des öffentlichen Dienstes Anwendung findet und (ebenfalls) am in Kraft trat.

II.2.2 Sie gilt für Bundesbeamte und im Wege des APG auch für (Bundes-)Vertragsbedienstete.

II.3.1 Nach § 1 dieser Verordnung ist die Schwerarbeitsverordnung BGBl II 2006/104 mit den in Z 1 bis 3 enthaltenen Maßgaben im Bereich des Bundesdienstes anzuwenden. In § 1 Z 4 werden zusätzlich Tätigkeiten mit erheblich erhöhtem Gefährdungspotential erfasst. Kennzeichnend für diese berufliche Tätigkeiten ist, dass eine atypische Gefahrenquelle aufgesucht werden und in deren erhöhtem Risikobereich verharrt werden muss (Milisits, Schwerarbeitsverordnung [2008] 46). Als solche gelten ausschließlich Tätigkeiten als

a) Exekutivorgan des öffentlichen Sicherheits-dienstes nach dem Sicherheitspolizeigesetz (SPG), BGBl 1991/566, die zumindest die Hälfte ihrer monatlichen Dienstzeit tatsächlich als wachespezifischen Außendienst zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit ausüben und

b) Soldaten während eines Auslandseinsatzes nach dem Bundesverfassungsgesetz über Kooperation und Solidarität bei der Entsendung von Einheiten und Einzelpersonen in das Ausland … sofern der Anteil des Außendienstes im Rahmen des Auslandseinsatzes dem nach lit a maßgebenden entspricht.

II.3.2 Demnach wird mit § 1 der V BGBl II 2006/105 der Bundesregierung die SchwerarbeitsV BGBl II 2006/104 der Bundesministerin für Soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz auch für Bundesbeamte anwendbar erklärt. Zugleich wird die V der Bundesregierung mit Ziffer 4 um einen zusätzlichen Tatbestand erweitert, der sich in der SchwerarbeitsV BGBl II 2006/104 nicht findet.

II.4.1 Voraussetzung dafür, dass das Fehlen dieses oder eines ähnlichen Tatbestands in der SchwerarbeitsV BGBl II 2006/104 eine Regelungslücke im Sinn einer planwidrigen Unvollständigkeit darstellt, wäre, dass deren Wertungen und Zweck die Annahme rechtfertigen, der Verordnungsgeber habe diesen – nach denselben Maßstäben regelungsbedürftigen Sachverhalt – übersehen (RIS-Justiz RS0008866 [T7, T 10, T 27]).

4.2 Gegen eine derartige Annahme spricht aber nicht nur das zeitliche Zusammenfallen des Inkrafttretens der beiden Verordnungen, sondern vor allem auch der Umstand, dass Schwerarbeit durch bestimmte taxativ nebeneinander stehende – sehr unterschiedliche – Einzeltatbestände umschrieben wird, die das Ergebnis eines zähen Ringens der beruflichen Interessenvertretungen darstellen (Teschner/Widlar/Pöltner, ASVG, SchwerarbeitsV [96. ErgLfg] Rz 1). Geht man davon aus, dass die einzelnen Tatbestände jene sind, auf die sich die Verhandlungspartner letztlich einigen konnten, ist nicht zu vermuten, dass eine dem § 1 Z 4 der Verordnung der Bundesregierung entsprechende Regelung nur deshalb nicht geschaffen wurde, weil auf Tätigkeiten mit erhöhtem Gefährdungspotential (wie sie etwa auch die Tätigkeiten eines Personenschützers darstellen könnten) „vergessen“ wurde. Da in der Verordnung nur auf berufsbedingt belastende Tätigkeiten abgestellt wird und nicht auf konkrete Berufe bzw Berufsgruppen ist auch das Argument nicht überzeugend, das Vorliegen einer Regelungslücke sei daraus erkennbar, dass der Verordnungsgeber offenbar die – relativ kleine – Berufsgruppe der Bediensteten der Gemeindewachkörper übersehen habe.

II.4.3 Weiters wiederholt der Revisionswerber seinen Standpunkt, für die Beurteilung, ob eine bestimmte Tätigkeit physisch oder psychisch besonders belastend sei, könne es keinen Unterschied machen, ob diese Tätigkeit von einem Beamten oder einem Vertragsbediensteten verrichtet werde, weshalb die geltende Rechtslage zu einer Ungleichbehandlung führe. Auch dieses Vorbringen kann aber die vom Revisionswerber gewünschte analoge Anwendung des § 1 Z 4 der V 2006/105 der Bundesregierung nicht rechtfertigen. Wie bereits das Berufungsgericht ausgeführt hat, handelt es sich nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs beim öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis (das den Ruhestand einschließt) einerseits und bei der Materie der gesetzlichen Sozialversicherung andererseits um tiefgreifend verschiedene Rechtsgebiete. Es ist daher verfehlt, Teilbereiche der diese Materie regelnden Vorschriften herauszugreifen und aus dem Blickwinkel des Gleichheitssatzes miteinander zu vergleichen (zB VfGH G 300/02 ua, VfSlg 16.923). Unterschiede zwischen privatrechtlichem und öffentlich-rechtlichem Dienstverhältnis rechtfertigen es, die Rechte und Pflichten der Bediensteten jeweils unterschiedlich zu gestalten (VfGH B 1316/04, VfSlg 17.428). Nur sachlich nicht begründbare Regelungen sind verfassungsrechtlich verboten, wobei unter der „Sachlichkeit“ einer Regelung nicht ihre „Zweckmäßigkeit“ oder „Gerechtigkeit“ zu verstehen ist (10 ObS 30/16h mwN). Eine Verpflichtung des Gesetzgebers, die Voraussetzungen für eine Pensionsleistung für alle Systeme gleichartig zu regeln, besteht nicht (RIS-Justiz RS0108283). Allein dass eine Regelung wünschenswert wäre, rechtfertigt noch nicht die Annahme einer Gesetzeslücke (RIS-Justiz RS008866 [T6]).

II.5 Zusammenfassend kommt die analoge Anwendung des § 1 Z 4 der Schwerarbeitsverordnung der Bundesregierung BGBl II 2006/105 auf die vom Kläger verrichtete Tätigkeit nicht in Betracht.

Die Revision bleibt daher erfolglos.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Aktuelle berücksichtigungswürdige Einkommens und Vermögensverhältnisse, die einen ausnahmsweisen Kostenersatz nach Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden nicht bescheinigt und sind aus der Aktenlage nicht ersichtlich.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2018:010OBS00010.18W.0220.000
Schlagworte:
;Sozialrecht;

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