OGH vom 22.01.2019, 10Ob110/18a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des ***** 2005 geborenen A*****, vertreten durch das Land Wien als Kinder- und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Wiener Kinder- und Jugendhilfe – Rechtsvertretung, Bezirk 21, 1210 Wien, Franz-Jonas-Platz 12), wegen Herabsetzung von Unterhaltsvorschüssen, über den Revisionsrekurs des Kindes gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 45 R 377/18a-83, mit dem der Rekurs der Mutter U*****, gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom , GZ 13 Pu 179/16x-71, zurückgewiesen wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Am setzte das die mit Beschluss vom (ON 56) für die Zeit vom bis gewährten monatlichen Unterhaltsvorschüsse von 240 EUR mit Ablauf des Monats April 2018 gemäß § 7, 19 UVG auf 60 EUR herab (ON 71). Dieser Beschluss wurde damals – aufgrund eines Versehens – dem Kinder und Jugendhilfeträger als Vertreter des Kindes nicht zugestellt.
Gegen die Herabsetzung beschwerte sich die Mutter mit einem am eingebrachten handgeschriebenen Brief (ON 72). Das Erstgericht stellte diese Eingabe mit der Frage an die Mutter zurück, ob es sich dabei um ein Rechtsmittel handle. Die Mutter erklärte in dem am beim Erstgericht eingelangten Schreiben, die Eingabe sei ein Rechtsmittel gegen den Herabsetzungsbeschluss vom (ON 75). Mit Verfügung vom stellte das Erstgericht die beiden Eingaben der Mutter unter anderem an den Kinder- und Jugendhilfeträger (KJHT) zur allfälligen Rekursbeantwortung zu. Als Reaktion schrieb der KJHT dem Gericht am , „dass dem Rechtsmittel der Kindesmutter beigetreten wird“ (ON 77). In einem Schreiben an die Mutter vom teilte der KJHT mit, dass ein Beschluss über die Herabsetzung der Unterhaltsvorschüsse noch nicht bei ihm eingelangt sei, dem Rekurs der Mutter sei aber beigetreten worden und es sei die Entscheidung darüber abzuwarten (ON 85). Zu diesem Zeitpunkt war der Beschluss vom über die Herabsetzung der Unterhaltsvorschüsse dem KJHT nach der Aktenlage noch immer nicht rechtswirksam zugestellt worden. Eine Zustellung erfolgte erst am . Der KJHT brachte im Namen des Kindes am einen – noch nicht behandelten – Rekurs gegen den Beschluss ein.
Das Rekursgericht wies den von der Mutter eingebrachten Rekurs zurück. Ausschließlicher gesetzlicher Vertreter des Kindes sei der KJHT. Dieser sei dem Rekurs nicht innerhalb der ihm offenstehenden Rekursfrist beigetreten. Der Revisionsrekurs wurde nicht zugelassen.
Das durch den KJHT vertretene Kind brachte einen mit dem Revisionsrekurs verbundenen Antrag auf Abänderung dieses Zulässigkeitsausspruchs ein. Es verwies darauf, dass der Beschluss über die Herabsetzung der Unterhaltsvorschüsse dem KJHT noch nicht zugestellt worden sei und beantragte deshalb die Aufhebung der Entscheidung des Rekursgerichts.
Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs zu. Nach der Aktenlage sei der angefochtene Beschluss dem KJHT nicht wirksam zugestellt worden.
Rechtliche Beurteilung
Der – nicht beantwortete – Revisionsrekurs des Kindes ist mangels Beschwer nicht zulässig.
1.1 Mit der Zustellung des Beschlusses über die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen wurde der KJHT nach § 9 Abs 2 UVG ausschließlicher Vertreter des Kindes zur Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen. Die obsorgeberechtigte Mutter verlor ihr Vertretungs und Rechtsmittelrecht in allen Angelegenheiten des Unterhalts und des Unterhaltsvorschusses (RISJustiz RS0076450 [T1]; RS0047441; RS0076463). Ein Rekursrecht (im eigenen Namen und nicht etwa als Vertreterin des Kindes) steht ihr nur dann zu, wenn sie in ihrer Position als Zahlungsempfängerin tangiert ist, etwa weil sie auf Rückzahlung in Anspruch genommen wird (RISJustiz RS0047441 [T1]; RS0076463 [T4]). Ein derartiger Fall liegt nicht vor.
1.2 Der Zweck der ex lege eintretenden ausschließlichen Vertretungsbefugnis des KJHT nach § 9 Abs 2 UVG liegt weniger in einer Wahrung der Interessen des Kindes als in der Eintreibung des Unterhalts, auf den Vorschüsse gewährt wurden. In den Aufgabenbereich des KJHT fällt auch die Einbindung des Regressinteresses des Bundes. Die zwingende Vertretung des Kindes durch den KJHT soll eine unerwünschte Aufspaltung der Vertreterrolle in Unterhalts und Vorschussangelegenheiten vermeiden (10 Ob 35/09h, RISJustiz RS0076450 [T3], RS0047441 [T9]; 10 Ob 28/10f, RS0047441 [T10]).
2.1 Nach der – der Rekursentscheidung zugrunde gelegten – Rechtsprechung (RISJustiz RS0115499) kann der nach § 9 Abs 2 UVG ausschließlich vertretungsbefugte KJHT innerhalb der ihm offenstehenden Rechtsmittelfrist dem Rechtsmittel einer obsorgeberechtigten Person „beitreten“ und die meritorische Behandlung des Rechtsmittels erreichen. Die Fragen, welchen formalen und inhaltlichen Anforderungen ein solches Rechtsmittel sowie die Erklärung des KJHT, diesem Rechtsmittel „beizutreten“, entsprechen müssen, und ob der KJHT mit einem Beitritt zu einem (allenfalls zu verbessernden) Rechtsmittelschriftsatz der obsorgeberechtigten Person seine ausschließliche Befugnis, im Namen des Kindes Rechtsmittel zu erheben, konsumiert, hatte der Oberste Gerichtshof in den zu RISJustiz RS0115499 dokumentierten Entscheidungen nicht zu prüfen:
2.2 Ein Beitritt erfolgte nämlich entweder außerhalb der dem KJHT – nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses an ihn – offenstehenden Rechtsmittelfrist (10 Ob 32/12x; 2 Ob 92/12m) oder gar nicht (1 Ob 57/01s; 10 Ob 52/13i). Die Entscheidung 4 Ob 228/12a betraf keinen nachträglichen Beitritt zu einem nur von einer obsorgeberechtigten Person zunächst ohne Ermächtigung des KJHT eingebrachten Rekurs: Nach dem Inhalt des Rechtsmittelschriftsatzes war der Rekurs auch vom KJHT eingebracht worden, lediglich dessen Unterschrift fehlte, was der Oberste Gerichtshof als verbesserungsfähigen Formmangel ansah.
2.3 Die Konstruktion des „Beitritts“ mit dem (nach der zitierten Judikatur fiktiven) Ergebnis, dass ein von der obsorgeberechtigten Person ohne vorangegangene Beauftragung und Ermächtigung durch den KJHT eingebrachtes Rechtsmittel meritorisch zu behandeln wäre, wird zu 1 Ob 57/01s auf die Berechtigung des KJHT gegründet, eine andere Person (etwa die obsorgeberechtigte) mit der Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Kindes zu beauftragen. Zitiert wird dazu die Entscheidung 7 Ob 552/95. Dort wurde die Vertretungsbefugnis der obsorgeberechtigten Mutter im Revisionsrekursverfahren bejaht, weil der KJHT sie ausdrücklich ermächtigt hatte, eigenverantwortlich gegen den Vater im Unterhaltsherabsetzungsverfahren mit Revisionsrekurs vorzugehen. Zu 2 Ob 504/92 hielt es der Oberste Gerichtshof zwar für möglich, dass sich der KJHT dem Rechtsmittel der Mutter anschließe, musste dazu jedoch ebenfalls nicht Stellung nehmen, weil eine derartige Maßnahme im konkreten Fall unterblieben war. Zu 8 Ob 641/91 war der KJHT zwar dem Unterhaltsherabsetzungsantrag der Mutter, nicht aber deren Rekurs beigetreten, weshalb der Oberste Gerichtshof eine Bevollmächtigung zur weiteren Verfolgung des Antrags verneinte.
2.4 Der im Unterhalts(vorschuss)verfahren privatrechtlich und nicht hoheitlich handelnde KJHT (Neumayr in Schwimann/Kodek4, § 9 UVG Rz 6) ist nach den allgemeinen Grundsätzen der gesetzlichen Vertretung berechtigt, andere Personen mit der Durchsetzung der unterhaltsrechtlichen Interessen des Kindes zu beauftragen und zu bevollmächtigen. So könnte er – ungeachtet der für ihn nicht geltenden Anwaltspflicht (§ 6 Abs 3 AußStrG) – einen Rechtsanwalt beauftragen, das Kind in Unterhaltssachen im Rechtsmittelverfahren zu vertreten. Insofern ist die Rechtsstellung des KJHT gleich jener einer obsorgeberechtigten Person, die außerhalb der gesetzlichen Vertretung in Unterhaltssachen (§ 9 Abs 2 UVG) für das Kind als gesetzlicher Vertreter agiert. Im Sinn der bereits zitierten Rechtsprechung (1 Ob 57/01s ua) darf der KJHT auch die obsorgeberechtigte Person (zuvor) bevollmächtigen, an seiner Stelle im Namen des Kindes ein Rechtsmittel einzubringen. Für ein solches Rechtsmittel, das die obsorgeberechtigte Person als gewillkürter Vertreter im Namen des Kindes einbringt, gilt die in § 6 Abs 3 AußStrG für den KJHT vorgesehene Ausnahme vom (in zweiter Instanz relativen) Anwaltszwang (§ 6 Abs 1 AußStrG) jedoch nicht. Es müsste von einem Rechtsanwalt verfasst und unterfertigt werden.
2.5 Hier interessiert der Fall, in dem die obsorgeberechtigte Person ohne vorangegangene Bevollmächtigung des KJHT ein Rechtsmittel eingebracht hat. Die Erklärung des KJHT, einem Rechtsmittel einer anderen Person beizutreten, ist prozessual gesehen die im Außerstreitverfahren vorgesehene (vgl § 58 Abs 1 Z 2 AußStrG), dem Gericht erklärte nachträgliche Genehmigung des Verfahrenschritts, den die in Unterhaltsangelegenheiten nicht vertretungsbefugte obsorgeberechtigte Person für das Kind gesetzt hat. Die im Außerstreitverfahren sinngemäß geltende Bestimmung des § 6 Abs 2 ZPO zwingt das Gericht, einen Sanierungsversuch zu unternehmen, wenn der Mangel der gesetzlichen Vertretung beseitigt werden kann. Erst wenn dieser Versuch scheitert, darf ein Rekurs als unwirksame Prozesshandlung zurückgewiesen werden (RISJustiz RS0065355). Materiellrechtlich saniert eine Willenserklärung des gesetzlichen Vertreters, das Handeln für das Kind nachträglich zu genehmigen, nach § 1016 erster Fall ABGB den bestandenen Vollmachtsmangel.
2.6 Nach der Rechtsprechung muss die als zulässig gewertete nachträgliche Genehmigung, der „Beitritt“ zum Rechtsmittel der obsorgeberechtigten Person, innerhalb der dem KJHT selbst offen stehenden Frist zur Einbringung des Rechtsmittels erfolgen. Dahinter steht offenbar die grundsätzlich sinnvolle Überlegung, dass der KJHT mit diesem Beitritt das Rechtsmittel zu „seinem“ (vgl die Formulierung in 8 Ob 641/91: „als vom Jugendwohlfahrtsträger erhoben“), genau gesagt zu jenem des ausschließlich von ihm vertretenen Kindes macht und die fristgerechte neuerliche Einbringung eines „kopierten“ Rechtsmittelschriftsatzes durch den KJHT als sinnentleerter Formalismus angesehen und deshalb nicht verlangt wird.
2.7 Der vorliegende Fall ist durch die Besonderheiten gekennzeichnet, dass 1. die Mutter eine handschriftliche, selbst verfasste Eingabe einbrachte, in dem sie die Herabsetzung des Unterhaltsvorschusses mit dem ausschließlichen Argument bemängelt, der verbleibende Geldbetrag reiche nicht aus, und 2. der angefochtene Beschluss dem KJHT zum Zeitpunkt der Beitrittserklärung noch gar nicht zugestellt worden war. Erst mit der wirksamen Zustellung des angefochtenen Beschlusses an den KJHT am wurde die dem Kind offen stehende 14tägige Rekursfrist (§ 46 Abs 1 AußStrG) in Gang gesetzt. Am überreichte der KJHT als Vertreter des Kindes einen Rekurs, der Rekurserklärung, Rekursantrag und konkrete Argumente gegen die Herabsetzung des Unterhaltsvorschusses enthält.
2.8 Rechtsmittel können noch vor Zustellung der das Gericht bereits bindenden Entscheidung eingebracht werden (RISJustiz RS0041748). Nach dem Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels (RIS-Justiz RS0041666) sind ergänzende Ausführungen in einem weiteren Rechtsmittelschriftsatz ausgeschlossen. Diese Kriterien gelten für den Beitritt des KJHT zu einem selbst verfassten Rechtsmittel der obsorgeberechtigten Person, das aufgrund seines Inhalts und der fehlenden Anwaltsunterschrift jedenfalls zu verbessern gewesen wäre, nicht. Der Beitritt zu einem (mehr oder weniger) substratlosen Rechtsmittel ist zur Wahrung der den KJHT treffenden Pflichten nicht sinnvoll, wenn dieser mangels Zustellung der angefochtenen Entscheidung von deren Inhalt keine Kenntnis hat und noch nicht abschätzen kann, welcher Verfahrensschritt die Interessen des Bundes mit jenen des Kindes am besten vereint.
3. Ergebnis:
3.1 Die – vor Zustellung der angefochtenen Entscheidung erfolgte – Erklärung des KJHT als ausschließlicher Vertreter des Kindes in Unterhalts(vorschuss)angelegenheiten (§ 9 Abs 2 UVG), einem selbst verfassten, Formal- und Inhaltsmängel aufweisenden Rechtsmittel der obsorgeberechtigten Person „beizutreten“, saniert weder die fehlende gesetzliche Vertretungsbefugnis noch konsumiert sie das Rechtsmittelrecht des Kindes. Der Rekurs der in Unterhaltssachen nicht vertretungsbefugten obsorgeberechtigten Person ist zurückzuweisen.
3.2 Formelle Beschwer liegt vor, wenn die Entscheidung von dem ihr zugrundeliegenden Sachantrag eines Rechtsmittelwerbers zu dessen Nachteil abweicht. Materielle Beschwer ist gegeben, wenn die materielle oder prozessuale Rechtsstellung des Rechtsmittelwerbers durch die Entscheidung beeinträchtigt wird, sie also für ihn ungünstig ausfällt (RISJustiz RS0041868 [T3]). Steht dem KJHT als ausschließlichem Vertreter des Kindes noch die Einbringung eines Rekurses offen, ist das Kind durch die Zurückweisung des von der in Unterhalts und Unterhaltsvorschussangelegenheiten nicht vertretungsbefugten obsorgeberechtigten Person eingebrachten Rekurses nicht beschwert. Sein gegen den Zurückweisungsbeschluss erhobener Revisionsrekurs ist als unzulässig zurückzuweisen.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0100OB00110.18A.0122.000 |
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