VfGH vom 05.12.1994, B1075/94
Sammlungsnummer
13958
Leitsatz
Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit durch die die gesetzlich vorgeschriebene Dauer überschreitende Anhaltung eines Fremden in Schubhaft
Spruch
I. Die Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe werden zurückgewiesen.
II. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt worden.
Die Bescheide werden aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit S 36.000,-- bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein Staatsangehöriger von Sri Lanka tamilischer Abstammung, reiste am mit einem verfälschten Reisepaß in Österreich ein und ersuchte am um die Gewährung von Asyl. Mit Bescheid vom verhängte die Bezirkshauptmannschaft Baden über den Beschwerdeführer gemäß § 41 Fremdengesetz, BGBl. 838/1992 (im folgenden: FrG), die Schubhaft zur Sicherung der Vollstreckung der mit Bescheid vom gleichen Tage gemäß § 17 Abs 2 Z 4 und 6 und Abs 3 FrG verfügten (und unbekämpft gebliebenen) Ausweisung. Dieser Bescheid wurde vom Beschwerdeführer persönlich übernommen und sogleich vollzogen.
Unter dem - beim Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt, (im folgenden: UVS) am eingelangt - erhob der Beschwerdeführer gemäß §§51 f. FrG Beschwerde mit dem Antrag, es wolle festgestellt werden, daß die Festnahme und Anhaltung in Schubhaft rechtswidrig sei.
Begründend führte der Beschwerdeführer aus, daß er als Tamile in Sri Lanka um sein Leben fürchten müsse; sein gemäß § 54 FrG gestellter Antrag sei jedoch mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom infolge eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens abgewiesen worden. Außerdem habe die Behörde die sich aus § 48 Abs 1 FrG ergebende Verpflichtung, darauf hinzuwirken, daß die Schubhaft so kurz wie möglich dauert, verletzt. Von der Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der Schubhaft iSd. § 41 Abs 1 FrG könne wohl nicht die Rede sein, wenn die Abschiebung sowohl auf Grund des vom Beschwerdeführer dargelegten Refoulementverbotes als auch aus tatsächlichen Gründen - wie in seinem Fall mangels Beischaffung eines Heimreisedokuments - unmöglich sei.
2. Der UVS wies diese Beschwerde mit Bescheid vom als unbegründet ab und stellte die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft als rechtmäßig fest. Begründend führt der UVS aus, daß der Schubhaft ein rechtskräftiger Ausweisungsbescheid zugrundeliege. Der Beschwerdeführer besitze keine Mittel für seinen Unterhalt und habe keine sonstigen Beziehungen (wie Arbeitsplatz oder Wohnung) zu Österreich. Es sei daher der Schluß zulässig, der Beschwerdeführer werde sich dem Zugriff der Behörden entziehen, sodaß die Schubhaft gemäß § 41 FrG notwendig sei, um die Abschiebung zu sichern. Die Zulässigkeit der Abschiebung sei bereits gemäß § 54 FrG mit Bescheid der zuständigen Behörde vom festgestellt worden. Auch lägen die Voraussetzungen des § 48 Abs 4 Z 3 FrG vor, weil ein gültiges Reisedokument noch nicht vorliege, "sodaß es derzeit keine Anhaltspunkte dafür gibt, daß die Abschiebung aus faktischen oder rechtlichen Gründen unmöglich wäre."
3. Am erhob der Beschwerdeführer neuerlich Beschwerde gemäß §§51 f. FrG und begründete diese im wesentlichen gleich wie seine erste Beschwerde. In seinem Bescheid vom ging der UVS nunmehr auf das Vorbringen des Beschwerdeführers ein, er laufe bei seiner Abschiebung Gefahr, iSd. § 37 Abs 1 und 2 FrG bedroht zu sein, gelangte aber zum Schluß, daß eine persönliche Bedrohung des Beschwerdeführers in Sri Lanka nicht zu erkennen sei. Unter Hinweis darauf, daß die Botschaft von Sri Lanka am um die Ausstellung eines Heimreisedokuments ersucht worden sei, führte der UVS aus, daß "alle Maßnahmen zeitgerecht ergriffen" worden seien, um die Dauer der Schubhaft so kurz wie möglich zu halten.
4. Gegen diese Bescheide wenden sich die vorliegenden, auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, in denen die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Schutz der persönlichen Freiheit behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der bekämpften Bescheide sowie die Bewilligung der Verfahrenshilfe begehrt wird.
5. Der UVS als belangte Behörde dieser verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift hingegen abgesehen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden, welche er wegen ihres sachlichen Zusammenhanges in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm. § 35 VerfGG 1953zur gemeinsamen Beratung und Beschlußfassung verbunden hat, erwogen:
A. Zum Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe.
Mit Schreiben vom - zugestellt am - forderte der Verfassungsgerichtshof den Beschwerdeführer gemäß §§84, 85 ZPO, § 35 VerfGG 1953 unter Hinweis auf die Säumnisfolgen auf, innerhalb von vier Wochen ein Vermögensbekenntnis abzugeben.
Der Einschreiter kam den Mängelbehebungsaufträgen jedoch innerhalb der ihm gesetzten Frist nicht nach.
Die Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe waren daher wegen des nicht behobenen Mangels formeller Erfordernisse als unzulässig zurückzuweisen (vgl. ).
B.1. Der Bescheid einer Verwaltungsbehörde - wie hier des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich -, mit dem darüber entschieden wird, ob eine Festnahme oder Anhaltung einer Person rechtmäßig war oder ist, verletzt das durch Art 1 ff. des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. 684/1988 (im folgenden: BVG persFr.), und durch Art 5 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit), wenn er gegen die verfassungsgesetzlich festgelegten Erfordernisse der Festnahme bzw. Anhaltung verstößt, wenn er in Anwendung eines verfassungswidrigen, insbesondere den genannten Verfassungsvorschriften widersprechenden Gesetzes, wenn er gesetzlos oder in denkunmöglicher Anwendung einer verfassungsrechtlich unbedenklichen Rechtsgrundlage ergangen ist, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre ().
2. Da sich die angefochtenen Bescheide auf § 48 iVm. §§51 f. FrG und §§67c Abs 3 sowie 79a AVG stützten, sind sie nicht gesetzlos ergangen.
Bedenken gegen diese gesetzlichen Grundlagen wurden in den Beschwerden nicht vorgetragen und sind auch aus Anlaß dieser verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren beim Verfassungsgerichtshof nicht entstanden (s. ).
3. Wenn sich auch der Beschwerdeführer mit seiner Behauptung, der UVS hätte "die geltend gemachten Gründe, die für ein Abschiebungsverbot sprechen, prüfen" müssen, angesichts der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur Prüfungskompetenz des UVS im Verfahren gemäß §§51 f. FrG in jenen Fällen wie den vorliegenden, in denen eine Antragstellung gemäß § 54 FrG möglich war (s. etwa zuletzt ), nicht im Recht befindet, hat die belangte Behörde dennoch in anderer Hinsicht einen so schweren Fehler begangen, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist:
3.1. Gemäß Art 1 Abs 3 BVG persFr. darf der Entzug der persönlichen Freiheit nur gesetzlich vorgesehen werden, wenn dies nach dem Zweck der Maßnahme notwendig ist; die persönliche Freiheit darf jeweils nur entzogen werden, wenn und soweit dies nicht zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht. § 48 Abs 1 FrG verpflichtet die Behörde, darauf hinzuwirken, daß die Schubhaft so kurz wie möglich dauert.
3.2. Wie sich aus dem auch dem UVS vorgelegenen fremdenpolizeilichen Akt ergibt, ist die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am an die Botschaft von Sri Lanka mit dem Ersuchen herangetreten, für den Beschwerdeführer ein Heimreisedokument auszustellen; in der Folge blieb die Behörde auch noch lange Zeit untätig, obgleich der Beschwerdeführer am einen Antrag gestellt hatte, seine Abschiebung vorläufig aufzuschieben, da sie "offensichtlich auch aus tatsächlichen Gründen unmöglich" sei. Vielmehr stellte die Bezirkshauptmannschaft Baden in ihrem diesen Antrag abweisenden Bescheid vom fest, daß "die Beschaffung eines Heimreisedokumentes für Staatsangehörige aus Sri Lanka erfahrungsgemäß zeitaufwendig" sei. Erst im Aktenvermerk vom wird - angesichts des nahen Ablaufs der gemäß § 48 Abs 4 FrG höchstzulässigen Schubhaftdauer von sechs Monaten - erwähnt, "daß die für das Heimreisedokument zuständige Vertretungsbehörde von Sri Lanka nach mehreren erfolglosen Interventionen nunmehr durch das Bundesministerium für Inneres urgiert wird." Solche "Interventionen" sind aber weder aktenkundig gemacht noch vom UVS erhoben worden. Über Weisung der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom wurde der Beschwerdeführer aus der Schubhaft entlassen, da "bis dato kein Heimreisedokument ausgestellt wurde (auch nicht aufgrund einer Intervention des Bundesministeriums für Inneres)".
3.3. Die nach dem Akteninhalt erweisliche Untätigkeit der Behörde während eines Zeitraumes von nahezu fünf Monaten entspricht jedoch keinesfalls dem in § 48 Abs 1 FrG normierten Gebot, darauf hinzuwirken, daß die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Bei der gegebenen Sachlage hätte der UVS prüfen müssen, ob nicht seitens der Fremdenpolizeibehörde schon früher Urgenzen ergehen hätten müssen bzw. ob es bei deren Aussichtslosigkeit überhaupt zulässig war, über den Beschwerdeführer die Schubhaft zu verhängen und zu vollziehen. Wie sich aus den unter Pkt. II.B. 3.1. wiedergegebenen Rechtsvorschriften ergibt, darf ein Fremder nur dann in Schubhaft genommen und angehalten werden, wenn es zu einer alsbaldigen Abschiebung des Fremden kommen kann. Im Hinblick insbesondere auf Art 1 Abs 3 BVG persFr. hält der Verfassungsgerichtshof die von der belangten Behörde auf Grundlage des von ihr ermittelten Sachverhaltes vorgenommene Auslegung des § 48 Abs 1 FrG daher für denkunmöglich iS seiner oben wiedergegebenen Judikatur (s. oben Pkt. II.B.1.).
4. Der Beschwerdeführer wurde daher durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt.
5. Die Bescheide waren daher aufzuheben.
III. 1. Der Kostenausspruch stützt sich auf § 88 VerfGG 1953. Im zugesprochenen Betrag sind S 6.000,-- an Umsatzsteuer enthalten.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4, erster Satz, VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.