VfGH vom 28.02.2011, B1071/09

VfGH vom 28.02.2011, B1071/09

19318

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Abweisung der Berufung einer Ärztin (Bedienstete der Stadt Wien) gegen die Versagung der Gewährung von Sonderurlaub für die Teilnahme an einer Fortbildungsveranstaltung

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführerin steht als Ärztin in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur Stadt Wien. Die Beschwerdeführerin beantragte mit Eingabe vom die Ausstellung eines Bescheides über die Versagung eines Sonderurlaubes gem. § 52 der Wiener Dienstordnung 1994 (im Folgenden: DO 1994) für die Teilnahme an einer Fortbildungsveranstaltung vom bis zum in Bad Hofgastein (im Folgenden: Antrag I). Auf Grund eines von der Beschwerdeführerin gestellten Devolutionsantrages ging die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Antrag I an den Dienstrechtssenat der Stadt Wien (im Folgenden: Dienstrechtssenat) über. Mit Antrag vom suchte die Beschwerdeführerin um die Gewährung von Sonderurlaub für die Teilnahme an einer Fortbildungsveranstaltung in Berlin am an (im Folgenden: Antrag II). Mit Bescheid vom wurde der Antrag II erstinstanzlich abgewiesen; dagegen erhob die Beschwerdeführerin rechtzeitig Berufung.

2. Mit dem beim Verfassungsgerichtshof angefochtenen Bescheid des Dienstrechtssenates vom wurde im Spruchpunkt I. der Antrag I und im Spruchpunkt II. die Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid abgewiesen.

2.1. Der Bescheid über die Abweisung des Antrages I wird im Wesentlichen damit begründet, dass "kein Programmpunkt … einen fachspezifischen Bezug auf das Fachgebiet der Physikalischen Medizin" habe und "kein einziger Vortragender auf dem Fachgebiet der Physikalischen Medizin tätig" sei. Überdies sei der Beschwerdeführerin im Jahr 2005 ausreichend Gelegenheit zur Weiterbildung geboten worden, weil ihr in diesem Jahr die Höchstzahl an möglichen Sonderurlaubstagen (das sind 20 Tage pro Jahr) zuerkannt worden sei.

2.2. Die Abweisung der Berufung über den Antrag II wird zusammengefasst damit begründet, dass das Gesamtkontingent an Sonderurlaubstagen des Jahres 2006 des Sozialmedizinischen Zentrums Floridsdorf zum Antragszeitpunkt nahezu erschöpft gewesen sei, sodass die Gewährung des Sonderurlaubes von der Aufstockung dieses Kontingentes abhängig gemacht worden sei. Das Ansuchen der Ärztlichen Direktion um Aufstockung sei abgelehnt worden, weshalb der Beschwerdeführerin kein Sonderurlaub gewährt worden sei. Überdies habe die Beschwerdeführerin zu diesem Zeitpunkt bereits 19 Sonderurlaubstage konsumiert gehabt und bestünde kein Rechtsanspruch, das "persönliche Kontingent immer ausschöpfen zu können".

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein faires Verfahren, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf Freiheit der Erwerbstätigkeit sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

4. Der Dienstrechtssenat als die im verfassungsgerichtlichen Verfahren belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er mit näherer Begründung die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Rechtslage

Die §§52 und 74a des Gesetzes über das Dienstrecht der Beamten der Bundeshauptstadt Wien (Dienstordnung 1994 - DO 1994), LGBl. 56, lauten in der hier anzuwendenden Fassung samt Überschriften wie folgt:

"Sonderurlaub

§52. (1) Dem Beamten kann auf Antrag aus wichtigen persönlichen oder familiären Gründen oder aus einem sonstigen besonderen Anlaß ein Sonderurlaub gewährt werden.

(2) Der Sonderurlaub darf nur gewährt werden, wenn keine zwingenden dienstlichen Erfordernisse entgegenstehen. Er darf die dem Anlaß angemessene Dauer nicht übersteigen.

Wirkungsbereich

§74a. (1) Dem Dienstrechtssenat obliegt

1. die Entscheidung über Rechtsmittel gegen Bescheide, die vom Magistrat in den zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde gehörenden Angelegenheiten unter Anwendung des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29, erlassen worden sind,

2. die Entscheidung über Rechtsmittel gegen Bescheide der Disziplinarkommission,

3. die Erlassung sonstiger Bescheide, zu deren Erlassung der Dienstrechtssenat nach dem 8. Abschnitt berufen ist.

(2) Der Dienstrechtssenat ist auch sachlich in Betracht kommende Oberbehörde im Sinn des § 73 Abs 2 AVG. Die Aufhebung und Abänderung von Bescheiden gemäß § 13 Abs 1 DVG und gemäß § 68 Abs 2 AVG sowie die Nichtigerklärung von Bescheiden gemäß § 68 Abs 4 AVG obliegt abweichend von § 13 Abs 2 und 3 DVG dem Dienstrechtssenat.

(3) Die Bescheide des Dienstrechtssenates unterliegen nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg. Hat der Dienstrechtssenat eine Kündigung ausgesprochen, eine Verfügung gemäß § 10 Abs 2 oder 4 oder eine Feststellung gemäß § 74 Z 2 getroffen oder einen Bescheid nach dem 8. Abschnitt erlassen, ist die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes zulässig."

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Bedenken gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften werden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind beim Verfassungsgerichtshof aus Anlass dieses Beschwerdeverfahrens auch nicht entstanden.

Die Beschwerdeführerin wurde daher durch den angefochtenen Bescheid nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt.

2. Die Beschwerdeführerin erachtet sich zunächst im verfassungesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatbürger vor dem Gesetz verletzt, weil die belangte Behörde ihr mehrere Schriftstücke nicht zur Kenntnis gebracht habe, die Feststellung der Ausschöpfung des persönlichen Sonderurlaubskontingentes im Jahr 2005 erst mit Jahresende 2005 möglich gewesen sei, die mangelnde Fachspezifität von Kongressbeiträgen ohne Einholung einer externen Expertise und durch einen dazu fachlich nicht befähigten ärztlichen Direktor erfolgt sei, die Dienstvorschriften missachtet worden seien, die personalfachliche Prüfung von Sonderurlauben gemäß einem Erlass der jeweiligen Personalstelle des Krankenhauses obliege, in anderen Abteilungen Sonderurlaube für Kongressteilnahmen bewilligt würden, obwohl fachrelevante Referate lediglich in geringem Ausmaß gehalten würden, eine Kollegin vom ärztlichen Direktor in mehreren Angelegenheiten "immer wieder besser behandelt" werde als die Beschwerdeführerin und die belangte Behörde gegen den Vertrauensschutz dadurch verstoße, dass seit dem Jahr 2005 nicht mehr sämtliche Anträge der Beschwerdeführerin auf Sonderurlaub bewilligt würden, was auf das Mobbing des ärztlichen Direktors zurückzuführen sei.

Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte die Beschwerdeführerin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

Hinsichtlich der von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführten Verletzungen im Recht auf Parteiengehör ist zu bemerken, dass - wie dem Akteninhalt zu entnehmen ist - der Beschwerdeführerin der wesentliche Inhalt der Schriftstücke mit Schreiben vom zur Kenntnis gebracht wurde. Soweit im erstinstanzlichen Verfahren eine Verletzung des Rechtes auf Parteiengehör stattgefunden haben sollte, ist die Verletzung jedenfalls durch das mit der Berufungsmöglichkeit verbundene Parteiengehör saniert (vgl. zB /0260, mwN).

Zu dem Vorbringen, dass in anderen Abteilungen Sonderurlaube für Kongressteilnahmen bewilligt würden, obwohl fachrelevante Referate lediglich in geringem Ausmaß gehalten würden und eine Kollegin vom ärztlichen Direktor in mehreren Angelegenheiten "immer wieder besser behandelt" werde, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu verweisen, wonach niemand einen Rechtsanspruch daraus ableiten kann, dass die Behörde in einem anderen Fall möglicherweise zu Unrecht nicht mit gleicher Strenge vorgegangen ist (s. VfSlg. 11.883/1988 und die dort zitierte Vorjudikatur; vgl. weiters zB VfSlg. 13.385/1993, S 278, und 13.856/1994, S 106, wonach es noch kein Indiz für eine willkürliche Vorgangsweise der Behörde ist, wenn sie in einem gleichartigen Fall zu einer anderen Beurteilung gelangte).

Soweit die Beschwerdeführerin die Verletzung der Dienstvorschriften in der angeblich nicht existenten Eignung des Dienststellenleiters zur Beurteilung der Fachspezifität von Kongressbeiträgen erblickt, ist der Beschwerdeführerin die Ermächtigung der Dienststellenleiter zur Genehmigung und Ablehnung von Sonderurlauben kraft Dienstanweisung der Generaldirektion des Krankenanstaltenverbundes vom entgegenzuhalten. Des Weiteren erweist sich die von der belangten Behörde in der Gegenschrift geäußerte Ansicht, dass der ärztliche Leiter zur Beurteilung der Facheinschlägigkeit von Fortbildungsmaßnahmen eine höhere Kompetenz hat als die Personalabteilung des Krankenhauses jedenfalls als denkmöglich.

3. Zu dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, sie erachte sich dadurch, dass sie keine Sonderurlaube mehr konsumieren könne und ärztliche Kollegen bei der Bewilligung von Sonderurlaubstagen willkürlich bevorzugt würden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung verletzt, ist auf die Ausführungen zu Punkt III.2. zu verweisen; demnach kommt auch eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Erwerbsbetätigung nicht in Betracht.

4. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter erblickt die Beschwerdeführerin in dem Umstand, dass ihr keine Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt worden sei.

Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).

Sofern von der belangten Behörde die Vorschriften über das Parteiengehör nicht eingehalten worden sein sollten, könnte allenfalls eine vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfende Verletzung einfachgesetzlicher Verfahrensvorschriften vorliegen, nicht aber eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (zB VfSlg. 10.194/1984, 11.102/1986).

5. Aus jenen Gründen aus denen sich nach Ansicht der Beschwerdeführerin eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz ergebe, erachtet sich die Beschwerdeführerin auch in ihren Rechten gemäß Art 6 EMRK verletzt.

Schon aus den Ausführungen zu Punkt III.2. ergibt sich, dass eine Verletzung von Rechten nach Art 6 EMRK aus den von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Gründen nicht stattgefunden hat. Auch eine Verletzung des - von der Beschwerdeführerin nicht vorgebrachten - Rechtes auf Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung gemäß Art 6 EMRK liegt nicht vor: Im Verfahren vor dem - als Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag iSd Art 133 Z 4 B-VG eingerichteten und als Tribunal iSd Art 6 EMRK zu qualifizierenden (vgl. hiezu ) - Dienstrechtssenat hat zwar eine öffentliche mündliche Verhandlung nicht stattgefunden, doch wurde von der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren auch kein dahingehender Antrag gestellt. Der Dienstrechtssenat konnte nach dem Inhalt der Akten von einem geklärten Sachverhalt ausgehen, zu dessen Lösung nur die Beantwortung einfacher Rechtsfragen notwendig war (EGMR , Fall Speil, Appl. 42.057/98, ÖJZ 2003, 117; weiters EGMR , Fall Faugel, Appl. 58.674/00, ÖJZ 2004, 437 sowie EGMR , Fall Osinger, Appl. 54.645/00, ÖJZ 2006, 255 = newsletter 2005, 76).

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Die behaupteten Verletzungen der geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte haben sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass die Beschwerdeführerin in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.

Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art 133 Z 4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

2. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.