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OGH vom 22.11.2012, 13Os123/12f (13Os124/12b, 13Os136/12t)

OGH vom 22.11.2012, 13Os123/12f (13Os124/12b, 13Os136/12t)

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krausam als Schriftführerin in der Strafsache gegen Jasmin F***** wegen Vergehen der Erschleichung einer Leistung nach § 149 Abs 1 StGB, AZ 36 Hv 160/11y des Landesgerichts Innsbruck, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts vom (ON 49) und andere Vorgänge erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache AZ 36 Hv 160/11y des Landesgerichts Innsbruck verletzen

(1) der Beschluss vom (ON 49 S 3) § 53 Abs 1 zweiter Satz StGB,

(2) das Unterlassen der unverzüglichen Anordnung des Vollzugs der Freiheitsstrafe § 397 erster Satz StPO iVm § 3 Abs 1 StVG und

(3) der Beschluss vom (ON 54), soweit darin die bedingte Entlassung der Jasmin F***** aus einem das Urteil und den Beschluss vom (ON 49) betreffenden Strafrest ausgesprochen wurde, § 265 StPO iVm § 46 Abs 1 und Abs 3 StGB.

Der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom (ON 49 S 3) und Punkt 2 des Beschlusses dieses Gerichts vom (ON 54 S 1) werden aufgehoben und es wird in der Sache selbst erkannt:

Vom Widerruf der mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom , GZ 23 Hv 189/07m 104, gewährten bedingten Strafnachsicht und der mit unter einem gefassten Beschluss dieses Gerichts gewährten bedingten Entlassung wird gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO abgesehen.

Text

Gründe:

Mit (seit rechtskräftigem) Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom , GZ 23 Hv 189/07m 104, wurde Jasmin F***** unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB und des § 5 JGG nach dem zweiten Strafsatz des § 148 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt, von der das Gericht gemäß § 43a Abs 3 StGB einen achtmonatigen Strafteil unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachsah. Mit zugleich gefasstem Beschluss sprach das Landesgericht Innsbruck gemäß § 265 StPO ebenfalls unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit die bedingte Entlassung aus dem im Urteilszeitpunkt noch nicht (durch Anrechnung der Vorhaft) verbüßten (unbedingten) Strafteil von einem Monat, zwanzig Tagen und einer Stunde aus (ON 48, nicht journalisierte Kopie des genannten Urteils).

Mit gekürzt ausgefertigtem (§ 270 Abs 4 StPO) Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom (ON 49) wurde Jasmin F***** nach § 149 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt.

Dabei unterblieb entgegen § 38 Abs 1 Z 2 StGB die Anrechnung der im Verfahren AZ 27 HR 323/11h des Landesgerichts Feldkirch seit erlittenen Vorhaftzeiten (ON 44 S 3 und S 7).

Unter einem fasste das Landesgericht Innsbruck den Beschluss, vom Widerruf der mit Urteil dieses Gerichts vom , GZ 23 Hv 189/07m 104, gewährten bedingten Strafnachsicht abzusehen, die mit dem gemeinsam mit diesem Urteil ergangenen Beschluss gewährte bedingte Entlassung jedoch zu widerrufen (ON 49 S 3).

Das Urteil und der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom erwuchsen sogleich in Rechtskraft (ON 49 S 4), wurden aber nicht (durch eine entsprechende Strafvollzugsanordnung) in Vollzug gesetzt.

Mit unbekämpft in Rechtskraft erwachsenem Beschluss vom (ON 54) rechnete das Landesgericht Innsbruck „gem § 400 StPO“ die in der Zeit vom , 17:00 Uhr, bis zum , 17:00 Uhr, im Verfahren AZ 27 HR 323/11h (= 20 Hv 43/12b) des Landesgerichts Feldkirch erlittene Verwahrungs und Untersuchungshaft auf die mit Urteil vom (ON 49) verhängte Freiheitsstrafe an (1) und sprach aus, dass der nach dieser Anrechnung aus dem genannten Urteil und dem gleichzeitig mit diesem gefassten Widerrufsbeschluss verbleibende Strafrest von einem Monat und zehn Tagen unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren „bedingt nachgesehen“ werde (2).

Die vom Punkt 1 des Beschlusses vom (ON 54) umfasste Vorhaftzeit wurde sodann auch auf die mit am zu AZ 20 Hv 43/12b des Landesgerichts Feldkirch ergangenem (seit rechtskräftigem) Urteil ausgesprochene (zweijährige) Freiheitsstrafe angerechnet (Beilagen zur Nichtigkeitsbeschwerde).

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, wurde das Gesetz durch die beschriebenen Vorgänge mehrfach verletzt:

(1) Nach § 53 Abs 1 zweiter Satz StGB können die bedingte Nachsicht des Teiles einer Freiheitsstrafe und die bedingte Entlassung aus dem nicht bedingt nachgesehenen Strafteil nur gemeinsam widerrufen werden. Der im Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom (ON 49 S 3) ausgesprochene Widerruf der bedingten Entlassung aus dem mit Urteil desselben Gerichts vom , GZ 23 Hv 189/07m 104, gemäß § 43a Abs 3 StGB unbedingt verhängten viermonatigen Strafteil bei gleichzeitigem Absehen vom Widerruf des mit dieser Entscheidung bedingt nachgesehenen achtmonatigen Strafteils ist daher unzulässig (RIS Justiz RS0125448).

(2) Gemäß § 397 erster Satz StPO ist jedes Strafurteil ungesäumt in Vollzug zu setzen, sobald feststeht, dass der Vollstreckung kein gesetzliches Hindernis und insbesondere kein rechtzeitig von einem hiezu Berechtigten ergriffenes Rechtsmittel entgegensteht, dem das Gesetz aufschiebende Wirkung beimisst.

Urteile, mit denen eine unbedingte Freiheitsstrafe ausgesprochen wird, sind dadurch zu vollziehen, dass der Strafvollzug anzuordnen und die nach § 9 StVG zu dessen Einleitung oder Durchführung zuständige Anstalt von der Anordnung zu verständigen ist (§ 3 Abs 1 erster Satz StVG).

Da das Landesgericht Innsbruck hinsichtlich der mit sogleich in Rechtskraft erwachsenem (ON 49 S 4) Urteil vom ausgesprochenen (ON 49 S 2) und der mit dem unter einem gefassten Widerrufsbeschluss aktualisierten (ON 49 S 3; siehe dazu aber (3) des Erkenntnisses) Freiheitsstrafe keine Strafvollzugsanordnung erließ, verletzte es somit § 397 erster Satz StPO iVm § 3 Abs 1 StVG.

(3) Durch die Aufhebung des Widerrufs der bedingten Entlassung aus dem zu AZ 23 Hv 189/07 des Landesgerichts Innsbruck ausgesprochenen unbedingten Strafteil (1) ist auch die (von diesem Widerruf rechtslogisch abhängige) bedingte (gemeint) Entlassung aus eben diesem Strafteil (Punkt 2 des Beschlusses des Landesgerichts Innsbruck vom [ON 54]) beseitigt (RIS Justiz RS0100444).

Die mit Punkt 2 des Beschlusses des Landesgerichts Innsbruck vom (ON 54) darüber hinaus ausgesprochene bedingte (gemeint) Entlassung aus der mit Urteil desselben Gerichts vom (ON 49) ausgesprochenen Freiheitsstrafe kam schon begrifflich nicht mehr in Betracht, weil diese Sanktion (ein Monat Freiheitsstrafe) bereits durch die Haftanrechnung (Punkt 1 des Beschlusses vom [ON 54]) verbüßt war (RIS Justiz RS0126180; Jerabek in WK² § 46 Rz 10d).

Diesbezüglich sei ergänzt, dass die Anrechnung (auch) der nach Rechtskraft des Urteils vom (ON 49) erlittenen Untersuchungshaft verfehlt war, weil die insoweit maßgebende Norm des § 400 StPO die Anrechnung der sogenannten Zwischenhaft, also der zwischen erstinstanzlicher Urteilsfällung und Rechtskraft gelegenen Verwahrungs oder Untersuchungshaftzeiten regelt ( Lässig , WK StPO § 400 Rz 1, 3).

Ein Nachteil entstand der Verurteilten dadurch auch in Bezug auf die einen Monat übersteigende Untersuchungshaftzeit nicht, weil das Landesgericht Feldkirch zu AZ 20 Hv 43/12b unter Missachtung des § 38 Abs 1 StGB die vom Punkt 1 des Beschlusses des Landesgerichts Innsbruck vom (ON 54) umfasste Haftzeit (erneut zur Gänze) auf die im bezeichneten Verfahren verhängte (unbedingte) Freiheitsstrafe anrechnete.

(4) Da der mit Beschluss vom ausgesprochene Widerruf der bedingten Entlassung (ON 49 S 3) und die mit Beschluss vom ausgesprochene bedingte Strafnachsicht (ON 54 S 1) zufolge Bestimmung einer dreijährigen Probezeit zum Nachteil der Verurteilten wirken, sah sich der Oberste Gerichtshof insoweit veranlasst, die Feststellung der Gesetzesverletzungen (in Bezug auf den Beschluss vom wie zu (3) des Erkenntnisses dargelegt teilweise zur Klarstellung) mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).