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OGH vom 26.04.2005, 10ObS1/05b

OGH vom 26.04.2005, 10ObS1/05b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler und OLWR Dr. Peter Hübner (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Georg W*****, vertreten durch Mag. Helmut Gruber, Rechtsanwalt in Fieberbrunn, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, Ghegastraße 1, 1030 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Abfindung einer Betriebsrente, über Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 23 Rs 41/04g-12, womit aus Anlass der Berufungen beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 47 Cgs 84/04p-4, und das vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die beklagte Partei wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 47 Cgs 51/01f-9, schuldig erkannt, dem Kläger für die Folgen des Arbeitsunfalls vom sowie der Berufskrankheit Asthma bronchiale aus dem Jahr 1990 ab dem eine Gesamtrente von 45 % [30 % aus dem Titel Berufskrankheit, 15 % aus dem Titel Arbeitsunfall] als Dauerrente zu gewähren.

Mit rechtskräftigem Bescheid der beklagten Partei vom wurde dem Kläger aufgrund seines Antrages vom ab eine Erwerbsunfähigkeitspension zuerkannt.

Bereits mit Schreiben vom hatte die beklagte Partei dem Kläger [zu seinem am gestellten Pensionsantrag] darüber informiert, dass mit dem Tag der Zuerkennung einer Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit bzw Erwerbsunfähigkeit eine als Dauerrente festgestellte Betriebsrente wegfalle und an deren Stelle eine Abfindung gebühre. Auf dieses Schreiben Bezug nehmend teilte der Kläger dem Versicherungsträger mit Schreiben vom mit, dass er sich mit einer Abfindung der ihm als Dauerrente gewährten Betriebsrente nicht einverstanden erkläre, da der überwiegende Teil der Gesamtrente bereits infolge der Berufskrankheit vom gewährt worden und § 148i, j BSVG nicht anwendbar sei. Es werde daher um Weitergewährung der Betriebsrente ersucht.

Hierauf sprach die beklagte Partei mit Bescheid vom aus, dass die für die Folgen des Arbeitsunfalls vom und der Berufskrankheit vom im Ausmaß von 45 % der Vollrente gewährte Gesamtrente gemäß § 148i Abs 1 BSVG mit wegfalle und dem Kläger gemäß § 148j Abs 2 und 3 BSVG iVm der Verordnung der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BGBl II Nr 245 vom ) anstelle der weggefallenen Gesamtrente eine Abfindung im Betrag von EUR 34.163,27 gebühre. Weiters wurde die Anrechnung der vom bis ausbezahlten Gesamtrente auf den Abfindungsbetrag ausgesprochen. Diesen Bescheid bekämpfte der Kläger mit fristgerecht erhobener Klage zu 47 Cgs 81/04x des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht mit dem Begehren, die Beklagte schuldig zu erkennen, ihm weiterhin eine monatliche Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß von 45 % zu gewähren, [in eventu,] die Berechnung des Abfindungskapitals lediglich auf Basis von 15 % der Rente durchzuführen und die monatliche Betriebsrente im gesetzlichen Ausmaß für die Berufskrankheit in Höhe von 30 % weiterzugewähren. Diese Klage wurde nach Erstattung der Klagebeantwortung am zurückgezogen (AS 5 und 8 im Akt 47 Cgs 81/04x des Landesgerichts Innsbruck).

Das vorliegende Verfahren wurde dadurch in Gang gesetzt, dass die beklagte Partei am beim Erstgericht eine „Klagebeantwortung" gegen das Schreiben des Klägers vom einbrachte, welches in sozialer Rechtsanwendung als Klage gegen den Bescheid vom aufzufassen sei. Darin wendete die Beklagte zusammengefasst ein, dass der genannte Bescheid der Sach- und Rechtslage entspreche und beantragte, „die noch zu präzisierende Klage abzuweisen".

Das Erstgericht beraumte hierauf eine Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am an, in welcher der Klagevertreter ein Prozessvorbringen (AS 13 f) und ein „modifiziertes" Klagebegehren wie bereits in der Klage zu 47 Cgs 81/04x des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht erstattete. Die Verhandlung in der vorliegenden Rechtssache wurde noch in dieser Tagsatzung geschlossen, nachdem Beweis durch den Anstaltsakt der Beklagten und den Akt 47 Cgs 51/01f des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht aufgenommen worden war.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren, die Beklagte schuldig zu erkennen dem Kläger weiterhin eine monatliche Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß von 45 % zu gewähren, ab, verpflichtete die Beklagte jedoch, dem Kläger eine monatliche Betriebsrente im gesetzlichen Ausmaß für die Berufskrankheit in Höhe von 30 % zu gewähren und die Berechnung des Abfindungskapitals auf Basis von lediglich 15 % durchzuführen.

Aus Anlass der dagegen erhobenen Berufungen beider Parteien hob das Berufungsgericht mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss das Ersturteil und das vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Klage zurück. Den eingangs wiedergegebenen - unstrittigen - Verfahrensablauf beurteilte es rechtlich dahin, das jede Klage gemäß § 65 Abs 1 Z 1 ASGG einen Bescheid des Sozialversicherungsträgers voraussetze, der über den der betreffenden Leistungssache zugrundeliegenden Anspruch des Versicherten ergangen sein müsse. Im Schreiben des Klägers an die Anstalt vom könne jedoch - auch bei der gebotenen sozialen Rechtsanwendung - keine Klage gegen den Bescheid vom erblickt werden. Die vom Kläger fristgerecht am erhobene und am beim Erstgericht eingelangte Klage zu 47 Cgs 81/04x des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht sei zurückgezogen worden. Das Erstgericht habe das gegenständliche Verfahren daher ohne Klage aufgrund des als „Klagebeantwortung" bezeichneten Schriftsatzes der Beklagten eingeleitet. Deshalb fehle es an einer absoluten Prozessvoraussetzung. Der Kläger habe erst in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom , also nach Ablauf der Frist gemäß § 67 Abs 2 ASGG - eine Klage mit einem bestimmten Begehren erhoben und hierzu ein Klagsvorbringen erstattet. Infolge Fehlen der Klagsvoraussetzung bzw Versäumung der Klagefrist liege gemäß § 73 ASGG eine Unzulässigkeit des Rechtsweges vor, die einen in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmenden Nichtigkeitsgrund darstelle (§ 42 JN) und zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und des vorangegangenen Verfahrens sowie zur Zurückweisung der Klage führen müsse.

Dagegen richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss ersatzlos aufzuheben und dem Berufungsgericht die Fortsetzung des Berufungsverfahrens aufzutragen, in eventu ihn aufzuheben und dem Rekursgericht eine neuerliche Entscheidung allenfalls nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

Die beklagte Partei hat keine Rekursbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

Gemäß § 67 Abs 1 ASGG darf in einer Leistungssache nach § 65 Abs 1 Z 1 ASGG vom Versicherten eine Klage nur erhoben werden, wenn der Versicherungsträger darüber bereits mit Bescheid entschieden oder den Bescheid nicht innerhalb der gesetzlichen Fristen erlassen hat. Von den hier nicht relevanten Säumnisfällen abgesehen, setzt daher jede Klage einen Bescheid des Versicherungsträgers voraus; die Entscheidung muss nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes „darüber", dh über den der betreffenden Leistungssache zugrunde liegenden Anspruch des Versicherten ergangen sein (stRsp und Lehre; Kuderna ASGG2 442; Fink, Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen 276 f; SSV-NF 5/21; SZ 64/173; 8 ObS 12/03b mwN; RIS-Justiz RS0085867; zuletzt: 10 ObS 58/03g). Wird eine Klage nach § 67 Abs 1 Z 1 ASGG erhoben, obwohl kein Bescheid vorliegt, so ist die Klage in jeder Lage des Verfahrens wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges (Kuderna aaO 475) zurückzuweisen.

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht die Zulässigkeit des Rechtsweges schon deshalb zutreffend verneint, weil das dem vorliegenden Verfahren zugrunde liegende Schreiben bereits am verfasst wurde. Fraglich könnte demnach nur sein, ob hinsichtlich der ursprünglich gegebenen Unzulässigkeit des Rechtsweges die Möglichkeit einer Heilung bestand (vgl dazu die Judikaturübersicht in 10 ObS 130/98k = SSV-NF 12/98). Diese hätte nach der Rsp des Obersten Gerichtshofes jedenfalls nur stattfinden können, wenn sie bis zum Schluss der Verhandlung erster Instanz erfolgt wäre (8 ObS 12/03b = RIS-Justiz RS0085867 [T15]; vgl auch 10 ObS 307/00w mwN zur verfrühten Erhebung der Säumnisklage). Die Frage, ob eine solche Heilungsmöglichkeit bestand, stellt sich hier aber gar nicht:

Zunächst gesteht der Rekurswerber sogar ausdrücklich zu, dass sich sein Schreiben vom nicht gegen den Bescheid vom richtete und auch keine „vorauseilende" Klage vorliege (Seite 2 des Rekurses). Außerdem steht fest, dass hinsichtlich dieses Bescheides zu 47 Cgs 81/04x des Erstgerichtes ohnehin eine Bescheidklage mit identem Begehren eingebracht wurde. Damit hat der Kläger aber zweifelsfrei zu erkennen gegeben, dass er sich mit dem hier zu beurteilenden Schreiben gerade nicht gegen den Bescheid vom wenden wollte (vgl 8 ObS 12/03b).

Von dieser Tatsachengrundlage entfernen sich auch die weiteren Rekursausführungen, wenn sie sich darauf berufen, dieses Schreiben sei durch die vorliegende Klagebeantwortung, in der es die beklagte Partei als Klage gewertet (und am dem Gericht übermittelt) habe, tatsächlich „als Klage existent" geworden (und innerhalb der offenen Klagefrist beim Gericht eingelangt), weil der Kläger dieser Wertung „nie widersprochen" habe; weshalb in sozialer Rechtsanwendung sehr wohl von einer rechtzeitig eingebrachten Klage auszugehen gewesen wäre, und dem Kläger durch die gegenteilige Beurteilung des Berufungsgerichtes in „unsozialer Rechtsanwendung" die Möglichkeit der Durchsetzung seiner Ansprüche auf dem ordentlichen Rechtsweg genommen werde.

Dabei wird nämlich übergangen, dass der Kläger selbst es war, der durch die am zu 47 Cgs 81/04x des Erstgerichtes eingebrachte Bescheidklage einer Wertung seines Schreibens vom als (weitere [?]) derartige Klage - wie bereits ausgeführt - eindeutig widersprochen hat. Für die im Rekurs behauptete Mutation (vom [Mitteilungs-]Schreiben zur [weiteren] Bescheidklage) bestand demnach kein Raum:

Richtig ist zwar, dass bei der Beurteilung von Anträgen durch die Sozialversicherungsträger im Geiste sozialer Rechtsanwendung vorgegangen, also der Antrag im Zweifel zugunsten des Versicherten ausgelegt werden muss (SSV-NF 11/156 = SZ 70/263; SSV-NF 14/83 mwN; RIS-Justiz RS0086446; zuletzt: 10 ObS 56/04i). Die Fiktion eines tatsächlich nicht gestellten Antrages lässt sich freilich - wie der erkennende Senat bereits wiederholt ausgesprochen hat - auch aus den Grundsätzen sozialer Rechtsanwendung nicht ableiten (SSV-NF 2/52; 4/21; 5/35; 10/134; 11/156; 15/144; 10 ObS 205/03z = SSV-NF 17/105 [in Druck]; RIS-Justiz RS0085092 [T3, T 5 und T 7]; RS0086446 [T1]; 10 ObS 15/03h mwN; zuletzt: 10 ObS 56/04i).

Letztlich hat es sich der Kläger also selbst zuzuschreiben, wenn er - infolge der am erklärten Klagsrückziehung im Verfahren 47 Cgs 81/04x des Erstgerichtes (vgl dazu § 72 ASGG) - die hier geltend gemachten Ansprüche auf dem ordentlichen Rechtsweg nicht mehr durchsetzen kann.

Der angefochtene Beschluss war daher zu bestätigen. Die Entscheidung über die Kosten des Klägers beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.