OGH vom 04.12.1996, 7Ob2346/96t

OGH vom 04.12.1996, 7Ob2346/96t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*****-AG, *****, vertreten durch Dr.Helfried Kriegel, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Nuradin H*****, vertreten durch Dr.Helmar Feigl, Rechtsanwalt in Amstetten, wegen S 100.000,-- sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten als Berufungsgericht vom , GZ 29 R 61/96d-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Amstetten vom , GZ 2 C 2054/94a-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Urteilsfällung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind wie weitere Prozeßkosten zu behandeln.

Text

Begründung:

Der Beklagte hat mit der Klägerin für seinen PKW eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen. Am verursachte er mit diesem PKW einen Verkehrsunfall, an dem ein Motorradfahrer beteiligt war. Zum Zeitpunkt des Unfalls verfügte der Beklagte nicht über eine österreichische Lenkerberechtigung. Der Beklagte ist aber im Besitz einer Lenkerberechtigung, die ihm in Kosovo ausgestellt worden war. Er hat seit seinen ordentlichen Wohnsitz in Österreich. Innerhalb der Frist von einem Jahr nach dieser Wohnsitzverlegung hat der Beklagte keinen Antrag gestellt, ihm ohne Ermittlungsverfahren eine Lenkerberechtigung mit dem gleichen Berechtigungsumfang zu erteilen, dem seine ausländische Lenkerberechtigung in Österreich entspricht. Im März 1994 erwarb der Beklagte nach Ablegung der Lenkerberechtigungsprüfung eine österreichische Lenkerberechtigung.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Zahlung von S 100.000,-- sA. Sie habe die Schadenersatzansprüche des Unfallgegners befriedigt. Da der Beklagte zum Zeitpunkt des Unfalls über keine gültige Lenkerberechtigung verfügt habe, sei er zum Rückersatz verpflichtet.

Der Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Da er bis dahin keinen Antrag gemäß § 64 Abs 6 KFG auf "Umschreibung" der ausländischen Lenkerberechtigung gestellt habe, sei ein solcher Antrag im Unfallszeitpunkt auch noch nicht abgewiesen gewesen. Es gelte daher die Ausnahmebestimmung des § 6 Abs 5 AKHB 1988, sodaß die Klägerin nicht gemäß § 6 Abs 2 Z 1 AKHB 1988 leistungsfrei sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Da der Beklagte mehr als ein Jahr vor dem Unfall seinen ordentlichen Wohnsitz in Österreich gegründet und innerhalb dieser Frist auch nicht einen Antrag auf "Umschreibung" seiner ausländischen Lenkerberechtigung gestellt habe, könne er sich nicht auf die Ausnahme von der Regreßpflicht gemäß § 6 Abs 5 AKHB 1988 berufen. Diese setze nämlich voraus, daß der Besitzer einer ausländischen Lenkerberechtigung den Antrag nach § 64 Abs 6 KFG innerhalb der Jahresfrist gestellt habe.

Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung des Erstgerichtes im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens ab. Weiters sprach es aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei.

Der Beklagte habe im Verfahren erster Instanz den Kausalitätsbeweis nicht angetreten, sondern sich ausschließlich auf die Ausnahme vom Regreßrecht gemäß § 6 Abs 5 AKHB 1988 berufen. Daß das Erstgericht keine Feststellungen über die mangelnde Kausalität des Fehlens einer gültigen Lenkerberechtigung für den Eintritt des Verkehrsunfalles getroffen habe, begründe daher keinen Feststellungsmangel. Die Berufung auf die Ausnahmebestimmung des § 6 Abs 5 AKHB 1988 habe jedoch Erfolg. § 64 Abs 6 KVG ermögliche es dem Besitzer einer im Ausland erteilten Lenkerberechtigung, auf Antrag ohne Ermittlungsverfahren eine Lenkerberechtigung mit dem gleichen Berechtigungsumfang zu erhalten. Diesem Antrag dürfe nur stattgegeben werden, wenn der Antragsteller seinen ordentlichen Wohnsitz seit länger als sechs Monaten in Österreich habe und glaubhaft mache, daß er aufgrund der im Ausland erteilten Lenkerberechtigung seit mindestens einem Jahr Kraftfahrzeuge der Gruppe gelenkt habe, für die die Lenkerberechtigung erteilt worden sei und wenn bei ihm keine Bedenken hinsichtlich der Verkehrszuverlässigkeit, der geistigen und körperlichen Eignung und der fachlichen Befähigung bestünden. Die "Führerscheinklausel" in § 6 Abs 2 Z 1 AKHB 1988 gelte gemäß § 6 Abs 5 AKHB 1988 zweiter Satz nicht für das Lenken aufgrund einer im Ausland erteilten Lenkerberechtigung durch Personen mit ordentlichem Wohnsitz im Bundesgebiet nach Ablauf der in § 64 Abs 5 erster Satz KFG festgesetzten Frist vor einem Jahr nach Begründung des ordentlichen Wohnsitzes im Inland, solange nicht ein Antrag gemäß § 64 Abs 6 KFG 1967 abgewiesen worden sei. Der Beklagte sei zwar nach Ablauf dieser Frist nicht mehr berechtigt, in Österreich ein Kraftfahrzeug aufgrund der ausländischen Lenkerberechtigung zu lenken. Der Antrag nach § 64 Abs 6 KFG auf "Umschreibung" einer ausländischen Lenkerberechtigung sei - im Gegensatz zum Antrag auf Umschreibung einer Heereslenkerberechtigung gemäß § 64 Abs 7 KFG - nicht befristet. Daß ein solcher Antrag erst nach Ablauf eines Jahres nach der Wohnsitzverlegung nach Österreich gestellt werde, sei kein Zurückweisungsgrund. Auch dürfe bei einem solchen Antrag nicht ohne weiteres Ermittlungsverfahren angenommen werden, daß die vorgeschriebene Fahrpraxis nicht gegeben sei. Der Antragsteller könne vielmehr glaubhaft machen, daß er mindestens seit einem Jahr aufgrund seiner ausländischen Lenkerberechtigung im Ausland so oft Kraftfahrzeuge gelenkt habe, daß er über die erforderliche Fahrpraxis verfüge. Grundsätzlich sei daher eine Antragstellung nach § 64 Abs 6 KFG auch noch nach Ablauf der Jahresfrist des § 64 Abs 5 KFG möglich.

§ 6 Abs 5 zweiter Satz AKHB 1988 knüpfe nur insoweit an die Antragstellung nach § 64 Abs 6 KFG an, als der Regreß wegen der Verletzung der "Führerscheinklausel" durch das Lenken eines Kraftfahrzeuges aufgrund einer im Ausland erteilten Lenkerberechtigung mit ordentlichem Wohnsitz im Bundesgebiet nach Ablauf der Jahresfrist des § 64 Abs 4 KFG solange nicht genommen werden könne, solange nicht ein Antrag gemäß § 64 Abs 6 KFG abgewiesen worden sei. Das Auslaufen der Lenkerberechtigung sei in einem solchen Fall nicht als Obliegenheitsverletzung anzusehen. Daß der Antrag schon vor Ablauf der Frist gestellt worden sein müsse, werde dagegen vom Gesetz nicht gefordert. Ein ungebührliches Risiko werde dem Versicherer damit nicht aufgelastet.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von der Klägerin erhobene Revision ist berechtigt.

Gemäß § 6 Abs 2 Z 1 AKHB 1988 ist als Obliegenheit, die zum Zweck der Verminderung der Gefahr oder der Verhütung einer Erhöhung der Gefahr dem Versicherer gegenüber zu erfüllen ist und deren Verletzung im Zeitpunkt des Schadensereignisses die Freiheit des Versicherers von der Verpflichtung zur Leistung bewirkt (§ 6 Abs 2 VersVG), daß der Lenker ua die kraftfahrrechtliche Berechtigung besitzt, das versicherte Fahrzeug zu lenken ("Führerscheinklausel"). Diese Leistungsfreiheit gilt gemäß § 6 Abs 5 zweiter Satz AKHB 1988 nicht für das Lenken aufgrund einer im Ausland erteilten Lenkerberechtigung durch Personen mit ordentlichem Wohnsitz im Bundesgebiet nach Ablauf der in § 64 Abs 5 erster Satz KFG festgesetzten Frist, solange nicht ein Antrag gemäß § 64 Abs 6 KFG abgewiesen worden ist.

Das Lenken eines Kraftfahrzeuges aufgrund einer im Ausland erteilten Lenkerberechtigung durch Personen mit ordentlichem Wohnsitz im Bundesgebiet ist zulässig, wenn seit der Begründung des ordentlichen Wohnsitzes im Bundesgebiet nicht mehr als ein Jahr verstrichen ist (§ 64 Abs 5 KFG). Besitzern einer im Ausland erteilten Lenkerberechtigung ist auf Antrag insoweit ohne Ermittlungverfahren eine Lenkerberechtigung mit dem gleichen Berechtigungsumfang zu erteilen, als aufgrund der Vorschriften des Staates, in dem die ausländische Lenkerberechtigung erteilt wurde, bei der Erteilung einer Lenkerberechtigung von der Feststellung der in § 64 Abs 2 KFG angeführten Voraussetzungen abzusehen ist; diesem Antrag darf nur stattgegeben werden, wenn der Antragsteller seit länger als sechs Monaten seinen ordentlichen Wohnsitz in Österreich hat und glaubhaft macht, daß er aufgrund der im Ausland erteilten Lenkerberechtigung seit mindestens einem Jahr Kraftfahrzeuge gelenkt hat, für die die Lenkerberechtigung erteilt wurde, und wenn bei ihm keine Bedenken hinsichtlich der Verkehrszuverlässigkeit, der geistigen und körperlichen Eignung und der fachlichen Befähigung bestehen.

Der Inhaber einer ausländischen Lenkerberechtigung ist demnach nur ein Jahr ab der Wohnsitzverlegung nach Österreich berechtigt, Kraftfahrzeuge der entsprechenden Gruppe in Österreich zu lenken. Der - frühestens sechs Monate nach der Wohnsitzverlegung mögliche - Antrag auf "Umschreibung" der ausländischen Lenkerberechtigung gemäß § 64 Abs 6 KFG (Führerscheinaustausch) ist aber an keine bestimmte Frist gebunden, insbesondere nicht an die in § 64 Abs 5 KFG genannte Frist von einem Jahr. Nach dem Erlaß des BMV vom , 70920/3-IV/4-8, darf dem Antrag nur stattgegeben werden, wenn der Antragsteller alle im Gesetz genannten Voraussetzungen erfüllt, widrigenfalls der Antrag abzuweisen ist; eine dieser Voraussetzungen ist die Glaubhaftmachung des Antragstellers, daß er aufgrund der im Ausland erteilten Lenkerberechtigung seit mindestens einem Jahr Kraftfahrzeuge der Gruppe gelenkt hat, für die die Lenkerberechtigung erteilt wurde; wenn der Antrag später als ein Jahr nach Begründung des ordentlichen Wohnsitzes in Österreich eingebracht wird, so kann dieser Umstand allein noch nicht ausreichen, um ohne weitere Ermittlungen anzunehmen, daß die gemäß § 64 Abs 6 KFG vorgeschriebene Fahrpraxis nicht gegeben ist; so könnte der Antragsteller glaubhaft machen, daß er mindestens seit einem Jahr aufgrund seiner ausländischen Lenkerberechtigung im Ausland so oft Kraftfahrzeuge gelenkt hat, daß er über eine ausreichende Fahrpraxis verfügt. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (ÖJZ 1986, 600/383-385; ZfVB 1989/1/110, ZVR 1990/76) sind weiter als ein Jahr vor der Antragstellung zurückliegende Lenkerzeiten nicht zu berücksichtigen; das glaubhaft gemachte Lenken muß berechtigterweise erfolgt sein, bloß gelegentliches Lenken reicht nicht aus. Das Weiterlenken eines Fahrzeuges in Österreich über den Zeitraum der Gültigkeit der ausländischen Lenkerberechtigung hinaus ist daher nicht als "berechtigt" anzusehen.

Ungeachtet des Umstandes, daß das Lenken von Kraftfahrzeugen mit einer ausländischen Lenkerberechtigung nach Ablauf eines Jahres nach Verlegung des Wohnsitzes nach Österreich nicht erlaubt ist, sieht § 6 Abs 5 AKHB 1988 zweiter Satz dennoch vor, daß die Leistungsfreiheit des Versicherers wegen dieser Verletzung der "Führerscheinklausel" nicht gilt, solange nicht ein Antrag gemäß § 64 Abs 6 KFG abgewiesen worden ist. Die Frage, ob diese Bestimmung nur jene Versicherungsnehmer schützt, die die "Umschreibung" der ausländischen Lenkerberechtigung bereits vor dem Unfall beantragt haben, oder auch jene, die bis zum Unfall noch keinen solchen Antrag gestellt haben, wurde in der Rechtsprechung bisher nicht behandelt. In Fällen, in denen der Kausalitätsgegenbeweis gemäß § 6 Abs 2 VersVG angetreten wurde, hat der erkennende Senat bisher ausgesprochen, daß der Grundsatz, wonach beim Fehlen der allgemeinen Lenkerberechtigung der Kausalitätsgegenbeweis nicht etwa durch einen Nachweis des tatsächlichen Fahrkönnens ersetzt werden kann, eine Milderung erfährt, wenn bald nach Fortfall der Gültigkeit einer ausländischen Lenkerberechtigung ihretwegen ohne Ermittlungsverfahren eine inländische Lenkerberechtigung erteilt wurde (SZ 50/94; ZVR 1994/94 = VersR 1994, 503). Um den Kausalitätsgegenbeweis geht es im vorliegenden Fall aber nicht. Der Beklagte hat nicht behauptet, daß die Verletzung der Führerscheinklausel keinen Einfluß auf den Eintritt des Versicherungsfalles oder den Umfang der ihm obliegenden Leistung gehabt hat (§ 6 Abs 2 in der hier noch anzuwendenden Fassung vor der VersVG-Novelle 1994 BGBl 1994/509), sondern nur die Verletzung der Führerscheinklausel mit der Behauptung in Abrede gestellt, daß ihm die Ausnahme von der Leistungsfreiheit gemäß § 6 Abs 5 AKHB 1988 zustatten komme.

§ 6 Abs 5 AKHB 1988 ist nach dem maßgeblichen Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers dahin auszulegen, daß eine Verletzung der "Führerscheinklausel" infolge Lenkens eines Fahrzeuges in Österreich durch einen Fahrer mit inländischem Wohnsitz, aber ausländischem Führerschein nach Ablauf der Jahresfrist des § 64 Abs 5 KFG immer dann anzunehmen ist, wenn zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls ein Antrag auf "Umschreibung" der ausländischen Lenkerberechtigung bereits abgewiesen ist. Ist ein solcher Antrag in diesem Zeitpunkt - allenfalls auch mangels entsprechender Antragstellung - noch nicht abgewiesen worden, dann kommt es für die Beurteilung der Leistungsfreiheit des Versicherers darauf an, ob im Zeitpunkt des Versicherungsfalles sämtliche Voraussetzungen für die "Umschreibung" gegeben waren. Eine wörtliche Auslegung der genannten Bestimmung könnte sonst dazu führen, daß sich Besitzer einer ausländischen Lenkerberechtigung um die "Umschreibung" gar nicht bemühen, wenn sie befürchten müßten, daß ihr Antrag abgewiesen werden könnte (vgl Schauer, Die neuen Bedingungen für die "Kfz-Haftpflicht", RdW 1988, 122 f). Eine solche Abweisung wäre nicht nur dann zu gewärtigen, wenn Bedenken gegen die Verkehrszuverlässigkeit, die geistige und körperliche Eignung oder fachliche Befähigung bestehen, sondern auch dann, wenn die Bescheinigung einer - erlaubten - Fahrpraxis im letzten Jahr vor der Antragstellung nicht gelingt.

Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren zu prüfen haben, ob die "Umschreibung" der ausländischen Lenkerberechtigung des Beklagten zum Unfallszeitpunkt nach den genannten Kriterien noch möglich gewesen wäre. Einen Aufschluß darüber könnten auch die Gründe geben, warum der Beklagte (erst) im März 1994 eine österreichische Lenkerberechtigung durch Ablegung der Lenkerberechtigungsprüfung erworben hat.

Die Sache war daher an das Erstgericht zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Urteilsfällung zurückzuverweisen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.