OGH vom 07.04.2020, 13Os121/19x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in der Strafsache gegen Renate E***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom , GZ 613 Hv 2/19x-77, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019) zu Recht erkannt:
Spruch
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende Urteil aufgehoben und die Sache an das Geschworenengericht des Landesgerichts für Strafsachen Wien zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung verwiesen.
Mit ihrer Berufung wird die Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Renate E***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.
Danach hat sie am in W***** auf der Intensivstation des A***** ihren Lebensgefährten Wilhelm G***** getötet, indem sie die lebenserhaltende Intubation und den zentralen Dialysekatheter des Opfers gewaltsam entfernte und somit die Sauerstoffzufuhr seines Körpers unterbrach.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen von der Angeklagten aus § 345 Abs 1 Z 6 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde ist im Recht.
Die Geschworenen bejahten die Hauptfrage nach dem Verbrechen des Mordes (§ 75 StGB) und verneinten die „Zusatzfrage“ (vgl aber RISJustiz RS0092164 [zu § 76 StGB]; Lässig, WKStPO § 314 Rz 7; Birklbauer in WK2 StGB § 76 Rz 13 f und § 77 Rz 1) nach dem Verbrechen der Tötung auf Verlangen (§ 77 StGB).
Zutreffend kritisiert die Fragenrüge (Z 6) das Unterbleiben der Stellung einer Eventualfrage (§ 314 StPO) nach dem Verbrechen des Totschlags (§ 76 StGB).
§ 76 StGB privilegiert die vorsätzliche Tötung eines Menschen (gegenüber § 75 StGB), wenn sich der Täter in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung– im Sinn einer Kausalbeziehung – zur Tat hinreißen lässt (vgl RISJustiz RS0092338). Allgemeine Begreiflichkeit des Affekts ist nach der Rechtsprechung gegeben, wenn der psychische Ausnahmezustand (in seiner tatkausalen Heftigkeit) im Verhältnis zu seinem Anlass auch einem durchschnittlich rechtstreuen Menschen von der geistigen und körperlichen Beschaffenheit des Täters in der spezifischen Tatsituation derart verständlich wäre, dass er sich vorstellen könnte, unter den gegebenen Umständen in eine solche Gemütsverfassung zu geraten. Allgemeine Begreiflichkeit der Tat selbst ist hingegen keine Privilegierungsvoraussetzung (RISJustiz RS0092087 und RS0092173; zum Ganzen Birklbauer in WK2 StGB § 76 Rz 28 bis 31, 49 bis 74 und 88 bis 91; Kienapfel/Schroll StudB BT I4§ 76 Rz 16 ff).
Die Fragenrüge verweist prozessordnungskonform – jeweils unter Angabe der Fundstelle im Akt und Beachtung des inneren Sinnzusammenhangs (vgl zur gesetzeskoformen Geltendmachung einer Fragenrüge RISJustiz RS0100860; Lässig, WKStPO § 314 Rz 2 f; Ratz, WKStPO § 345 Rz 23) – auf in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse, welche eine solche Eventualfrage indizieren. So führt sie insbesondere die Verantwortung der Beschwerdeführerin an, sie „habe den Anblick von W***** nicht mehr ertragen können“ und „auch nicht wahrhaben“ wollen, ihren „besten Freund so leidend sterben zu sehen“, sie habe sich „aus reiner Verzweiflung und Mitleid gegenüber W***** zu einem derartigen Handeln hinreißen“ lassen und habe „den Anblick“, den sie „da gesehen habe, nicht mehr ertragen“ (ON 10 S 137 ff und ON 19 S 85 iVm ON 76 S 22). Weiters verweist sie insoweit auf Passagen aus dem Gutachten des Sachverständigen Univ.Doz. Dr. Peter H*****, die Beschwerdeführerin habe sich (zur Tatzeit) in einem „entsprechenden Ausnahmezustand in emotionaler Hinsicht“, in einem „emotional aufgelösten Zustand, der durch die Alkoholkonsummenge sicherlich entsprechend gesteigert wurde“, befunden (ON 36 S 57 ff iVm ON 76 S 22), bei ihr seien eine „ganz spezielle emotionale Erregung, Aufgeregtheit, Ängste, Schmerz und Trauer“ sowie eine „mittelgradige Berauschung“, verstärkt durch Schlaflosigkeit, vorgelegen (ON 62/2 S 50, 52 und 55).
In der Hauptverhandlung sind somit Tatsachen vorgebracht worden, nach denen – wenn sie als erwiesen angenommen werden – die der Beschwerdeführerin zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele, das nicht strenger strafbedroht ist als das in der Anklageschrift (ON 47) angeführte (§ 314 Abs 1 StPO). Ist nämlich – wie hier – ein in der Hauptverhandlung vorgebrachter Geschehensablauf an sich denkbar und bedarf es zu seiner Nichtannahme beweiswürdigender Überlegungen, dann ist auch die darauf bezogene Fragestellung an die Geschworenen ohne Rücksicht auf die Glaubwürdigkeit dieser Darstellung unabdingbar, weil die Würdigung der für die Entscheidung der Schuldfrage zu berücksichtigenden Verfahrensergebnisse im geschworenen-gerichtlichen Verfahren allein den Laienrichtern zukommt (§ 325 Abs 1 StPO; RIS-Justiz RS0100569 [T2 und T 8]).
Der Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bei der nichtöffentlichen Beratung sofort Folge zu geben (§§ 285e, 344 StPO).
Mit ihrer Berufung war die Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0130OS00121.19X.0407.000 |
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