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VfGH vom 27.06.2003, B1044/01

VfGH vom 27.06.2003, B1044/01

Sammlungsnummer

16922

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch denkunmögliche Gesetzesauslegung bei Abweisung eines Antrags eines ausgeschiedenen Bieters auf Feststellung der Zuschlagserteilung nicht an den Bestbieter; auch amtswegig aufgegriffene Rechtswidrigkeit mögliche Grundlage eines Schadenersatzanspruches wegen schuldhafter Verletzung des Vergaberechts

Spruch

I. Die beschwerdeführenden Gesellschaften sind durch Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird insoweit aufgehoben.

II. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

III. Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Vertreten durch den Landeshauptmann von Niederösterreich hat der Bund die Bauarbeiten für das Baulos "Donaubrücke Pöchlarn, Straßenbau Nord und Straßenbau Süd, zweiter Teil, auf der Bundesstraße B 13 von km 155,976 bis km 156,744 und der Bundesstraße

B 209 von km 1,220 bis 1,750" im Wege eines offenen Vergabeverfahrens nach den Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes 1997 (BVergG) europaweit ausgeschrieben. Die beschwerdeführenden Gesellschaften haben sich als Bietergemeinschaft durch Legung eines Angebots an jenem Vergabeverfahren beteiligt, das nach Angebotsöffnung an zweiter Stelle gereiht wurde.

Nach Mitteilung durch den Auftraggeber, dass beabsichtigt sei, den Bauauftrag an die erstgereihte Bieterin zu vergeben, beantragten die beschwerdeführenden Gesellschaften nach erfolgloser Durchführung eines Schlichtungsverfahrens vor der Bundes-Vergabekontrollkommission beim Bundesvergabeamt (BVA) die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens mit dem Begehren, die Zuschlagsentscheidung, in eventu die Entscheidung der Auftraggeberin, das Angebot der evaluierten Bestbieterin nicht auszuscheiden, für nichtig zu erklären. Nach erfolgter Zuschlagserteilung an die erstgereihte Bieterin änderten die beschwerdeführenden Gesellschaften ihr Begehren auf Feststellung, dass wegen eines Verstoßes gegen das BVergG oder die hiezu ergangenen Verordnungen der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt worden sei.

2. Mit Bescheid vom wies das BVA den Antrag auf Feststellung, dass wegen eines Verstoßes gegen das BVergG der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt worden sei, ab (Spruchpunkt 1.). Der Antrag des Bundes gemäß § 113 Abs 3 BVergG auf Feststellung, dass die beschwerdeführenden Gesellschaften auch bei Einhaltung der Bestimmungen des BVergG und der hiezu ergangenen Verordnungen keine echte Chance auf Erteilung des Zuschlages gehabt hätten, wurde ebenfalls abgewiesen (Spruchpunkt 2.).

Das BVA begründete diese Entscheidung wie folgt:

"Gemäß § 53 BVergG ist von den Angeboten, die nach dem Ausscheiden übrigbleiben, der Zuschlag dem technisch und wirtschaftlich günstigsten Angebot gemäß den in der Ausschreibung festgelegten Kriterien zu erteilen (Bestbieterprinzip). Aus § 96 Abs 1 BVergG ergibt sich, dass zwischen der Auftragsvergabe nach dem Bestbieterprinzip gemäß § 53 BVergG und der Auftragsvergabe nach dem ausschließlichen Kriterium des niedrigsten Preises deutlich zu unterscheiden ist und dass die freie Wahl zwischen Bestbieter- und Billigstbieterprinzip eine Besonderheit im Sektorenbereich darstellt (vgl. EBRV 1993 zu § 76).

Da es sich im vorliegenden Fall nicht um einen im Sektorenbereich tätigen Auftraggeber handelt, die Vergabe aber auf Grund des Preises als einziges Zuschlagskriterium (Billigstbieterprinzip) erfolgte (vgl. Pkt. 6.2 der Angebots- und Vergabebedingungen sowie der Stellungnahme des Auftraggebers vom , N-38/00-3), ist eine gesetzeskonforme Bestbieterermittlung gemäß § 53 BVergG nicht möglich.

Selbst wenn [man] aber die unter dem Punkt Alternativangebote zusätzlich aufgezählten Zuschlagskriterien (Qualität, Fristen und Umweltgerechtheit) in die Bewertung zum Amtsentwurf einbeziehen würde, wäre auf Grund dieser aufgestellten Zuschlagskriterien eine Bestbieterermittlung nicht möglich. Aus § 53 BVergG sowie aus § 29 Abs 4 BVergG, wonach alle Zuschlagskriterien, deren Verwendung vorgesehen ist, grundsätzlich in der Reihenfolge der ihnen zuerkannten Bedeutung anzugeben sind, ergibt sich nämlich entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Bundesvergabeamtes, dass die Zuschlagskriterien eine nachvollziehbare Ermittlung des Bestbieters ermöglichen müssen. Die aufgestellten Kriterien müssen geeignet sein, das dem Auftraggeber zustehende Beurteilungsermessen nach objektiven Gesichtspunkten zu handhaben und dürfen kein willkürliches Auswahlelement enthalten (vgl. EuGH Rs C-31/87 'Gebroeder Beentjes').

Aus den Angebots- und Vergabebedingungen ergibt sich nun, dass sich der Auftraggeber mit einer bloßen Reihung der Zuschlagskriterien begnügt hat. Die vom Auftraggeber im vorliegenden Fall aufgestellten Zuschlagskriterien lassen nicht erkennen, welches Ausmaß an Bedeutung dem erstgenannten Kriterium im Verhältnis zum zweitgenannten Kriterium und diesem im Verhältnis zum drittgenannten Kriterium zukommt. Da die relative Bedeutung der unter dem Punkt Alternativangebote aufgestellten Zuschlagskriterien somit nicht objektiv nachvollziehbar waren, wurde auch aus diesem Grund das Gebot zur nachvollziehbaren Ermittlung des Bestbieters gemäß § 53 BVergG verletzt.

Im gegenständlichen Feststellungsantrag vom verweisen die Antragstellerinnen ausdrücklich auf das Vorbringen im Nachprüfungsantrag vom (N-38/00). Die Antragstellerinnen rügten in diesem Verfahren insbesondere die nicht plausible Zusammensetzung des Gesamtpreises des in Aussicht genommenen Billigstbieters und demzufolge die Nichtausscheidung durch den Auftraggeber. Zwar wurde auch auf die fehlenden Zuschlagskriterien in den Angebots- und Vergabebedingungen hingewiesen, jedoch war die Rechtswidrigkeit, den Zuschlag auf Grund des Billigstbieterprinzips zu erteilen, nicht die von den Antragstellerinnen in ihren Schriftsätzen angefochtene Auftraggeberentscheidung. Verfahrensgegenständlicher Antrag war somit die Zuschlagsentscheidung des Auftraggebers aufgrund der Nichtausscheidung des in Aussicht genommenen Billigstbieters durch den Auftraggeber. Da aber bei Verstoß gegen das Bestbieterprinzip gemäß § 53 BVergG überhaupt kein Zuschlag erteilt hätte werden dürfen, da die Vergabe auf Grund des Billigstbieterprinzips einen zwingenden Widerrufsgrund gemäß § 55 Abs 1 BVergG darstellt, ist schon auf Grund dieser Rechtswidrigkeit der Zuschlag nicht dem Bestbieter iSd § 53 BVergG erteilt worden.

Somit ist aber auch nicht feststellbar, ob die Antragstellerinnen auch bei Einhaltung der Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes und der hiezu ergangenen Verordnungen keine echte Chance auf Erteilung des Zuschlages gehabt hätten."

3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der beschwerdeführenden Gesellschaften in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten bzw. in Rechten durch Anwendung eines als verfassungswidrig erachteten Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung "des Bescheides" (also in dessen gesamtem Umfang) begehrt wird.

Das BVA hat die bezughabenden Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

Der dem Verfahren als mitbeteiligte Partei beigezogene Bund hat (vertreten durch die Finanzprokuratur) eine Äußerung erstattet, in der er den Beschwerdebehauptungen entgegentritt und beantragt, die vorliegende Beschwerde unter Auferlegung von Kostenersatz als unbegründet abzuweisen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - hinsichtlich Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Das BVA wies mit Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides den Antrag auf Feststellung, dass aufgrund einer Rechtswidrigkeit der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt worden sei, ab. Die beschwerdeführenden Gesellschaften hätten "insbesondere die nicht plausible Zusammensetzung des Gesamtpreises des in Aussicht genommenen Billigstbieters und demzufolge die Nichtausscheidung durch den Auftraggeber" gerügt. Zwar sei auch - wie das BVA konzediert - auf die fehlenden Zuschlagskriterien in den Angebots- und Vergabebedingungen hingewiesen worden, doch sei die festgestellte Rechtswidrigkeit, den Zuschlag aufgrund des Billigstbieterprinzips zu erteilen, nicht die von den beschwerdeführenden Gesellschaften angefochtene Entscheidung gewesen. Auf Grund des (amtswegig) festgestellten "Verstoß[es] gegen das Bestbieterprinzip gemäß § 53 BVergG" hätte überhaupt kein Zuschlag erteilt werden dürfen, "da die Vergabe aufgrund des Billigstbieterprinzips einen zwingenden Widerrufsgrund gemäß § 55 Abs 1 BVergG darstell[e]". Schon aufgrund dieser Rechtswidrigkeit sei der Zuschlag nicht dem Bestbieter im Sinne des § 53 BVergG erteilt worden.

2. Die beschwerdeführenden Gesellschaften erachten sich insbesondere in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit vor dem Gesetz sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter als verletzt: Sie hätten im Nachprüfungsverfahren auf die Rechtswidrigkeit der Zuschlagskriterien hingewiesen. Die Abweisung ihres Nachprüfungsantrags trotz festgestellter Vergaberechtswidrigkeit sei als willkürliche Vorgangsweise zu qualifizieren. Im Übrigen erheben die beschwerdeführenden Gesellschaften Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit bzw. Gemeinschaftsrechtskonformität des § 115 Abs 4 BVergG, wonach ein Feststellungsantrag spätestens sechs Wochen ab dem Zeitpunkt der Kenntnis des Zuschlags zu stellen ist: Der Bestimmung mangle es an sachlicher Rechtfertigung.

3. a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 11.072/1986) liegt eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz vor, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt u.a. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage. Insbesondere kann Willkür durch eine denkunmögliche Gesetzesanwendung indiziert werden (siehe zB VfSlg. 7962/1976, 8758/1980). Eine solche denkunmögliche Gesetzesanwendung liegt vor, wenn die belangte Behörde so fehlerhaft vorgegangen ist, dass die Fehlerhaftigkeit mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe gestellt werden müsste (vgl. VfSlg. 7038/1973, 9902/1983).

b) In seiner Entscheidung vom , B1301/00, hat der Verfassungsgerichtshof dargelegt, dass und warum die dem Spruchpunkt 1. des bekämpften Bescheides zugrunde liegende Rechtsauffassung, eine mittelbar auf die Erlangung von Schadenersatz gerichtete Sachentscheidung über das Vorbringen eines Antragstellers mit der Begründung zu verweigern, dass das Vergabeverfahren bereits aus einem anderen als dem geltend gemachten Grund an Rechtswidrigkeit gelitten habe, eine denkunmögliche Anwendung der einschlägigen vergabegesetzlichen Bestimmungen darstellt. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf die im zitierten Erkenntnis dargelegten Entscheidungsgründe verwiesen.

Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides war daher wegen Verletzung des Gleichheitssatzes als verfassungswidrig aufzuheben.

III. Hingegen ist die Beschwerde gegen Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides zurückzuweisen: Es ist vor dem Hintergrund der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen (vgl. insb. § 122 Abs 2 BVergG) nicht ersichtlich, inwiefern die beschwerdeführenden Gesellschaften durch jenen Spruchpunkt beschwert sein könnten; wurde dadurch doch ein Antrag des Auftraggebers, gemäß § 113 Abs 3 BVergG festzustellen, dass die beschwerdeführenden Gesellschaften auch bei Einhaltung der Bestimmungen des BVergG und der hiezu ergangenen Verordnungen keine echte Chance auf Erteilung des Zuschlages gehabt hätten, abgewiesen.

IV. Bei diesem Ergebnis war auf das weitere Beschwerdevorbringen nicht mehr einzugehen. Hinsichtlich der geltend gemachten Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 115 Abs 4 BVergG und des erhobenen Vorwurfes, dass die Bestimmung eine unsachliche "Verkürzung der schadenersatzrechtlichen Verjährungsfrist auf sechs Wochen" anordne, kann sich der Verfassungsgerichtshof mit einem Hinweis auf das Erkenntnis vom , B1426/99, begnügen, in dem er sich mit der in § 115 Abs 4 BVergG normierten Antragsfrist auseinander gesetzt hat und keine Bedenken hinsichtlich der Frist als solcher gehegt hat. Bedenken gegen die Bestimmung sind auch aus Anlass des vorliegenden Verfahrens nicht entstanden.

V. Kosten waren nicht zuzusprechen, da die beschwerdeführenden Gesellschaften mit ihrer Beschwerde nur zur Hälfte erfolgreich waren und dementsprechend zu verpflichten gewesen wären, der mitbeteiligten Partei Bund die Hälfte ihres Kostenaufwandes zu ersetzen. Da der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) seinerseits den beschwerdeführenden Gesellschaften die Hälfte des Pauschalsatzes zu ersetzen gehabt hätte, waren die Kosten gegeneinander aufzuheben.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.