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VfGH vom 28.01.2010, B1043/08

VfGH vom 28.01.2010, B1043/08

18978

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Ausweisung des drittstaatsangehörigen Ehemannes einer in Österreich aufhältigen Unionsbürgerin; keine Zuständigkeit der belangten Sicherheitsdirektion für begünstigte Drittstaatsangehörige

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.340,-

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger

aus dem Kosovo, reiste am illegal nach Österreich ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag, der mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom - rechtskräftig seit - abgewiesen wurde.

Der Beschwerdeführer ist seit mit einer slowakischen Staatsangehörigen verheiratet, mit der er in Österreich in gemeinsamem Haushalt lebt.

Am stellte der Beschwerdeführer - nachdem er am bereits bei der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck (in Folge: BH Vöcklabruck) einen Antrag auf Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte, in eventu die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung aus humanitären Gründen gemäß § 72 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) sowie in eventu eine Zusicherung der Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte oder der Erteilung einer humanitären Aufenthaltsbewilligung im Sinne der §§72 ff. NAG für den Fall, dass er den Asylantrag binnen drei Monaten zurückzieht, gestellt hatte, welcher mit Bescheid der BH Vöcklabruck vom zurückgewiesen wurden - bei der BH Vöcklabruck einen Erstantrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels "Familienangehöriger", welcher mit Bescheid der BH Vöcklabruck vom zurückgewiesen wurde.

2. Mit Bescheid der BH Vöcklabruck vom wurde der Beschwerdeführer gemäß § 53 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I 100/2005, (in Folge: FPG) ausgewiesen. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit dem nun angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom keine Folge gegeben.

Darin führt die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass sich der Beschwerdeführer seit rechtkräftig negativem Abschluss des Asylverfahrens unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Dem Beschwerdeführer sei auf Grund der Tatsachen, dass er sich seit 2002 im Bundesgebiet aufhalte, seit 2003 durchgehend beim gleichen Dienstgeber beschäftigt sei, unbescholten sei, Deutschkenntnisse vorweisen könne und seit 2006 mit einer freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgerin verheiratet sei, eine entsprechende Integration zuzugestehen. Das Gewicht der Integration sei aber insofern zu relativieren, als der Aufenthalt nur bis zum rechtskräftig negativ abgeschlossenen Asylverfahren auf Grund eines sich letztendlich als unberechtigt erweisenden Asylantrages rechtmäßig gewesen sei. Die öffentliche Ordnung werde schwerwiegend beeinträchtigt, wenn Fremde nach Abschluss eines Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verlassen. Die Ausweisung sei in solchen Fällen erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte.

3. Gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung von verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige -

Beschwerde erwogen:

Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegenden Rechtsvorschriften wurden nicht vorgebracht und sind aus Anlass der vorliegenden Beschwerde auch nicht entstanden.

Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).

Ein solcher Fehler ist der belangten Behörde im vorliegenden Fall unterlaufen:

Gemäß der Verfassungsbestimmung des § 9 Abs 1 FPG entscheiden über Berufungen gegen Entscheidungen nach diesem Bundesgesetz,

"... sofern nichts anderes bestimmt ist,

1. im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern und

2. in allen anderen Fällen die Sicherheitsdirektionen in letzter Instanz."

Der angefochtene Bescheid wurde von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich erlassen. Die belangte Behörde ist der Auffassung, dass der Beschwerdeführer, welcher in Österreich eine freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürgerin aus der Slowakei geheiratet hat und mit dieser in Österreich lebt, kein "begünstigter Drittstaatsangehöriger" iSd § 2 Abs 4 Z 11 FPG ist, weil er seine freizügigkeitsberechtigte Ehefrau nicht nach Österreich begleitet hat oder ihr nachgezogen ist.

Damit legte die belangte Behörde den maßgeblichen gemeinschaftsrechtlichen und nationalen Bestimmungen eine Interpretation zu Grunde, welche sich durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes, , Metock, Slg. 2008, I-06241 als nicht haltbar erwies. In dieser Entscheidung sprach der Europäische Gerichtshof aus, dass sich ein drittstaatszugehöriger Familienangehöriger eines Unionsbürgers, der sich in einem Mitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, auf die Bestimmungen der Richtlinie 2004/38/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (in Folge: Unionsbürger-RL) berufen kann, ohne sich vor der Einreise in den Aufnahmemitgliedstaat rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten zu haben. Vielmehr würden die Bestimmungen der Unionsbürger-RL für einen Drittstaatsangehörigen gelten, der mit einem Unionsbürger, der sich in einem Mitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, verheiratet ist, unabhängig von Zeitpunkt und Ort der Eheschließung. Der Begriff des "Begleitens" iSd Art 3 der Unionsbürger-RL sei dahingehend auszulegen, dass auch drittstaatszugehörige Angehörige von Unionsbürgern umfasst sind, die sich mit dem Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten, ohne dass es darauf ankäme, ob der Drittstaatsangehörige vor oder nach Begründung der familiären Beziehungen in den Aufnahmemitgliedstaat einreiste.

Im Beschluss vom , Rs. C-551/07, Sahin, präzisierte der Europäische Gerichtshof darüber hinaus die Voraussetzungen, unter denen sich ein Drittstaatsangehöriger auf die Unionsbürger-RL berufen kann, dahingehend, dass davon auch jene Familienangehörigen erfasst sind, die unabhängig vom Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat gelangt sind. Auch spiele es keine Rolle, wenn die Angehörigeneigenschaft erst im Aufnahmemitgliedstaat erworben bzw. das Familienleben mit dem Unionsbürger erst dort begründet wurde.

Im gegenständlichen Fall hat der drittstaatsangehörige Beschwerdeführer seine freizügigkeitsberechtigte Ehefrau, die sich in Österreich aufhält und im Bundesgebiet erwerbstätig ist, in Österreich geheiratet. Damit liegen für den Beschwerdeführer die Voraussetzungen für den Status eines begünstigten Drittstaatsangehörigen iSd § 2 Abs 4 Z 11 FPG vor. Zuständige Behörde ist nach § 9 Abs 1 Z 1 FPG daher der unabhängige Verwaltungssenat (vgl. ).

Indem die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich den angefochtenen Bescheid am erlassen hat, hat sie eine Zuständigkeit angenommen, die ihr nach § 9 Abs 1 Z 1 FPG nicht zugekommen ist, und dadurch den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs 2 B-VG) verletzt.

Der Bescheid ist daher aufzuheben.

III. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 360,- sowie der Ersatz der gemäß § 17a VfGG entrichteten Eingabengebühr in Höhe von € 180,- enthalten.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.