OGH vom 29.03.2011, 10Ob10/11k
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch und Dr. Schramm sowie die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. B*****, vertreten durch Neumayer, Walter Haslinger Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei M*****, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 49.994,32 EUR sA, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 259/10b 23, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Text
Begründung:
Das Erstgericht gab der auf Aufhebung des zwischen den Streitteilen geschlossenen Kommissions- und Kaufvertrags betreffend 2.356 Stück Zertifikate der M***** Ltd Folge und verurteilte die beklagte Bank zur Rückerstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückstellung der Wertpapiere. Die Klägerin habe sich bei Vertragsabschluss in einem von der Beklagten veranlassten Geschäftsirrtum über wesentliche Eigenschaften der erworbenen Zertifikate befunden.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.
Rechtliche Beurteilung
In ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Beklagte keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:
Der Oberste Gerichtshof befasste sich bereits zu 4 Ob 65/10b, 8 Ob 25/10z, 4 Ob 190/10k und 5 Ob 222/10y mit ähnlich gelagerten Sachverhalten, die jeweils dadurch gekennzeichnet waren, dass Privatanleger aufgrund des von der Beklagten (mit) zu verantwortenden Prospekts Wertpapiere erwarben, wobei die Beklagte die Aufträge zum Ankauf der Zertifikate als Kommissionär durch Selbsteintritt ausführte.
1. Auch im vorliegenden Fall ist kein bloßer Irrtum über die künftige Kursentwicklung oder das Ausmaß der jährlichen Wertsteigerung zu beurteilen, sondern ein Irrtum über die im Vertragsprospekt dargestellte Sicherheit der Zertifikate und deren dargestellte Eignung für Mündelgeldveranlagung. Die Klägerin hätte vom Kauf Abstand genommen, wenn ihr der Verkaufsprospekt nicht eine der Veranlagung in Immobilien gleichkommende Sicherheit im Sinn eines in Wahrheit nicht existierenden Unterschieds zwischen der beworbenen Investition und anderen von den Aktienmärkten abhängigen Anlageformen vorgetäuscht hätte. Ferner steht fest, dass im Verkaufsprospekt ein mit der Veranlagung verbundenes Risiko an Stellen, wo man dies erwarten durfte, nicht erwähnt war, weshalb die Klägerin die auf der Rückseite des Kaufantragsformulars enthaltenen Risikohinweise lediglich als allgemeine, nicht aber mit der konkreten Veranlagung direkt zusammenhängende Hinweise verstehen durfte. Ausgehend von den Feststellungen entspricht die Beurteilung der Vorinstanzen, der Irrtum über das Risiko der gezeichneten Anlage stelle einen Geschäftsirrtum dar, den vom Obersten Gerichtshof in den Vorentscheidungen ausgesprochenen Grundsätzen. Dass im vorliegenden Fall keine Feststellungen bestehen, die Klägerin habe weiters darüber geirrt, dass sie nicht wie im Verkaufsprospekt beworben Aktien, sondern Zertifikate („A*****“) ankaufte, kann diese Beurteilung nicht ändern.
2. Das Vorbringen, der Irrtum sei allein durch eine vom Verkaufsprospekt abweichende individuelle Beratung des Finanzberaters hervorgerufen worden, entfernt sich vom festgestellten Sachverhalt. Dies trifft auch auf das weitere Revisionsvorbringen zu, der Finanzberater habe durch die „Verharmlosung“ eindeutiger Risikohinweise den Abschluss des Rechtsgeschäfts herbeigeführt.
3. Die Entscheidung der Vorinstanzen steht mit der ständigen Rechtsprechung im Einklang, Veranlassung iSd § 871 Abs 1 erster Fall ABGB bedeute jedes für die Entstehung des Irrtums ursächliches Verhalten, ohne dass es darauf ankäme, ob die Beklagte den Irrtum sorgfaltswidrig veranlasst hat ( RIS Justiz RS0014921; RS0016195 [T3, T 4]).
4. War der Beklagten die Platzierung der mit ihrem Namen versehenen Zertifikate übertragen und zeichnete sie für den Verkaufsprospekt (mit)verantwortlich, durfte die Klägerin darauf vertrauen, dass die Beklagte über die Eigenschaften ihres Produkts ausreichende Kenntnisse besitzt, die im Verkaufsprospekt enthaltenen Informationen zutreffen und das Produkt darin richtig und vollständig beschrieben wird. Bei dem Verkaufsprospekt handelt es sich um keine offensichtlich verkürzte, bloß die Aufmerksamkeit weckende Werbeaussage, sondern um die für den durchschnittlichen Privatanleger verständliche und scheinbar (vollständige) Information, die den Zweck verfolgt, dem Privatanleger eine vernünftige Anlageentscheidung zu ermöglichen (4 Ob 65/10z). Aus diesen Gründen ist es der Klägerin nicht als Sorgfaltswidrigkeit zuzurechnen, wenn sie auf den Verkaufsprospekt vertraut hat. Nur wenn ihr Anhaltspunkte für mangelnde Kenntnis der Beklagten über die Produkteigenschaften oder gar für unredliches Verhalten vorgelegen wären, wäre die Beischaffung weiterer Informationen (etwa des Kapitalmarktprospekts) angebracht gewesen (siehe Graf , Zur Schadenersatzhaftung des schuldhaft Irrenden, ecolex 2010, 1131, 1133). Selbst wenn man einem Anleger das Vertrauen allein auf den Verkaufsprospekt dennoch als Sorglosigkeit anlasten wollte, träte diese Sorglosigkeit gegenüber der primär ursächlichen Fehldarstellung im Verkaufsprospekt weit zurück (siehe 8 Ob 25/10z).
5. Ist der Irrtum auch durch den Verkaufsprospekt hervorgerufen worden, kann die Beurteilung einer allenfalls zusätzlichen Verletzung der Aufklärungspflicht durch den Finanzberater auf sich beruhen.
6. Der Verkaufsprospekt wurde vom Obersten Gerichtshof in der Entscheidung 4 Ob 188/08p nach lauterkeitsrechtlichen Kriterien beurteilt und seine im allgemeinen gegebene Irreführungseignung bejaht. Demgegenüber ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ein durch die Angaben in dem Prospekt bei einem Käufer der darin beworbenen Zertifikate konkret hervorgerufener Irrtum. Wie bereits in den Vorentscheidungen ausgeführt, sind deshalb die Überlegungen der Revision zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens nicht relevant. Wer im Zusammenhang mit kapitalmarktbezogener Absatzförderung als „Durchschnittsverbraucher“ im Sinne von Art 5 Abs 2 lit b der RL UGP anzusehen ist, ist für den Ausgang des vorliegenden Verfahrens nicht maßgeblich. Der Senat sieht sich deshalb nicht veranlasst, der in der Revision enthaltenen Anregung auf Einholung einer Vorabentscheidung durch den Europäischen Gerichtshof zu folgen.
Mangels Vorliegens erheblicher Rechtsfragen nach § 502 Abs 1 ZPO war die Revision der Beklagten als unzulässig zurückzuweisen.