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VfGH vom 11.10.2003, B1031/02

VfGH vom 11.10.2003, B1031/02

Sammlungsnummer

17025

Leitsatz

Keine Verletzung des Doppelbestrafungsverbotes durch die Entziehung der Lenkberechtigung wegen eines Drogendeliktes; kein Strafcharakter des als Sicherungsmaßnahme zu qualifizierenden Führerscheinentzugs

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom wurde dem Beschwerdeführer die Lenkberechtigung für die Klasse B für die Dauer von 30 Monaten entzogen. Mit demselben Bescheid wurde ihm die Erteilung einer Lenkberechtigung für die Klasse A versagt. Zur Begründung stützt sich der Bescheid auf den Umstand, daß der Beschwerdeführer im Zeitraum von November 2000 bis zum 10,049 Kilogramm Marihuana in Verkehr gesetzt habe oder versucht habe in Verkehr zu setzen. Bei fünf "Drogenschmuggelfahrten" habe er einen Pkw verwendet. Aufgrund dieses Sachverhalts sei der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom rechtskräftig wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2 SMG (teilweise in Verbindung mit § 15 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten verurteilt worden, wovon ihm 14 Monate unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden.

1.2. Mit Berufungsbescheid vom bestätigte der Landeshauptmann von Vorarlberg den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz. Darin wurde der Beschwerdeführer als nicht "verkehrszuverlässig" im Sinne von § 7 FSG erachtet. Aufgrund einer Prognose des zu erwartenden zukünftigen Verhaltens des Beschwerdeführers im Rahmen der "Wertung" gemäß § 7 Abs 3 FSG gelangte die Berufungsbehörde zu dem Ergebnis, daß eine Entziehung der Lenkberechtigung gemäß § 24 Abs 1 FSG für die Dauer von 30 Monaten gerechtfertigt sei.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde gemäß Art 144 B-VG, in der der Beschwerdeführer behauptet, in seinem gemäß Art 4 des 7. ZPEMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt zu sein und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichthof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Die Behauptung des Beschwerdeführers, in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art 4 des 7. ZPEMRK ("Recht wegen derselben Sache nicht zweimal vor Gericht gestellt oder bestraft zu werden") verletzt zu sein, beruht auf der Prämisse, daß es sich bei der über ihn verhängten Maßnahme der Entziehung der Lenkberechtigung als Folge der Begehung einer gerichtlich strafbaren Tat um eine (zusätzliche) "Strafe" im Sinne der EMRK handle.

2. Diese Prämisse trifft jedoch nicht zu:

2.1. Im Erkenntnis VfSlg. 15431/1999 hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, daß er keine Bedenken gegen die Qualifikation der Entziehung der Lenkberechtigung als administrative Sicherungsmaßnahme (dh. nicht als Strafe im Sinne von Art 6 EMRK) hegt. Der Verfassungsgerichtshof ist in diesem Erkenntnis der bisherigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 66 KFG 1967 gefolgt, wonach die Entziehungsmaßnahme "keine Strafe sondern eine Verwaltungsmaßnahme" darstelle, auch wenn sie, "in ihrer Wirkung von demjenigen, der davon betroffen ist, subjektiv als Strafe empfunden wird" (so ). Die Natur der Entziehung als administrative Maßnahme hat der Verfassungsgerichtshof zuletzt auch in seinem zu § 26 FSG ergangenen Erkenntnis vom , G203/02 ua., bestätigt. Die in diesem Erkenntnis beurteilten "Sonderfälle der Entziehung" (vgl. die Überschrift des § 26 FSG), die zT erst nach Abschluß eines Verwaltungsstrafverfahrens erster Instanz verhängt werden dürfen, hat der Verfassungsgerichtshof als "Erziehungsmaßnahmen" bezeichnet.

Die im angefochtenen Bescheid verfügte Entziehung stützt sich auf den allgemeinen Entziehungstatbestand (§24 FSG) und nicht auf die in § 26 FSG normierten "Sonderfälle der Entziehung".

2.2. Die - auf den Beschwerdeführer angewendete - Entziehung gemäß § 24 iVm. § 7 Abs 2 und Abs 4 FSG (in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 94/1998) soll typischerweise einen Sicherungszweck im Sinne polizeilicher Gefahrenabwehr verfolgen (wie es dem österreichischen Verwaltungsrecht typisch und auch in anderen im Verwaltungsrecht üblichen Regelungen der Entziehung einer Berechtigung vorgesehen ist - vgl. zB §§78, 79, 85 und 127 SchiffahrtsG; §§13 und 78 GewO; §§8 und 25 WaffenG, §§3, 18 und 20a Apothekengesetz): Diese Maßnahmen sind dann zu verhängen, wenn sich der Betreffende einer gerichtlich strafbaren Tat schuldig gemacht hat, die ihn als "verkehrsunzuverlässig" erscheinen läßt. Die Maßnahme ist dabei nicht spezifisch auf die zukünftige Einhaltung der Regeln des Straßenverkehrs- oder des Kraftfahrrechts gerichtet; vielmehr erfolgt eine solche Entziehung deswegen, weil das Verhalten des Betroffenen die Annahme rechtfertigt, daß er sich künftig - unter Gebrauchnahme seiner Lenkberechtigung - weiterer strafbarer Handlungen schuldig machen wird, die durch das Lenken von Kraftfahrzeugen erleichtert werden (§7 Abs 2 FSG). Diesem Grundgedanken entspricht auch die Anordnung des § 7 Abs 5 FSG, derzufolge bei der Wertung des Verhaltens des Straftäters auch die "seither verstrichene Zeit" und das "Verhalten während dieser Zeit" zu berücksichtigen ist.

Es kommt im Entziehungsverfahren somit auf einen vom Strafzweck des "Tadels" völlig unterschiedlichen Aspekt an, nämlich auf die Prognose eines zukünftigen Mißbrauchs der Lenkberechtigung. Bei einer Maßnahme, die der mißbräuchlichen Verwendung der Lenkberechtigung administrativ vorbeugen soll, steht daher der Sicherungsaspekt im Mittelpunkt.

2.3. Mag auch die Verhängung einer solchen Maßnahme durch eine oder mehrere gerichtlich strafbare Handlungen veranlaßt werden, kann doch vor dem Hintergrund der beschriebenen Zielsetzung der Maßnahme (Gefahrenabwehr) von einer "Strafe" im Sinn von Art 6 EMRK und Art 4 des 7. ZPEMRK nicht gesprochen werden. Für die Beurteilung dieser Maßnahmen gilt daher uneingeschränkt die bereits im Erkenntnis VfSlg. 15431/1999 getroffene Feststellung, wonach "die Entziehung der Lenk[er]berechtigung keine Strafe, sondern eine Verwaltungsmaßnahme [ist]; dies selbst dann, wenn die Verwaltungsmaßnahme in ihrer Wirkung vom Betroffenen subjektiv als Strafe empfunden wird".

3. Der Beschwerdeführer wurde daher in seinem gemäß Art 4 des

7. ZPEMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nicht verletzt.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, daß er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

4. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Fundstelle(n):
DAAAD-77337