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OGH vom 29.04.2020, 10Ob1/20z

OGH vom 29.04.2020, 10Ob1/20z

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer, sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des am ***** 2012 geborenen P*****, vertreten durch das Land Wien als Kinder- und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Kinder- und Jugendhilfe, Rechtsvertretung Bezirke 3, 11, 1030 Wien, Karl-Borromäus-Platz 3), über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 44 R 450/19f-60, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 96 Pu 226/13w-41, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Mit Antrag vom beantragte das Kind Unterhaltsvorschüsse aufgrund einer am mit dem Vater abgeschlossenen Unterhaltsvereinbarung. Die Staatsangehörigkeit des Kindes und der Mutter ist im Antrag jeweils mit „XSR“ bezeichnet, jene des Vaters mit „BG“.

Mit Beschluss vom gewährte das Erstgericht dem Kind Unterhaltsvorschüsse gemäß § 3, 4 Z 1 UVG in der sich aus der Vereinbarung ergebenden Höhe vom bis .

Der Beschluss erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

Am beantragte das Kind die Weitergewährung der Unterhaltsvorschüsse gemäß § 18 Abs 1 UVG. Die Staatsangehörigkeit des Kindes und der Mutter ist wieder jeweils mit „XSR“, jene des Vaters mit „BG“ angegeben.

Das Erstgericht gab dem Antrag auf Weitergewährung der Unterhaltsvorschüsse gemäß § 3, 4 Z 1 UVG vom bis statt. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Voraussetzungen der Vorschussgewährung nicht mehr gegeben seien.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Bundes nicht Folge. Es ließ den Revisionsrekurs zu, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu den Fragen bestehe, ob die Rechtskraft eines wegen der Staatsangehörigkeit der Parteien gegen § 2 UVG verstoßenden Beschlusses der Weitergewährung von Unterhaltsvorschüssen entgegenstehe und ob der Antrag auf Weitergewährung von zu Unrecht gewährten Unterhaltsvorschüssen Rechtsmissbrauch begründe.

Rechtlich lehnte es die vom Bund vertretene Ansicht, der Weitergewährungsantrag sei rechtsmissbräuchlich gestellt, weil das Kind als serbischer Staatsangehöriger gemäß § 2 Abs 1 UVG nicht anspruchsberechtigt sei, ab.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene – nicht beantwortete – Revisionsrekurs des Bundes ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.

1. Nach dem Konzept des § 18 Abs 1 UVG ist das Gericht nicht berechtigt, im Zusammenhang mit der Weitergewährung den ursprünglichen Gewährungsbeschluss zu überprüfen. Haben sich nach der Erstgewährung die Sach- und Rechtslage nicht geändert, ist eine abweichende rechtliche Beurteilung im Weitergewährungsverfahren im Hinblick auf die Rechtskraft des ursprünglichen Gewährungsbeschlusses auszuschließen (RS0122248 [T1]). Nur neue Versagungsgründe sind uneingeschränkt von Amts wegen zu beachten (vgl RS0122248).

2. Im Fall der – hier nicht vorliegenden – Vorschussgewährung nach § 4 Z 2 UVG wird ein Grund für die amtswegige Versagung der Weitergewährung angenommen, wenn vom Kind nicht alles Zumutbare zur Schaffung eines Unterhaltstitels unternommen wurde (Neumayr in Schwimann/Kodek, Praxiskommentar4§ 18 UVG Rz 5): Ein Fortbezug von Leistungen nach dem UVG trotz Unterbleibens zumutbarer Bemühungen um die Schaffung eines Exekutionstitels gegen den Unterhaltsschuldner wird als Rechtsmissbrauch qualifiziert, der im Fall einer Entscheidung über den Antrag auf Weitergewährung nach § 18 Abs 1 UVG von Amt wegen aufzugreifen wäre (RS0076105).

3. Die Frage, ob von einem Rechtsmissbrauch wegen Unterbleibens von Bemühungen zur Schaffung eines Exekutionstitels gegen den Unterhaltsschuldner gesprochen werden kann, ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig und begründet daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG (RS0126275). Dies gilt allgemein für die Frage, ob Rechtsmissbrauch vorliegt (RS0110900; RS0026265 [T12]).

4. Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn das unlautere Motiv der Rechtsausübung das lautere Motiv eindeutig überwiegt, es also augenscheinlich im Vordergrund steht. Beweispflichtig dafür ist der den Rechtsmissbrauch Behauptende (RS0026265 [T13, T 14]; RS0026271 [T20, T 24]).

5. Die Beurteilung des Rekursgerichts, das eine rechtsmissbräuchliche Antragstellung des Kindes mit der Begründung verneinte, dieses habe stets vorgebracht, serbischer Staatsangehöriger zu sein, sodass kein unrichtiges Parteienvorbringen und damit kein Rechtsmissbrauch, sondern eine unrichtige rechtliche Beurteilung im Verfahren über die Erstgewährung vorliege, begründet keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung.

Der Revisionsrekurs vermag keine Anhaltspunkte dafür aufzuzeigen, dass der Antragstellung überhaupt unlautere Motive zugrunde gelegen wären.

6. Der vorliegende Fall unterscheidet sich von den Fällen der unterbliebenen Bemühungen zur Schaffung eines Exekutionstitels gegen den Unterhaltsschuldner (vgl RS0076105) dadurch, dass sich die mangelnde Anspruchsberechtigung des Kindes im vorliegenden Fall nicht aus der Verletzung einer Obliegenheit des Kindes ergibt, sondern daraus, dass nach § 2 Abs 1 Satz 1 UVG nur österreichische Staatsbürger oder Staatenlose, daneben aufgrund unions- und völkerrechtlicher Regelung ua Staatsangehörige von EU-Mitgliedstaaten, EWR-Vertragsstaaten und der Schweiz (RS0125925) Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse haben, nicht aber Drittstaatsangehörige (vgl RS0128665). Die vom Revisionsrekurswerber aufgezeigte Unrichtigkeit der Entscheidung über die Erstgewährung steht daher in keinem Zusammenhang mit Handlungspflichten des Kindes oder einer aus deren Verletzung resultierenden Sorgfaltswidrigkeit.

7. Da nach der Erstgewährung keine Änderung der maßgeblichen Tatsachen – der Staatsangehörigkeit des Kindes und der Angaben darüber – stattgefunden hat, ist eine abweichende Beurteilung im Weitergewährungsverfahren im Hinblick auf die Rechtskraft des ursprünglichen Gewährungsbeschlusses nach ständiger Rechtsprechung (vgl RS0122248) ausgeschlossen. Dass das Rekursgericht von diesen Grundsätzen abgewichen wäre, wird im Revisionsrekurs nicht behauptet.

8. Der Revisionsrekurs zeigt insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf; er ist daher zurückzuweisen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:0100OB00001.20Z.0429.000

Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.