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OGH vom 23.10.1996, 7Ob2167/96v

OGH vom 23.10.1996, 7Ob2167/96v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Graf, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Martin R*****, vertreten durch Dr.Martin Stock, Rechtsanwalt in Zell am See, gegen die beklagte Partei I***** Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr.Leopold Hirsch, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen S 122.400,-- sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgericht vom , GZ 22 R 1065/95m-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Zwischenurteil des Bezirksgerichtes Zell am See vom , GZ 5 C 648/95g-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Gerichtes zweiter Instanz wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bleibt dem Endurteil vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der beklagten Partei unfallversichert. Dem Versicherungsvertrag lagen die AUVB 1982 zugrunde. Die Versicherungssumme betrug zum Unfallszeitpunkt S 408.000,--. Nach Art 8 Abs II Z 2 AUVB ist ein Anspruch auf Leistung für dauernde Invalidität innerhalb von 15 Monaten vom Unfalltag an geltend zu machen und unter Vorlage eines ärztlichen Befundberichtes zu begründen.

Am stürzte der Kläger vom Gerüst, als er seinem Nachbarn beim Hausbau half. Er erlitt eine Prellung der Lendenwirbelsäule und des Kreuzbeins, einen Bluterguß in der Sakralregion und Hautabschürfungen. In Verbindung mit den Folgen einer Verletzung aus dem Jahr 1980 ergibt sich nach derzeitiger Beurteilung eine 40 %iger Dauerinvalidität des Klägers, von der 15 % auf die beim Unfall am erlittenen Verletzungen zurückzuführen sind.

Der Kläger war auch bei der E***** AG unfallversichert. Ein Versicherungsvertreter dieses Versicherungsunternehmens erstattete am auf Veranlassung des Klägers auch eine Schadensmeldung an die beklagte Partei, wobei er ein Formular der E***** Aktiengesellschaft ausfüllte. Die Schadensmeldung lautete unter anderem: "Ich half meinem Nachbarn in E***** beim Hausbau. Ich rutschte aus auf dem Gerüst, und stürzte ca 2,5 m zu Boden. Dabei zog ich mir einen Bruch im 12. Wirbel zu". Die auf dem Formular vorgesehende Frage, ob der Unfall nach Ansicht des behandelnden Arztes eine bleibende Invalidität zur Folge zu haben würde, wurde mit "ja" angkreuzt. Weiters enthält die Meldung das handschriftliche Ersuchen: "Bitte um Vormerkung um Termin einer Untersuchung".

Die beklagte Partei bestätigte mit Schreiben vom diese Schadensmeldung. Sie machte den Kläger darauf aufmerksam, daß er im Fall einer sich innerhalb eines Jahres ergebenden bleibenden Invalidität seinen daraus resultierenden Anspruch innerhalb von 15 Monaten vom Unfalltag an gerechnet geltend zu machen und mit einem ärztlichen Befund zu begründen habe und gab das Ende der Frist mit an. Weiters wurde der Kläger darauf hingewiesen, daß bei Versäumen der 15 Monatefrist der Anspruch verloren gehe.

Dieses Schreiben wurde an die Anschrift "E***** 6" adressiert, obwohl der Kläger in seiner Schadensmeldung seine Adresse mit "E***** 9" bekanntgegeben hatte (Feststellung im Rahmen der Beweiswürdigung des Urteiles des Gerichtes zweiter Instanz). Es ist nicht feststellbar, ob dieses Schreiben in den Empfangbereich des Klägers gelangt ist.

Der Kläger telefonierte zuweilen mit der Geschäftsstelle der beklagten Partei in Z***** wegen seiner Ansprüche aus dem Unfall. Er rief dort auch an, als er eine Vorladung zur Untersuchung bei dem von der E***** AG beigezogenen Sachverständigen Dr.Norbert K***** für den erhalten hatte. Der Kläger erkundigte sich, ob es in Ordnung sei, daß er von dem von der E***** AG beauftragten Sachverständigen Dr.K***** untersucht werde. Sein Gesprächspartner bejahte dies. Damals - etwa im September 1994 - erhielt der Kläger auch die Auskunft, daß ein Versicherungsberater der beklagten Partei bei ihm vorbeischauen werde, wozu es aber nicht gekommen ist. Dem Kläger wurde im Herbst 1994 anläßlich der von ihm geführten Telefonate, und zwar unter anderem auch im Zeitraum der Untersuchung durch Dr.K*****, erklärt, daß er mit dem Gutachten kommen müsse, ohne daß ihm eine Frist genannt wurde. Als der Kläger schließlich im Februar 1995 die Geschäftsstelle der beklagten Partei in Z***** aufsuchte, wurde ihm mitgeteilt, daß sein Anspruch verfristet sei. Das von Dr.K***** erstellte Gutachten brachte der Kläger der beklagten Partei erst im Zuge des nunmehrigen Verfahrens, nämlich in der Streitverhandlung vom zur Kenntnis.

Der Kläger begehrte S 122.400,-- und behauptete, daß es sich beim Unfall am um einen Freizeitunfall gehandelt habe, sodaß eine Mehrleistung von 100 % zum Tragen komme. Die AUVB 1982 enthielten keine Sanktion der Versäumung der in Art 8 II Z 2 AUVB vorgesehenen Frist. Diese Bestimmung sei im übrigen gesetzwidrig. Der Kläger sei nicht darauf hingewiesen worden, daß die Geltendmachung des Anspruches unter Vorlage eines Befundberichtes innerhalb von 15 Monaten zu erfolgen habe. Es sei ihm insbesondere kein Schreiben mit Datum zugestellt worden. Ihm sei vielmehr erklärt worden, daß er sich um nichts zu kümmern brauche; er werde von einem Versicherungsberater Besuch erhalten. Dieser Besuch habe trotz mehrfacher Urgenz des Klägers nicht stattgefunden. Eine Berufung der beklagten Partei auf die Ausschlußfrist verstoße daher gegen Treu und Glauben.

Die beklagte Partei bestritt das Begehren dem Grund und der Höhe nach. Es liege kein Freizeitunfall vor. Der Anspruch sei verfristet. Sie habe dem Kläger mit Schreiben vom ausdrücklich auf den möglichen Anspruchsverlust bei Versäumung der Frist hingewiesen.

Das Erstgericht schränkte das Verfahren auf den Grund des Anspruches ein und erklärte das Klagebegehren dem Grunde nach als zu Recht bestehend. Da in der Schadensmeldung auf die Möglichkeit einer dauernden Invalidität hingewiesen worden sei, sei die klagende Partei nach Treu und Glauben verpflichtet gewesen, den Kläger darauf hinzuweisen, daß der Unfallsschadensbericht nicht genüge, sondern daß er seine Ansprüche innerhalb von 15 Monaten vom Unfalltag an geltend machen müsse. Der Umstand, daß nicht feststellbar sei, ob das diesbezügliche Schreiben in den Empfangsbereich des Klägers gelangt sei, falle der beklagten Partei zur Last. Denn diese treffe die Behauptungs- und Beweislast für alle Umstände, die eine Anspruchsvernichtung durch Präklusion nach sich zögen, darunter auch für die negative Voraussetzung, daß sie sich nicht treuwidrig verhalten habe.

Das Gericht zweiter Instanz änderte dieses Urteil im Sinn einer Klagsabweisung ab und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Es traf nach Beweiswiederholung die oben wiedergegebene ergänzende Feststellung, daß das Schreiben der beklagten Partei vom an die Adresse "E***** 6" gerichtet war. Es führte im Rahmen der Beweiswürdigung hiezu weiters aus: "Wenn auch die Objekte E***** 6 und 9 offensichtlich benachbart gelegen sind und der Kläger im übrigen erklärte, unter der Anschrift E***** 6 seien Verwandte wohnhaft, so verringert sich hiedurch zwar die Gefahr des Nichtzuganges des Schreibens an den Kläger, sie ist allerdings auch nicht auszuschließen." Das Gericht zweiter Instanz hielt daran fest, daß nicht festgestellt werden könne, ob dieses Schreiben dem Kläger zugekommen ist.

In rechtlicher Hinsicht führte es in Übereinstimmung mit dem Erstgericht aus, daß Art 8 II Z 2 AUVB 1982 eine Präklusivfrist von 15 Monaten mit dem Zweck vorsehe, zweifelhafte Spätschäden vom Versicherungsschutz auszunehmen (SZ 61/30, 7 Ob 18/93). Im allgemeinen spiele das Verhalten des Versicherers bei der Versäumung einer Ausschlußfrist keine Rolle. Bei vertraglich vereinbarten Ausschlußfristen könne jedoch unter Umständen auf das Verhalten des Versicherers Bedacht genommen werden. So könne die Berufung auf die Ausschlußfrist durch den Versicherer dann treuwidrig sein, wenn die Fristversäumnis durch den Versicherer verursacht worden sei oder wenn sich der Versicherer nach Ablauf der Frist noch in Verhandlungen einlasse (VR 1990/188; VR 1991/235; VersE 1376 = SZ 61/48; VersE 1448). Da sich für die beklagte Partei aus der Unfallsanzeige Hinweise für Dauerfolgen ergeben hätten, habe für sie die Verpflichtung bestanden, den Beklagten auf die Notwendigkeit zur fristgemäßen Geltendmachung seines Anspruches im Sinn des Art 8 II Z 2 AUVB 1982 hinzuweisen, um sich nicht dem Einwand treuwidrigen Verhaltens auszusetzen.

Der Beweis des Eintrittes des Versicherungsfalles obliege dem Versicherungsnehmer, während die anspruchsausschließenden Tatsachen vom Versicherer zu beweisen seien (VR 1992/257). In diesem Sinne obliege dem Kläger der Beweis des Versicherungsfalles, während die beklagte Partei der Beweis für das Vorliegen eines Ausschlußtatbestandes treffe, den sie durch den Beweis der Fristversäumung durch den Kläger erbracht habe. Dem Kläger obliege nun wiederum der Beweis seiner Behauptung, die beklagte Partei habe sich treuwidrig verhalten, indem sie ihn nicht gemäß Art 8 II Z 2 AUVB 1982 belehrt habe, obgleich der Versicherungsmeldung Hinweise auf Dauerfolgen zu entnehmen zu gewesen seien. Dieser Beweis sei dem Kläger mißlungen. Der dem Kläger mißlungene Beweis seiner Behauptung, daß ihm das Schreiben vom nicht zugegangen sei, führe dazu, daß der Anspruch des Klägers zu verneinen sei. Der Vollständigkeit halber sei auch darauf hinzuweisen, daß dem Kläger weiters vorzuwerfen sei, daß er das Gutachten des Dr.K***** erstmals am vorgelegt habe, obwohl er spätestens seit Februar 1995 über den Ablauf der 15 monatigen Frist Bescheid gewußt habe. Der Versicherungsnehmer müsse jedoch unverzüglich nach der Beseitigung des Entschuldigungsgrundes für die Fristversäumnis die Geltendmachung seiner Ansprüche vornehmen.

Die Revision sei zulässig, weil weder eine Rechtsprechung zur Beweislastverteilung in einem Versicherungsfall wie dem vorliegenden vorhanden sei, noch ausdrücklich entschieden worden sei, ob der Versicherungsnehmer nach Kenntnisnahme einer auf das Verhalten des Versicherers zurückzuführenden Fristversäumnis unverzüglich die ihn treffenden Pflichten zu erfüllen habe.

Die Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Vorinstanzen zutreffend ausführten, stellt die in Art 8 II Z 2 AUVB 1982 enthaltene Frist nach ständiger Rechtsprechung eine Ausschlußfrist dar, doch kann der Versicherer dadurch, daß er sich auf diese Frist beruft, gegen Treu und Glauben verstoßen (vgl die bereits vom Gericht zweiter Instanz zitierten Belegstellen). Das Gericht zweiter Instanz hat auch richtig dargelegt, daß der Versicherer für das Vorliegen des Ausschlußtatbestandes beweispflichtig ist, daß aber die Beweispflicht dafür, daß sich der auf die feststehende objektive Versäumung der Ausschlußfrist berufende Versicherer treuwidrig verhält, den dieses behauptenden Versicherungsnehmer trifft (vgl VR 1992/257). Dieser Beweis ist dem Kläger jedoch entgegen der Ansicht des Gerichtes zweiter Instanz im vorliegenden Fall gelungen.

Der beklagten Partei war infolge der darauf hinweisenden Schadensmeldung bekannt, daß Dauerschäden behauptet werden. Obgleich die Schadensmeldung für sich allein noch nicht als Geltendmachung der Leistung für dauernde Invalidität im Sinn des Art 8 II Z 2 AUVB gewertet werden kann, mußte der beklagten Partei doch klar sein, daß der Kläger entsprechende Ansprüche erheben will (VersE 1228). Er telefonierte ja mehrmals aus diesem Grund mit der Geschäftsstelle der beklagten Partei und wies auf seine Untersuchung durch den medizinischen Sachverständigen Dr.K***** hin, wobei dieses Vorgehen von der beklagten Partei gutgeheißen wurde. Obgleich das Fristende mit bereits nahegerückt war, wurde der Kläger im Herbst 1994 bei keinem seiner Telefonate darauf hingewiesen, daß er bis ein Gutachten vorlegen müsse und daß in seinen telefonischen Vorsprachen nicht die Geltendmachung des Anspruches auf Leistung für dauernde Invalidität erblickt werde (vgl SZ 61/130; VersE 1228; Grimm, AUB2, Rz 14 zu § 7 AUB, 209). Statt dessen vertröstete die beklagte Partei den Kläger auf den Besuch eines Versicherungsberaters, von dem sich der Kläger die Durchführung entsprechender Schritte zur Wahrung seiner Ansprüche erwarten konnte. Der Kläger wartete jedoch vergebens auf diesen angekündigten Besuch.

Mit einer Mitteilung im Sinn des von der beklagten Partei verfaßten Schreibens vom hätte die beklagte Partei ihrer sie des Vorwurfes des treuwidrigen Verhaltens enthebenden Verpflichtung, den erkennbar auf Leistung dringenden und zur Durchführung der medizinischen Begutachtung gewillten Kläger auf die zur Anspruchswahrung notwendigen Voraussetzungen im Sinn des Art 8 II Z 2 AUVB hinzuweisen, entsprochen. Das Gericht zweiter Instanz hat aber festgestellt, daß das Schreiben nicht an die richtige Adresse des Klägers gerichtet war. Es kann daher auch nicht davon ausgegangen werden, daß dieses Schreiben die beklagte Partei jeglicher weiterer Verpflichtung enthob, den mehrfach wegen des Versicherungsfalles nachfragenden und schließlich mit dem Besuch eines Versicherungsberaters vertrösteten Kläger, der durch dieses Verhalten nahezu zur Fristversäumnis verleitet wurde, auf die einzuhaltende Vorgangsweise und den drohenden Fristablauf hinzuweisen. Die Tatsache der unrichtigen Adressierung einer Postsendung spricht nämlich zunächst grundsätzlich dafür, daß die Postsendung dem Adressaten nicht zugekommen ist. Es hat daher der Absender, der die unrichtige Adressierung vornimmt, seine Behauptung zu beweisen, daß das Schreiben dem Adressaten trotz der unrichtigen Anschrift ausnahmsweise dennoch zugekommen ist. Ein solcher Beweis ist der beklagten Partei aber nicht gelungen (der Umstand, daß an der falschen Adresse E***** 6 ein namensgleicher Verwandter des Beklagten wohnt, spricht ja geradezu dafür, daß die Postsendung an die Hausnummer 6 und nicht an die Hausnummer 9 zugestellt wurde und somit nicht in den Empfangsbereich des Klägers gelangt ist).

Insbesondere wegen der Ankündigung des Besuches durch einen Versicherungsberater konnte der Kläger davon ausgehen, daß sich dieser dann um die Weiterleitung des Gutachtens des medizinischen Sachverständigen Dr.K***** kümmern werde, sodaß dem Kläger auch nicht zur Last fallen kann, daß er auch den Befundbericht nicht innerhalb der 15 monatigen Frist an die beklagte Partei vorgelegt hat. Als der Kläger nach vergeblichem Warten auf den Versicherungsberater schließlich persönlich bei der beklagten Partei vorsprach und nun erfahren mußte, daß die beklagte Partei eine Deckung wegen Versäumung der Frist des Art 8 II Z 2 AUVB ablehne, mußte es dem Kläger sinnlos erscheinen, nunmehr den Befundbericht an die beklagte Partei zu übermitteln (insoweit ist der vorliegende Sachverhalt nicht mit jenem der Entscheidung VersE 1228 zugrundeliegenden Sachverhalt vergleichbar). Aufgrund der Ablehnung der Leistungspflicht seitens der beklagten Partei blieb dem Kläger nur mehr die Möglichkeit der Klagsführung, von der er auch weit innerhalb der Jahresfrist des § 12 Abs 3 VersVG - obwohl die Ablehnung offenbar keinen Hinweis auf die mit dem Ablauf dieser Frist verbundenen Rechtsfolgen im Sinn des § 12 Abs 3 VersVG enthielt - Gebrauch machte.

Es war daher die Entscheidung des Gerichtes erster Instanz wiederherzustellen, wobei darauf hinzuweisen ist, daß damit weder die Frage des Ausmaßes der Invalidität des Klägers noch die Frage, ob ein Freizeitunfall vorliegt, beantwortet ist.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 393 Abs 4, 52 Abs 2 ZPO.