OGH vom 03.05.2011, 10Ob1/11m
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen M*****, geboren am , vertreten durch das Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger (Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie Rechtsvertretung, Bezirk 21, 1210 Wien, Am Spitz 1), wegen Unterhaltsvorschuss, infolge Revisionsrekurses des Vaters D*****, vertreten durch Dr. Gernot Nachtnebel, Rechtsanwalt in Wien, als Kurator, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 42 R 96/10v 38, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom , GZ 2 PU 134/09p 24, teilweise abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Mit rechtskräftigem Beschluss des Erstgerichts vom (vgl ON 4) wurde festgestellt, dass D***** der uneheliche Vater des minderjährigen M***** (nunmehr L*****) ist. Daraufhin wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom das seit wegen der Feststellung der Vaterschaft unterbrochene Unterhaltsfestsetzungsverfahren fortgesetzt.
Am stellte der Jugendwohlfahrtsträger den Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 4 Z 2 UVG mit der Begründung, dass eine Festsetzung des Unterhaltsbeitrags aus Gründen auf Seite des Unterhaltsschuldners nicht möglich sei, da sich dieser voraussichtlich in Großbritannien aufhalte und aufgrund seiner mangelnden Kooperation seine Leistungsfähigkeit nicht überprüft werden könne.
Das Erstgericht wies den Antrag auf Unterhaltsbevorschussung im Wesentlichen mit der Begründung ab, die Leistungsfähigkeit des Vaters, der Student sei und in Großbritannien wohne, werde im anhängigen Unterhaltsverfahren geprüft und könne daher derzeit noch nicht festgestellt werden.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Minderjährigen teilweise Folge und bewilligte Unterhaltsvorschüsse nach § 4 Z 2 UVG in Höhe von 105,40 EUR monatlich für die Zeit vom bis . Die Bewilligung eines vorläufigen Unterhalts gemäß § 382a EO in Höhe von 105,40 EUR monatlich ab durch den ebenfalls im gegenständlichen Verfahren ergangenen Beschluss des Rekursgerichts vom , 42 R 529/09v, stehe einer Gewährung der beantragten Unterhaltsvorschüsse nach § 4 Z 2 UVG nicht entgegen. Die Voraussetzungen für eine Unterhaltsvorschussgewährung nach dieser Gesetzesstelle seien gegeben, da der Unterhaltsschuldner unbekannten Aufenthalts in Großbritannien sei und seine näheren Lebensverhältnisse nicht geklärt seien. Es müsse nach der Aktenlage davon ausgegangen werden, dass die Schaffung eines Unterhaltstitels in einem dem Unterhaltszweck angemessenen Zeitraum nicht gelingen werde. Dem Minderjährigen würden daher gemäß § 6 Abs 2 Z 1 UVG Unterhaltsvorschüsse in Höhe von einem Viertel, ab in Höhe von 35 % des Richtsatzes für pensionsberechtigte Halbwaisen zustehen. Nach Ansicht des Rekursgerichts sei es im vorliegenden Fall jedoch nicht gerechtfertigt, die Leistungsfähigkeit des Vaters als Student zur Zahlung eines höheren Unterhalts als 105,40 EUR monatlich als gegeben anzunehmen. Nur in diesem Ausmaß erscheine eine Unterhaltsfestsetzung als realistisch. Nach Ansicht der Rechtsprechung seien die Richtsatzquoten des § 6 Abs 2 UVG auch in den Fällen des § 4 Z 2 letzter Halbsatz UVG nur als Obergrenzen anzusehen.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs im Hinblick auf die aufgezeigte Rechtsfrage betreffend den Maßstab einer offenbaren Leistungsunfähigkeit iSd § 4 Z 2 letzter Halbsatz UVG zulässig sei.
Das unterhaltsberechtigte Kind wie auch der Bund, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, ließen diese Entscheidung unbekämpft.
Der Revisionsrekurs des Unterhaltsschuldners, vertreten durch den für ihn bestellten Kurator, ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
1. Die vom Rekursgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage ist hier ohne Bedeutung, weil die Abweisung des über den vorläufigen Unterhalt nach § 382a EO hinausgehenden Mehrbegehrens auf die Höhe des Richtsatzvorschusses nicht angefochten wurde.
2. Die Richtigkeit der Rechtsansicht des Rekursgerichts, dass die Bewilligung eines vorläufigen Unterhalts gemäß § 382a EO der Gewährung der beantragten Unterhaltsvorschüsse nach § 4 Z 2 UVG nicht entgegensteht, wird mit Recht auch im Revisionsrekurs nicht in Zweifel gezogen (vgl dazu auch Neumayr in Schwimann , ABGB³ § 4 UVG Rz 56 mwN).
3. Die Vorschussgewährung nach § 4 Z 2 erster Fall UVG setzt voraus, dass die Festsetzung des Unterhaltsbeitrags überhaupt aus Gründen auf Seite des Unterhaltsschuldners nicht gelingt. Überdies darf es nicht offenbar sein, dass der Unterhaltsschuldner zu einer Unterhaltsleistung außer Stande ist.
3.1 § 4 Z 2 erster Fall UVG bewirkt somit, dass ein Unterhaltsberechtigter mit seinem Vorschussantrag grundsätzlich nicht bis zur Erledigung des Titelverfahrens zuwarten muss, wenn durch Umstände, die auf Seite des Unterhaltsschuldners liegen, eine Unterhaltsfestsetzung in einer mit dem Unterhaltszweck unangemessenen Weise verzögert oder verhindert wird. Diese Umstände können sich auch erst während des laufenden Titelverfahrens ergeben. Grundsätzlich muss der Unterhaltsberechtigte alles für eine Unterhaltsfestsetzung Erforderliche und Zumutbare unternehmen. Nach der Intention des Gesetzes sollen Vorschüsse im Wesentlichen dann gewährt werden können, wenn der Unterhaltsschuldner unbekannten Aufenthalts ist und/oder Ungewissheit über seine Lebensverhältnisse herrscht, weil in diesen Fällen ein Beweisdefizit besteht, indem der für die Unterhaltsbemessung entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht ermittelt werden kann ( Neumayr aaO § 4 UVG Rz 29 und 37 mwN).
Wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, hindern der unbekannte Aufenthalt und ungeklärte Lebensverhältnisse des Unterhaltsschuldners die Bevorschussung nicht, weil Vorschüsse nach dem Willen des Gesetzgebers gerade dann gewährt werden sollen, wenn ein Antrag auf Unterhaltsfestsetzung erfolglos blieb oder aus Gründen in der Person des Unterhaltsschuldners von vornherein mangels realistischer Erfolgsaussicht nicht gestellt wurde (7 Ob 243/05v mwN). Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, dass aufgrund der derzeitigen Aktenlage davon ausgegangen werden müsse, dass eine endgültige Unterhaltsfestsetzung im Hinblick auf den unbekannten Aufenthalt und die ungeklärten Lebensverhältnisse des Unterhaltsschuldners in einer dem Unterhaltszweck angemessenen Zeit nicht gelingen werde, steht mit den in der zitierten Rechtsprechung dargestellten Grundsätzen im Einklang. Die vom Kurator im Revisionsrekurs geforderte Einschaltung eines Detektivs zur Ausforschung des Aufenthaltsorts des Unterhaltsschuldners stellt keine dem unterhaltsberechtigten Kind zumutbare Maßnahme dar.
3.2 Die Vorschussleistung nach § 4 Z 2 UVG soll nur dann ausgeschlossen sein, wenn der Unterhaltsschuldner „offenbar“ zur Unterhaltsleistung bzw zur Leistung des höheren Unterhalts nicht im Stande ist. Auch eine Bevorschussung nach § 4 Z 2 UVG setzt voraus, dass der Unterhaltsschuldner an sich in der Lage ist, Unterhalt zu leisten. Die Leistungsunfähigkeit müsste sich auf der eingeschränkten Beweisgrundlage des § 11 Abs 2 UVG durch einen positiven Beweis ergeben. Ein Beweisdefizit und Zweifel über die Leistungsfähigkeit machen die Unfähigkeit nicht offenbar und stehen daher der Bevorschussung nicht entgegen ( Neumayr aaO § 4 UVG Rz 44 f mwN; SZ 63/95 ua).
Die Auffassung des Rekursgerichts, von einer offenbaren Leistungsunfähigkeit des unehelichen Vaters könne hier nicht ausgegangen werden, stellt eine Einzelfallbeurteilung dar und steht mit dieser Rechtsprechung im Einklang. Auch der für ihn bestellte Kurator, der naturgemäß (unbekannter Aufenthalt des Unterhaltsschuldners im Ausland) bisher außer Stande war, mit dem unehelichen Vater Kontakt aufzunehmen, konnte keine Gesichtspunkte aufzeigen, die das Rekursgericht bei seiner Beurteilung nicht schon beachtet hätte (vgl 6 Ob 292/02p). Es geht vielmehr der Kurator in seinem Rechtsmittel auch selbst ausdrücklich davon aus, dass eine „offenbare“ Leistungsunfähigkeit des Unterhaltsschuldners nicht vorliegt.
Der Revisionsrekurs wird daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.