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VfGH vom 20.02.2014, B1021/2013

VfGH vom 20.02.2014, B1021/2013

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen mangelnder Aufklärung über Art und Ausmaß seines Honoraranspruchs sowie beleidigender Äußerungen in Schriftsätzen an die Staatsanwaltschaft Feldkirch

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

II. Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt in Vorarlberg. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Vorarlberg vom wurde er schuldig erkannt, die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes dadurch begangen zu haben, dass er 1. nicht über die Bemessungsgrundlage für sein Honorar und das voraussichtliche Ausmaß seines Honoraranspruches aufgeklärt hat, 2. ein überhöhtes Honorar in Rechnung gestellt hat und 3. in einem Enthaftungsantrag die Formulierung dass "eine Tötungsabsicht völlig an den Haaren herbeigezogen" sei und "es hiezu schon eine geradezu 'perverse' Fantasie brauche, um eine Tötungsabsicht zu konstruieren" verwendet hat sowie in einem Einspruch der Staatsanwaltschaft Feldkirch "Fehlen eines Mindestmaßes an Kombinationsvermögen bzw. die ersichtliche Unwilligkeit bei den ermittelnden Organen der Staatsanwaltschaft Feldkirch" und "mangelnd[e] Objektivität oder Arbeitsscheu der zuständigen Organe der Staatsanwaltschaft Feldkirch" vorwarf. Über den Beschwerdeführer wurde daher eine Geldbuße in Höhe von € 5.000,– verhängt.

2. Mit als Bescheid zu wertendem Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Diszi plinarkommission (im Folgenden: OBDK) vom wurde der dagegen erhobenen Berufung insofern Folge gegeben, als der Beschwerdeführer vom Vorwurf zu Punkt 2. freigesprochen wurde. Im Übrigen wurde der Berufung keine Folge gegeben. Die Geldbuße wurde in Höhe von € 4.500,– (neu) festgesetzt.

Begründend führt die OBDK aus, eine Information über die zu erwartenden Kosten sei im vorliegenden Fall insbesondere geboten gewesen, weil sich der Vertragspartner der Mandanten des Beschwerdeführers zur Übernahme der Kosten für das Tätigwerden des Beschwerdeführers verpflichtet habe und seine Honorarvorstellungen weit von jenen dieses Vertragspartners abwichen. Der Beschwerdeführer habe somit die aus § 9 Rechtsanwaltsordnung (im Folgenden: RAO) erfließende Aufklärungspflicht verletzt. Zu den Äußerungen in Schriftsätzen an die Staatsanwaltschaft Feldkirch wird ausgeführt, dass diese Äußerungen auch durch § 9 Abs 1 RAO und Art 10 EMRK nicht gedeckt seien. Die Beweiswürdigung des Disziplinarrates sei einwandfrei und könne der Beschwerdeführer durch sein Berufungsvorbringen daran keine Zweifel erwecken. Bei der Strafbemessung sei einerseits zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer bisher disziplinarrechtlich nicht bestraft worden sei, anderseits aber, dass die von ihm gesetzten Handlungen einer entsprechenden Sanktion bedürften.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art 144 B-VG in der mit in Kraft getretenen Fassung iVm Art 151 Abs 51 Z 9 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verfassungswidrigkeit von § 54 Abs 5 Disziplinarstatut für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im Folgenden: DSt) behauptet und die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Freiheit der Meinungsäußerung, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Freiheit der Erwerbsbetätigung, auf Unversehrtheit des Eigentums sowie in den durch Art 6 Abs 2 EMRK und Art 7 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet wird.

4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Beschwerdeausführungen entgegentritt und die Ab weisung der Beschwerde beantragt.

II. Rechtslage

§54 Disziplinarstatut für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter, BGBl 474/1990, lautet:

"§54. (1) Eine verspätete oder unzulässige Berufung oder eine Berufung, die keine Erklärung im Sinn des § 49 enthält, ist ohne mündliche Verhandlung mit Beschluß zurückzuweisen.

(2) Ist die Erhebung des Sachverhalts oder das Verfahren mangelhaft, sodaß es ganz oder zum Teil wiederholt oder ergänzt werden muß, und nimmt die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission die Beweisaufnahme und die Verfahrens ergänzungen weder selbst vor, noch läßt sie sie vornehmen (§52), so hat sie das Erkenntnis des Disziplinarrats ganz oder zum Teil aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an den Disziplinarrat zurückzuverweisen.

(3) In allen anderen Fällen hat die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, das Erkenntnis in jeder Richtung zu ändern, zum Nachteil des Beschuldigten jedoch nur im Umfang der Anfechtung.

(4) Ist die Berufung lediglich zugunsten des Beschuldigten ergriffen worden, so darf weder die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission noch im Fall einer Zurückverweisung der Disziplinarrat eine strengere Strafe als in dem angefoch tenen Erkenntnis verhängen.

(5) Das Erkenntnis hat den Ausspruch über die Pflicht des Beschuldigten zum Ersatz der Kosten des Verfahrens zu enthalten."

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Der Beschwerdeführer behauptet die Verfassungswidrigkeit des § 54 Abs 5 DSt, weil er im Falle eines Freispruches keinen Kostenersatz an den Disziplinarbeschuldigten vorsehe. Dies verletze wegen des ihm entstandenen Aufwandes und Verdienstausfalles die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Freiheit der Erwerbsbetätigung und Unversehrtheit des Eigentums sowie das Verbot der Zwangs- und Pflichtarbeit.

Im Erkenntnis VfSlg 19.193/2010 hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass gegen § 54 Abs 5 DSt keine Bedenken bestehen. Auch auf Grund des vorliegenden Falles sind insbesondere im Hinblick darauf, dass dem nicht vertretenen Beschwerdeführer keine Verfahrenskosten entstanden sind, keine Bedenken gegen diese Bestimmung entstanden.

Da der Verfassungsgerichtshof auch gegen andere dem Bescheid zugrunde liegende Bestimmungen keine Bedenken hegt, wurde der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid nicht in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt.

2. Der Beschwerdeführer bringt vor, der angefochtene Bescheid verletze ihn im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung.

Nach Art 10 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Vom Schutzumfang dieser Bestimmung, die das Recht der Freiheit der Meinung und der Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten und Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden einschließt, werden sowohl reine Meinungskundgaben als auch Tatsachenäußerungen, aber auch Werbemaßnahmen erfasst. Art 10 Abs 2 EMRK sieht allerdings im Hinblick darauf, dass die Ausübung dieser Freiheit Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, die Möglich keit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen vor, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes und der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten oder zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung notwendig sind.

Ein verfassungsrechtlich zulässiger Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung muss sohin, wie auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ausgesprochen hat (s. zB EGMR , Fall Sunday Times , Appl. 6538/74, EuGRZ 1979, 390; , Fall Barthold , Appl. 8734/79, EuGRZ 1985, 173), gesetzlich vorgesehen sein, einen oder mehrere der in Art 10 Abs 2 EMRK genannten rechtfertigenden Zwecke verfolgen und zur Erreichung dieses Zweckes oder dieser Zwecke "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sein (vgl. VfSlg 12.886/1991, 14.218/1995, 14.899/1997, 16.267/2001 und 16.555/2002).

Ein Bescheid, der in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung eingreift, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes u.a. dann verfassungswidrig, wenn ein verfassungs mäßiges Gesetz denkunmöglich angewendet wurde. Eine denkunmögliche Anwendung liegt auch vor, wenn die Behörde dem Gesetz fälschlicherweise einen verfassungswidrigen – hier also: die besonderen Schranken des Art 10 EMRK missachtenden – Inhalt unterstellt (VfSlg 10.700/1985, 12.086/1989, 13.922/1992, 13.612/1993, 16.558/2002; ).

Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Der belangten Behörde kann aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden, wenn sie die Äußerungen des Beschwerdeführers in an die Staatsanwaltschaft Feldkirch gerichteten Schrift sätzen als beleidigendes und abqualifizierendes Vorbringen wertet.

Der Beschwerdeführer wurde daher nicht im verfassungsgesetzlich gewährleis teten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt.

3. Der Beschwerdeführer behauptet, der angefochtene Bescheid verletze ihn im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie in dem aus Art 7 EMRK erfließenden verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht.

Das Fehlen eines konkretisierten Vorwurfs, worin die Verletzung von Berufspflichten bzw. von Ehre und Ansehen des Standes zu erblicken sei, belastet einen Bescheid mit Willkür (vgl. VfSlg 11.776/1988). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Die belangte Behörde begründet das Vorliegen des disziplinären Vorwurfs damit, dass der Beschwerdeführer in der gegebenen Situation verpflichtet gewesen wäre, die gebotene Aufklärung über Art und Ausmaß seines Honorar anspruches zu erteilen und beurteilt das Verhalten des Beschwerdeführers in verfassungsrechtlich vertretbarer Weise als Verletzung der sich aus § 9 RAO ergebenden Aufklärungspflicht. Die belangte Behörde hat sich bei dieser Beurteilung auch im Rahmen dessen gehalten, was bei vernünftiger Interpretation dieser Bestimmung für den Beschwerdeführer erkennbar sein musste, nämlich, dass er sich durch sein Verhalten dem Risiko einer Bestrafung aussetzt (vgl. zB VfSlg 16.168/2001 mwN).

Auch sonst ist der angefochtene Bescheid ausreichend begründet. Die belangte Behörde legt nachvollziehbar dar, dass einerseits im vorliegenden Fall die Aufklärung über den Honoraranspruch erforderlich gewesen wäre und anderseits, dass die Äußerungen des Beschwerdeführers in den Schriftsätzen an die Staatsanwaltschaft Feldkirch keine auf Tatsachensubstrat beruhende Kritik darstellen, sondern sich in einem ausschließlich beleidigenden und abqualifizierenden Vorbringen erschöpfen.

Die behauptete Verletzung von Art 7 EMRK bzw. des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz liegt sohin nicht vor.

Soweit der Beschwerdeführer behauptet, im verfassungsgesetzlich gewährleis teten Recht gemäß Art 6 Abs 2 EMRK verletzt zu sein, weil die belangte Behörde sich mit der Schuldfrage nicht auseinander gesetzt habe, ist Folgendes auszuführen: Die Unschuldsvermutung gemäß Art 6 Abs 2 EMRK gebietet, dass die Be hörde dem Beschuldigten die Begehung der ihm vorgeworfenen Tat nachweist. Eine Überwälzung der Beweislast auf den Beschuldigten in der Form, dass dieser seine Unschuld nachweisen muss, ist demnach unzulässig (vgl. EGMR , Fall Telfner , Appl. 33.501/96, ÖJZ2001, 613; , Fall Krumpholz , Appl. 13.201/05, ÖJZ2010, 782; VfSlg 5231/1966, 8111/1977, 11.195/1986, 12.454/1990). Dieser Vorwurf kann der belangten Behörde nicht gemacht werden. Sie weist dem Beschwerdeführer die Tatbegehung insofern nach, als sie im Hinblick auf die Vorwürfe gegenüber der Staatsanwaltschaft Feldkirch auf die entsprechenden Schriftsätze verweist und sich im Hinblick auf die Aufklärung der ********* ******** ********* ** über das Ausmaß seines Honoraranspruches mit der Beweiswürdigung des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Vorarlberg auseinander setzt. Sie kommt dabei zu dem Schluss, dass diese Beweis würdigung nachvollziehbar sei.

Eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art 6 Abs 2 EMRK hat daher nicht stattgefunden.

4. Auch eine Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Freiheit der Erwerbsbetätigung sowie auf Unversehrtheit des Eigentums hat aus diesen Überlegungen nicht stattgefunden.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

2. Das Verfahren hat nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.

3. Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde – wie im vorliegenden Fall – gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art 133 Z 4 B VG in der mit in Kraft getretenen Fassung iVm Art 151 Abs 51 Z 9 B-VG richtet, die beim Verwaltungsge richtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).

4. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

5. Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof ist abzuweisen, weil die OBDK als Kollegialbehörde gemäß Art 133 Z 4 B-VG in der mit in Kraft getretenen Fassung iVm Art 151 Abs 51 Z 9 B VG eingerichtet ist und die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes gesetzlich nicht vorgesehen ist (vgl. Punkt IV.3.). Da die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts hofes somit ausgeschlossen ist, kommt eine Abtretung gemäß Art 144 Abs 3 B VG in der mit in Kraft getretenen Fassung iVm Art 151 Abs 51 Z 9 B VG nicht in Betracht (vgl. VfSlg 11.954/1989).

6. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG in der mit in Kraft getretenen Fassung iVm Art 151 Abs 51 Z 9 B VG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.