OGH vom 24.05.1996, 8Ob2017/96t
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag, Dr.Langer, Dr.Rohrer und Dr.Adamovic als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Helene S*****, vertreten durch Dr.Gerd Hartung, Rechtsanwalt in Wien, und 2. Verlassenschaft nach Wilhelmine K*****, hinsichtlich der das Verfahren unterbrochen ist, wider die beklagte Partei Herta G*****, vertreten durch Dr.Erich Trachtenberg, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Erbrechtsklage, Streitwert S 152.676 sA), infolge Revision der erstklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom , GZ 13 R 192/95-60, womit infolge Berufung der erstklagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 17 Cg 61/93b-55, bestätigt wurde, den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Helene S***** und die (inzwischen verstorbene) Wilhelmine K***** sind die Schwestern des am verstorbenen Karl S*****. Die Beklagte war seine langjährige Lebensgefährtin. Der Erblasser wurde von der Beklagten bis zu seiner Spitalseinweisung, die medizinisch indiziert und von der Beklagten nicht beeinflußbar war, zu Hause gepflegt. Mit seinen beiden Schwestern hatte der Erblasser kaum Kontakt.
Das klagsgegenständliche Testament wurde vom Erblasser mit dem Willen, ein Testament zu errichten, eigenhändig verfaßt und unterschrieben. Er war dabei in der Lage, den Testiervorgang zu erkennen und in seiner freien Willensbildung nicht eingeschränkt. Bei der Erstellung des Testamentes wurde ihm weder die Hand geführt noch gestützt. Das Testament wurde nicht in einem Zuge verfaßt, es besteht aus zwei Blättern, enthält die Enterbung seiner Verwandten und eine Erbeinsetzung der Beklagten mit dem Beisatz "nur wenn sie mich pflegt, da ich nicht im Spital sterben will".
Helene S***** und Wilhelmine K*****, denen vom Verlassenschaftsgericht die Klägerrolle zugewiesen wurde, begehrten die Feststellung, daß das schriftliche Testament des Erblassers ungültig sei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren, soweit es die Erstklägerin betrifft, ab. Hinsichtlich der inzwischen verstorbenen Zweitklägerin ist das Verfahren ex lege unterbrochen. Das Erstgericht ging davon aus, daß das Testament vom Erblasser eigenhändig geschrieben und unterschrieben sowie frei von Willensmängeln verfaßt wurde und daher gültig sei.
Das Berufungsgericht übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung; es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,- übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die außerordentliche Revision der erstklagenden Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im klagsstattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt.
Die Erstklägerin begründet die Zulässigkeit ihrer Revision damit, daß neuere oberstgerichtliche Judikatur zur Frage fehle, ob eine in einer letztwilligen Verfügung auferlegte mögliche und erlaubte Bedingung genau zu erfüllen sei und es auf den Grund der Vereitelung nicht ankomme (so GlU 1.043, 2.666, 15.660) oder Gegenteiliges gelte, wovon die Vorinstanzen offensichtlich ausgegangen seien; dies sei aber im Hinblick auf § 699 ABGB unrichtig.
Mit diesen Ausführungen führt zwar die Erstklägerin einen im wesentlichen neuen Gesichtspunkt ins Verfahren ein, der aber zulässig ist, weil hiefür kein ergänzendes Tatsachenvorbringen erforderlich ist, da er ausschließlich eine Rechtsfrage betrifft, und die Rechtsrüge im Berufungsverfahren ordnungsgemäß ausgeführt wurde.
Neuere veröffentlichte oberstgerichtliche Judikatur fehlt zwar, doch hatte der Oberste Gerichtshof in seiner unveröffentlichten Entscheidung vom , 1 Ob 681/77, einen nahezu identischen Sachverhalt zu lösen: Dort sollte die Klägerin ein bestimmtes Vermächtnis (Eigentumswohnung) nur unter der Bedingung erhalten, daß sie die Erblasserin bis zu ihrem Ableben ordentlich pflegt und betreut. Folgt man der in dieser Entscheidung vertretenen Rechtsansicht, ist die Entscheidung des Berufungsgerichtes hiemit nicht vereinbar.
Der Oberste Gerichtshof führte in seiner vorgenannten Entscheidung aus, daß der wahre Wille des Erblassers zu erforschen sei. Hiebei stelle die letztwillige Anordnung nicht die einzige Quelle der Auslegung dar; es seien auch außerhalb dieser Anordnung liegende Umstände aller Art, sonstige mündliche oder schriftliche Äußerungen sowie ausdrückliche oder konkludente Erklärungen des Erblassers zur Auslegung heranzuziehen. Allerdings müsse diese Auslegung in der Verfügung irgendeinen, wenn auch noch so geringen Anhaltspunkt finden; sie dürfe dem in der Verfügung unzweideutig ausgedrückten Willen des Erblassers nicht zuwider laufen. Die Erklärung der Erblasserin sei nicht so eindeutig. Durch das Vermächtnis sollte die Erfüllung des Wunsches der Erblasserin, bis zu ihrem Ableben in ihrer Wohnung zu bleiben, ermöglicht und im Bedarfsfall ihre Pflege und Betreuung bis zu ihrem Lebensende durch die Klägerin gesichert werden. Darüber, ob die dem Vermächtnis beigesetzte Bedingung auch dann gelten solle, wenn sich der dem Vermächtnis zugrundeliegende Wunsch der Erblasserin nach dem Verbleib in ihrer Wohnung bis zu ihrem Lebensende aus anderen Gründen als mangelnder Pflege durch die Klägerin, etwa der medizinisch gebotenen Notwendigkeit einer Spitalseinweisung, als undurchführbar erweisen sollte, enthalte das Testament keine ausdrückliche Anordnung. Dieser Wille zur Zeit der Testamentserrichtung müßte erforscht werden; ebenso, ob die Erblasserin nach der Änderung der Verhältnisse (Spitalseinweisung) direkt oder indirekt auch ihren Willen zur Aufrechterhaltung oder Hinfälligkeit des Legates bekundet habe. Sollte sich der wahre Wille der Erblasserin nicht ermitteln lassen, weil sie den tatsächlichen Ablauf der weiteren Verhältnisse nicht Bedacht habe, und sollten auch spätere Äußerungen, wie sie die Bedingung verstanden wissen wollte, nicht feststellbar sein, habe die hypothetische Auslegung Platz zu greifen. Es sei zu beurteilen, was die Erblasserin gewollt hätte, wenn sie zur Zeit der Errichtung der letztwilligen Erklärung vorausschauend die Lage bedacht hätte, wie sie sich in der Folge dargestellt habe. Zu prüfen sei auch, ob die Klägerin nach der Spitalseinweisung eine weitere ihr mögliche Pflege und Betreuung abgelehnt habe. § 699 ABGB könne bei der Erforschung des (hypothetischen) Willens der Erblasserin keine Hilfe abgeben, weil diese Bestimmung keine Auslegungsregel für Bedingungen letztwilliger Verfügungen enthalte, sondern nur klarstellen wolle, daß die Erfüllung von Bedingungen in der Regel nur genau dem Willen des Erblassers entsprechend, nicht aber in äquivalenter Weise möglich sei.
Der erkennende Senat schließt sich dieser auch von der Lehre geteilten Auslegung des § 699 ABGB (vgl Welser in Rummel ABGB I2 Rz 1 zu § 699) und den weiteren Ausführungen in der genannten Entscheidung an. Hieraus folgt für den vorliegenden Fall, daß die Entscheidungen der Vorinstanzen zur Erforschung des wahren Willens des Erblassers aufzuheben waren. Zu klären ist, ob die Erbseinsetzung auch dann gelten sollte, wenn sich der der Erbseinsetzung zugrundeliegende Wunsch des Erblassers nach einem Verbleib in seiner Wohnung bis zu seinem Lebensende aus anderen Gründen als wegen mangelnder Pflege durch die Beklagte, etwa der medizinisch gebotenen Notwendigkeit einer Spitalseinweisung, als undurchführbar erweisen sollte.
Auf die übrigen Revisionsausführungen ist nicht einzugehen; sie stellen lediglich eine im Revisionsverfahren unzulässige Bekämpfung der Beweiswürdigung dar.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.