OGH vom 29.04.2003, 10Ob1/03z
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Renate G*****, Hausfrau, ***** vertreten durch Dr. Hans Otto Schmidt, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei ***** Krankenanstalt*****, vertreten durch Dr. Johannes Liebmann, Rechtsanwalt in Gleisdorf, wegen 65.405,55 EUR s. A. und Feststellung (7.267,28 EUR), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom , GZ 5 R 141/02y-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 18 Cg 206/01s-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Bei der Klägerin wurde am im Landeskrankenhaus ***** wegen Vorliegens eines Uterus myomatosus eine Entfernung der Gebärmutter ohne Eierstöcke durchgeführt. Die Klägerin war am Vorabend der Operation durch die Anästhesistin darüber informiert worden, dass sie zwei Blutkonserven erhalten würde. Bei der Operation wurde der Klägerin eine Blutkonserve verabreicht, die von einem Hepatitis C-positiven Spender stammte. Nach der Operation war die Klägerin laufend bei mehreren Ärzten zur Untersuchung und Kontrolle. Im Zuge einer solchen Untersuchung wurden bei der Klägerin 1993 erhöhte Leberwerte sowie eine Hepatitis A-Infektion festgestellt. Diese Diagnose teilte die Klägerin 1994 auch dem Arzt mit, der seinerzeit die Uterusoperation durchgeführt hatte, der ihr erklärte, „dass dies leider passieren könne". Der Klägerin war aufgrund dieses Gesprächs klar, dass sie sich die Hepatitis A-Infektion durch die Blutkonservenverabreichung zugezogen hat.
Im Jahr 1995 wurde festgestellt, dass die Klägerin neben Hepatitis A auch mit Hepatitis C infiziert ist und eine chronische Form vorliegt, weiters dass die Leber schon vergrößert und geschädigt war. Diese Diagnose brachte die Klägerin ebenfalls mit der Verabreichung der Blutkonserven bei der Operation in Verbindung. Ihr waren damals die Zusammenhänge verständlich, zumal sie sich keiner Risikogruppe zugehörig wusste. Der Klägerin wurden von ihrer Hausärztin die Konsequenzen der Diagnose erklärt. Insbesondere hat die Hausärztin der Klägerin gegenüber auch eine Verlaufsprognose abgegeben, dass sich Hepatitis C in Richtung Leberzirrhose und Leberkrebs entwickeln könne.
Die Klägerin konnte die gesamte Tragweite der Situation und die Folgen der Infektion anfangs noch nicht annehmen; sie ließ die dramatische Nachricht nicht an sich heran und verdrängte sie. Die nähere Auseinandersetzung mit der Krankheit erfolgte bei der Klägerin erst später, insbesondere als sie durch Medienberichte über Plasmaspenderfälle auf die ganze Problematik aufmerksam wurde. Sie setzte sich mit einer Selbsthilfegruppe in Verbindung und nahm Kontakt mit dem Leiter der Hepatitis C-Liga auf, der die Klägerin über mögliche Schadenersatzansprüche informierte, an die die Klägerin bis dahin nicht gedacht hatte.
Am hat die Klägerin gegen die beklagte Krankenhausträgerin eine Klage eingebracht, die auf Leistung von 65.405,55 EUR s.A. und Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle Schäden, die aus der anlässlich der Bluttransfusion durch Verschulden der beklagten Partei hervorgerufenen Erkrankung an Hepatitis C noch entstehen, gerichtet ist. Die Klägerin stützt ihren Anspruch in erster Linie darauf, dass sie nicht über die (damals bereits bekannten) Risiken einer Bluttransfusion und die Möglichkeit einer Eigenblutvorsorge aufgeklärt worden sei. Gerade über die letztgenannte Möglichkeit sei sie erst im Jahr 2000 informiert worden, und frühestens ab damals könne erst die Verjährungsfrist laufen.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Die Klägerin habe auch als medizinische Laiin bereits im Jahr 1994 Kenntnis vom Ursachenzusammenhang zwischen der Verabreichung der Blutkonserven und der Hepatitis A-Infektion gehabt. Auch als sie letztlich im Jahr 1995 die Hepatitis C-Infektion diagnostiziert bekommen habe, habe sie den Konnex hergestellt. Damals habe sie auch Kenntnis vom Schaden (der bereits vorliegenden Vergrößerung und Schädigung der Leber) und möglichen Spätschäden erhalten. Letztlich habe sie auch den vermeintlichen Schädiger, nämlich die Ärzte oder die Blutbank der beklagten Partei gekannt, der ein allfälliges schuldhaftes Verhalten zuzurechnen sei. Dieser Wissensstand der Klägerin habe objektiv ausgereicht, um eine Klage mit konkreten Aussichten auf Erfolg einzubringen. Wenngleich der Klägerin allenfalls unklar gewesen sei, dass sie daraus auch schadenersatzrechtliche Ansprüche geltend machen könne, könne dadurch der Beginn des Fristenlaufs des § 1489 ABGB ebenso wenig hinausgeschoben werden wie durch den Umstand, dass die Klägerin die Krankheit lange Zeit verdrängt habe. Die Dreijahresfrist des § 1489 ABGB habe somit 1995 zu laufen begonnen und so zum Zeitpunkt der Klagseinbringung jedenfalls bereits abgelaufen gewesen. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Für eine erfolgreiche Klage, gestützt auf die Rechtswidrigkeit des Eingriffs mangels entsprechender Aufklärung, genüge schon die Kenntnis, dass mit der Verabreichung von Blutkonserven das Risiko einer Infektion verbunden sei. Von diesem Risiko, das sich bei ihr verwirklicht habe, habe die Klägerin aber in Ansehung der Hepatitis A-Infektion schon 1994 und in Ansehung der Hepatitis C-Infektion schon 1995 Kenntnis erlangt. Eine auf mangelnde Aufklärung gestützte Klage hätte daher - bei zeitgleicher Kenntnisnahme von den gesundheitlichen Schäden - schon ab diesen Zeitpunkten eingebracht werden können. Dass mit der Verabreichung von Blutkonserven Risiken verbunden seien habe die Klägerin schon durch die Äußerung des seinerzeit operierenden Arztes „so etwas könne bedauerlicherweise passieren" erfahren; überdies habe sie die Verbindung ihrer sich immer stärker ausprägenden Krankheit mit der Verabreichung von Blutkonserven anlässlich ihrer 1989 stattgefundenen Operation selbst hergestellt. Dieses tatsächliche Wissen habe bereits genügt, um den Beginn der Verjährungsfrist auszulösen. Rechtsunkenntnis über daraus ableitbare mögliche Ansprüche hindere den Beginn des Laufes der Verjährungsfrist nicht.
Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, da zur Frage der den Verjährungsbeginn nach § 1489 auslösenden Umstände eine ausreichende gefestigte Rechtsprechung existiere.
Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der klagenden Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt. Die beklagte Partei beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision der klagenden Partei zu verwerfen bzw ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, da dieses von den von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen zum Beginn der Verjährungsfrist nach § 1489 abgewichen ist. Die Revision ist auch im Sinne einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen berechtigt.
Die - hier maßgebliche - dreijährige Frist des § 1489 Satz 1 ABGB
beginnt zu laufen, wenn dem Geschädigten der Schade und die Person
des Beschädigers bekannt geworden sind. Lehre und Rechtsprechung
legen diese Bestimmung dahin aus, dass die Verjährung beginnt, wenn
der Sachverhalt dem Geschädigten so weit bekannt ist, dass er mit
Aussicht auf Erfolg klagen kann (M. Bydlinski in Rummel, ABGB3 § 1489
Rz 3; Schwimann/Mader, ABGB2 § 1489 Rz 9; SZ 40/40; SZ 56/76; SZ
60/204 uva). Das bedingt die Kenntnis des Kausalzusammenhangs und -
bei verschuldensabhängiger Haftung - auch die Kenntnis der Umstände,
die das Verschulden begründen (SZ 56/76; SZ 64/23; 5 Ob 32/01v =
RIS-Justiz RS0034524 [T27]; 9 Ob 278/00y = RIS-Justiz RS0034524
[T29]; 7 Ob 93/02f = RIS-Justiz RS0034524 [T33]). Ist der Geschädigte
Laie und setzt die Kenntnis dieser Umstände Fachwissen voraus, so beginnt die Verjährungsfrist regelmäßig erst zu laufen, wenn der Geschädigte durch ein Sachverständigengutachten Einblick in die Zusammenhänge erlangt hat (HS 25.724 = KRES 6/125 = RdW 1995, 13 ua). Kommt demnach jemand durch einen ärztlichen Kunstfehler zu Schaden, so beginnt die Verjährungsfrist nicht, solange die Unkenntnis, dass es sich um einen Kunstfehler handelt, andauert, mögen auch der Schade und die Person des (möglichen) Ersatzpflichtigen an sich bekannt sein (KRES 9/2; KRES 9/7; 6 Ob 273/98k).
Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 4 Ob 131/00v (RIS-Justiz RS0113727; siehe dazu auch Stärker, Wie lange können Behandlungsfehler gerichtlich geltend gemacht werden? ASoK 2001, 150) ausgeführt, dass für die Beurteilung des Beginns der Verjährungsfrist nichts Anderes gelten kann, wenn Schadensursache nicht ein ärztlicher Kunstfehler, sondern der - auch kunstgerechte - Eingriff des Arztes ist, dem mangels entsprechender Aufklärung über Gefahren und Folgen der Behandlung oder ihrer Unterlassung eine wirksame, rechtfertigende Einwilligung des Patienten fehlt (SZ 62/18; RdM 1994/28 je mwN). Auch in diesem Fall setzt der Beginn der Verjährung voraus, dass dem Geschädigten die Zusammenhänge bewusst sind, die er kennen muss, um mit Aussicht auf Erfolg klagen zu können. Dazu muss er wissen, dass bei seiner Entscheidung, sich einer von mehreren möglichen Behandlungen zu unterziehen, verschiedene Risikofaktoren zu berücksichtigen gewesen wären. Er muss daher wissen, auf welche Risiken er hätte Bedacht nehmen müssen und wie sie zu gewichten gewesen wären. Nicht einmal sein Wissen darum, dass verschiedene Alternativen bestanden hätten, reicht aus. Ebensowenig genügt es, wenn ihm zwar einzelne Risiken bekannt waren, er jedoch kein umfassendes Bild hatte, das ihn in die Lage versetzt hätte, die Risiken zu gewichten und gegeneinander abzuwägen. Über ein solch umfassendes Wissen wird ein Laie regelmäßig nicht verfügen; Klarheit wird daher auch in diesem Fall erst ein Sachverständigengutachten schaffen. Wohl trifft den Geschädigten eine Erkundigungspflicht, sodass er sich nicht passiv verhalten und es darauf ankommen lassen darf, dass die nach § 1489 ABGB erforderliche Kenntnis zufällig eines Tages an ihn herangetragen wird (M. Bydlinski in Rummel aaO § 1489 Rz 4; Schwimann/Mader aaO § 1489 Rz 20 mwN). Diese Erkundigungspflicht darf aber nicht überspannt werden. Sie geht in der Regel nicht so weit, dass der Geschädigte verpflichtet wäre, ein Sachverständigengutachten einzuholen (RIS-Justiz RS0034327 [T2]). Im vorliegenden Fall waren der Klägerin Schadenseintritt und Schädiger (samt Ursachenzusammenhang zwischen Blutkonservenverabreichung und Infektion) bereits spätestens ab 1995 bekannt. Soweit die Klagsforderung auf die Verabreichung von Blutkonserven gestützt wird, die von einem an Hepatitis C erkrankten Spender stammen, steht ihr zutreffenderweise der Verjährungseinwand entgegen.
Anders verhält es sich in Bezug auf die behauptete Verletzung der Aufklärungspflicht. Den Feststellungen ist nicht zu entnehmen, wann der Klägerin diesbezüglich die Zusammenhänge bewusst wurden, die sie kennen musste, um - gegründet auf eine Verletzung der Aufklärungspflicht - mit Aussicht auf Erfolg klagen zu können. Dazu ist es notwendig zu wissen, ob alternative Arten der Behandlung, etwa auch eine Eigenblutspende, in Frage gekommen wären und mit welchen Risikofaktoren bei den einzelnen von mehreren möglichen Behandlungen zu rechnen gewesen wäre. Erst auf dieser Grundlage wäre es möglich gewesen, die Risiken zu gewichten und gegeneinander abzuwägen. Im vorliegenden Fall ist daher gar nicht bekannt, ob und worüber die Klägerin aufzuklären gewesen wäre, um für sie eine ausreichende Entscheidungsgrundlage für eine mögliche Auswahl alternativer Behandlungsmethoden zu schaffen. Es kann auch nicht beurteilt werden, wann die Klägerin jene Informationen erhalten hat, die sie benötigte, um ihre auf eine mögliche Verletzung einer Aufklärungspflicht gegründeten Ansprüche mit Aussicht auf Erfolg geltend machen zu können. Insoweit erweist sich der Sachverhalt als ergänzungsbedürftig. Sollte sich im fortgesetzten Verfahren entsprechend dem Klagsvorbringen herausstellen, dass die Klägerin die erforderliche Kenntnis über eine Verletzung der Aufklärungspflicht erst (frühestens) im Jahr 2000 erlangt hat, wäre der geltend gemachte Schadenersatzanspruch ohne weitere Bedachtnahme auf den Verjährungseinwand in der Sache zu prüfen.
Da somit für die rechtliche Beurteilung wesentliche Fragen ungeklärt blieben, waren die Urteile der Vorinstanzen zur Ergänzung des Verfahrens aufzuheben.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.