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OGH vom 28.11.2007, 9Ob122/06s

OGH vom 28.11.2007, 9Ob122/06s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Dr. Kuras als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gemeinde W*****, vertreten durch Dr. Robert Wiesler, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagten Parteien 1. Klement G***** und 2. Beata G*****, beide *****, beide vertreten durch Dr. Manfred Rath ua, Rechtsanwälte in Graz, und des Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Parteien Artur M*****, Kaufmann, *****, vertreten durch Dr. Rudolf Hammer, Rechtsanwalt in Graz, wegen Einverleibung einer Servitut, Leistung und Unterlassung (Gesamtstreitwert EUR 20.000), über die Rekurse der beklagten Parteien und des Nebenintervenienten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 34/06d-57, womit das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 18 Cg 131/02p-52, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Rekurse werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Nebenintervenient auf Seiten der beklagten Parteien war seit 1980 Eigentümer einer Liegenschaft, zu welcher unter anderem auch die Grundstücke ***** und ***** GB ***** gehörten. Mit Kaufvertrag vom erwarb zunächst der Erstbeklagte die nunmehr in der EZ ***** GB ***** eingetragenen Grundstücke Nr 1***** und 1*****/3. Im Jahr 2000 übertrug er einen Hälfteanteil der Liegenschaft an die Zweitbeklagte. Das Grundstück 1*****/3 verläuft in annähernd nord-südlicher Richtung und ist im nördlichen Teil schmäler, nimmt dann im unteren Teil des schmalen Stückes einen Versatz Richtung Westen vor und geht annähernd in ein Parallelogramm über, welches auch das - annähernd rechteckige - Grundstück 1***** einschließt. Zum Zeitpunkt des Erwerbs der Gesamtliegenschaft durch den Erstbeklagten und auch noch später bei Veräußerung des Hälfteanteils an die Zweitbeklagte präsentierte sich die Liegenschaft als Wiese. Am östlichen Rand des parallelogrammförmigen Teils des Grundstücks 1*****/3 bzw 1***** verlief ein Weg in annähernd nord-südlicher Richtung. Am nördlichen Ende des parallelogrammförmigen Teils wechselte der Weg dann an die Westseite des sich verjüngenden Grundstücks 1*****/3. An diesen Weg schloss sich im Norden die Zufahrtstraße zu einem Objekt des Nebenintervenienten sowie eine Verbindung zur Straße nach K*****. Der Weg war 2,5 bis 3 m breit und verlief als nicht geschotterter Grünstreifen, war annähernd eben und wurde nach Osten hin durch eine auf dem Nachbargrundstück stehende, mindestens 3,5 m hohe Fichtenhecke begrenzt. Westlich des Weges war ein Zaun errichtet, der entlang einer Geländekante verlief. An diesen Zaun schloss sich im Westen eine über 3,5 m abfallende, nunmehr befestigte Böschung an, die bis zum ebenen Teil des Grundstücks der Beklagten reicht. Im Süden führte der Weg über eine Länge von ca 50 m weiter als Wiesenweg, danach war er asphaltiert und führte talwärts zur R*****straße. Sowohl im Kaufvertrag zwischen Erstbeklagtem und Nebenintervenienten als auch im Schenkungsvertrag zwischen den Beklagten wurde keine zugunsten der Klägerin bestehende Servitut erwähnt. Vor dem Erwerb der Liegenschaft prüfte der Rechtsvertreter der Beklagten in deren Auftrag die rechtliche Situation der in Aussicht genommenen Grundstücke. Dabei wies der Verkäufer, der nunmehrige Nebenintervenient, nur auf ein Servitutsrecht eines Nachbarn hin. Zugunsten dessen Grundstücks 1*****/2 war im Grundbuch bei den dienenden Grundstücken 1*****/3 und 1***** die Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens einverleibt. Im Katasterplan war das streitverfangene Wegstück als „Servitutweg" gekennzeichnet. Nach Abwicklung des baurechtlichen Bewilligungsverfahrens brachten die Beklagten zunächst eine Tafel mit der Aufschrift „Betreten der Baustelle verboten" am Weg an. Diese Tafel wurde in der Folge von Unbekannten entfernt, eine weitere Tafel beschädigt. Im Frühjahr 2000 errichteten die Beklagten um das gesamte Grundstück einen Zaun und verhinderten den Zutritt zum südlichen Grundstücksteil (Parallelogramm) dadurch, dass sie am Süd- und Nordende dieses Grundstücksteils Gittertore anbrachten.

Die klagende Gemeinde begehrt von den Beklagten 1. in die grundbücherliche Einverleibung der Dienstbarkeit des Gehens über diese Liegenschaft auf dem gegenständlichen Weg einzuwilligen und eine entsprechende Urkunde in grundbuchstauglicher Form zu unterfertigen; 2. die Entfernung der zum Zwecke der Absperrung des Weges aufgestellten Zäune und 3. die künftige Unterlassung jeglicher Absperrung, Störung oder sonstigen Beeinträchtigung des Servitutsweges. Der Weg sei seit mehr als 30 Jahren sowohl von Gemeindebürgern als auch Touristen, somit der Öffentlichkeit, ungestört als Geh- und Wanderweg benützt worden, sodass eine Ersitzung einer Irregularservitut zugunsten der Klägerin erfolgt sei. Der Erstbeklagte bzw die Zweitbeklagte haben die Liegenschaft nicht gutgläubig lastenfrei erworben, die Servitut sei offenkundig gewesen. Die Beklagten sowie der Nebenintervenient auf Seiten der Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Es sei während der relevanten Ersitzungszeit keine regelmäßige Nutzung erfolgt. Der von der Klägerin beanspruchte Weg sei weder aus touristischen noch aus sonstigen Gründen notwendig, noch sei das Vorliegen einer öffentlichen Servitut offenkundig gewesen. Die Beklagten haben daher gutgläubig lastenfrei erworben.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Ergänzend zum eingangs dargelegten Sachverhalt traf es noch folgende Feststellungen: In der Gemeinde ist der verfahrensgegenständliche Weg als „alter Kirchweg nach K*****" bekannt und wurde in den vergangenen Jahrzehnten von Gemeindebürgern, die südlich des Grundstücks der Beklagten wohnten, vereinzelt auch von Fremden, als solcher benützt. Um auf anderem Weg von Süden her zur Kirche zu gelangen, muss man einen östlich gelegenen Weg nehmen, der um ca 1000 m länger ist als der verfahrensgegenständliche. Der Weg diente in früherer Zeit auch den Kindern der südlich ansässigen Gemeindebürger als Schulweg nach K*****. In den 70-er Jahren wurde jedoch eine Schulbuslinie eingerichtet, mit der die Kinder zur Schule fahren können. In der jüngeren Vergangenheit wurde der Weg, von dem aus man (vor der Errichtung eines Hauses durch die Beklagten) einen schönen Blick auf das im Südwesten gelegene Stadtgebiet von Graz hatte, als Sonntagsspazierweg von Einheimischen, aber auch als Joggingstrecke benützt. Darüber hinaus diente der Weg der Pflege nachbarschaftlicher Kontakte. Der Weg wurde von allen in der Umgebung ansässigen Personen im Laufe der Zeit begangen. Vor der Absperrung durch die Beklagten im Jahr 2000 war die Nutzung durch mehr als 30 Jahre durchgehend als Kirch- und Schulweg, Weg zwischen Nachbarn sowie als Spazier- und Wanderweg erfolgt. Das Erstgericht stellte weiters fest, dass „die Frequenz zwar nicht exakt eruierbar sei, der Größenordnung nach aber als niedrig angesehen werden könne, und der Weg nur gelegentlich benützt worden sei". Der Weg ist nicht als Wanderweg markiert und findet sich auch in keinem einschlägigen kartographischen Werk. Die Klägerin ist Mitglied des touristischen Verbandes „Schöckelland" - mangels entsprechender Bettenkapazitäten liegt der Schwerpunkt aber im Tages-Wandertourismus, nämlich als Naherholungsgebiet der Stadt Graz. Ausgehend von den Feststellungen gelangte das Erstgericht zur Rechtsauffassung, dass es zwar möglich sei, dass eine Gemeinde durch ihre Bürger und Touristen eine unregelmäßige Dienstbarkeit im Sinn des § 479 ABGB ersitze, doch fehle es im vorliegenden Fall wegen der mangelnden Bedeutung dieses Weges für die Gemeinde an dessen „Notwendigkeit". Darüber hinaus sei die Benützung des Weges in Form einer Irregularservitut zugunsten der Klägerin nicht offenkundig gewesen.

Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf. Es führte insbesondere aus, dass die Feststellungen teilweise widersprüchlich seien und teilweise nicht ausreichten, um eine endgültige Beurteilung dahin zu ermöglichen, ob die behauptete Ersitzung zugunsten der Klägerin stattgefunden habe. Insbesondere bedürfe es - nach entsprechender Würdigung der zahlreichen Zeugenaussagen - genauer Feststellungen über die Art und den Umfang der Benützung bzw den Personenkreis, auf den sich die Klägerin berufe. Darüber hinaus reichten die Feststellungen nicht aus, um verlässlich beurteilen zu können, ob beim Erwerb der Grundstücke durch die Beklagten eine Irregularservitut in dem von der Klägerin begehrten Ausmaß offenkundig gewesen sei oder nicht.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil zur Frage der Dokumentierung des Besitzwillens einer Gemeinde unterschiedliche Auffassungen bestünden, insbesondere ob sie weitere Schritte, wie Instandhaltungsarbeiten oder das Aufstellen von Bänken, hätte setzen müssen.

Gegen diese Entscheidung richten sich die Rekurse sowohl der Beklagten als auch des Nebenintervenienten mit Rechtsrügen. Die Rekurswerber begehren die Wiederherstellung des Ersturteils; die Beklagten stellen hilfsweise auch einen Aufhebungsantrag. Die Klägerin begehrt in ihrer Rekursbeantwortung die Zurückweisung der Rekurse mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage; hilfsweise, den Rekursen nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Rekurse der Beklagten und des Nebenintervenienten sind ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruchs des Berufungsgerichts mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Auch die Rekurswerber bestreiten nicht, dass die klagende Gemeinde grundsätzlich das strittige Wegerecht als unregelmäßige Dienstbarkeit gemäß § 479 ABGB erwerben (ersitzen) hätte können. Nach neuerer Rechtsprechung genügt es hierfür, dass Gemeindeangehörige und/oder Touristen den Weg so benützen, als handelte es sich um einen öffentlichen Weg. In diesem Fall wird der Besitzwille der Gemeinde vermutet und geht davon auch eine entsprechende Signalwirkung gegenüber Dritten aus (RIS-Justiz RS0010120; RS0011698, zuletzt unter umfassender Darstellung der Rechtsprechung: 10 Ob 77/04b). In der Entscheidung 4 Ob 96/04b, welche grundsätzlich ebenfalls von der dargestellten Rechtsprechung ausgeht, ging es im speziellen um die Abgrenzung, ob ein alpiner Verein, welcher einen Weg erhalten und auch markiert hatte, eine Irregularservitut erworben hatte oder ob eine mögliche Ersitzung der Gemeinde zuzurechnen wäre. Damit kam aber der besonderen Bekundung des Besitzwillens - über die bloße Benützung durch Wanderer hinaus - ein besonderes Gewicht zu. Selbst wenn man - wie die Rekurswerber - der Meinung Apathys („Ausgewählte Fragen des Ersitzungsrechts", JBl 1999, 205 ff; RFG 2006/21 „Ersitzung zu Gunsten und zu Lasten von Gemeinden") folgen wollte, wonach die Willensbildung der Gemeindeorgane durch Instandhaltungsarbeiten oder Aufstellen von Bänken oder eine Beschilderung dokumentiert werden solle, könnte dies im vorliegenden Fall zu keiner anderen Beurteilung führen: Derartige Maßnahmen wären nämlich auf einem schlichten Wiesenweg unüblich und daher auch nicht zu erwarten.

Auch mit der Frage der „Notwendigkeit" eines Weges für die Gemeinde hat sich der Oberste Gerichtshof bereits in einer Vielzahl von Entscheidungen befasst (siehe zuletzt 10 Ob 77/04b mwN). So wurde insbesondere ausgesprochen, dass die „Notwendigkeit" nicht mit Unentbehrlichkeit gleichzusetzen ist, hingegen aber ein über bloße Bequemlichkeit oder Wegeabkürzungen hinausreichender allgemeiner Vorteil des betroffenen Rechts gegeben sein muss (5 Ob 106/97t ua). Mit jedenfalls vertretbarer Rechtsauffassung hat bereits das Berufungsgericht dargelegt, dass schon die Vermeidung eines Umweges von ca 1 km für den Kirchenweg keine bloße „Abkürzung" mehr darstellt. Bedürfnisse des Fremdenverkehrs (10 Ob 77/04b; SZ 72/136

ua) können genauso von Bedeutung sein wie wirtschaftliche oder kulturelle Bedürfnisse, wie die Benützung als Kindergarten-, Schul- oder Kirchweg oder zur Freizeitgestaltung und Erholung (JBl 1996, 600). Im Allgemeinen hängt jedoch die Frage des Utilitätserfordernisses einer Dienstbarkeit von den jeweiligen besonderen Umständen des Einzelfalls ab, wobei die Frage, was letztlich tatsächlich bequem, nützlich oder notwendig ist, auch eine Tatfrage darstellt (10 Ob 77/04b mwN). Die dem Ergänzungsauftrag des Berufungsgerichts zugrundeliegenden Erwägungen folgen dieser Rechtsprechung, sodass das Verlangen nach weiteren Feststellungen zwecks Erweiterung der Entscheidungsgrundlage keinen Anlass zur Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof gibt.

Auch in dem Umfang, als das Berufungsgericht Feststellungen vermisst, welche beurteilen lassen, ob die Servitut beim Kauf und Eigentumserwerb durch die Beklagten eine offenkundige war und ihnen demzufolge gutgläubiger Erwerb zugute kommt oder nicht, hält es sich an den von der Rechtsprechung gezogenen Rahmen (RIS-Justiz RS0011676; RS0034776; RS0013489 ua).

Zusammenfassend vermögen die Rekurswerber keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO. Wenngleich die Klägerin auf die Unzulässigkeit der Rekurse hingewiesen hat, stellt das Rekursverfahren gegen einen Aufhebungsbeschluss im Sinn des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO keinen von der Entscheidung in der Hauptsache unabhängigen Zwischenstreit dar (RIS-Justiz RS0035976; 8 Ob 8/04s).