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OGH vom 16.07.1996, 10Obs2206/96a

OGH vom 16.07.1996, 10Obs2206/96a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Danzl als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Othmar Roniger und Dr.Elmar A. Peterlunger (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hedwig E*****, vertreten durch Dr.Dietmar Lirk, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr.Karl Leitner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Erwerbsunfähigkeitspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Rs 139/95-23, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom , GZ 17 Cgs 9/94p-9, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen ihres Vertreters binnen 14 Tagen die mit S 4.058,88 (hierin enthalten S 676,48 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am geborene Klägerin hat den Beruf einer Bürokauffrau erlernt und übernahm nach dem Tod ihres Mannes im Jahre 1977 dessen Schlosserei- und Metallbaubetrieb mit damals 8 Mitarbeitern und führte diesen bis 1992 mit einem Personalstand von 12 bis 20 Personen als Witwenfortbetrieb weiter. Im Juli 1990 mußte wegen eines Myosarkoms die Gebärmutter entfernt werden, wobei ihr der Frauenarzt dringend riet, aus gesundheitlichen Gründen den Betrieb aufzugeben und den Lebensstil zu ändern. Die Klägerin führte daraufhin die übernommenen Aufträge (zum Teil wegen des Ausscheidens von Dienstnehmern durch Subunternehmer) zu Ende. Die Einstellung eines Geschäftsführers war für den Betrieb finanziell nicht tragbar.

Aufgrund der vom Erstgericht im einzelnen festgestellten Gesundheitsstörungen ist sie nur noch in der Lage, leichte Arbeiten im Sitzen, Gehen und Stehen, vorwiegend in geschlossenen Räumen, bei Vermeidung von Nässe und Kälte, acht Stunden täglich, ohne überdurchschnittliche Arbeitspausen zu verrichten. Zu vermeiden sind Arbeiten unter besonderem Zeitdruck wie zum Beispiel Akkordarbeiten, Fließbandarbeiten und eine stärkere Lärmbelästigung am Arbeitsplatz. Auch der Streßbelastung bei einer Managementfunktion ist sie nicht mehr gewachsen. Heben und Tragen von Lasten ist nur bis zu einem Gewicht von 5 kg, fallweise bis 10 kg zumutbar. Bückbelastungen sollen über ein Viertel der Arbeitszeit nicht hinausgehen. Stehende Arbeiten in vorgebeugter Körperhaltung sind nur kurzfristig zumutbar. Zu vermeiden sind Arbeiten in überwiegend gebückter Zwangshaltung, ferner häufiges Arbeiten über Kopf. Auch für Arbeiten an exponierten, absturzgefährdeten Stellen wie Leitern und Gerüsten sowie für häufiges Treppensteigen ist die Klägerin nicht geeignet. Zu vermeiden sind ferner Arbeiten im Knien und in Hockestellung.

Nunmehr ist der Klägerin die bisher ausgeübte Tätigkeit als Leiterin eines Schlosserei- bzw Metallbaubetriebes mit 10 bis 20 Angestellten aufgrund der verminderten Belastbarkeit und Streßresistenz nicht mehr zumutbar. Ebenso nicht zumutbar sind ihr Tätigkeiten als Selbständige in Planungsbüros oder im kaufmännischen Bereich als Selbständige oder Bürokauffrau ebenso wie die Führung des bisherigen Betriebes oder eines vergleichbaren Betriebes (zB Schlüsseldienst) in geringerem Umfang, etwa mit nur zwei Arbeitskräften.

Mit Bescheid vom lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin auf Zuerkennung einer Erwerbsunfähigkeitspension ab.

In ihrer hiegegen erhobenen Klage stellte sie das Begehren, ihr diese im gesetzlichen Ausmaß ab dem Stichtag zu gewähren.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, da das Vorliegen dauernder Erwerbsunfähigkeit bei der Klägerin zu verneinen sei. In den letzten Jahren hätte sie eine Umorganisation ihres Betriebes durch Einstellung einer zusätzlichen Arbeitskraft (etwa eines Buchhalters) vornehmen können, um sich so zu entlasten. Auch eine Reduktion des Geschäftsbetriebes durch Annahme weniger Aufträge wäre ihr zumutbar gewesen. Schließlich sei sie als noch nicht 55-jährige auf Berufe mit gleichen Kenntnissen und Fähigkeiten verweisbar.

Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei zur Gewährung der Erwerbsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab dem sowie weiters zur Zahlung eines monatlichen vorläufigen Leistung von S 12.000,-- und zum Prozeßkostenersatz.

Es beurteilte den eingangs zusammengefaßt wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahingehend, daß der Anspruch im Sinne des § 132 Abs 1 ASVG (gemeint wohl: GSVG) berechtigt sei.

Das Berufungsgericht gab der von der beklagten Partei erhobenen Berufung dahingehend teilweise Folge, daß es aussprach, daß das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe und die beklagte Partei zu einer vorläufigen Leistung von monatlich bloß S 10.300,-- ab verpflichtet sei. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes läßt sich dahingehend zusammenfassen, daß die dauernde Erwerbsunfähigkeit der Klägerin nach der Bestimmung des § 133 Abs 2 GSVG idF der 19. GSVG-Novelle zu beurteilen sei. Der Betrieb der Klägerin sei als typischer Kleingewerbebetrieb zu qualifizieren, bei dem die persönliche Arbeitsleistung des Gewerbetreibenden zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig sei; dieses Erfordernis der persönlichen Mitarbeit sei hiebei nicht auf die rein manuelle Mitarbeit beschränkt, sondern erstrecke sich auch auf notwendige dispositive Arbeitsleistungen. Da sich aus den Feststellungen des Erstgerichtes das Bild ergebe, daß die Klägerin im Betrieb "im wesentlichen für alles zuständig" gewesen sei, liege Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 133 Abs 2 GSVG vor.

Rechtliche Beurteilung

In der gemäß § 46 Abs 3 Z 3 ASGG auch ohne die Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässigen, auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützten und von der Klägerin beantworteten Revision beantragt die beklagte Partei die Abänderung der Urteile der Vorinstanzen im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsanstrag gestellt.

In ihrer Rechtsrüge wird - zusammengefaßt - ausgeführt, daß die Untergerichte den Begriff der "persönlichen Arbeitsleistung" in § 133 Abs 2 lit b GSVG unrichtig ausgelegt hätten. Eine bloß dispositiv - kaufmännische Unternehmensleitung könne darunter nicht verstanden werden. Für eine "persönliche Mitarbeit" der Klägerin "auch im untergeordneten Bereich der Durchführungstätigkeiten" fehlten Beweisergebnisse. Die Feststellung des Berufungsgerichtes, daß die Klägerin in ihrem Unternehmen "für alles zuständig" gewesen sei, sei eine nicht auf den Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes beruhende bloße Schlußfolgerung. Ein solches "Für-Alles-Zuständigsein" sei aber typisch für reine Unternehmensleitung. Damit sei aber die Anwendbarkeit des § 133 Abs 2 GSVG ausgeschlossen. Vielmehr hätte das Berufungsgericht fälschlich im Ergebnis jene Grundsätze zur Anwendung gebracht, die für einen Tätigkeitsschutz im Sinne des hier nicht geltenden § 131 c GSVG (vorzeitige Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit) maßgebend seien.

Der Oberste Gerichtshof hat hiezu folgendes erwogen:

1.) Auch die Revisionswerberin bestreitet nicht, daß die Frage der Erwerbsfähigkeit der Klägerin nach § 133 Abs 2 GSVG idF der 19. Novelle (BGBl 1993/336) zu prüfen ist. Die Fassung gemäß Art 35 Z 50 des Strukturanpassungsgesetzes 1996 BGBl 201 hat nicht Anwendung zu finden. Als erwerbsunfähig gilt demnach ein Versicherter, der das 50. Lebensjahr vollendet hat (lit a) und dessen persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war (lit b), wenn er infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd außerstande ist, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die Erwerbstätigkeit erfordert, die der Versicherte zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat. Der Gesetzgeber verfolgte - wie den Materialien in der Regierungsvorlage 933 BlgNR 18. GP, 25 zu entnehmen ist - mit der Novellierung dieser Bestimmung die Absicht, "daß ab dem 50. Lebensjahr für Kleingewerbetreibende zur Beurteilung der dauernden Erwerbsunfähigkeit nur mehr eine qualifizierte Verweisung zulässig sein soll, so wie das auch bei erlernten oder angelernten Berufen unselbständig Erwerbstätiger schon vor dem 50.Lebensjahr der Fall ist. Ein Tätigkeitsschutz soll zwischen dem 50. und dem 55. Lebensjahr weiterhin nicht bestehen."

2.) Der erkennende Senat hat sich mit der Frage, nach welchen Kriterien zu prüfen sei, ob die persönliche Arbeitsleistung eines Versicherten zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war,

bereits in mehreren Entscheidungen befaßt (10 Ob S 293/94 = SSV - NF

9/22, 10 Ob S 99/95, 10 Ob S 106/95 = SSV-NF 9/56). Die hiezu jeweils

formulierten Rechtssätze lassen sich - zumal der Inhalt dieser Entscheidungen als bekannt gelten und daher zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf verwiesen werden kann - dahingehend zusammenfassen, daß bei der Beurteilung, ob Erwerbsfähigkeit nach § 133 Abs 2 GSVG vorliegt, von der Notwendigkeit der persönlichen Arbeitsleistung im Rahmen einer wirtschaftlich vertretbaren Betriebsführung auszugehen ist. Hiebei ist unter Umständen auch die Notwendigkeit und Möglichkeit einer Umstrukturierung des Betriebes sowie die Rentabilität und Zumutbarkeit der Weiterführung bei einer solchen Umorganisation zu prüfen, etwa auch im Sinne einer Delegierung einzelner Arbeitsgänge an Mitarbeiter, Aufnahme von Hilfs- und Ersatzkräften, eventuelle Adaptierung der Geschäftszeiten uam, um festzustellen, ob trotz des eingeschränkten medizinischen Leistungskalküls bei solchen Maßnahmen noch eine wirtschaftlich vertretbare Betriebsführung möglich ist.

Die vom Erstgericht hiezu getroffenen und vom Berufungsgericht (schon mangels Beweisrüge einer der Parteien) übernommenen Feststellungen lassen eine Beantwortung dieser Frage (im Sinne einer Bejahung der Voraussetzungen des § 133 Abs 2 lit b GSVG, gegen den im übrigen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen: vgl SSV-NF 5/55 und 7/31) durchaus zu. Auch wenn - wie in der Revision grundsätzlich zutreffend ausgeführt wird - das Erstgericht nicht expressis verbis die Feststellung traf, daß die Klägerin in ihrem Witwenfortführungsbetrieb seit dem Tod ihres Mannes "im wesentlichen für alles zuständig" war, so ergibt sich dies doch zwanglos aus den (auch im Rahmen der ausführlichen Beweiswürdigung eingeflossenen) Feststellungen zur betrieblichen Struktur, zur Größe und zum Ertragsvolumen des Betriebes, zum Abbau des Geschäftsvolumens (nach der schweren Unterleibsoperation Mitte 1990) nur mehr auf die laufenden, nicht mehr auf neu hereingebrachte Aufträge sowie die finanzielle Untragbarkeit der Einstellung eines die Klägerin entlastenden Geschäftsführers. Der Senat vermeint, daß in zusammenschauender und lebensnaher Betrachtung aller dieser Umstände bereits nach den wiedergegebenen Feststellungen mit ausreichender Sicherheit beurteilt werden kann, daß die persönliche Arbeitsleistung der Klägerin zur Aufrechterhaltung ihres Betriebes erforderlich war, und daß diese ihre Tätigkeit dabei keineswegs bloß Leitungs-, sondern vielmehr auch aus- und durchführende mitarbeitliche Tätigkeit gewesen ist. Die Revisionswerberin vermag in diesem Zusammenhang im übrigen selbst nicht aufzuzeigen, welche konkreten - rückschauend betrachtet - Maßnahmen die Klägerin im Rahmen einer wirtschaftlich vertretbaren Betriebsführung (SSV-NF 9/22) bzw zur rentablen Aufrechterhaltung des Betriebes (Teschner in Tomandl, System des öster. Sozialversicherungsrechts, 379 Anm 4) setzen hätte müssen und sollen, um von der Notwendigkeit einer persönlichen Arbeitsleistung (in dem von der Rechtmittelwerberin interpretierten Sinne) wegzukommen. Immer kommt es jedoch darauf an, daß nur wirtschaftlich zumutbaren Organisationsmaßnahmen nachzukommen bzw nachzugehen ist (SSV-NF 2/70 = SVSlg 33.653).

Aus dem zusammenfassenden Leistungskalkül der Klägerin ergibt sich des weiteren, daß sie für eine Verweisung zu keiner sonstigen in Frage kommenden (artverwandten oder gleichartigen) selbständigen Erwerbstätigkeit im Sinne des § 133 Abs 2 letzter Halbsatz GSVG mehr in der Lage ist. Daß ihr bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen nach dieser Gesetzesstelle nicht zugemutet werden kann (und darf), überhaupt völlig neue Kenntnisse zu erwerben oder nunmehr sogar einer unselbständigen Tätigkeit nachzugehen, ergibt sich bereits aus dem in § 133 Abs 2 GSVG umschriebenen Verweisungsfeld eines selbständig tätig gewesenen Erwerbstätigen (SSV-NF 9/22). Inwieweit hiebei im Sinne von Rudda, Gedanken zur Erwerbsunfähigkeit gewerblich Selbständiger, in ZAS 1994, 119 (122), "das Verweisungsspektrum im Zweifel eher restriktiv als extensiv festzulegen" sei, kann schon aufgrund der auch zu dieser Frage ausreichenden Sachverhaltsbasis der Vorinstanzen ohne nähere Stellungnahme hiezu auf sich beruhen.

3.) Daraus folgt - zusammenfassend -, daß die Vorinstanzen die Anspruchsvoraussetzungen der Klägerin für die von ihr beantragte Erwerbsunfähigkeitspension zutreffend bejaht haben. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen. Da gegen die Höhe der gemäß § 89 Abs 2 ASGG zugesprochenen vorläufigen Leistung in der Revision nichts vorgebracht wird, kann es genügen, auf die diesbezüglich zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes zu verweisen (§ 48 ASGG).

4.) Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 77 Abs 2 lit a ASGG.