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VfGH vom 15.12.2004, B1019/04

VfGH vom 15.12.2004, B1019/04

Sammlungsnummer

17419

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung von Asylanträgen durch den unabhängigen Bundesasylsenat nach Ausweisung des Asylwerbers; Verpflichtung des UBAS zur Entscheidung über Berufungen auch bei mangelnder aufschiebender Wirkung der Berufung und zwischenzeitiger Verbringung des Asylwerbers ins Ausland

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit je 1.962 Euro bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer zu B1019/04 ist Staatsangehöriger der russischen Föderation und beantragte am beim Bundesasylamt die Asylgewährung. Das Bundesasylamt hat den Antrag des Asylwerbers mit Bescheid vom gemäß § 5 Abs 1 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76 idF BGBl. I Nr. 101/2003 (im Folgenden kurz: AsylG) als unzulässig zurückgewiesen. Ferner wurde gemäß Art 13 iVm Art 16 Abs 1 litc der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. Nr. L 50 vom ; im Folgenden kurz:

Dublin II-VO), die Slowakei für die Prüfung des Asylantrages für zuständig erklärt und der Beschwerdeführer gemäß § 5a Abs 1 iVm § 5a Abs 4 AsylG in die Slowakei ausgewiesen. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung an den unabhängigen Bundesasylsenat (im Folgenden kurz: UBAS). Mit Bericht des Bundesasylamtes, Außenstelle Traiskirchen, vom wurde dem UBAS ein Bericht der Bezirkshauptmannschaft Baden, Außenstelle Traiskirchen, vom übermittelt, wonach der Asylwerber am über die Grenzkontrolle Kittsee nach der Slowakei verbracht worden ist.

Mit Bescheid vom behob der UBAS den bekämpften Bescheid des Bundesasylamtes ersatzlos und wies den Asylantrag gemäß § 2 Abs 1 AsylG als unzulässig zurück. Als Begründung führte der UBAS u. a. aus:

"Wie im Sachverhalt festgestellt, hat der Berufungswerber das österreichische Bundesgebiet verlassen.

Da im Fall des Asylwerbers die Prozessvoraussetzung des Aufenthaltes im Bundesgebiet nach dem oben Gesagten im Laufe des Verfahrens weggefallen ist, war spruchgemäß zu entscheiden."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die zu B1019/04 protokollierte, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde.

2. Die Beschwerdeführerin zu B1047/04 ist die Ehegattin des Beschwerdeführers zu B1019/04 und ebenfalls Staatsangehörige der russischen Föderation. Auch ihr Antrag auf Gewährung von Asyl wurde vom Bundesasylamt gemäß § 5 Abs 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen, für die Prüfung des Asylantrages die Slowakei für zuständig erklärt und sie selbst in die Slowakei ausgewiesen. Im Anschluss daran wurde sie am über die Grenzkontrollstelle Kittsee nach der Slowakei verbracht. In Erledigung der Berufung der Beschwerdeführerin behob der UBAS auch in diesem Fall den Bescheid des Bundesasylamtes ersatzlos und wies den Asylantrag gemäß § 2 Abs 1 AsylG als unzulässig zurück. Die Begründung des Bescheides ist identisch mit der bereits oben wörtlich wiedergegebenen Begründung.

Gegen den Bescheid des UBAS vom richtet sich die zu B1047/04 protokollierte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.

3. Der Beschwerdeführer zu B1233/04 ist auch Staatsangehöriger der russischen Föderation und beantragte am die Asylgewährung beim Bundesasylamt, welches den Antrag mit Bescheid vom ebenfalls als unzulässig zurückwies und mit Erklärung der Zuständigkeit Tschechiens den Beschwerdeführer nach Tschechien auswies. Mit Schreiben vom teilte die Bezirkshauptmannschaft Baden mit, dass der Beschwerdeführer am nach Tschechien verbracht wurde. Mit Bescheid vom erledigte der UBAS - wie bereits in den Fällen zuvor sowie mit wortidentener Begründung - die vom Beschwerdeführer eingebrachte Berufung, indem er den erstinstanzlichen Bescheid behob und den Asylantrag zurückwies.

Gegen diesen Bescheid des UBAS richtet sich die zu B1233/04 protokollierte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.

4. Die Verfahren wurden in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 Abs 2 ZPO iVm § 35 Abs 1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden.

5. In den Beschwerden wird jeweils ausgeführt, dass durch den Zusammenhang des § 5a Abs 1 und § 32 Abs 2 AsylG einerseits und § 2 Abs 1 AsylG andererseits den Beschwerdeführern ein effektiver Rechtschutz genommen werde. Die Beschwerdeführer hätten zwar rechtzeitig Berufung an den UBAS erhoben, doch würden sie - folgt man der Ansicht des UBAS - durch die Überstellung ins Ausland die rechtliche Möglichkeit verlieren, Entscheidungen nach § 5 AsylG erfolgreich bekämpfen zu können. Die Anwendung der genannten Bestimmungen verstoße auch gegen das rechtstaatliche Prinzip und das Recht auf Gleichheit.

Die Beschwerdeführer regen an, Teile der genannten Bestimmungen in Prüfung zu ziehen, sofern sich eine verfassungskonforme Auslegung als nicht möglich erweisen sollte, und beantragen, die angefochtenen Bescheide unter Kostenzuspruch aufzuheben.

Der UBAS legte zu B1019/04 und B1047/04 die Verwaltungsakten vor und erstattete zu diesen Beschwerden Gegenschriften, in welchen er die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragt, ohne jedoch zu den Ausführungen in den Beschwerden inhaltlich Stellung zu nehmen. Zur Beschwerde B1233/04 kam der UBAS der vom Gerichtshof verfügten Aufforderung zur Äußerung und Akten(wieder)vorlage nicht fristgerecht nach.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die zulässigen Beschwerden erwogen:

1. Mit Erkenntnis vom , G237/03 ua., hat der Verfassungsgerichtshof den zweiten Satz des § 32 Abs 2 sowie den zweiten Satz des § 5a Abs 1 AsylG als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass diese Bestimmungen nicht mehr anzuwenden seien.

2. § 2 Abs 1 AsylG sieht vor, dass Fremde, die sich im Bundesgebiet aufhalten, nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes Asyl und die Feststellung, dass sie damit kraft Gesetzes Flüchtlinge sind, erlangen. Wird hingegen ein Fremder mangels aufschiebender Wirkung der Berufung auf Grund eines noch nicht rechtskräftigen Bescheides nach der Dublin II-VO an einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union überstellt, so ist dennoch über seine Berufung ungeachtet des § 2 Abs 1 AsylG zu entscheiden. Dies ergibt sich schon aus § 19 Abs 3 AsylG. Diese Bestimmung lautet:

"§19.

...

(3) Wird der Berufung eines Fremden, dessen Asylantrag vom Bundesasylamt als unzulässig zurückgewiesen wurde, stattgegeben (§32a), ist dem Fremden an der Grenzübergangsstelle unter Vorlage der Berufungsentscheidung die Wiedereinreise zu gewähren und er ist an das Bundesasylamt zur Ausstellung der Asylberechtigungskarte zu verweisen. Der Asylwerber hat sich unverzüglich zur nächstgelegenen Außenstelle des Bundesasylamtes zu begeben."

3. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden und nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und ua.) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem (einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit.) verfassungsgesetzlich gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet ein Bescheid, wenn er auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn die Behörde dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als im Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001).

Die angefochtenen Bescheide verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander:

Die Auslegung des Gesetzes durch den UBAS widerspricht dem klaren Wortlaut des Gesetzes, welches eine Entscheidung über Berufungen auch dann vorsieht, wenn dieser Berufung keine aufschiebende Wirkung zukommt und daher der Berufungswerber noch vor der Entscheidung des UBAS außer Landes gebracht wird. Andernfalls wäre § 19 Abs 3 AsylG inhaltsleer. Die Auffassung des UBAS würde auch im Ergebnis zu einer völligen Versagung jedweden Rechtsschutzes vor dem UBAS führen, der nach Art 129c BVG als Berufungsbehörde im Asylverfahren eingerichtet wurde. Die belangte Behörde hat damit dem einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt, der - hätte ihn das Gesetz - dieses auch im Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, erscheinen ließe.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

III. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VfGG; vom jeweils antragsgemäß zugesprochenen Kostenbetrag entfallen je 327 Euro auf die Umsatzsteuer. Dem mit Schriftsatz vom gestellten Mehrbegehren zu B1233/04 war gemäß § 54 Abs 1 ZPO iVm § 35 VfGG nicht stattzugeben, da die Pauschalgebühr nicht in der Beschwerde geltend gemacht wurde und der Beschwerdeführer damit rechnen musste, dass der Gerichtshof ohne vorangegangene mündliche Verhandlung über den Antrag entscheiden würde (vgl. VfSlg. 6980/1973, 9672/1983, 13.256/1992 ua.).

2. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG 1953 in nichtöffentlicher Sitzung ohne vorangegangene mündliche Verhandlung beschlossen werden.