OGH vom 20.08.1996, 10Ob2284/96x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag, Dr.Ehmayr, Dr.Steinbauer und Dr.Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Chinyere M*****, vertreten durch Dr.Vera Scheiber, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei Henry Ambrose M***** , vertreten durch Dr.Elmar Kresbach, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalt, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom , GZ 45 R 305/96b-72, den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Text
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Beide Vorinstanzen haben zutreffend erkannt, daß die vorliegende Rechtssache einen Sachverhalt mit Auslandsberührung (§ 1 Abs 1 IPRG) enthält und deshalb kollisionsrechtliche Fragen aufwirft. Da einerseits nach § 2 IPRG die hiefür maßgeblichen Voraussetzungen von Amts wegen festzustellen sind und aufgrund dieses Amtswegigkeitsgrundsatzes die Parteien weder die Anwendung von IPR noch die Zuständigkeit einer bestimmten Sachrechtsordnung zu behaupten oder zu beweisen haben (ZVR 1973/179, SZ 62/33; Schwimann, Internationales Privatrecht, 37; ders in Rummel, ABGB II2, Rz 1 zu § 2 IPRG), andererseits aber der Beklagte in erster Instanz ohnedies Gelegenheit hatte, die für die Anwendung nigerianischen (Familien-)Rechts maßgeblichen Aspekte vorzubringen (ON 45 und 48), worüber nach dem gemäß § 215 Abs 1 ZPO vollen Beweis liefernden Protokoll der Tagsatzung vom auch verhandelt und Beweis aufgenommen wurde (Seite 2 in ON 48 = AS 152), muß der - als Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens gerügte - Vorwurf mangelnder Anleitungspflicht des Revisionswerbers schon daran scheitern (wobei der Vorwurf, der Beklagte wäre im erstinstanzlichen Verfahren unvertreten gewesen, aktenwidrig ist: siehe ON 15, 26, 27 und 31). Dazu kommt, daß nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes Mängel des Verfahrens erster Instanz, die in der Berufung nicht geltend gemacht wurden - wie dies hier bezüglich der nunmehr gerügten Manuduktionsunterlassung zutrifft (ON 63) - nicht mehr zum Gegenstand der Revision gemacht werden können (SSV-NF 5/120, EFSlg 57.817). Eine dem Verfahren zweiter Instanz anhaftende Mangelhaftigkeit wird nicht geltend gemacht. Die Falschbeurteilung maßgeblichen fremden Rechtes ist keine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, sondern allenfalls unrichtige rechtliche Beurteilung und gehört daher zur Rechtsrüge (§ 84 Abs 2 ZPO).
2. Die Frage der Unterhaltsberechtigung während aufrechter Ehe ist eine solche im Rahmen der "persönlichen Rechtswirkungen der Ehe" nach § 18 Abs 1 IPRG (Schwimann in Rummel, aaO Rz 1 zu § 18). Danach ist primär an das gemeinsame Personalstatut anzuknüpfen (Z 1), gleichgültig, wo die Ehepartner leben (SZ 61/108). Haben die Ehegatten eine gemeinsame (hier: nigerianische) Staatsangehörigkeit, ist aber einer von ihnen auch Österreicher (hier: der Beklagte), so fehlt ihnen nach einhelliger Rechtsprechung (Schwimann, aaO Rz 4 mwN; jüngst 7 Ob 2110/96m) schon nach § 9 Abs 1 zweiter Satz IPRG ein gemeinsames Personalstatut; mangels eines solchen ist dann jedoch nach dem zweiten Halbsatz der Z 1 dieser Gesetzesstelle subsidiär das letzte gemeinsame Personalstatut der Ehegatten, sofern es einer von ihnen beibehalten hat, maßgeblich, hier also wiederum nigerianisches Recht. Diese Verweisung bezieht sich dabei auch auf das vom Beklagten gewünschte interlokale Stammesrecht des Heimatstaates beider Eheleute. Bei der Ermittlung eines solchen hat das Gericht grundsätzlich zwar amtswegig vorzugehen, die Mitwirkung der Beteiligten hiebei ist jedoch zulässiges und nach der Aufzählung des § 4 Abs 1 IPRG auch primäres Hilfsmittel. Dies ist seitens des Beklagten durch die Vorlage einer aktuellen und amtlichen (behördlichen) Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Nigeria vom (im Original samt deutscher Übersetzung: ON 45) geschehen. Diese Urkunde wurde vom Erstgericht auch als Beweismittel in der nachfolgenden Tagsatzung vom aufgenommen (ON 48). Daraus ergibt sich jedoch gerade nicht, daß der Beklagte auch während aufrechter Ehe jeglicher Unterhaltspflicht gegenüber seiner in "brauchtümlicher Eheschließung" geehelichten Gattin entbunden ist, sondern nur im Falle der Scheidung ab dem Zeitpunkt der Eheauflösung; daß die Ehe der Streitteile (in Nigeria) geschieden sei, hat er wohl behauptet (ON 45), jedoch nicht unter Beweis gestellt und sind daher beide Vorinstanzen vom nach wie vor aufrechtem Bestand der Ehe ausgegangen (was im übrigen auch der Revisionswerber in seinem Revisionsschriftsatz nicht in Abrede stellt).
Der Senat vermeint, daß die Vorinstanzen ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht dieses fremden interlokalen Stammesrechtes damit ausreichend genügt haben. Auch eine Auskunftsermittlung durch das BMJ (im Sinne des § 4 Abs 1 zweiter Satz IPRG) hätte sich erfahrungsgemäß (schon wegen der bis knapp vor Schluß der Verhandlung durch den gestellten EV-Antrag gebotenen besonderen Dringlichkeit der Unterhaltssache einerseits und des für die Ermittlung nigerianischen Stammesrechtes jedenfalls erforderlichen beachtlichen Zeitaufwandes andererseits) mit einer Anfrage an die in Frage kommende Vertretungsbehörde, eben die nigerianische Botschaft, vorrangig erschöpft, welche aber ohnedies (und wie sich aus dem Datum derselben ergibt, äußerst aktuell) vorgelegen hat. Schließlich handelt es sich bei dem in der Struktur des nigerianischen Rechts noch verankerten Stammesrecht meist um ungeschriebene Rechtssätze (Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Abschnitt Nigeria, 4).
3. Daß die Streitteile neben ihrer stammesrechtlichen ("brauchtümlichen") auch die in Nigeria sonst noch gebräuchliche formale Ehe nach englischem Recht geschlossen hätten, wurde von keiner Seite behauptet (und wird auch in der Revision nicht unterstellt). Auf die nach diesem Recht (siehe hiezu erneut Bergmann/Ferid, aaO 13 ff) gegebenen unterhaltsrechtlichen Ehewirkungen braucht daher schon deshalb nicht weiter eingegangen zu werden.
4. Läßt sich innerhalb angemessener Frist nicht verläßlich ermitteln, ob das maßgebliche interlokale Stammesrecht eine Regelung für die Frage der Unterhaltspflicht dem Grunde und der Höhe nach auch bei aufrechter Ehe enthält (der vom Beklagten vertretene Standpunkt einer generellen Entbindung jeglicher Unterhaltspflicht des Gatten auch gegenüber einer bedürftigen Frau während aufrechter Ehe würde wohl auch dem ordre public nach § 6 IPRG widersprechen), so haben die Vorinstanzen - jedenfalls im Ergebnis - gemäß § 4 Abs 2 IPRG zutreffend österreichisches Recht zur Anwendung gebracht. Daß danach aber die Entscheidung der zweiten Instanz gerechtfertigt ist, wird vom Revisionswerber gar nicht in Zweifel gezogen, wird doch die ohnedies immer am Einzelfall orientierte Unterhaltsbemessung des Berufungsgerichtes in der Revision nicht releviert. Eine erhebliche Rechtsfrage zufolge Verstoßes gegen IPR-rechtliche Rechtsanwendungsgrundsätze (3 Ob 121/92) liegt somit nicht vor.