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OGH vom 28.05.2015, 9Ob12/15b

OGH vom 28.05.2015, 9Ob12/15b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Dehn, den Hofrat Dr. Hargassner und die Hofrätin Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** A*****, vertreten durch Dr. Carl Benkhofer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A***** N*****, vertreten durch Mag. Angelika Prüfling, Rechtsanwältin in Wien, wegen Feststellung (Streitwert: 46.800 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 38 R 143/14g 19, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Meidling vom , GZ 6 C 444/13x 15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte ist Fruchtgenussberechtigte an einer Liegenschaft in ***** und als solche Vermieterin der in dem auf der Liegenschaft befindlichen Haus gelegenen Wohnung Nr 12. Hauptmieterin dieser Wohnung war die Mutter des Klägers, die am verstarb.

Die Beklagte kündigte diese Wohnung, gestützt ua auf den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 5 MRG, im Vorverfahren 6 C 384/12x des Erstgerichts gerichtlich gegenüber der Verlassenschaft nach der verstorbenen Mutter des Klägers auf und begehrte die Räumung der Wohnung. Die Verlassenschaft bestritt das Vorliegen dieses Kündigungsgrundes. Dem Kläger stehe ein Eintrittsrecht gemäß § 14 MRG zu, die Verlassenschaft sei nicht passiv legitimiert. Die Verlassenschaft verkündete dem Kläger im Vorverfahren den Streit. Der Kläger trat als Nebenintervenient auf Seiten der beklagten Verlassenschaft im Vorverfahren bei.

Mit rechtskräftigem Urteil vom erklärte das Erstgericht im Vorverfahren die Aufkündigung für rechtswirksam und verpflichtete die beklagte Verlassenschaft zur Räumung der Wohnung. Es bejahte das Vorliegen des Kündigungsgrundes des § 30 Abs 2 Z 5 MRG, weil dem Kläger mangels Vorliegens eines gemeinsamen Haushalts mit seiner verstorbenen Mutter kein Eintrittsrecht in den Mietvertrag iSd § 14 Abs 3 MRG zukomme.

Der Kläger begehrt mit seiner am überreichten Klage die Feststellung, dass ihm gemäß § 14 Abs 3 MRG ein Eintrittsrecht nach seiner verstorbenen Mutter zustehe und das Hauptmietverhältnis über die Wohnung Nr 12 mit ihm fortgesetzt werde. Der Kläger habe mit seiner Mutter, die Hauptmieterin dieser Wohnung gewesen sei, bis zu deren Tod einen gemeinsamen Haushalt geführt, woran längere krankheitsbedingte Abwesenheiten nichts geändert hätten. Der Kläger verfüge über keine andere Wohnung oder Wohnmöglichkeit. Die im Vorverfahren über die Aufkündigung ergangene Entscheidung entfalte keine Bindungswirkung.

Die Beklagte wandte dagegen ein, dass der Kläger nicht eintrittsberechtigt nach seiner verstorbenen Mutter sei. Die im Vorverfahren ergangene Entscheidung sei präjudiziell.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ohne Durchführung eines neuen Beweisverfahrens ab. Zwischen dem Vorverfahren über die Aufkündigung der Wohnung und der vorliegenden Feststellungsklage bestehe ein so enger inhaltlicher Zusammenhang, dass im Interesse der Rechtssicherheit und Entscheidungsharmonie von einer Bindungswirkung der Entscheidung im Vorverfahren auszugehen sei. Zentrales Verhandlungsthema in beiden Verfahren sei das Eintrittsrecht des Klägers gemäß § 14 Abs 3 MRG. Der Kläger habe sich als Nebenintervenient im Vorverfahren aktiv beteiligt, zahlreiche Beweisanträge gestellt und die ihm zur Verfügung stehenden Rechtsmittel erhoben. Ihm sei damit umfassendes rechtliches Gehör zur Frage seines Eintrittsrechts zuteil geworden. Würde man die Bindungswirkung im vorliegenden Fall verneinen, so würde ein Verfahren gemäß § 30 Abs 2 Z 5 MRG für den Vermieter nie Rechtssicherheit bieten, der Vermieter wäre gezwungen, zusätzlich zur Aufkündigung eine Feststellungsklage einzubringen. Auch wenn im vorliegenden Fall kein Regressanspruch geltend gemacht werde, sei gemäß der Entscheidung 1 Ob 218/97h vom Bestehen einer Bindungswirkung auszugehen.

Das Berufungsgericht gab der vom Kläger gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. Die Wirkungen eines materiell rechtskräftigen zivilgerichtlichen Urteils erstreckten sich insofern auf den einfachen Nebenintervenienten, als dieser als Partei eines als Regressprozess geführten Folgeverfahrens keine rechtsvernichtenden oder rechtshemmenden Einreden erheben dürfe, die mit den notwendigen Elementen der Entscheidung des Vorprozesses in Widerspruch stehen, sofern dem Nebenintervenienten im Vorverfahren rechtliches Gehör zugestanden sei. Dies gelte auch für die Frage der Bindung eines Nebenintervenienten in einem gegen eine Verlassenschaft geführten Kündigungsverfahren. Im vorliegenden Fall sei die Bindung des Klägers auch gegenüber der Beklagten an die seine Rechtsposition belastenden Tatsachenfeststellungen des Vorverfahrens gerechtfertigt: In beiden Verfahren sei für die Berechtigung des geltend gemachten Anspruchs derselbe Lebenssachverhalt zu beurteilen, der auch mit Rücksicht auf den Tod der bisherigen Hauptmieterin nachträglich keine Änderung mehr erfahren könne. Dem Kläger sei als einfacher Nebenintervenient im Vorverfahren unbeschränktes rechtliches Gehör zuteil geworden, er habe davon auch Gebrauch gemacht. Ihm seien daher sämtliche Möglichkeiten offen gestanden, die auch einer Hauptpartei offen stünden. Ausgehend von den maßgeblichen Feststellungen des Vorprozesses mangle es daher am Erfordernis des gemeinsamen Haushalts des Klägers mit der verstorbenen Hauptmieterin, weshalb die Voraussetzungen für einen Eintritt in die Hauptmietrechte gemäß § 14 MRG nicht vorlägen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Frage der Bindungswirkung in einem Fall wie dem vorliegenden Rechtsprechung fehle. In der Entscheidung 1 Ob 218/97h sei die Nebenintervenientin als Erbin anstelle der bisherigen Verlassenschaft in das Prozessrechtsverhältnis eingetreten, sodass sie schon deshalb von der Rechtskraft der gegen die Verlassenschaft ergangenen gerichtlichen Entscheidungen erfasst gewesen sei. Überdies bestehe Bindungswirkung gemäß 10 Ob 144/05g nur gegenüber demjenigen, der im Hauptprozess den Streit verkündet habe, sodass insofern ein Widerspruch zur Entscheidung 1 Ob 218/97h bestehe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung.

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Die materielle Rechtskraft wirkt grundsätzlich auch nur zwischen den Parteien des Rechtsstreits ( Rechberger in Rechberger , ZPO 4 Vor § 390 Rz 27 mwN ua). Die Wirkungen eines materiell rechtskräftigen zivilgerichtlichen Urteils erstrecken sich nach ständiger Rechtsprechung nur soweit auf den einfachen Nebenintervenienten und denjenigen, der sich am Verfahren trotz Streitverkündung nicht beteiligte, als diese Personen als Parteien eines als Regressprozess geführten Folgeprozesses keine rechtsvernichtenden oder rechtshemmenden Einreden erheben dürfen, die mit den notwendigen Elementen der Entscheidung des Vorprozesses in Widerspruch stehen. Nur in diesem Rahmen sind sie daher an die ihre Rechtsposition belastenden Tatsachenfeststellungen des Vorprozesses gebunden, sofern ihnen in jenem Verfahren soweit unbeschränktes rechtliches Gehör zustand (1 Ob 2123/96d, verst Senat; RIS Justiz RS0107338).

2. Nach der Rechtsprechung ist die Interventionswirkung der Streitverkündung nicht bloß auf Regressverhältnisse im engeren Sinn beschränkt, sondern erfasst auch sonstige materiell rechtliche Alternativverhältnisse (vgl 1 Ob 242/97p) und Sonderrechtsbeziehungen (7 Ob 159/07v). Ob ein derartiger Fall hier vorliegt, kann jedoch dahingestellt bleiben. Nach der Rechtsprechung besteht die Bindungswirkung nämlich nur gegenüber demjenigen, der im Vorprozess den Streit verkündet hat, nicht aber gegenüber dem anderen am Vorprozess beteiligten Prozessgegner (3 Ob 511/94; 10 Ob 144/05g; 7 Ob 13/08z; 6 Ob 62/13f ua; Schneider in Fasching/Konecny II/1³ § 21 ZPO Rz 23; Reischauer in Rummel 3 § 931 Rz 1). Im Vorverfahren wurde dem Kläger nicht von der Beklagten, sondern von der Verlassenschaft nach seiner verstorbenen Mutter der Streit verkündet und trat er auf ihrer Seite als einfacher Nebenintervenient bei. Entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen besteht daher keine Bindungswirkung an die die Rechtsposition des Klägers im Vorverfahren belastenden Tatsachenfeststellungen gegenüber der Beklagten.

3. Der vom Berufungsgericht vermutete Widerspruch zur Entscheidung 1 Ob 218/97h besteht nicht. Der damalige Sachverhalt unterscheidet sich schon deshalb wesentlich vom nunmehr vorliegenden, weil die dort gekündigte Verlassenschaft im damals als Vorverfahren geführten Aufkündigungsverfahren (1 Ob 608/90) obsiegte und die Eintrittsberechtigung der in jenem Verfahren auf Seiten der Verlassenschaft beigetretenen Nebenintervenientin (Enkelin) rechtskräftig bejaht wurde. Parallel wurde eine von der Enkelin im eigenen Namen gegen die Vermieterin eingebrachte Klage auf Feststellung, dass die Enkelin Hauptmieterin der Wohnung sei (2 Ob 569/90) abgewiesen, weil das Eintrittsrecht der Enkelin verneint wurde. Zu beurteilen war somit die Bindungskollision zweier miteinander in Widerspruch stehender Entscheidungen. Zutreffend wies das Berufungsgericht darauf hin, dass der Oberste Gerichtshof in der damaligen Entscheidung die Bindungswirkung der Aufkündigungsentscheidung gegenüber der Enkelin letztlich schon damit begründete, dass diese als eingeantwortete Rechtsnachfolgerin der Verlassenschaft als Beklagte in das Prozessrechtsverhältnis mit der Vermieterin eintrat. Aus dem weiteren Umstand, dass in 1 Ob 218/97h bezüglich der Bindung der Enkelin an das (für ihre Rechtsposition vorteilhafte) Ergebnis im Aufkündigungsverfahren auch („im übrigen“) auf ihre Stellung als Nebenintervenientin, der unbeschränktes rechtliches Gehör zugekommen sei, hingewiesen wurde, ist daher für den vorliegenden Fall nichts Zwingendes zu gewinnen.

4. Dem bloßen Argument der Beklagten in der Revisionsbeantwortung, dass dem Kläger im Vorverfahren als Nebenintervenient umfassendes rechtliches Gehör eingeräumt wurde, kommt keine Relevanz zu. Der Oberste Gerichtshof hat in der bereits erwähnten Entscheidung 10 Ob 144/05g ausführlich begründet, dass sich die Beschränkung der Einwendungen im Folgeprozess nicht allein aus der Wahrung des rechtlichen Gehörs ergibt. Der Sinn und Zweck der Streitverkündung liegt darin, den als Schuldner eines Ersatzanspruchs in Frage Kommenden darauf aufmerksam zu machen, dass der Anspruchsteller als Partei eines anhängigen Verfahrens beabsichtigt, dieses Verfahren auch im Interesse des Ersatzpflichtigen zu führen, also nicht nur seine eigenen, sondern auch die fremden Interessen zu verfolgen. Der Nebenintervenient kann daher nur in einem Folgeprozess zwischen ihm und dem Streitverkünder an bestimmte Feststellungen, die im Vorprozess getroffen wurden, gebunden sein. Diese Konstellation liegt jedoch hier nicht vor.

5. Schließlich übergeht die Beklagte mit ihrem weiteren Argument, dass der Vermieter im Aufkündigungsprozess gegen die Verlassenschaft niemals Rechtssicherheit erlangen könne, den Umstand, dass das Bestandverhältnis nur gegenüber dem Mieter aufgekündigt werden kann. Die Aufkündigung der Verlassenschaft gemäß § 30 Abs 2 Z 5 MRG im Fall des Todes des bisherigen Mieters ist daher nicht geeignet, das Rechtsverhältnis zwischen dem Vermieter und dem gemäß § 14 Abs 3 MRG Eintrittsberechtigten zu klären (2 Ob 607/92; in dieser Entscheidung wird auch ausgeführt, dass die Vermieterin nach Obsiegen im Aufkündigungsprozess gegebenenfalls einen weiteren Prozess gegen den Eintrittsberechtigten führen müsse). Da iSd § 14 Abs 3 MRG Eintrittsberechtigte dem Aufkündigungsverfahren gegen die Verlassenschaft auch nur als einfache Nebenintervenienten beitreten können (SZ 18/33 = 2 Ob 114/36; 8 Ob 71/14w mwH; RIS Justiz RS0035603), können sie im Aufkündigungsverfahren auch nur Einwendungen erheben, die das Rechtsverhältnis der Hauptpartei zum Gegner betreffen, nicht aber Einwendungen kraft eigenen Rechts (RIS Justiz RS0035474; 8 Ob 71/14w).

6. Da die Vorinstanzen infolge ihrer vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht, es bestehe im vorliegenden Verfahren eine Bindungswirkung an die Ergebnisse des Vorverfahrens 6 C 384/12x des Erstgerichts, bisher keine Feststellungen getroffen haben, die eine abschließende Beurteilung des geltend gemachten Feststellungsanspruchs erlauben, ist das Verfahren ergänzungsbedürftig, weshalb die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen war.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2015:0090OB00012.15B.0528.000