OGH vom 18.12.2014, 13Os118/14y (13Os135/14y)
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bachl als Schriftführerin in der Strafsache gegen DDr. Raluca T***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1, Abs 2 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom , AZ 123 Hv 9/13i, soweit sie sich gegen den Ausspruch der über den Angeklagten Dipl. Ing. Kurt Me***** verhängten Strafe richtet, sowie über deren Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung dieses Rechtsmittels im bezeichneten Umfang nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird verweigert.
Die Berufung der Staatsanwaltschaft wird, soweit sie sich gegen den Ausspruch der über den Angeklagten Dipl. Ing. Kurt Me***** verhängten Strafe richtet, zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Mit dem auch Freisprüche zweier und Schuldsprüche sechs weiterer Angeklagter (darunter des Dipl. Ing. Johannes Mi***** ) enthaltenden, am , einem Freitag, verkündeten angefochtenen Urteil wurde soweit hier von Bedeutung Dipl. Ing. Kurt Me***** der Verbrechen der Untreue nach §§ 12 dritter Fall, 153 Abs 1, Abs 2 zweiter Fall StGB und der Bestechung nach § 307 Abs 1, Abs 2 zweiter Fall StGB idgF sowie der Vergehen der Bestechung nach § 307 Abs 1 Z 6 StGB idF BGBl I 1998/153 und nach § 307 Abs 1 Z 1 StGB idF BGBl I 2007/109 schuldig erkannt (ON 822 S 10 bis 32).
Innerhalb der dafür zur Verfügung stehenden dreitägigen Frist ab der Verkündung dieses Urteils (§§ 284 Abs 1, 294 Abs 1 StPO) erklärte die Staatsanwaltschaft, dagegen in Ansehung der Freisprüche zweier Angeklagter Nichtigkeitsbeschwerde (ON 836), in Ansehung der gegen die (jeweils schuldig gesprochenen) Angeklagten Dr. Klaus A*****, Dr. Friedrich F***** und Dipl. Ing. Roger C***** ergangenen Aussprüche, aber auch „hinsichtlich“ eines jedoch nicht am Verfahren beteiligten - „Dipl. Ing. Kurt Mi***** “ Berufung anzumelden (ON 835). Dass sich dieses Rechtsmittel (auch) gegen den Dipl. Ing. Kurt Me***** betreffenden Strafausspruch wende, erklärte sie dagegen erst am , somit nach Ablauf dieser Frist (ON 841).
In ihrem am eingebrachten - diesbezüglichen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand führt die Staatsanwaltschaft aus, der mit dem Fall befasste Sachbearbeiter habe (erst) am Nachmittag des erkannt, dass die fristgerechte Anmeldung der Berufung in Betreff des zuletzt genannten Punktes aus Versehen unterblieben sei. Am letzten Tag der dafür zur Verfügung stehenden Frist, dem , einem Montag, habe er wonach die Planung seines Tagesablaufs ohnedies ausgerichtet gewesen sei bereits um 9:45 Uhr seinen Arbeitsplatz verlassen müssen, um einen ärztlichen Behandlungstermin wahrzunehmen und sich anschließend als Vortragender eines Seminars zu betätigen. Daher habe er sich bereits um 7:00 Uhr im Gerichtsgebäude eingefunden, um nach Akteneinsicht zu entscheiden, inwieweit die Staatsanwaltschaft gegen dieses und ein weiteres, ebenfalls am in diesem (umfangreichen) Verfahren ergangenes Urteil Rechtsmittel erheben würde, und sodann die entsprechenden (Erklärungen, Rechtsmittel anzumelden, enthaltenden) Schriftstücke zu erstellen. Bei dieser Tätigkeit sei er dadurch unterbrochen worden, dass ihm überraschend ein „Haftakt“ zur Revision vorgelegt worden sei, den er wegen besonderer Dringlichkeit ebenfalls noch bearbeitet habe. Aufgrund des dadurch entstandenen Zeitdrucks habe er das betreffende (in der EDV erstellte) Schriftstück entgegen seinem eigentlichen Vorhaben nicht mit dem Namen des Angeklagten Dipl. Ing. Kurt Me*****, sondern irrtümlich mit dem einer „nicht existenten Person“ versehen und dieses in der Folge ohne den Fehler zu bemerken ausgedruckt, unterfertigt sowie mittels Telefax an das Gericht übersandt.
Angemerkt sei zunächst, dass wovon die Antragstellerin ohnedies ausgeht eine Umdeutung der Erklärung, Berufung „hinsichtlich [...] DI Kurt Mi***** “ (und der drei weiteren namentlich bezeichneten Angeklagten) anzumelden, zum Nachteil des Dipl. Ing. Kurt Me***** nicht in Betracht kommt. Denn ihr ist unmissverständlich der Wille zu entnehmen, die Entscheidungskompetenz des Berufungsgerichts (bereits bei der Anmeldung dieses Rechtsmittels) im Sinn des § 294 Abs 2 vierter Satz zweiter Halbsatz StPO auf die gegen (bestimmte) einzelne Angeklagte ergangenen (Sanktions )Aussprüche zu beschränken (vgl Ratz , WK StPO § 295 Rz 8); zugleich geht daraus (nach ihrem objektiven Erklärungswert) nicht eindeutig hervor, dass zum (exklusiv bezeichneten) Kreis der von der Berufung betroffenen Angeklagten auch der Genannte zählen soll, ist doch an demselben Verfahren neben Dipl. Ing. Kurt Me***** auch ein Angeklagter namens Dipl. Ing. Johannes Mi***** beteiligt (vgl RIS Justiz RS0099067).
Dem Wiedereinsetzungsantrag kommt in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur keine Berechtigung zu.
Gemäß § 364 Abs 1 StPO ist neben anderen, hier nicht aktuellen Fällen den Beteiligten des Verfahrens die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer Frist zur Anmeldung eines Rechtsmittels zu bewilligen, sofern sie soweit hier relevant (Z 1) nachweisen, dass es ihnen durch unvorhersehbare oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, die Frist einzuhalten, es sei denn, dass ihnen oder ihren Vertretern ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt, und (Z 2) die Wiedereinsetzung innerhalb von 14 Tagen nach dem Aufhören des Hindernisses beantragen.
Rechtliche Beurteilung
Da gegen das Urteil nicht nur Berufung, sondern (von mehreren Seiten) auch Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet wurde, befindet der Oberste Gerichtshof als das Gericht, dem (nach gegenwärtiger Verfahrenslage) die Entscheidung über das betreffende Rechtsmittel zusteht (§ 296 Abs 1 zweiter Satz StPO), auch über die Wiedereinsetzung (§ 364 Abs 2 Z 3 StPO).
Bis zum Inkrafttreten des Strafprozessreformbegleitgesetzes I, BGBl I 2007/93, mit stand dieser Rechtsbehelf anders als nach der nunmehr in Geltung stehenden Fassung des § 364 StPO ausschließlich dem Beschuldigten (Angeklagten), in bestimmten Fällen auch dem Privatankläger offen. Dass der Gesetzgeber den Kreis der zur Erhebung eines solchen Antrags Berechtigten auf (nunmehr) sämtliche Beteiligte des Verfahrens (vgl § 220 StPO) mithin auch auf die Staatsanwaltschaft (§ 210 Abs 2 StPO) erweitert und zugleich jede normative Ungleichbehandlung beseitigt hat, lässt seine Absicht erkennen, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand allen Verfahrensbeteiligten unter den gleichen Voraussetzungen zu eröffnen (11 Os 19/12x, 11 Os 91/12k).
Bei der Beurteilung des Grades der Sorgfaltswidrigkeit ist vorliegend die Maßfigur des gewissenhaften und umsichtigen Staatsanwalts heranzuziehen, die sich von dem bei Vertretern anderer rechtskundiger Berufe in ihrem jeweiligen Tätigkeitsfeld anzulegenden Sorgfaltsmaßstab nicht unterscheidet (abermals 11 Os 19/12x, 11 Os 91/12k).
Ausgehend von der Richtigkeit des Antragsvorbringens beruhte der Irrtum des staatsanwaltschaftlichen Sachbearbeiters über die korrekte namentliche Bezeichnung eines (von mehreren) Angeklagten bei der Rechtsmittelanmeldung auf einem auffallend sorglos herbeigeführten Zeitdruck. Der Sachbearbeiter nahm die Prüfung, inwieweit Rechtsmittel anzumelden wären, innerhalb eines eng begrenzten Zeitfensters von wenigen Stunden am letzten Tag der Frist vor, an welchem er wie bereits zuvor feststand nur bis 9:45 Uhr an seinem Arbeitsplatz anwesend war. Gerade die im Antrag hervorgehobene hohe Komplexität der ergangenen Urteile hätte jedoch dazu Anlass geben müssen, auch unter Berücksichtigung ihm darüber hinaus noch zufallender dringlicher Amtsgeschäfte, mit denen mögen auch „in der Wirtschaftsgruppe der Staatsanwaltschaft Wien Haftfälle eher die Ausnahme darstellen“ jederzeit zu rechnen ist, ausreichend Zeit nicht nur für eine sorgfältige und genaue Prüfung, sondern auch dafür zu veranschlagen, die (letztlich) einzubringen gedachten Rechtsmittelanmeldungen vor deren Übersendung an das Gericht (auch auf ihre inhaltliche Übereinstimmung mit dem Erklärungswillen des Staatsanwaltes hin) gewissenhaft zu kontrollieren. Dass dies aufgrund von Umständen unterblieb, deren Ursache im vorhersehbar gedrängten Zeitplan des Sachbearbeiters gelegen ist, muss der Staatsanwaltschaft als nicht bloß mindergradiges Versehen zugerechnet werden (vgl RIS Justiz RS0109460, RS0103977, RS0101242; Lewisch in WK StPO § 364 Rz 31), sodass ihr Wiedereinsetzungsantrag erfolglos blieb.
Daher war die Berufung im bezeichneten Umfang bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§§ 294 Abs 1, Abs 4, 296 Abs 2 StPO; SSt 35/47).
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2014:0130OS00118.14Y.1218.001