VfGH vom 04.03.2014, B1008/2013
19852
Leitsatz
Verletzung der Versammlungsfreiheit durch Untersagung der Versammlung "Autofreier Tag 2011" auf der Wiener Ringstraße; Prognose über die zu erwartenden Verkehrsbeeinträchtigungen für die Untersagung nicht ausreichend
Spruch
I. Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Mit Eingabe vom zeigte die beschwerdeführende Partei "Interessensgemeinschaft Fahrrad", vertreten durch ihren Obmann, der Bundespolizeidirektion Wien (im Folgenden: BPD Wien) die beabsichtigte Abhaltung einer Versammlung mit dem Titel "Autofreier Tag 2011 – Rasen Am Ring: Für eine lebenswerte, autofreie Stadt!" am an. Wörtlich lautete die Versammlungsanzeige – auszugsweise – wie folgt:
"Ort: Gesamte Verkehrsfläche Burg-, Opern[-] und Rennerring, ohne Nebenfahrbahnen, von Operngasse bis Rathausgasse.
Zeit: DO ; Aufbau ab 11.00 Uhr, Veranstaltungsbeginn 13.00 Uhr, Ende 21.00 Uhr" (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)
Daraufhin fand – wie dem beigeschafften Verwaltungsakt zu entnehmen ist – am Nachmittag des eine Besprechung zwischen dem Obmann der beschwerdeführenden Partei und einem Vertreter der BPD Wien statt. Dabei wurde – auf Grund der zu erwartenden Verkehrsbeeinträchtigung in den Abendstunden – vorgeschlagen, die Versammlung am intendierten Tag bis lediglich ca. 15.30 Uhr abzuhalten. Der Obmann der beschwerdeführenden Partei lehnte dies unter Hinweis darauf ab, dass es diesfalls berufstätigen Menschen nicht möglich wäre, an der Kundgebung teilzunehmen. Im Übrigen hätten ähnliche Versammlungen bereits in den vergangenen Jahren, insbesondere im Jahr 2010, am selben Ort stattgefunden, ohne dass es zu einer Gefährdung des öffentlichen Wohls und der öffentlichen Sicherheit gekommen sei.
2. Mit Bescheid der BPD Wien vom wurde die für den Folgetag vorgesehene Versammlung der beschwerdeführenden Partei gemäß § 6 Versammlungsgesetz 1953, BGBl 98, (im Folgenden: VersammlungsG) in Verbindung mit Art 11 Abs 2 EMRK untersagt und gemäß § 64 Abs 2 AVG die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung ausgeschlossen.
3. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Berufung wurde am bei der BPD Wien eingebracht. Nachdem diese Berufung unerledigt geblieben war, stellte die beschwerdeführende Partei am einen Devolutionsantrag gemäß § 73 Abs 2 AVG.
4. Am erließ die – im Devolutionsweg zuständige – Bundesministerin für Inneres den angefochtenen Bescheid, mit dem die Berufung der beschwerdeführenden Partei abgewiesen wurde.
Begründend wird dazu – im Wesentlichen – ausgeführt:
"Die BPD Wien begründete ihre Entscheidung folgendermaßen:
'[…] Der Veranstalter beabsichtigt, am von 11.00 – 21.00 Uhr an der Örtlichkeit Wien 1. Gesamte Verkehrsfläche Burg-, Opern- und Renner Ring, ohne Nebenfahrbahnen von Operngasse – Rathausgasse, eine Versammlung abzuhalten.
Durch die geplante Versammlung müsste der Verkehr ab der Operngasse über die sogenannte 2er Linie umgeleitet werden. Diese Straßenzüge sind aber ohnehin durch den öffentlichen und Individualverkehr stark belastet. Insbesondere ist der Donnerstag erfahrungsgemäß als einer der verkehrsreichsten Tage anzusehen.
Ab ca. 15.30 Uhr ist mit dem Einsetzen der Abendverkehrsspitze zu rechnen und aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre kann davon ausgegangen werden, dass sich die Verkehrssituation auf die Umleitungsstrecke stark verschärft. Ausgedehnte Stauungen im Umfeld (Praterstern, Praterstraße, Aspernbrückengasse, Franz-Josefs-Kai, Vordere Zollamtsstraße, Am Heumarkt, Rennweg, Prinz-Eugen-Straße, Wiedner Hauptstraße, Favoritenstraße, Linke und Rechte Wienzeile) wären zu erwarten.
Es würde somit der Individualverkehr in Teilen des 1., 2.[…] sowie 3. Bezirks stellenweise zusammenbrechen. Eine Umleitung des Verkehrs auf diverse Ausweichrouten erscheint nahezu aussichtlos. Ebenso würde durch den zu erwarte[nd]en Verkehrsstau eine problemlose und flüssige Durchführung des Betriebs der dortigen öffentlichen Verkehrsmittel stark beeinträchtigt werden. Die Bewohner der betroffenen Straßenzüge würden durch die angesprochenen Verkehrsbehinderungen einer erhöhten Lärmbelästigung sowie Gesundheitsgefährdung durch erhöhten Ausstoß von Abgasen ausgesetzt werden. Aus all diesen genannten Gründen ist nach Ansicht der Behörde das öffentliche Wohl durch die Abhaltung der Versammlung (insbesondere in der Abendverkehrsspitze) stark gefährdet.
Es ist auch zu bedenken, dass Einsatzfahrzeuge in diesen Staubereich eingekeilt wären, was zur Folge hätte, dass eine entsprechende Hilfeleistung bei Notfällen zu spät oder gar nicht erfolgen könnte. Diese Gründe stellen nach Ansicht der Behörde jedenfalls eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar.
Dem Veranstalter wurde vorgeschlagen, die Versammlung lediglich bis zum Einsetzen der Abendverkehrsspitze (ca. 15.30 Uhr) abzuhalten. Dies, um die angesprochenen extremen Verkehrsbehinderungen und die damit verbundenen erhöhten Beeinträchtigungen, wie oben beschrieben, hintanzuhalten. Dazu gab der Veranstalter an:
Der Versammlungszweck ist nur zu einer Zeit zu erreichen[,] der auch berufstätigen Menschen die Teilnahme erlaubt, daher Versammlungsanzeige bis 21.00 Uhr. Die vergangenen Versammlungen am selben Ort (, Ringsperre ebenso von Operngasse – Rathausgasse) zeigten, dass die Abhaltung ohne Gefährdung des öffentlichen Wohls oder [der] öffentlichen Sicherheit durchführbar ist. Wir sehen daher weder Grund noch Möglichkeit zur Einschränkung der angezeigten Versammlung. Zur beabsichtigten Untersagung der Versammlung gab der Veranstalter im Wesentlichen an, dass er keine Kompromissbereitschaft seitens der Behörde feststellen könne.
Den Einwendungen des Veranstalters ist entgegen zu halten, dass die Ringsperre im Jahr 2010 ebenso zu Beeinträchtigungen führte, nunmehr ein erfahrungsgemäß mit wesentlich höherem Verkehrsaufkommen belasteter Tag als Versammlungstag gewählt wurde und somit die Behörde nach sorgfältiger Abwägung der Interessen des Veranstalters an den Abhaltung der Versammlung mit den Interessen der Öffentlichkeit, im Lichte der Versammlungsfreiheit zu dem Schluss gelangte, dass die Beeinträchtigungen für die Öffentlichkeit (nämlich die zu befürchtende unvermeidbare, weiträumige, lange währende Störung des Straßenverkehrs) aus den bereits ausgeführten Gründen weit schwerer wiegen, als die Interessen des Veranstalters an der Abhaltung der Versammlung.
Die Behörde ist der Ansicht, dass der Schutz [der] in Art 11 Abs 2 EMRK genannten Güter, nämlich der Aufrechterhaltung der Ordnung[,] der Gesundheit und der Rechte und Freiheiten anderer, die Untersagung der beabsichtigten Versammlung notwendig macht. […]'
[…]
In der Sache selbst ließ sich das Bundesministerium für Inneres von folgenden Überlegungen leiten:
Die in der Begründung des angefochtenen Bescheids [z]um Ausdruck gebrachte Beurteilung der Sach- und Rechtslage wird geteilt:
Gemäß § 6 VersammlungsG ist eine Versammlung, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, von der Behörde zu untersagen.
Die Behörde ist hiezu jedoch nur dann ermächtigt, wenn dies aus einem der in Artikel 11 Abs 2 EMRK genannten Gründe notwendig ist. Die Behörde hat, wenn sie eine Untersagung einer Versammlung in Betracht zieht, die Interessen des Veranstalters an der Abhaltung der Versammlung in der geplanten Form gegen die in Artikel 11 Abs 2 EMRK aufgezählten öffentlichen Interessen am Unterbleiben der Versammlung abzuwägen (vgl VfSlg 10443/1985); sie hat anhand einer Prognose über die zu erwartenden Auswirkungen der Versammlung abzuwägen, ob die mit der Versammlung verbundenen Beeinträchtigungen im Interesse der Versammlungsfreiheit von der Öffentlichkeit hinzunehmen sind oder nicht (vgl VfSlg 11832/1988). Die Behörde hat ihre (Prognose)Entscheidung auf Grund konkreter, objektiv erfassbarer Umstände zu treffen (vgl zB VfSlg 5087/1965, 6530/1971, 6850/1972, 8610/1979, 11832/1988, 12155/1989).
Die Auswirkungen der beabsichtigten Versammlung wurden von der BPD Wien im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens rechtlich nachvollziehbar beurteilt und finden sich – entgegen der Behauptung des Berufungswerbers – auch in der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides wieder. Es liegt daher kein Verstoß gegen die Begründungspflicht von Bescheiden vor.
So geht aus einer von der BPD Wien zwecks Erstellung einer Prognose im Vorfeld der vom Verein 'Interessensgemeinschaft Fahrrad' angezeigten Versammlung eingeholten Stellungnahme des Landespolizeikommandos Wien, Landesverkehrsabteilung, vom Folgendes hervor:
'Durch eine Sperre der Ringstraße zwischen Operngasse und Bellariastraße ist tagsüber mit einer Staubildung von höhe Operngasse rückreichend bis Höhe Johannesgasse zu rechnen. Auf der Umleitungsstrecke über Schwarzenbergplatz – Lothringerstraße – ehemalige 2er-Linie bis Bellariastraße wird der Verkehr eher zähflüssig sein. Mit Einsetzen der Abendverkehrsspitze ab etwa 15.30 Uhr kann aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre davon ausgegangen werden, dass sich die Verkehrssituation auf den oa Bereichen noch verschärft.
Ausgedehnte Stauungen im Umfeld (Praterstern, Praterstraße, Aspernbrückenstraße, Franz Josefs Kai, Vordere Zollamtsstraße, Am Heumarkt, Rennweg, Prinz Eugen Straße, Wiedner Hauptstraße, Favoritenstraße, Linke und Rechte Wienzeile) wären zu erwarten'.
Diese Prognose über die zu erwartenden Verkehrsbeeinträchtigungen basiert nicht – wie in der Berufung behauptet – auf bloßen Vermutungen und Befürchtungen, sondern auf entsprechenden Erfahrungsberichten der Landesverkehrsabteilung aus den Vorjahren, so etwa auch bei einer im Jahr 2010 durchgeführten gleichartigen Versammlung. Die BPD Wien konnte somit im gegenständlichen Fall zu Recht davon ausgehen, dass es auf Grund der Versammlung in der der Behörde angezeigten Form zu schwerwiegenden Verkehrsbehinderungen kommen werde. Die seitens der BPD Wien durchgeführte Interessenabwägung ist daher zu Recht zu Ungunsten des Veranstalters ausgefallen.
Ein Kompromissvorschlag der BPD Wien, die Versammlung lediglich bis zum Einsetzen der Abendverkehrsspitze (ab ca 15:30 Uhr) abzuhalten, wurde vom Veranstalter nicht angenommen.
Entgegen den Ausführungen in der Berufung kann daher von einer falsch gewichteten Interessenabwägung bzw Verhältnismäßigkeitsprüfung durch die BPD Wien keine Rede sein. Vielmehr lagen sehr wohl rechtlich fundierte Gründe für die Untersagung der gegenständlichen Versammlung vor.
Im Hinblick darauf, dass das VersammlungsG kein Konzessionssystem, sondern ein Anmeldesystem normiert, erscheint auch der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer allfälligen Berufung rechtens, weil im Interesse des öffentlichen Wohles wegen der Gefahr einer Vereitelung des mit der Untersagung verfolgten Zwecks dringend geboten." (Zitat ohne die im Original enthaltene Hervorhebung)
5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Versammlungsfreiheit, sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
Begründend führt die beschwerdeführende Partei dazu – im Wesentlichen – aus:
"Der angefochtene Bescheid wird damit begründet, dass die Abhaltung der angezeigten Versammlung das öffentliche Wohl und die öffentliche Sicherheit gefährden würde. Die Prognose über die zu erwartenden Auswirkungen der Versammlung würde die Untersagung der Versammlung rechtfertigen.
Die Ausführungen des BF in dessen Berufung gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien (vgl. Sachverhalt) werden ebenso zur Beschwerdebegründung herangezogen. Im [E]inzelnen ist darüber hinaus auszuführen:
Der Prognoseentscheidung der Bundespolizeidirektion Wien liegt die Stellungnahme des Landespolizeikommandos Wien, Landesverkehrsabteilung, vom zugrunde, nach der:
- aufgrund der Sperre der Ringstraße zwischen Operngasse und Bellariastraße tagsüber mit einer Staubildung von Höhe Operngasse rückreichend bis Höhe Johannesgasse zu rechnen sei;
- auf der Umleitungsstrecke über Schwarzenbergplatz – Lothringerstraße der Verkehrsfluss eher zähflüssig sein werde;
- mit Einsetzen der Abendverkehrsspitze ab etwa 15:30 Uhr aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre davon ausgegangen werden müsse, dass sich die Verkehrssituation auf den oa Bereichen verschärfe;
- ausgedehnte Stauungen im Umfeld zu erwarten seien.
Zwar mag es sein, dass die angezeigte Versammlung unter diesen Umständen eine Beeinträchtigung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs bewirkt hätte und es mag sogar sein, dass hierdurch die Belange der Allgemeinheit in einem Maße berührt worden wären, das über das in vergleichbaren Fälle[n] Übliche hinausgeht. Die Bedeutung der Versammlungsfreiheit in einem demokratischen Staat verbietet jedoch eine extensive Auslegung dieser vom Versammlungsgesetz 1953 verwendeten Begriffe, weil sie geradezu zur Aushöhlung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts der Versammlungsfreiheit führen müsste.
Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis Nr 7229 vom ausgesprochen, dass es zwar zutrifft, dass eine die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs beeinträchtigende Versammlung nicht allein deswegen schon die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl im Sinne des § 6 Versammlungsgesetz[…] 1953 gefährdet. Dem hat auch der Gesetzgeber Rechnung getragen, indem er (auch) Versammlungen gegenüber anderen Arten der Benutzung [zu] straßenverkehrsfremden Zwecken (§82 ff StVO) eine Sonderregelung (§86 leg cit) zuteil werden lie[ß].
Eine Verkehrsbeeinträchtigung, durch die Belange der Allgemeinheit in einer Art berührt werden können, dass der Tatbestand der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder […] des öffentlichen Wohls gegeben ist, muss jedoch etwa unvermeidbare, weiträumige, lange währende, sicherheitsgefährdende und extreme Störungen des Straßenverkehrs zur Folge haben (vgl. B57789).
Keines dieser Kriterien war allerdings im gegenständlichen Fall gegeben. Dass Verkehrsbeeinträchtigungen durch entsprechende Maßnahmen auf ein angemessenes Maß herabzusetzen gewesen wären, zeigen schon die erfolgreich und ohne nennenswerte Beeinträchtigungen abgehaltenen gleichgestalteten Versammlungen zum autofreien Tag der Vorjahre.
Gemäß den Feststellungen war gegenständlich lediglich mit einer Staubildung zu rechnen. In welcher Dauer und welchem Ausmaß ist daraus nicht ersichtlich. ein eher zähflüssiger Verkehr war zu erwarten. Damit ist jedoch am Ring und seinen Nebenfahrbahnen tagtäglich zu rechnen. Für welche Dauer und für welches Ausmaß die Zähflüssigkeit des Verkehrs zu erwarten war, beantwortete die belangte Behörde nicht. Eine Determinierung der Verschärfung der Verkehrssituation blieb die belangte Behörde schuldig. Zuletzt blieb auch die Dauer und das Ausmaß der befürchteten ausgedehnten Stauungen unklar.
Etwaige Verkehrsbeeinträchtigungen aufgrund der Versammlung hätten durch geeignete Maßnahmen jedenfalls auf ein erträgliches Maß beschränkt werden können.
Die geplante Versammlung war bereits Wochen vor dem Termin angekündigt. Anrainer und Straßenbenützer hätten sich daher (idealerweise gemäß dem Motto der Versammlung) auf etwaige Verkehrsbehinderungen vorbereiten können.
Warum der Donnerstag im Vergleich zu anderen Wochentagen als besonders [v]erkehrsreich anzusehen ist, ist nicht ersichtlich und wird von der belangten Behörde auch nicht weiter erklärt.
Wenn die belangte Behörde zudem behauptet, dass die Bewohner der vom Ausweichverkehr betroffenen Straßenzügen durch die aufgrund der geplanten Versammlung hervorgerufene Verkehrsbehinderung einer erhöhten Lärmbelästigung und einem erhöhten Abgasausstoß und somit einer Gesundheitsgefährdung ausgesetzt wä[…]ren, so ist dies nicht nachvollziehbar.
Eine Gesundheitsgefährdung durch eine etwaig[e] 10-stündige vermehrte Verkehrsbelastung ist denkunmöglich und als bloße Schutzbehauptung zurückzuweisen.
Die Versammlung war mit den Wiener Linien abgesprochen, die dagegen keine Einw[ä]nde erhoben. Auch der Straßenbahnverkehr am Ring selbst wäre durch die Versammlung nicht im [G]eringsten behindert worden, weil die Straßenbahngleise zu diesem Zweck freigehalten werden sollten, wie dies auch [bei] in gleicher Weise abgehaltenen Versammlungen der Vorjahre der Fall war.
Auch Einsatzfahrzeuge hätten ohne Probleme am Ring fahren können, weil die Nebenfahrbahnen freigelassen werden sollten und die Einsatzfahrzeuge zudem auch die ebenfalls freien Straßenbahngleise hätten befahren können.
Hinzuweisen ist nochmals, dass der autofreie Tag weltweit auf den 22. September fällt und ebenso weltweit zahlreiche Städte und Gemeinden vergleichbare Aktionen an diesem Tag veranstalten. Ziele hinter solchen Aktionen sind:
- die Öffentlichkeit zum Verzicht auf das Auto für zumindest einen Tag zu bewegen, auf […]eine solche Möglichkeit aufmerksam zu machen, oder zumindest das Bewusstsein dafür zu schaffen;
- dadurch die Schaffung autofreier Zonen in Wohngebieten und in der Innenstadt voranzutreiben;
- die Förderung des unmotorisierten und öffentlichen Verkehrs voranzutreiben;
- aufzuzeigen, wie viel Lebensqualität durch solche autofreien Zonen erreicht werden kann.
All diese Ziele sind als wichtige öffentliche Interessen zu werten, die in die Interessenabwägung im Zulassungsverfahren einzufließen haben.
Zudem ist bei dieser Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass, (i) wie auch [aus] bereits in den Vorjahren abgehaltenen gleichartigen Versammlungen ersichtlich, mit einer großen Zahl von Teilnehmern zu rechnen war, (ii) dem Ring als traditionellen Versammlungsort mit besonderer Publizitätswirkung, (iii) die Häufigkeit von Versammlungen am Ring (vgl. nur die Sperrung von Teilen des Rings im Rahmen der EURO 2008[,] wo dieser für Wochen für den Verkehr gesperrt war), (iv) die rechtzeitige medienwirksame Bekanntgabe, (v) die Durchlässigkeit der Versammlung für bevorzugte Straßenbenutzer (Einsatzfahrzeuge, Straßenbahnen), (vi) die Versammlungen in den vergangenen Jahren stets überaus friedlich verliefen und zu keinerlei Beschädigung führten.
Hinzu kommt, dass der gegenständlichen Versammlung[…], die sich gemeinschaftlichen Anliegen widme[t], im Lichte einer demokratischen Gesellschaft ein größeres Gewicht in der Interessenabwägung zukommt als Versammlungen zur Verfolgung privatnütziger Zwecke. Je höher ein Anliegen bzw. Ziel zu bewerten ist, desto eher vermag es negative Auswirkungen auf andere Rechte zu rechtfertigen (vgl. Zierl, Versammlungsrecht für die Praxis, RZ304-305).
Da die gegenständliche Versammlung weder zur Gefährdung der öffentlichen Sicherheit noch zur Gefährdung der öffentlichen Ordnung geeignet war, verletzt der angefochtenen Bescheid das Recht auf Versammlungsfreiheit des Beschwerdeführers."
6. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.
II. Rechtslage
§6 VersammlungsG, BGBl 98/1953, lautet wie folgt:
"Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, sind von der Behörde zu untersagen."
Diese Bestimmung ist angesichts des materiellen Gesetzesvorbehalts in Art 11 Abs 2 EMRK im Einklang mit dieser Verfassungsnorm zu interpretieren. Die Behörde ist daher zur Untersagung nur dann ermächtigt, wenn dies aus einem der in Art 11 Abs 2 EMRK genannten Gründe notwendig ist (vgl. dazu etwa VfSlg 10.443/1985, 12.155/1989, 12.257/1990).
III. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit der Beschwerde:
1.1. Als Veranstalter einer Versammlung kann nur auftreten, wer Rechtspersönlichkeit besitzt (vgl. zB VfSlg 11.258/1987). Die beschwerdeführende Partei ist ein nach dem Bundesgesetz über Vereine (Vereinsgesetz 2002), BGBl I 66, idgF konstituierter Verein und besitzt daher Rechtspersönlichkeit (§1 Abs 1 leg.cit.).
1.2. Das zur Außenvertretung zuständige Organ eines Vereins ergibt sich primär aus den Vereinsstatuten (vgl. § 6 Abs 2 leg.cit.). Im Fall der beschwerdeführenden Partei obliegt die Vertretung nach außen laut Statuten
"dem Obmann / der Obfrau, in deren Vertretung dem stellvertretenden Obmann / der stellvertretenden Obfrau; oder einem anderen Vorstandsmitglied in Absprache mit dem Vorstand; oder Personen, die vom Vorstand schriftlich beauftragt wurden".
1.3. Die beschwerdeführende Partei ist damit zur Einbringung der – auch ansonsten zulässigen – Beschwerde legitimiert.
2. In der Sache:
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die angezeigte Versammlung untersagt, weshalb zu prüfen ist, ob die beschwerdeführende Partei in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt wurde (vgl. VfSlg 15.170/1998, 15.952/2000, 17.120/2004).
2.1. Im vorliegenden Fall hat die beschwerdeführende Partei am eine Kundgebung angezeigt, die zwei Tage später auf einem Teil der Wiener Ringstraße hätte stattfinden sollen und die – auf das Wesentliche zusammengefasst – am von der Versammlungsbehörde mit der Begründung untersagt wurde, dass diese Versammlung auf Grund der zu erwartenden Verkehrsbeeinträchtigungen eine erhöhte Lärmbelästigung bzw. Gesundheitsgefährdung für die Anrainer der Ausweichrouten und im Übrigen eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit mit sich brächte.
Ihre Prognoseentscheidung gründete die erstinstanzliche Behörde – soweit dies ihrem Untersagungsbescheid zu entnehmen ist – auf "Erfahrungen der letzten Jahre" im Zusammenhang mit gleichartigen Kundgebungen und darauf, dass "der Donnerstag" – die geplante Versammlung wäre auf diesen Wochentag gefallen – "als einer der verkehrsreichsten Tage anzusehen" sei. Dies bestätigte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid wie folgt:
"Diese Prognose über die zu erwartenden Verkehrsbeeinträchtigungen basiert nicht […] auf bloßen Vermutungen und Befürchtungen, sondern auf entsprechenden Erfahrungsberichten der Landesverkehrsabteilung aus den Vorjahren, so etwa auch bei einer im Jahr 2010 durchgeführten gleichartigen Versammlung. Die BPD Wien konnte somit im gegenständlichen Fall zu Recht davon ausgehen, dass es auf Grund der Versammlung in der der Behörde angezeigten Form zu schwerwiegenden Verkehrsbehinderungen kommen werde. Die seitens der BPD Wien durchgeführte Interessenabwägung ist daher zu Recht zu Ungunsten des Veranstalters ausgefallen."
2.2. Wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung beginnend mit VfSlg 5087/1965 judiziert, hat die Behörde im Fall der Untersagung einer Versammlung bei ihrer Entscheidung die Interessen des Veranstalters an der Abhaltung der Versammlung in der geplanten Form gegen die in Art 11 Abs 2 EMRK aufgezählten Interessen am Unterbleiben der Versammlung abzuwägen. Diese Entscheidung ist eine Prognoseentscheidung, die die Behörde auf Grundlage der von ihr festzustellenden, objektiv erfassbaren Umstände in sorgfältiger Abwägung zwischen dem Schutz der Versammlungsfreiheit und den von der Behörde wahrzunehmenden öffentlichen Interessen zu treffen hat.
2.3. Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof – mit Hinweis auf die Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art 11 EMRK – ausgesprochen, dass die Untersagung einer Versammlung stets nur ultima ratio sein kann, und hat dabei auf die Pflicht des Staates, die Ausübung des Versammlungsrechtes zu gewährleisten, hingewiesen (vgl. mwN).
2.4. Auch hatte sich der Verfassungsgerichtshof mehrfach mit der Frage zu befassen, ob und inwieweit auf Grund der Abhaltung einer Versammlung entstehende Verkehrsbehinderungen die Untersagung einer Versammlung insoweit rechtfertigen können, als es im öffentlichen Interesse gelegen ist, den Verkehrsfluss aufrechtzuerhalten. Bei dieser Beurteilung hat es stets auch eine Rolle gespielt, ob die Versammlungsbehörde in der Lage gewesen wäre, entstehende Verkehrsbehinderungen im Vorfeld der Versammlung durch geeignete Maßnahmen auf ein noch erträgliches Maß zu beschränken (so schon VfSlg 7229/1973).
2.5. Die belangte Behörde stützt die Untersagung der vorliegenden Versammlung alleine auf zu erwartende "schwerwiegende Verkehrsbehinderungen" und lässt das Interesse an deren Vermeidung bereits als Argument für die Untersagung genügen. Dabei übersieht die belangte Behörde, dass der Veranstalter des autofreien Tages gerade auch öffentliche Verkehrsflächen benutzen will. Auch ist zu bedenken, dass der Veranstalter in seiner Versammlungsanzeige sogar darauf geachtet hat, dass der öffentliche Verkehr am Versammlungsort ungehindert durchgeführt werden kann und dass Einsatzfahrzeuge die Nebenfahrbahnen der Wiener Ringstraße gegebenenfalls benützen könnten. Auch war der Zeitpunkt der geplanten Versammlung von vornherein allgemein bekannt und es den zuständigen Behörden daher zumutbar, zeitgerecht für entsprechende Ausweichrouten zu sorgen (vgl. auch , Schmidberger , Slg. 2003, I-5694 [Rz 85 ff.]).
2.6. Bei der hier untersagten Versammlung ist vorerst darauf hinzuweisen, dass – wie die beschwerdeführende Partei in ihrem Schriftsatz ausführt – der "autofreie Tag" am 22. September weltweit abgehalten wird und dieser in Wien bereits zum fünften Mal stattfinden hätte sollen. Unter dem Titel "Rasen am Ring" hat bereits in den Jahren 2007 bis 2010 jeweils auf einem Abschnitt der Wiener Ringstraße in den Nachmittags- und Abendstunden diese Form der Versammlung stattgefunden. Auch in den Jahren 2009 und 2010 fielen die Kundgebungen auf einen Werktag. Wie dem – im beigeschafften Verwaltungsakt enthaltenen – Verkehrslagebericht der BPD Wien, Landesverkehrsabteilung, über die Versammlung des Jahres 2010, auf den sich die belangte Behörde in der angefochtenen Entscheidung stützt, entnommen werden kann, herrschte infolge der teilweisen Sperre der Wiener Ringstraße damals "zähflüssiges Verkehrsaufkommen" und es kam zu "ausgedehnten Stauungen" auf den Ausweichrouten.
2.7. Im Lichte dessen und vor dem Hintergrund der obzitierten Rechtsprechung ist für den Verfassungsgerichtshof hier nicht nachvollziehbar, inwiefern die von der beschwerdeführenden Partei beabsichtigte Versammlung eine so schwerwiegende Gefahr der öffentlichen Sicherheit oder des öffentlichen Wohles hervorrufen hätte können, dass ihre Untersagung gemäß Art 11 Abs 2 EMRK gerechtfertigt war.
IV. Ergebnis
1. Die beschwerdeführende Partei ist somit durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt worden.
Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:VFGH:2014:B1008.2013