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OGH vom 16.02.2022, 13Os117/21m

OGH vom 16.02.2022, 13Os117/21m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz-Hummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Rechtspraktikant Mag. Jäger BA, in der Strafsache gegen * Z* wegen des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und 2 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom , GZ 35 Hv 65/19m-77, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde, die Berufung der Staatsanwaltschaft sowie jene der Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Schuld werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung der Angeklagten gegen den Ausspruch über die Strafe werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Der Angeklagten fallen auch jene Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last, die nicht durch das unzulässige Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft verursacht worden sind.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * Z* des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und 2 erster Fall StGB (I) und mehrerer Vergehen der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB (II) schuldig erkannt.

[2] Danach hat sie vom bis zum in A*

1) sich in mehreren Hundert Tatangriffen Güter im Wert von mehr als 5.000 Euro, die ihr als Abteilungs- bzw Verkaufsstellenleiterin des vom Verein U* betriebenen Second Hand Shops anvertraut waren, mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz zugeeignet, indem sie insgesamt 131.209,20 Euro Bargeld aus der Registrierkassa an sich nahm, sowie

2) falsche Urkunden im Rechtsverkehr zum Beweis einer Tatsache gebraucht, indem sie zur Verschleierung des Kassenfehlstands zumindest 1.414 Auszahlungsbelege an Kunden vorgeblicher Kommissionsgeschäfte ausdruckte, diese mit Kundennamen und Kommissionsnummern zurückliegender Kommissionsgeschäfte versah und mit dem Kundennamen unterschrieb und diese Auszahlungsbelege anschließend im Kassabuch erfasste, sodass die Beträge als tatsächliche Auszahlungsbeträge an Kunden verbucht wurden.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5, 5a und 9 lit a StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten.

[4] Indem die Verfahrensrüge (Z 3) die Eingrenzung des Tatzeitraums als zu wenig genau kritisiert, ohne zu sagen, weshalb dies der Individualisierung der Tat entgegenstehen soll, entzieht sie sich einer inhaltlichen Erwiderung (RIS-Justiz RS0117498; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 290).

[5] Der insoweit auch erhobene Einwand unzureichender Feststellungen (der Sache nach Z 9 lit a) verkennt grundlegend, dass die Richtigkeit der vom Erstgericht vorgenommenen Subsumtion (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) nicht am Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO), sondern an den Feststellungen der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) zu messen ist (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 266 und 269 mwN).

[6] Entgegen der weiteren Verfahrensrüge (Z 4) ist die Abweisung der nachangeführten Anträge nicht zu beanstanden:

[7] Die Anträge auf zeugenschaftliche Vernehmung

- des Wahlverteidigers der Angeklagten, Mag. * R*, zum Beweis dafür, dass „Frau Z* das ihr anvertraute Geld vereinbarungsgemäß abgeliefert“ habe (ON 73 S 54), sowie

- von insgesamt 17 namentlich genannten Personen (ON 76 S 22 iVm ON 60 und ON 62) zum Beweis dafür, dass „die an Frau Z* anvertrauten Gelder abgeliefert und verwahrt wurden, dass keine Auszahlungsbelege gefälscht wurden und dass sie korrekt arbeitete“,

ließen nicht erkennen, weshalb zu erwarten sei, dass eine Durchführung das behauptete Ergebnis haben werde, und zielten solcherart auf eine insoweit nicht zulässige Erkundungsbeweisführung ab (RIS-Justiz RS0099189 und RS0118444).

[8] Der Antrag auf Vernehmung der Zeugin * B* zum Beweis dafür, dass „an angeblich Dienstag Nachmittagen die Frau Z* nicht alleine gewesen ist, sondern immer Frau A* und Frau B* anwesend waren“ (ON 76 S 21), blieb darüber hinaus zudem ohne Bekanntgabe der nicht ohne weiteres erkennbaren Relevanz des Beweisthemas für die Lösung der Schuld- oder der Subsumtionsfrage (Ratz, WKStPO § 281 Rz 321 und 327).

[9] Entgegen dem Vorbringen der Mängelrüge (Z 5), die aus der Verwendung der Worte „wohl“ (US 19), „offenkundig“ und „nicht zweifelhaft“ (US 21) Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) der Urteilsbegründung ableitet, brachten die Tatrichter klar zum Ausdruck, aus welchen konkreten Gründen die Feststellung entscheidender Tatsachen erfolgt ist (US 7 bis 21).

[10] Soweit die Beschwerde in der Verwendung dieser Formulierungen sowie der Ausdrücke „zweifelsfrei“ (US 16) und „zweifellos“ (US 20) überdies eine offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) sieht, geht sie daran vorbei, dass aus der Verwendung dieser Worte dem Gericht nur dann der Vorwurf der Scheinbegründung gemacht werden könnte, wenn dies dazu dienen sollte, ohne Vorliegen konkreter Beweisergebnisse entscheidungswesentliche Tatsachen als gegeben darzustellen, also eine sachgerechte, fallbezogene Begründung zu ersetzen (RIS-Justiz RS0099494 [T5, T11 und T12]). Davon kann angesichts der eingehenden Beweiswürdigung der Tatrichter (siehe erneut US 7 bis 21) keine Rede sein.

[11] Mit dem Gutachten des Schriftsachverständigen * J* (ON 58 iVm ON 76 S 23) haben sich die Tatrichter hinreichend auseinandergesetzt (US 18 f). Zu einer Erörterung sämtlicher Details des Gutachtens waren sie entsprechend dem Gebot zu gedrängter Darstellung in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) nicht verhalten (RIS-Justiz RS0098778 und RS0106295).

[12] Mit der eigenständigen Würdigung einzelner Passagen des Gutachtens wendet sich die Beschwerde nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld in unzulässiger Weise gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

[13] Durch die Berufung auf den Zweifelsgrundsatz wird ein aus Z 5 beachtlicher Mangel nicht behauptet (RIS-Justiz RS0102162).

[14] Die Tatsachenrüge (Z 5a) sieht in der Unterlassung der Vernehmung eben jener Zeugen, hinsichtlich derer auch die Verfahrensrüge (Z 4) die Abweisung der bezughabenden Anträge kritisiert, eine Verletzung der Pflicht des Erstgerichts zu amtswegiger Wahrheitsforschung. Damit verkennt sie die unter dem Aspekt der Sachverhaltsermittlung bestehende Subsidiarität des angesprochenen Nichtigkeitsgrundes gegenüber jenem der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO (RIS-Justiz RS0114036 [T11] und RS0115823 [T2, T6 sowie T10]).

[15] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) leitet nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (RIS-Justiz RS0116565), weshalb die Feststellungen, wonach die Angeklagte die Tatbildmäßigkeit ihres Handelns „erkannte und billigte“ (US 5 f), für die Annahme bedingten Vorsatzes (§ 5 Abs 1 zweiter Halbsatz StGB) nicht ausreichen sollten (vgl dazu Reindl-Krauskopf in WK2 StGB § 5 Rz 34 ff; RIS-Justiz RS0106646, RS0089250 und RS0088934 [T8]).

[16] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO – ebenso wie die angemeldete (ON 76  S 26), im schöffengerichtlichen Verfahren aber nicht vorgesehene (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung der Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Schuld – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[17] Die Entscheidung über die Berufung der Angeklagten gegen den Ausspruch über die Strafe kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

Zur Berufung der Staatsanwaltschaft:

[18] Unmittelbar nach der Urteilsverkündung meldete der Vertreter der Staatsanwaltschaft Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe an, ohne die Richtung der Sanktionsanfechtung (zugunsten oder zum Nachteil der Angeklagten) festzulegen (ON 76 S 26).

[19] Zur Ausführung der Berufung wurde der Staatsanwaltschaft vom Erstgericht am eine Ausfertigung des Urteils sowie des Protokolls über die Hauptverhandlung vom zugestellt (ON 1 S 33, Zustellnachweis in der Verfahrensautomation Justiz [VJ]). Überdies wurde ihr der Akt am zur „Entn. UA + PA“ (ON 1 S 34) und am zur Äußerung zur „angemeldeten [...] Berufung der StA (S 26, ON 76)“ (ON 1 S 35) übermittelt.

[20] Die zum Nachteil der Angeklagten ausgeführte Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe langte am beim Landesgericht St. Pölten ein (ON 1 S 35, ON 82 S 1).

[21] Auch wenn die Zustellung gerichtlicher Erledigungen an die Staatsanwaltschaft sowohl durch Zustellung einer Ausfertigung (§ 79 GOG) als auch durch Aktenübermittlung zur Einsichtnahme erfolgen kann (§ 81 Abs 1 StPO, § 81 Abs 3 StPO), so wird die Rechtsmittelfrist für die Staatsanwaltschaft schon durch die gerichtlich verfügte Zustellung und nicht erst durch das allenfalls spätere Einlangen des Aktes ausgelöst (vgl RIS-Justiz RS0129442).

[22] Aufgrund der Zustellung der Urteilsausfertigung an die Staatsanwaltschaft am endete die vierwöchige Frist zur Ausführung des Rechtsmittels daher gemäß § 294 Abs 2 zweiter Satz StPO mit Ablauf des . Solcherart ist die erst am bei Gericht eingelangte Berufungsausführung verspätet und die (erstmalig) darin vorgenommene Festlegung des Anfechtungsziels unbeachtlich.

[23] Die Berufung war daher gemäß § 296 Abs 2 iVm § 294 Abs 4 StPO zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0100042).

[24] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO (vgl Lendl, WK-StPO § 390a Rz 8).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2022:0130OS00117.21M.0216.000

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