OGH vom 14.05.1997, 9Ob118/97m

OGH vom 14.05.1997, 9Ob118/97m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer, Dr.Steinbauer, Dr.Spenling und Dr.Hradil als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Silvia N*****, geboren am , vertreten durch das Amt für Jugend und Familie für den 11. Bezirk, Enkplatz 2, 1110 Wien, als Unterhaltssachwalter, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Minderjährigen gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom , GZ 43 R 45/97d-89, womit infolge Rekurses der Minderjährigen der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom , GZ 6 P 2203/95f-79, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, daß sie zu lauten haben:

1. Die mit Beschluß vom , GZ 6 P 2203/95f-74, dem minderjährigen Kind für die Zeit vom bis gewährten Unterhaltsvorschüsse von S 3.200 monatlich werden ab bis auf S 3.000 herabgesetzt. Das Vorschußmehrbegehren wird abgewiesen.

2. Der Präsident des Oberlandesgerichtes Wien hat ab die reduzierten Unterhaltsvorschußbeträge von S 3.000 monatlich an Eleonore H*****, zur Auszahlung zu bringen.

Der Unterhaltsschuldner wird zur Zahlung einer Pauschalgebühr von S

1.500 verpflichtet.

Text

Begründung:

Mit Beschluß vom wurden der Minderjährigen für die Zeit vom bis Titelvorschüsse in der Höhe von monatlich S 3.200 gewährt.

Das Erstgericht setzte infolge des Antrages auf Weitergewährung von Unterhaltsvorschüssen die vom bis gewährten Unterhaltsvorschüsse von S 3.200 monatlich ab bis auf S 1.500 monatlich herab. Die Minderjährige sei seit als Lehrling mit einer monatlichen Durchschnittslehrlingsentschädigung von S 5.036 beschäftigt und beziehe eine Durchschnittswaisenpension von S 982 monatlich. Ihre Eigeneinkünfte betrügen daher insgesamt S 6.018. Die Mutter der Minderjährigen sei bei der Geburt verstorben. Die Elternrechte seien der mütterlichen Großmutter Eleonore H***** übertragen worden, die auch Empfängerin der Unterhaltsvorschüsse sei.

Rechtlich sei unter Zugrundelegung der Entscheidung des verstärkten Senates des Obersten Gerichtshofes 1 Ob 560/92 bei Ermittlung des Unterhaltsbetrages bei Jugendlichen, die eigene Einkünfte beziehen, von einem Verhältnis der Geldleistung zur Betreuungsleistung von 1 :

1 auszugehen. Der Bedarf der Minderjährigen sei mit S 9.000 netto monatlich anzunehmen, sodaß sich abzüglich der Eigeneinkünfte von S 6.018 ein Unterhaltsbedarf von S 3.000 monatlich ergebe, wobei der Geldunterhaltsanteil des Vaters S 1.500 betrage.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zugelassen werde.

Es vertrat die Rechtsauffassung, daß die mütterliche Großmutter, der die Obsorge nach § 145 Abs 1 ABGB übertragen worden sei, in Vollzug dieses Aufgabenbereiches eine eigene Betreuungspflicht genauso wie die Mutter erfülle, der nach § 177 ABGB die alleinige Obsorge übertragen wurde. Die Funktion der mütterlichen Großmutter sei hier nicht als die einer subsidiär Unterhaltspflichtigen im Sinne des § 141 ABGB angesprochen. Selbst wenn dies so wäre, wäre ein Unterschied zum Verhältnis des Kindes zu seinen Eltern nicht gegeben, weil diese Gesetzesbestimmung auf § 140 ABGB verweise, der die Differenzierung zwischen dem leistenden und betreuenden Elternteil treffe. Auch die Mutter erfülle im Falle der ihr übertragenen Obsorge mit der damit zusammenhängenden Betreuung ihre eigene Unterhaltsverpflichtung. Ein Unterschied zur Großmutter, der die Obsorge übertragen wurde, sei nicht gegeben. Die Folge sei eine Reduzierung der Unterhaltsvorschüsse auf monatlich S 1.500.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Minderjährigen, der zulässig ist, weil zur Frage, ob Betreuungsleistungen eines nicht unterhaltspflichtigen Großelternteils den Restunterhaltsanspruch des Kindes schmälern, keine Rechtsprechung des OGH vorliegt.

Der Rekurs ist auch berechtigt.

Eigenes Einkommen des mangels voller Selbsterhaltungsfähigkeit weiterhin unterhaltsberechtigten Kindes darf nach dem Grundgedanken der Entscheidung des verstärkten Senates (SZ 65/114) nicht einseitig zur Verminderung des Geldunterhaltes um das genannte Eigeneinkommen des Kindes führen, sondern nur insoweit, als es der verhältnismäßigen Aufteilung des eigenen Einkommens des Kindes auf Geldunterhalt und Betreuungsleistungen des anderen Elternteils entspricht. Es muß auch dem Elternteil zugute kommen, der die von beiden Elternteilen gemeinsam geschuldete gesetzliche Unterhaltsleistung seinerseits in natura durch Betreuungsleistungen im Sinne des § 140 Abs 2 erster Satz ABGB erfüllt. Ein angemessener Teil der eigenen Einkünfte des unterhaltsberechtigten Kindes ist auch dann für die Abgeltung der in Anspruch genommenen Betreuungshandlungen des haushaltsführenden Elternteiles in Rechnung zu stellen, wenn dem Kind hiefür kein finanzieller Beitrag abverlangt wird. Es steht nämlich jedem Elternteil zu, seinem Kind Zuwendungen zu machen (5 Ob 1537/92 ua).

Dabei ist der für die verhältnismäßige Aufteilung des Eigeneinkommens des Kindes benötigte Wert der Betreuungsleistungen mit der Differenz zwischen dem sogenannten Durchschnittsbedarf und dem im Falle einfacher Verhältnisse mit dem Richtsatz für die Ausgleichszulage im Sinne des § 293 Abs 1 lit a sublit bb und lit b ASVG anzunehmenden Erfordernis an Geld zur Erlangung der Selbsterhaltungsfähigkeit anzusetzen. Betreuungsleistungen werden ihrer Natur nach im allgemeinen nach Art und Umfang Kindern einer bestimmten Altersgruppe unabhängig von den durch Geldunterhalt zu befriedigenden Bedürfnissen in gleicher Weise erbracht. Die Differenz zwischen dem jeweiligen Durchschnittsbedarf und dem genannten ASVG-Richtsatz stellt in allen Fällen eine geeignete Verhältniszahl zur Aufteilung des Eigeneinkommens des Kindes bei der Unterhaltsbemessung dar (SZ 65/114; 8 Ob 528/93).

Das Rekursgericht wendete zwar diese Grundsätze an, stellte aber die nach dem Tod der leiblichen Mutter das Kind betreuende, nicht unterhaltspflichtige Großmutter, der die Elternrechte übertragen wurden, der leiblichen Mutter, die im Gegensatz zur Großmutter eigene Unterhaltspflichten erfüllt, gleich.

Die zitierte Rechtsprechung löst aber nur die Frage, in welchem Verhältnis die beiden Elternteile von ihrer Unterhaltsverpflichtung befreit werden. Nur der obsorgeberechtigte Elternteil leistet seinen Unterhaltsanteil durch Betreuung (Schwimann, Unterhaltsrecht 22). Leistungen dritter nicht unterhaltsverpflichteter Personen, hier der Großmutter, sind im Zweifel nicht als in der Absicht erbracht anzusehen, den Unterhaltspflichtigen zu entlasten, sondern werden als Erfüllung einer hier zumindest aufgrund der an die Großmutter übetragenen Elternrechte bestehender sittlicher, nicht geldwerter Verpflichtungen naher Angehöriger erbracht. Mangels der nachgewiesenen Absicht der Großmutter, den Unterhaltspflichtigen zu entlasten, haben die Betreuungsleistungen der Großmutter, ähnlich wie sonstige Leistungen Dritter, grundsätzlich keinen Einfluß auf die Unterhaltsverpflichtung des unterhaltspflichtigen Elternteils und stellen kein den Unterhaltsbedarf minderndes Eigeneinkommen dar, sondern sind lediglich als "Zubuße" zu verstehen (EFSlg 70.737; 7 Ob 568/93; 6 Ob 501/96).

Der Unterschied zur Mutter, der die Obsorge nach § 177 ABGB übertragen wurde, liegt darin, daß diese unabhängig davon unterhaltspflichtiger Elternteil ist und sie durch ihre Betreuungsleistungen ihrer Unterhaltspflicht entspricht, während die Großmutter im vorliegenden Fall nicht unterhaltsverpflichtet ist und daher durch die von ihr übernommenen Betreuungsleistungen im Sinne der §§ 145, 146 ABGB keine Unterhaltsleistung erbringt.

Unter Berücksichtigung der von den Vorinstanzen unbestritten angestellten Berechnungen verbleibt ein Unterhaltsbedarf von S 3.000. Die Unterhaltsvorschüsse sind daher in diesem Ausmaß zu bewilligen.

Der Ausspruch über die Pauschalkosten gründet sich auf § 24 UVG.