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VfGH vom 08.03.2012, B1003/11

VfGH vom 08.03.2012, B1003/11

Sammlungsnummer

19628

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung von Verwaltungsstrafen wegen illegaler Beschäftigung von Ausländern; keine Anwendbarkeit des Günstigkeitsprinzips des Verwaltungstrafrechts im vorliegenden Fall mangels Präjudizialität; keine Verletzung des Verbots der rückwirkenden Anwendung strengerer Strafbestimmungen angesichts des Wegfalls der Strafbarkeit der Beschäftigung ungarischer Staatsangehöriger im Jahr 2011; kein offenkundiger Widerspruch der Strafbestimmung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes zum Unionsrecht

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtenen Bescheide weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerden werden abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die Beschwerdeführerin durch die angefochtenen Bescheide in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.

1. Mit dem zu B1003/11 angefochtenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom wurde das Straferkenntnis der erstinstanzlichen Behörde vom , mit dem über die Beschwerdeführerin gemäß § 28 Abs 1 Z 1 lita Ausländerbeschäftigungsgesetz (in der Folge: AuslBG) vier Geldstrafen in der Höhe von je € 2.000,-- (bzw. Ersatzfreiheitsstrafen in der Höhe von je 66 Stunden) verhängt worden waren, mit der Maßgabe bestätigt, dass als Tatzeitpunkt der zu gelten habe, und wurden die Ersatzfreiheitsstrafen auf je 34 Stunden herabgesetzt. Der Beschwerdeführerin wurde als handelsrechtlicher Geschäftsführerin einer ein Tanzlokal betreibenden Gesellschaft zur Last gelegt, dass diese zur Tatzeit vier ungarische Staatsangehörige als Prostituierte beschäftigt habe, ohne über die für eine legale Ausländerbeschäftigung erforderlichen arbeitsmarktrechtlichen Bewilligungen zu verfügen.

2. Mit dem zu B1004/11 angefochtenen Bescheid vom bestätigte die belangte Behörde im Wesentlichen das erstinstanzliche Straferkenntnis vom , mit welchem der Beschwerdeführerin ebenfalls gemäß § 28 Abs 1 Z 1 lita AuslBG auf Grund bewilligungsloser Beschäftigung einer ungarischen Staatsangehörigen eine Geldstrafe von € 1.000,-- (bzw. eine Ersatzfreiheitsstrafe von 33 Stunden) auferlegt worden war.

3. In den gegen diese Bescheide erhobenen, auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerden wird die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf "Anwendung des Günstigkeitsprinzips nach Art 7 EMRK", auf Unversehrtheit des Eigentums und auf persönliche Freiheit sowie die Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung (§1 Abs 2 VStG) behauptet.

3.1. Zunächst führt die Beschwerdeführerin aus, dass während des Berufungsverfahrens eine entscheidende Änderung der Rechtslage eingetreten sei: Mit Wirksamkeit ab sei § 32a Abs 1 AuslBG durch BGBl. I 25/2011 dahingehend abgeändert worden, dass § 1 Abs 2 litl AuslBG auch für Staatsangehörige der am beigetretenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gelte. Das AuslBG sei daher seit auf ungarische Staatsangehörige nicht mehr anzuwenden; zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung wäre die Strafbestimmung des § 28 Abs 1 Z 1 lita AuslBG auf einen derartigen Sachverhalt nicht mehr anzuwenden gewesen.

3.2. In der Folge beruft sich die Beschwerdeführerin auf das "Günstigkeitsprinzip" des § 1 Abs 2 VStG: In seinem Urteil vom , Scoppola (Nr. 2), habe der EGMR mit Hinweis auf Art 49 Abs 1 Grundrechte-Charta ausgesprochen, dass aus Art 7 EMRK ein Gebot der Anwendung milderer Strafgesetze bis zum rechtskräftigen Verfahrensabschluss abzuleiten sei. Davon ausgehend wäre bei der Berufungsentscheidung die zu diesem Zeitpunkt maßgebliche Rechtslage anzuwenden gewesen; § 1 Abs 2 VStG sei im Einklang mit Art 7 EMRK auszulegen.

3.3. Für den Fall, dass eine derartige restriktive Interpretation des § 1 Abs 2 VStG nicht in Frage käme, erachtet die Beschwerdeführerin diese Bestimmung im Hinblick auf Art 7 EMRK als verfassungswidrig. Die Verfassungswidrigkeit sei auch aus einem Verstoß gegen den Gleichheitssatz abzuleiten, da § 61 StGB für gerichtliche Straftatbestände einen Günstigkeitsvergleich vorsehe, nach dem die Strafgesetze - bei einer Entscheidung "in der Sache selbst" - auf eine früher begangene Tat dann anzuwenden seien, wenn die zur Tatzeit geltenden Gesetze in ihrer Gesamtauswirkung für den Täter nicht günstiger gewesen seien. Die unterschiedliche Regelung des in die Grundrechtssphäre reichenden "Günstigkeitsprinzips" im Verwaltungsstrafverfahren und im gerichtlichen Strafverfahren bzw. der generelle Ausschluss des "Günstigkeitsprinzips" bei Änderung der Rechtslage während des Berufungsverfahrens sei sachlich nicht gerechtfertigt und daher gleichheitswidrig; die Beschwerdeführerin verweist diesbezüglich auf VfSlg. 8017/1977 (unterschiedliche Bestimmungen der Vorhaftanrechnung) und VfSlg. 16.518/2002 (Anwendung des § 61 StGB im Disziplinarrecht der Rechtsanwälte). Sollte eine verfassungs- und europarechtskonforme Auslegung des § 1 Abs 2 VStG im Sinne einer Anwendung des "Günstigkeitsprinzips" auch bei einer Rechtsänderung während des Berufungsverfahrens für möglich erachtet werden, hätte die belangte Behörde das "Günstigkeitsprinzip" tatsächlich anwenden müssen, sodass der Bescheid in das Recht auf Eigentum und persönliche Freiheit eingreife.

4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und gleichlautende Gegenschriften erstattet, in welchen sie die Abweisung der Beschwerden beantragt und insbesondere Folgendes ausführt:

"Die Beschwerde geht zutreffend davon aus, dass sich ab (aufgrund der dort genannten Änderungen des AuslBG mit BGBl. I 25/2011) die Rechtslage dahingehend geändert hat, dass ab diesem (im Zeitraum des Berufungsverfahrens vor dem UVS gelegenen) Zeitpunkt ungarische Staatsangehörige nicht mehr dem AuslBG - wie zu ergänzen ist: samt dessen Sanktionsbewehr - unterfallen. Der Unterschied der Rechtsauffassungen liegt darin, dass nach Auffassung des Unabhängigen Verwaltungssenats das sogenannte 'Günstigkeitsprinzip' nicht einschlägig ist, weil durch diese Rechtsänderung die einschlägige Strafnorm [...] nicht berührt, mit hin nicht 'günstiger' wurde. Vielmehr ist das sogenannte 'Übergangsarrangement' dahingehend zu verstehen, dass das AuslBG - samt Sanktionsbewehr - bis zum Auslaufen des 'Übergangsarrangements' wirksam ist, der zeitliche Endpunkt der Wirksamkeit also nicht vom (zufälligen) Zeitpunkt der Vollziehung des 'Übergangsarrangements' abhängt."

II.

Zur Rechtslage:

1. Die zur Tatzeit geltenden maßgeblichen

Bestimmungen des AuslBG idF BGBl. I 78/2007 lauteten:

"Geltungsbereich

§1. (1) Dieses Bundesgesetz regelt die Beschäftigung von Ausländern (§2) im Bundesgebiet.

(2) Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes sind nicht anzuwenden auf

a) - k) [...]

l) Freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, deren drittstaatsangehörige Ehegatten und Kinder (einschließlich Adoptiv- und Stiefkinder), die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen der EWR-Bürger oder der Ehegatte Unterhalt gewährt, sowie drittstaatsangehörige Eltern des EWR-Bürgers und seines Ehegatten, denen der EWR-Bürger oder der Ehegatte Unterhalt gewährt, sofern sie zur Niederlassung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 berechtigt sind;

m) EWR-Bürger, die ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch nehmen, deren drittstaatsangehörige Ehegatten und Kinder (einschließlich Adoptiv- und Stiefkinder) sowie die drittstaatsangehörigen Ehegatten und Kinder österreichischer Staatsbürger, sofern der Ehegatte bzw. das Kind zur Niederlassung nach dem NAG berechtigt ist.

(3) - (5) [...]

[...]

Strafbestimmungen

§28. (1) Sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde zu bestrafen

1. wer,

a) entgegen § 3 einen Ausländer beschäftigt, für den weder eine Beschäftigungsbewilligung (§§4 und 4c) oder Zulassung als Schlüsselkraft (§12) erteilt noch eine Anzeigebestätigung (§3 Abs 5) oder eine Arbeitserlaubnis (§14a) oder ein Befreiungsschein (§§15 und 4c) oder eine 'Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt' (§8 Abs 2 Z 3 NAG) oder ein Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt-EG' (§45 NAG) oder ein Niederlassungsnachweis (§24 FrG 1997) ausgestellt wurde, oder

b) - c) [...]

bei unberechtigter Beschäftigung von höchstens drei Ausländern für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer mit Geldstrafe von 1 000 Euro bis zu 10 000 Euro, im Falle der erstmaligen und weiteren Wiederholung von 2 000 Euro bis zu 20 000 Euro, bei unberechtigter Beschäftigung von mehr als drei Ausländern für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer mit Geldstrafe von 2 000 Euro bis zu 20 000 Euro, im Falle der erstmaligen und weiteren Wiederholung von 4 000 Euro bis zu 50 000 Euro;

2. - 6. [...]

(2) - (7) [...]

[...]

Übergangsbestimmungen zur EU-Erweiterung

§32a. (1) § 1 Abs 2 litl und m gilt - mit Ausnahme der Staatsangehörigen der Republik Malta und der Republik Zypern - nicht für Staatsangehörige jener Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die am aufgrund des Vertrages über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zur Europäischen Union (Beitrittsvertrag), Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 236 vom , Seite 17 und Nr. C 227 E vom , der Europäischen Union beigetreten sind, es sei denn, sie sind Ehegatten, Kinder, Eltern oder Schwiegereltern eines freizügigkeitsberechtigten Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaates des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR), der bereits vor In-Kraft-Treten des Beitrittsvertrages dem EWR angehörte, oder sie sind Ehegatten oder Kinder eines österreichischen Staatsbürgers oder eines Staatsangehörigen eines anderen EWR-Mitgliedstaates, der sein Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch nimmt.

(2) Den EU-Bürgern gemäß Abs 1 ist vom Arbeitsmarktservice das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt schriftlich zu bestätigen, wenn sie

1. am Tag des Beitritts oder nach dem Beitritt rechtmäßig im Bundesgebiet beschäftigt sind und ununterbrochen mindestens zwölf Monate zum Arbeitsmarkt zugelassen waren oder

2. die Voraussetzungen für einen Befreiungsschein

(§15) erfüllen oder

3. seit fünf Jahren im Bundesgebiet dauernd niedergelassen sind und über ein regelmäßiges Einkommen aus erlaubter Erwerbstätigkeit verfügen.

(3) - (10) [...]"

2. Am 1. Mai bzw. traten folgende Bestimmungen des AuslBG in Kraft (BGBl. I 25/2011):

"Geltungsbereich

§1. (1) Dieses Bundesgesetz regelt die Beschäftigung von Ausländern (§2) im Bundesgebiet.

(2) Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes sind nicht anzuwenden auf

a) - k) [...]

l) Ausländer, die aufgrund eines Rechtsaktes der Europäischen Union Arbeitnehmerfreizügigkeit genießen;

m) Ehegatten und minderjährige ledige Kinder (einschließlich Adoptiv- und Stiefkinder) österreichischer Staatsbürger, die zur Niederlassung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, berechtigt sind.

(3) - (5) [...]

[...]

Strafbestimmungen

§28. (1) Sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde zu bestrafen

1. wer,

a) entgegen § 3 einen Ausländer beschäftigt, für den weder eine Beschäftigungsbewilligung (§§4 und 4c) oder Zulassung als Schlüsselkraft (§§12 bis 12c) erteilt noch eine Anzeigebestätigung (§3 Abs 5) oder eine Arbeitserlaubnis (§14a) oder ein Befreiungsschein (§§15 und 4c) oder eine 'Rot-Weiß-Rot - Karte plus' (§41a NAG) oder ein Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt-EG' (§45 NAG) oder ein Niederlassungsnachweis (§24 FrG 1997) ausgestellt wurde, oder

b) - d) [...]

bei unberechtigter Beschäftigung von höchstens drei Ausländern für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer mit Geldstrafe von 1 000 Euro bis zu 10 000 Euro, im Falle der erstmaligen und weiteren Wiederholung von 2 000 Euro bis zu 20 000 Euro, bei unberechtigter Beschäftigung von mehr als drei Ausländern für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer mit Geldstrafe von 2 000 Euro bis zu 20 000 Euro, im Falle der erstmaligen und weiteren Wiederholung von 4 000 Euro bis zu 50 000 Euro;

2. - 6. [...]

(2) - (7) [...]

[...]

Übergangsbestimmungen zur EU-Erweiterung

§32a. (1) Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die am aufgrund des Vertrages über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumäniens zur Europäischen Union (Beitrittsvertrag von Luxemburg), Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 157 vom , Seite 11, der Europäischen Union beigetreten sind, genießen keine Arbeitnehmerfreizügigkeit im Sinne des § 1 Abs 2 litl, es sei denn, sie sind Angehörige eines gemeinschaftsrechtlich aufenthaltsberechtigten Staatsangehörigen eines anderen EWR-Mitgliedstaates gemäß § 52 Abs 1 Z 1 bis 3 NAG.

(2) EU-Bürger gemäß Abs 1 haben unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt, wenn sie

1. am Tag des Beitritts oder nach dem Beitritt rechtmäßig im Bundesgebiet beschäftigt sind und ununterbrochen mindestens zwölf Monate zum Arbeitsmarkt zugelassen waren oder

2. die Voraussetzungen für einen Befreiungsschein

(§15) erfüllen oder

3. seit fünf Jahren im Bundesgebiet dauernd niedergelassen sind und über ein regelmäßiges Einkommen aus erlaubter Erwerbstätigkeit verfügen.

(3) - (9) [...]

(10) Bürgern der Republik Estland, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Polen, der Slowakischen Republik, der Republik Slowenien, der Tschechischen Republik und der Republik Ungarn nach diesem Bundesgesetz erteilte Berechtigungen und Bestätigungen zur Arbeitsaufnahme verlieren mit Ablauf des ihre Gültigkeit."

3. Die Bestimmung des § 1 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. 52/1991, lautet:

"Allgemeine Voraussetzungen der Strafbarkeit

§1. (1) Als Verwaltungsübertretung kann eine Tat (Handlung oder Unterlassung) nur bestraft werden, wenn sie vor ihrer Begehung mit Strafe bedroht war.

(2) Die Strafe richtet sich nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht, es sei denn, daß das zur Zeit der Fällung des Bescheides in erster Instanz geltende Recht für den Täter günstiger wäre."

4. Art 49 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. 2010, C 83, lautet:

"Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen

(1) Niemand darf wegen einer Handlung oder

Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Es darf auch keine schwerere Strafe als die zur Zeit der Begehung angedrohte Strafe verhängt werden. Wird nach Begehung einer Straftat durch Gesetz eine mildere Strafe eingeführt, so ist diese zu verhängen.

(2) Dieser Artikel schließt nicht aus, dass eine Person wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt oder bestraft wird, die zur Zeit ihrer Begehung nach den allgemeinen, von der Gesamtheit der Nationen anerkannten Grundsätzen strafbar war.

(3) Das Strafmaß darf zur Straftat nicht unverhältnismäßig sein."

III.

Der Verfassungsgerichtshof hat über die in

sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm § 35 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen - zulässigen - Beschwerden erwogen:

1. In den Beschwerden wird die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf "Anwendung des Günstigkeitsprinzips nach Art 7 EMRK", auf Unversehrtheit des Eigentums und auf persönliche Freiheit sowie die Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung (§1 Abs 2 VStG) gerügt.

2. Die Beschwerdeführerin behauptet, dass sich die angefochtenen Bescheide auf verfassungswidrige Gesetzesbestimmungen stützen. Verfassungsrechtliche Bedenken hegt die Beschwerdeführerin insbesondere gegen § 1 Abs 2 VStG im Lichte des Art 7 EMRK.

2.1. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin stützt sich die belangte Behörde in den angefochtenen Bescheiden nicht auf die Bestimmung des § 1 Abs 2 VStG. In der Gegenschrift führt die belangte Behörde in diesem Sinn aus, dass die einschlägige Strafnorm durch die Rechtsänderung nicht berührt, also nicht günstiger geworden sei. Vielmehr sei das AuslBG mitsamt seinen Strafbestimmungen bis zum Auslaufen des "Übergangsarrangements" wirksam und hänge das Ende der Wirksamkeit nicht vom zufälligen Zeitpunkt der Vollziehung ab.

2.2. Ob § 1 Abs 2 VStG präjudiziell ist, hängt davon ab, ob - unter Außerachtlassung des Umstands, dass diese Bestimmung nur im Fall der Änderung der Rechtslage im Vergleich zur Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides zur Anwendung kommt - diese Bestimmung denkmöglich nicht angewendet wurde oder ob sie anzuwenden gewesen wäre. Im vorliegenden Fall konnte die belangte Behörde denkmöglich davon ausgehen, dass § 1 Abs 2 VStG nicht anzuwenden war:

Die Strafbarkeit der Beschäftigung von u.a. ungarischen Staatsbürgern ohne Bewilligung nach dem AuslBG sollte - zumindest ab dem Zeitpunkt des Beitritts zur Europäischen Union am - von vornherein nur für eine bestimmte Zeit gelten. In derartigen Fällen hängt das Erfordernis der Vornahme eines Günstigkeitsvergleichs iSd § 1 Abs 2 VStG davon ab, ob durch die spätere Änderung der Rechtslage das strafrechtliche Unwerturteil beseitigt wurde. Das Auslaufen der Übergangsfrist für die Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für die am beigetretenen Mitgliedstaaten und die infolgedessen erfolgte Änderung der Übergangsbestimmungen des AuslBG durch BGBl. I 25/2011, durch welche Staatsbürger dieser Mitgliedstaaten nicht mehr unter das Regime des AuslBG fallen, führte nicht zum Wegfall des Unwerturteils über das zur Zeit seiner Begehung strafbare Verhalten. Die Beschäftigung von Ausländern ohne entsprechende Bewilligung nach dem AuslBG ist weiterhin strafbar und mit der gleichen Strafsanktion bedroht, auch wenn das AuslBG seit einem bestimmten, nach dem strafbaren Verhalten liegenden Zeitpunkt die im konkreten Fall beschäftigten ungarischen Staatsbürgerinnen nicht mehr umfasst und das gleiche strafbare Verhalten in Zukunft nicht mehr gesetzt werden kann (vgl. VwSlg. 4275 A/1957; ; , 823/77; , 92/03/0106; , 93/05/0240; vgl. ferner ; vgl. zur Maßgeblichkeit der Aufrechterhaltung des Unwerturteils VfSlg. 3562/1959).

2.3. § 1 Abs 2 VStG ist daher nicht präjudiziell. Im Übrigen wurden in den Beschwerden keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die den bekämpften Bescheiden zugrunde liegenden Rechtsvorschriften vorgebracht und sind solche anlässlich der Beschwerden auch nicht entstanden.

3. Die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten begründet die Beschwerdeführerin im Wesentlichen damit, dass die belangte Behörde die Strafbestimmung des § 28 Abs 1 Z 1 lita AuslBG nach dem bei Beschäftigung ungarischer Staatsangehöriger nicht mehr anwenden hätte dürfen.

3.1. Nach Art 7 Abs 1 EMRK kann niemand wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach inländischem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Ebenso darf keine höhere Strafe als die im Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung angedrohte Strafe verhängt werden. Nach der (neueren) Rechtsprechung des EGMR enthält Art 7 Abs 1 EMRK nicht nur das Verbot der rückwirkenden Anwendung strengerer Strafbestimmungen, sondern implizit auch das Prinzip der Rückwirkung milderer Strafgesetze auf frühere Taten (EGMR , Fall Scoppola [Nr. 2], Appl. 10.249/03, Z 106, 109). In seinen Erwägungen zur Entwicklung eines Grundsatzes der Rückwirkung milderer Strafgesetze im Fall Scoppola zieht der EGMR u.a. Art 49 Abs 1 Grundrechte-Charta heran, wonach bei Einführung einer milderen Strafe nach Begehung einer Straftat diese zu verhängen ist, und er weist insbesondere auf dessen sich von Art 7 EMRK unterscheidenden Wortlaut hin. Im selben Sinn hat der EuGH bereits vor Inkrafttreten der Grundrechte-Charta ausgesprochen, dass es ein Grundsatz des Gemeinschaftsrechts ist, je nach Fall die günstigere Strafvorschrift und die leichtere Strafe rückwirkend anzuwenden, und dass dieser Grundsatz zu den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten gehört ( verb. Rs. C-387/02 ua., Berlusconi ua., Slg. 2005, I-03565, Rz 68 ff.; , Åklagaren, Slg. 2009, I-04273, Rz 43).

Der Verfassungsgerichtshof geht von jenem Inhalt des Art 7 EMRK aus, den der EGMR diesem zuletzt beigelegt hat. Im Lichte dessen gebietet es Art 7 EMRK zwar, bei Änderung der Rechtslage nach der Begehung der Straftat die für den Beschuldigten mildere Strafe zu verhängen. Es ist jedoch auch mit Blick auf Art 49 Abs 1 Grundrechte-Charta nicht geboten, von der Verhängung einer Strafe im Fall eines Verstoßes gegen eine konkrete Verhaltenspflicht, der zur Zeit seiner Begehung strafbar war, dessen Strafbarkeit nach Begehung der Tat, aber noch vor der Verhängung der Strafe weggefallen ist, abzusehen.

Eine andere Auslegung, derzufolge Art 7 EMRK in den Beschwerdefällen einer Bestrafung der Beschwerdeführerin entgegenstünde, würde dazu führen, dass die Sanktionsbewehrung eines Gebots bereits einige Zeit vor dem Außerkrafttreten des Gebots beseitigt würde, dies mit der Konsequenz, dass der rechtstreue Normadressat im Ergebnis schlechter gestellt wäre als ein Rechtsunterworfener, der ein rechtswidriges Verhalten in Kauf nimmt.

Die belangte Behörde hat daher, indem sie angesichts des Umstandes, dass die Strafbarkeit der Beschäftigung ungarischer Staatsangehöriger mit weggefallen ist, nicht von der Verhängung einer Verwaltungsstrafe auf Grund der vor diesem Zeitpunkt begangenen Verwaltungsübertretung abgesehen hat, nicht gegen Art 7 EMRK verstoßen.

3.2. Der angefochtene Bescheid greift in das Eigentumsrecht ein. Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen kann eine Verletzung dieses verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes nur vorliegen, wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre (zB VfSlg. 13.587/1993 mwN, 15.364/1998, 15.768/2000, 16.113/2001).

Eine Verletzung in diesem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht kann sich aus einer im Zusammenhang mit dem Unionsrecht stehenden Gesetzesanwendung durch die belangte Behörde ergeben.

Nach dem von der Judikatur des EuGH entwickelten, der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten dienenden Prinzip des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts hat jedes innerstaatliche Organ, das über eine Rechtssache abzusprechen oder die Rechtmäßigkeit behördlichen Vorgehens zu beurteilen hat, den Anwendungsvorrang des Unionsrechts im Rahmen seiner Zuständigkeit zu beachten und gegebenenfalls die Anwendung der innerstaatlichen Vorschrift zu unterlassen (, Simmenthal II, Slg. 1978, 629 ff., Rz 21).

Auch der Verfassungsgerichtshof hat den Anwendungsvorrang des unmittelbar anwendbaren Unionsrechts zu beachten (z.B. VfSlg. 14.805/1997, 14.951/1997, 15.036/1997, 15.215/1998). Er hat aber über die Frage, ob eine innerstaatliche Rechtsvorschrift infolge des Anwendungsvorrangs unangewendet zu bleiben hat, nur dann selbst zu entscheiden, wenn die Frage für seine Entscheidung relevant ist, was für sich nach innerstaatlichem Recht zu beurteilen ist (VfSlg. 15.215/1998 unter Verweis auf VfSlg. 14.886/1997). Dementsprechend hat der Verfassungsgerichtshof die Vereinbarkeit des Gesetzes mit dem Unionsrecht nur dann selbst zu beurteilen, wenn diese Frage "derart offenkundig" ist, dass "keinerlei Raum für vernünftige Zweifel" bleibt (, CILFIT, Slg. 1982, I-3415, Rz 16). In anderen, keinen offenkundigen Widerspruch zum Unionsrecht zu Tage bringenden Fällen jedoch stellt ein Verstoß gegen Unionsrecht keine Verfassungsverletzung dar und ist dieser daher vom Verfassungsgerichtshof nicht aufzugreifen (VfSlg. 14.886/1997, 15.583/1999).

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob der belangten Behörde insofern ein in die Verfassungssphäre reichender Vollzugsfehler vorzuwerfen ist, als sie die Bestimmung des § 28 Abs 1 Z 1 lita AuslBG wegen Anwendungsvorrangs des Unionsrechts nicht anwenden hätte dürfen.

Grundsätzlich steht der Verhängung einer Verwaltungsstrafe nach § 28 Abs 1 Z 1 lita AuslBG wegen bewilligungsloser Beschäftigung ungarischer Staatsbürgerinnen die Grundfreiheit der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. 2010, C 83, entgegen, welche seit der Arbeitsmarktöffnung am uneingeschränkt auch für ungarische Staatsangehörige gilt. Allerdings wurde der Straftatbestand des § 28 Abs 1 Z 1 lita AuslBG im vorliegenden Fall bereits vor der Arbeitsmarktöffnung und somit zu einem Zeitpunkt erfüllt, als die nach dem Übergangsregime zum Kapitel Freizügigkeit im Beitrittsvertrag (Liste nach Art 24 der Beitrittsakte in Anhang X des Beitrittsvertrags, ABl. 2003, L 236) zulässigen Maßnahmen zur Regelung des Zugangs ungarischer Staatsbürger zum innerstaatlichen Arbeitsmarkt in Geltung standen. Es kann daher nicht ohne vernünftigen Zweifel angenommen werden, dass die Verhängung einer Verwaltungsstrafe für ein strafbares Verhalten, das vor der Arbeitsmarktöffnung gesetzt wurde, auf der Grundlage der damals geltenden Übergangsbestimmungen nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Es ist daher kein - eine denkunmögliche Gesetzesanwendung indizierender - offenkundiger Widerspruch des § 28 Abs 1 Z 1 lita AuslBG zum Unionsrecht erkennbar.

Mangels offenkundigen Widerspruchs zum Unionsrecht ist in dieser Hinsicht keine denkunmögliche Gesetzesanwendung durch die belangte Behörde infolge der Anwendung innerstaatlicher Strafbestimmungen erfolgt. Auch im Übrigen liegen keine Anhaltspunkte für eine denkunmögliche Gesetzesanwendung vor.

3.3. In das durch Art 5 EMRK und Art 1 des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht der persönlichen Freiheit der Beschwerdeführerin könnte durch die angefochtenen Bescheide nur insoweit eingegriffen worden sein, als damit Ersatzfreiheitsstrafen über sie verhängt wurden (vgl. VfSlg. 7679/1975, 10.952/1986). Dieser Eingriff wäre bei der verfassungsgesetzlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides nur dann verfassungswidrig, wenn die Behörde das Gesetz denkunmöglich angewendet hätte. Eine solche Gesetzesanwendung liegt aus den unter III.3.2. genannten, hier sinngemäß anzustellenden Überlegungen jedoch nicht vor (vgl. auch Art 3 Abs 2 PersFrSchG zur Zulässigkeit von Ersatzfreiheitsstrafen).

IV.

1. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat nicht stattgefunden.

Das Beschwerdeverfahren hat auch nicht ergeben, dass die Beschwerdeführerin in einem von ihr nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden wäre; ebenso wenig entstanden - aus der Sicht dieser Beschwerdesachen - verfassungsrechtliche Bedenken gegen die den bekämpften Bescheiden zugrunde liegenden Rechtsvorschriften. Die Beschwerdeführerin wurde mithin auch nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt.

2. Die Beschwerden sind daher als unbegründet

abzuweisen und gemäß Art 144 Abs 3 B-VG antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.