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OGH vom 07.05.1996, 10ObS2078/96b

OGH vom 07.05.1996, 10ObS2078/96b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Richard Warnung und Dr. Monika Angelberger (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann J*****, Landwirt, *****, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, 1031 Wien, Ghegastraße 1, vertreten durch Dr. Herbert Macher, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kostenersatz, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 159/95-27, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom , GZ 17 Cgs 114/94f-22, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.

In der Sache selbst wird zu Recht erkannt, daß das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger "den Kostenanteil entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen, die bei der Durchführung der heilgymnastisch-heilpädagogischen Behandlung nach Petö-Keil beim Sohn des Klägers anfallen, zu ersetzen", abgewiesen wird.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am geborene Sohn des Klägers Stefan leidet an einer spastisch linksbetonten Quadruparese (Lähmung der oberen und unteren Gliedmaßen) nach perinataler Cerebralläsion (Hirnschädigung). Er bezieht von der Bezirkshauptmannschaft ein Pflegegeld der Stufe 5. Seit seinem vierten Lebensjahr werden infolge der Spastizität heilpädagogische Turnübungen durchgeführt, und zwar seit sieben Jahren täglich. Die heilgymnastisch-heilpädagogische Spezialbehandlung nach Petö-Keil ist international verbreitet; diese Methode ist im pädagogisch-medizinischen Grenzbereich angesiedelt und wird erfolgreich bei spastischen Bewegungsstörungen vorzugsweise bei Kindern eingesetzt. Bis zum Herbst 1993 wurden die Kosten für diese Behandlung im Institut Keil von der Beklagten getragen. Das bestehende Zustandsbild, verbunden mit einer steifen Lähmung der Extremitäten, wird sich nicht mehr bessern; das Leiden ist in seiner Entwicklung bereits abgeschlossen. Durch bestimmte Behandlungsmethoden läßt sich jedoch eine Verschlechterung des Zustandes hintanhalten: bei Nichtdurchführung dieser heilpädagogischen Behandlungen wäre mit einer Beugekontraktur der Arme und einer Streckkontraktur in den Beinen zu rechnen.

Mit Bescheid vom lehnte die beklagte Sozialversicherungsanstalt der Bauern den Antrag des Klägers vom auf Durchführung einer heilgymnastisch-heilpädagogischen Spezialbehandlung nach Petö-Keil für seinen Sohn ab. Bei dieser Behandlung handle es sich um Maßnahmen der Behindertentherapie und nicht um eine Krankenbehandlung. Eine Wiederherstellung, Festigung oder Besserung der Gesundheit sei durch diese Behandlung nicht erreichbar. Die Voraussetzung der Zweckmäßigkeit der Krankenbehandlung liege somit nicht vor.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger rechtzeitig Klage mit dem Begehren, die Beklagte sei schuldig, ihm "den Kostenanteil entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen, die bei der Durchführung der heilgymnastisch-heilpädagogischen Spezialbehandlung nach Petö-Keil bei meinem Sohn Stefan ... anfallen, zu ersetzen". Dazu brachte er vor, es wäre nach Ansicht der die Behandlung durchführenden Ärzte durchaus möglich, daß durch die Behandlung eine Besserung im Gesundheitszustand eintreten könne, weshalb die Beklagte die Kosten der Spezialbehandlung übernehmen müsse.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wiederholte ihren im Bescheid eingenommenen Standpunkt. Es handle sich nur um eine Maßnahme der Behindertentherapie, die nicht zu den gesetzlichen Aufgaben eines Krankenversicherungsträgers zähle. Davon abgesehen stelle sich die Frage, ob die begehrte Therapie das Maß des Notwendigen überschreite und ob nicht jede andere physikalische Therapie mit Heilgymnastik eine adäquate Maßnahme wäre.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, ohne dessen Wortlaut zu verändern: es erkannte also die Beklagte zum "Ersatz des Kostenanteiles entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen für die Durchführung der heilgymnastisch-heilpädagogischen Spezialbehandlung nach Petö-Keil für den klägerischen Sohn" schuldig. Es ging in rechtlicher Hinsicht davon aus, daß die genannte Spezialbehandlung eine anerkannte Methode darstelle, die vor allem zur Behandlung von Bewegungsstörungen bei Kindern eingesetzt werde. Wenn auch im vorliegenden Fall die schicksalhafte Erkrankung des Kindes abgeschlossen sei und eine tatsächliche Besserung des Gesundheitszustandes nicht mehr erreicht werden könne, so diene die Behandlung doch der Festigung des bestehenden Zustandes, somit aber auch der Gesundheit, weil im Falle der Nichtanwendung der Methode eine Verschlechterung des Zustandsbildes eintreten würde. Nach § 83 Abs 2 BSVG komme es nicht darauf an, ob ein Patient endgültig oder vollständig geheilt werden könne und zu welchem Ergebnis die vorgenommene Behandlung letztendlich geführt habe. Die Behandlung müsse nur nach den Grundsätzen der ärztlichen Wissenschaft erfolgversprechend gewesen sein. Da das Kind seit seinem vierten Lebensjahr der genannten Spezialbehandlung unterzogen worden sei und an den Armen keine Beugekontraktur und an den Beinen keine Streckkontraktur vorliege, sei diese Behandlung jedenfalls "ausreichend und zweckmäßig".

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil von der Beklagten erhobenen Berufung Folge, hob das erstgerichtliche Urteil auf und verwies die Sache an das Erstgericht zurück. Eine Krankenbehandlung sei nicht nur dann zweckmäßig, wenn durch sie die Gesundheit, Arbeitsfähigkeit oder Selbsthilfefähigkeit nach Möglichkeit wieder hergestellt oder gebessert, sondern auch, wenn sie bloß gefestigt werde. Erst wenn die Entwicklung eines Leidens derart abgeschlossen sei, daß eine ärztliche Einflußnahme auf die Verhütung von Verschlimmerungen nicht mehr möglich sei, wäre die Regelwidrigkeit den Gebrechen zuzuordnen. Davon ausgehend handle es sich im vorliegenden Fall um Krankenbehandlung. Berechtigt seien jedoch die Einwände der Beklagten, daß noch nicht hinreichend geklärt sei, ob durch die begehrte Behandlung nicht das Maß des Notwendigen überschritten werde. Bei mehreren gleichermaßen zweckmäßigen Behandlungsmethoden sei in der Regel diejenige zu wählen, welche die geringsten Kosten verursache bzw bei der die Relation der Kosten zum Heilungserfolg am günstigsten sei. Dabei dürfe auch die Würde des Menschen nicht außer acht gelassen werden; für das Gewicht des Kostenarguments sei vor allem auch das Ausmaß der Betroffenheit des Patienten im Einzelfall maßgebend. Dazu würden noch ergänzende Feststellungen zu treffen sein. Das Berufungsgericht sprach aus daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof mangels einschlägiger Judikatur zulässig sei.

Gegen diesen Aufhebungsbeschluß richtet sich der Rekurs der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidung im klagsabweisenden Sinne abzuändern.

Der Kläger erstattete keine Rekursbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig und im Ergebnis auch berechtigt.

In § 80 BSVG werden grundsätzlich die möglichen Arten der Leistungserbringung der Krankenversicherung geregelt. Das Gesetz sieht Sachleistungen und Geldleistungen durch Kostenerstattung oder durch Kostenzuschüsse vor. Bei Sachleistungen hat der Versicherte 20 vH der dem Versicherungsträger erwachsenden Kosten als Kostenanteil zu ersetzen. Bei Kostenerstattung werden dem Versicherten 80 vH der Kosten erstattet, die ihm aufgrund der mit den Vertragspartnern vereinbarten Tarife erwachsen sind. Auch bei der die Geldleistungen betreffenden Kostenerstattung wird die Kostenbeteiligung des Versicherten dadurch wirksam, daß er nur 80 vH der vereinbarten Tarife als Kostenerstattung erhält. Kostenzuschüsse werden nur bei Fehlen vertraglicher Regelungen gewährt. Das Fehlen vertraglicher Regelungen ist auch dann anzunehmen, wenn nur für einzelne Gruppen von Versicherten keine Vertragsregelung - sei es ein Gesamtvertrag oder eine Tarifvereinbarung - besteht (Fürböck-Teschner, BSVG 28. ErgLfg 206 Anm 2 zu § 80; SSV-NF 5/126 mwN). Diese Rechtslage liegt auch der Krankenordnung der Beklagten zu Grunde, die für alle Versicherten und Leistungsempfänger der Beklagten verbindlich ist (§ 1 Abs 3 KrO): nach § 7 Abs 1 KrO werden die Leistungen als Sachleistungen, als Geldleistungen durch Kostenerstattungen (Abs 3) oder durch Kostenzuschüsse (Abs 5) erbracht. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang § 7 Abs 7 KrO wonach in den Fällen des Abs 3 und 5 der Anspruchsberechtigte die Kosten grundsätzlich zunächst selbst zu tragen hat. Diese Bestimmung trägt dem Gedanken Rechnung, daß die im Rahmen einer Kostenerstattung begehrten Beträge, wie etwa Kosten der wahlärztlichen Hilfe, immer zunächst vom Versichertern zu begleichen sind, dem dann erst gegenüber dem Krankenversicherungsträger ein Anspruch auf Kostenerstattung zusteht, der durch Einreichen der saldierten Honorarrechnung geltend gemacht wird (siehe Binder in Tomandl SV-System 7. ErgLfg 214 f mwN bei FN 28-30). In Weiterführung dieses Grundsatzes sieht § 9 Abs 1 KrO vor, daß zur Gewährung von Kostenerstattungen und Kostenzuschüssen die entsprechenden Rechnungen (Verrechnungsscheine) vorzulegen sind, die bestimmte in Abs 2 angeführte Angaben zu enthalten haben. Der Versicherte (Leistungsempfänger) hat die Richtigkeit der erbrachten Leistungen durch seine Unterschrift auf der Rechnung (dem Verrechnungsschein) zu bestätigen; die vorgelegte unterschriebene Rechnung bzw der vorgelegte unterschriebene Verrechnungsschein gilt als Antrag auf Leistungsgewährung (§ 9 Abs 3 KrO). Nach Erbringung der gesetzlichen bzw satzungsmäßigen Leistungen gehen die Rechnungen als Leistungsgrundlage in das Eigentum der Anstalt über (§ 9 Abs 5 KrO).

Ausgehend von dieser Rechtslage ist das vorliegende Klagebegehren zu prüfen. Nach § 82 Abs 1 ASGG hat die Klage in Sozialrechtssachen ein unter Bedachtnahme auf die Art des erhobenen Anspruchs hinreichend bestimmtes Begehren zu enthalten. Abs 2 dieser Bestimmung ergänzt, daß ein von einem Versicherten erhobenes Begehren auch dann hinreichend bestimmt ist, wenn es auf Leistungen bzw die Feststellung von Versicherungszeiten "im gesetzlichen Ausmaß" gerichtet ist. Bei einem auf Leistung gerichteten Begehren ist die Angabe eines bestimmten Geldbetrages nicht erforderlich (Abs 3). Ein Begehren "im gesetzlichen Ausmaß" ist (nach Abs 4) so zu verstehen, daß es auf das für den Versicherten Günstigste gerichtet ist. All diese, die Klageführung in Sozialrechtssachen erleichternden Normen ändern aber nichts daran, daß auch das ASGG zwischen Leistungs- und Feststellungsklagen streng unterscheidet. So wird im § 65 Abs 2 ausdrücklich gesagt, daß auch Klagen auf Feststellung unter den Abs 1 dieser Gesetzesstelle fallen, in der die Sozialrechtssachen aufgezählt sind. Als Feststellung eines Rechtsverhältnisses oder Rechts gilt demnach auch diejenige, daß eine Gesundheitsstörung Folge eines Arbeits(Dienst)unfalls oder einer Berufskrankheit ist (§ 367 Abs 1 ASVG). Das Sozialgericht kann nur dann über ein Feststellungsbegehren entscheiden, wenn im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung die Bestimmungen über das Verfahren vor den Versicherungsträgern eine entsprechende feststellende Entscheidung in Leistungssachen vorsehen (SSV-NF 8/94).

Der im vorliegenden Rechtsstreit bekämpfte Bescheid der Beklagten lehnt einen Antrag des Klägers vom auf "Durchführung" der Spezialbehandlung für seinen Sohn ab. Vom Begehren auf Kostenerstattung oder Kostenzuschüsse ist in diesem Bescheid keine Rede. Mit dem vorliegenden Klagebegehren begehrt der Kläger zwar die Beklagte schuldig zu erkennen, ihm den "Kostenanteil entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen" für die Durchführung der genannten Spezialbehandlung "zu ersetzen", ohne aber auszuführen, wann solche Behandlungen stattgefunden haben, welche Kosten dem Kläger hiefür erwachsen sind und daß er diese Kosten zunächst selbst getragen hat. Es fehlt auch jede Bezugnahme auf entsprechende Rechnungen oder Verrechnungsscheine, aus denen sich die Höhe des Kostenersatzes ableiten ließe. Das vorliegende Klagebegehren ist auch nicht etwa dahin zu verstehen, daß der Kläger von der Beklagten die Erbringung der Krankenbehandlung als Sachleistung begehren würde, weshalb dahingestellt bleiben kann, ob es einen solchen klagbaren Anspruch überhaupt gibt. Auch nach § 88 Abs 1 BSVG wird dem Anspruchsberechtigten nur ein Kostenzuschuß zu einer anderweitigen Krankenbehandlung gewährt, wenn er nicht die Vertragspartner, die eigenen Einrichtungen oder Vertragseinrichtungen in der Bauernkrankenversicherung zur Erbringung der Leistungen der Krankenbehandlung in Anspruch nimmt. Ein Kostenersatzbegehren für die Vergangenheit scheidet im vorliegenden Fall deshalb aus, weil weder behauptet noch festgestellt noch sonst aus dem Akt ersichtlich wäre, daß der Kläger die Kosten der Krankenbehandlung selbst getragen und diesbezügliche Rechnungen vorgelegt hat. In diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, daß die Stattgebung des Klagebegehrens durch das Erstgericht zu einem völlig unbestimmten Urteilsspruch geführt hat, der den Anforderungen an einen Exekutionstitel in keiner Weise entspricht: diesem Leistungsurteil wäre nämlich nicht zu entnehmen (auch nicht unter Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen), welchen ziffernmäßigen Kostenersatz die Beklagte dem Kläger zu leisten hätte (vgl SSV-NF 5/21). Weder das vorliegende Klagebegehren noch der Urteilsspruch des Erstgerichtes könnten aber auch dahin verstanden werden, daß die Beklagte schuldig erkannt werden sollte, in Hinkunft einen entsprechenden Kostenersatz für künftige Behandlungsmaßnahmen zu leisten. Da für solche Ansprüche keine Fälligkeit bestünde, könnte es sich insoweit nur um ein Feststellungsbegehren bzw Feststellungsurteil handeln. Ansprüche, die aber erst in Zukunft möglicherweise entstehen werden, können in der Regel nicht zum Gegenstand einer Feststellungsklage gemacht werden (Fink, Die sukzessive Zuständigkeit in Verfahren in Sozialrechtssachen, 369 mwN bei FN 11; vgl neuerlich SSV-NF 8/94). Das hier zu beurteilende Klagebegehren ist daher, wie es auch seinem Wortlaut entspricht, eine Leistungsklage, gerichtet auf Kostenersatz, in der jedoch nicht berücksichtigt wird, daß ein Kostenersatz nur gebührt, wenn die Kosten vorher vom Versicherten oder Anspruchsberechtigten getragen worden sind (zuletzt 10 ObS 52/96). Dafür bestehen hier aber keine Anhaltspunkte.

Der Rekurs der Beklagten gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes erweist sich daher im Ergebnis als berechtigt, weil bereits jetzt feststeht, daß das Klagebegehren nicht zurecht besteht. Der Oberste Gerichtshof konnte über den Rekurs wegen Entscheidungsreife der Streitsache gleich durch Urteil in der Sache selbst erkennen (§ 519 Abs 2 letzter Satz ZPO).

Eine Kostenentscheidung konnte mangels Verzeichnung von Kosten entfallen.