OGH vom 24.04.2001, 5Ob96/01f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Klinger als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Flossmann und Dr. Baumann und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Hurch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin Wohnungseigentümergemeinschaft des Hauses *****, vertreten durch Dr. Michael Günther, Rechtsanwalt in Wien, wider die Antragsgegnerin "G*****" ***** GmbH, ***** vertreten durch Dr. Erich Proksch, Rechtsanwalt in Wien, wegen § 26 Abs 1 Z 5 (§ 16 Abs 3) WEG, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 41 R 410/00y-15, womit der Sachbeschluss des Bezirksgerichtes Liesing vom , GZ 2 Msch 32/99x-11, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Sachbeschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Parteien haben die Kosten ihrer rechtsfreundlichen Vertretung im drittinstanzlichen Verfahren selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Die Antragsgegnerin war von 1988 bis 1997 Alleineigentümerin der Liegenschaft K*****. Ab 1991 erfolgten Zusagen auf Begründung von Wohnungseigentum gemäß § 24a WEG. Mario A***** hatte einen Miteigentumsanteil an dieser Liegenschaft gekauft; er bezahlte "Wohnbeiträge" nicht. Im Herbst 1995 verkaufte er - noch bevor sein Eigentumsrecht einverleibt wurde - seinen Miteigentumsanteil an Dr. Michael F*****. Erst danach wurde Wohnungseigentum begründet. Die Antragsgegnerin verwaltete die Liegenschaft bis .
Die Antragstellerin (Wohnungseigentümergemeinschaft) begehrte die Herausgabe von S 51.074,30. Sie brachte vor, dass die Antragsgegnerin anlässlich der Übergabe der Verwaltung den Abrechnungsbetrag um diesen Betrag gekürzt habe. Diese Beträge (Beiträge und Verfahrenskosten) würden der nunmehrige Miteigentümer Dr. Michael F***** oder dessen Vorgänger Mario A***** schulden; die Beträge könnten aber nicht auf die erst später begründete Wohnungseigentümergemeinschaft überwälzt werden.
Das Erstgericht verpflichtete die Antragsgegnerin, der Antragstellerin S 8.912,08 an die neue Verwalterin herauszugeben und wies erkennbar das Mehrbegehren auf Herausgabe von S 42.162,22 ab. Die Abzüge von S 30.143,58 vom herauszugebenden Überschuss rührten aus Minderzahlungen des damaligen Wohnungseigentumsbewerbers Mario A*****, wozu die Antragsgegnerin auch noch die Kosten für die versuchte Einbringung der Forderung abgezogen habe. Bei Fälligkeit der Titelforderung (Juli bis Oktober 1995) sei die Antragsgegnerin Alleineigentümerin gewesen. Es habe keine Verpflichtung zur Herausgabe von tatsächlich gar nicht erzielten Einnahmen bestanden. Daran habe sich durch den Eintritt der Wohnungseigentümergemeinschaft in die Rechte der Wohnungseigentumsbewerber (die noch keine, nicht einmal schlichte Miteigentümer gewesen seien) auch nichts geändert. Der Abzug von S 11.740,24 vom herauszugebenden Überschuss betreffe getätigte Aufwendungen in den Verfahren gegen Mario A*****, welche (mit Ausnahme eines Betrages von S 278,40) zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen seien. Hingegen sei die Antragsgegnerin 1998 nicht mehr berechtigt gewesen, im eigenen Namen eine Klage gegen Dr. F***** einzubringen. Die Berichtigung der Parteienbezeichnung wäre - selbst von Amts wegen - auf die Wohnungseigentümergemeinschaft möglich gewesen, wenn die Berechtigung des Klagebegehrens von Ansprüchen der Gemeinschaft abzuleiten gewesen wäre. Das habe die Antragsgegnerin durch ihr Vorbringen, mit dem Klagsbetrag selbst in Vorlage getreten zu sein, verhindert. Die Antragstellerin hafte daher nicht für die Kosten von S 8.912,08, die im Verfahren gegen Dr. F***** entstanden seien.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin gegen die Abweisung ihres Mehrbegehrens von S 42.162,22 nicht Folge, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 130.000 nicht übersteige und dass der Revisionsrekurs zulässig sei, und führte zur Rechtsrüge im Wesentlichen Folgendes aus:
§ 16 Abs 1 WEG normiere seit dem 3. WÄG einen weiten Rücklagenbegriff; er bedeute nunmehr das "Betriebsvermögen" der Wohnungseigentümergemeinschaft; die gesonderte Rücklage gemäß § 16 Abs 4 WEG sei bloß ein Sondervermögen innerhalb der (Gesamt)Rücklage. Gemäß § 17 Abs 3 WEG könne ein auf die Wohnungseigentümergemeinschaft lautendes gesondertes Konto eingerichtet werden, über das alle die Wohnungseigentümergemeinschaft betreffenden Ein- und Auszahlungen geführt werden könnten. Dies diene dazu, sämtliche mit der Verwaltung im Zusammenhang stehenden Zahlungsströme von fremdem Vermögensmassen abzugrenzen. Die Rücklage sei nun für alle Arten von Liegenschaftsaufwendungen, etwa auch für die Überbrückung von Finanzierungslücken bei der Abdeckung von Bewirtschaftungskosten verwendbar (WoBl 2000/38 [Call]; MietSlg 49.524).
Es komme daher im vorliegenden Fall nur darauf an, ob von der Rücklage ein Aufwand gemäß § 19 WEG abgedeckt worden sei. Das sei bei dem Betrag von S 42.162,22 der Fall. Dabei sei es irrelevant, ob um diesen Betrag die Rücklage niedriger gewesen sei, weil Beträge eines Wohnungseigentümers ausgefallen seien und aus der Rücklage Aufwendungen (Verfahrenskosten) finanziert worden seien, oder ob der Verwalter zunächst in Vorlage getreten sei und diese Aufwendungen später aus der Rücklage abgedeckt habe. In all diesen Fällen sei die Finanzierung von Aufwendungen gemäß § 19 WEG, welche durch Beiträge eines Mit- und Wohnungseigentümers nicht abgedeckt worden seien, erfolgt. Zwar sei es richtig, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft nicht in bestehende Schuldverhältnisse einzelner Mit- und Wohnungseigentümer eintrete (MietSlg 51.535 f mwN), doch überzeuge die Argumentation der Rekurswerberin nicht, dass Aufwendungen, die vor Entstehen der Wohnungseigentümergemeinschaft (hier: 1997) entstanden seien, nicht vom Überschuss abgezogen werden dürften. Konsequenterweise würde dies bedeuten, dass die Antragstellerin auch nicht jenen Teil des Überschusses verlangen dürfte, der zum Stichtag der Entstehung der Wohnungseigentümergemeinschaft bestanden habe (davon gehe auch keine der Parteien aus). Sollten der Antragsgegnerin - wider Erwarten - nachträglich Geldbeträge aus ihrer früheren Verwalterstellung zufließen (zB aus dem noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Prozess gegen Dr. Michael F*****), dann erhöhe sich in diesem Ausmaß der Überschuss aus der Rücklage, den die Antragsgegnerin als frühere Verwalterin gemäß § 16 Abs 3 WEG herauszugeben habe.
Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob der Überschuss aus der Rücklage einer Wohnungseigentümergemeinschaft (welche an den neuen Verwalter herauszugeben sei), durch Aufwendungen und Beitragsrückstände vermindert werde, die vor Entstehen der Gemeinschaft aufgelaufen seien.
Gegen diese Rekursentscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Antragstellerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens mit dem Antrag, ihrem Sachantrag auch hinsichtlich des Betrages von S 42.162,22 Folge zu geben; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Antragsgegnerin beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrages auch berechtigt.
Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens liegt nicht vor (§ 26 Abs 2 WEG iVm § 36 Abs 3 Z 16 MRG, § 510 Abs 3 Satz 3, § 528a ZPO).
In ihrer Rechtsrüge macht die Rechtsmittelwerberin im Wesentlichen geltend, der verfahrensgegenständliche Wohnbeitragsrückstand sei zu einer Zeit entstanden, als der außerbücherlichen Miteigentumsgemeinschaft keinerlei Rechtspersönlichkeit zugekommen sei. Diese Beträge könnten der erst durch Verbücherung des Wohnungseigentumsvertrages neu entstandenen Rechtspersönlichkeit Wohnungseigentümergemeinschaft nicht angelastet werden; mangels Identität von Gläubiger und Schuldner könne keine Kompensation erfolgen; die Wohnungseigentümergemeinschaft wäre auch nicht legitimiert, vom Verwalter im Zeitraum des außerbücherlichen Miteigentums die Herausgabe des Überschusses zu verlangen.
Hiezu wurde erwogen:
Vorauszuschicken ist, dass im vorliegenden Fall § 23 Abs 4 WEG (angefügt durch die WRN 1999) noch nicht anwendbar ist.
Gemäß § 16 Abs 3 WEG hat der Verwalter bei Beendigung der Verwaltung ohne Verzug über die Rücklage Rechnung zu legen und den Überschuss an den neuen Verwalter herauszugeben. Unter "Überschuss" ist der Betrag zu verstehen, der von den Einzahlungen der Miteigentümer nach Abzug der Aufwendungen für die Liegenschaft vorhanden sein muss (5 Ob 93/98g = MietSlg 50.600).
Die vom Rekursgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage berührt das Vorstadium des Wohnungseigentums, als die Antragsgegnerin noch Alleineigentümerin der Liegenschaft war. Sie kann aber anhand der bisher getroffenen Feststellungen noch nicht abschließend beantwortet werden, weil unklar ist, aus welchem Zeitraum die herauszugebende Rücklage (die nach einer Beilage zum Revisionsrekurs insgesamt ca 6 Mio S ausmacht) stammt und welche Vereinbarungen hierüber allenfalls schon im Vorstadium oder anlässlich der Wohnungseigentumsbegründung getroffen wurden.
Das von der Rechtsmittelwerberin angestrebte Abstellen auf den Zeitpunkt des Entstehens der Wohnungseigentümergemeinschaft (vgl auch RIS-Justiz RS0110933) würde voraussetzen, dass es sich um eine erst danach von den Miteigentümern im Sinne des § 16 Abs 1 WEG gebildete Rücklage handelt. Von diesem Sondervermögen der Wohnungseigentümergemeinschaft könnte die Antragsgegnerin als frühere Verwalterin und Alleineigentümerin Forderungen, die sich aus ihren (vertraglichen) Rechtsbeziehungen zu einzelnen Wohnungseigentumsbewerbern ergeben haben, nicht ohne weiteres in Abzug bringen.
Der Umstand, dass bereits im Vorstadium (offenbar auf vertraglicher Grundlage) "Wohnbeiträge" eingehoben wurden, und die Höhe der Rücklage deuten allerdings darauf hin, dass es schon damals zu einer (zumindest wirtschaftlich vergleichbaren) Rücklagenbildung gekommen sein könnte (vgl auch Call zu WoBl 1999/12). Sollte nun die Wohnungseigentumsbegründung hier tatsächlich keine Zäsur für die Rücklagenverrechnung gebildet haben und sollten die Abrechnungssalden des Vorstadiums in die (auch) danach bestehende Rücklage (mit allenfalls stillschweigender Billigung durch alle Beteiligten) eingeflossen sein, so wäre dem rechtlichen Ergebnis des Rekursgerichtes zuzustimmen: Die von einem Wohnungseigentumsbewerber nicht einbezahlten "Wohnbeiträge" könnten den gemäß § 16 Abs 3 WEG herauszugebenden Überschuss nicht erhöhen, Aufwendungen zur zweckentsprechenden Eintreibung des Zahlungsrückstandes hätten ihn vermindert.
Die Rechtssache ist somit mangels ausreichender Feststellungen noch nicht spruchreif, weshalb sie unter Aufhebung der vorinstanzlichen Sachbeschlüsse an das Erstgericht zurückzuverweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 26 Abs 2 WEG iVm § 37 Abs 3 Z 19 MRG.