OGH vom 19.02.2008, 5Ob8/08z
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Floßmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hurch, Dr. Höllwerth, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Alois B*****, vertreten durch Kometer & Pechtel-Schatz, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Anton B*****, vertreten durch Dr. Markus Heis, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Unterlassung (Streitwert 70.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom , GZ 4 R 104/07m-63, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Text
Begründung:
Der Beklagte wurde von den Vorinstanzen schuldig erkannt, die Verursachung von Lärm im Rahmen von Veranstaltungen mit Musik usw so, dass auf dem angrenzenden Grundstück des Klägers ein für Campingplätze üblicher Geräuschpegel von 55 dB am Tag (6.00 Uhr bis 22.00 Uhr) und 45 dB in der Nacht (ab 22.00 Uhr) überschritten wird, zu unterlassen, wobei die nächtens abgehaltenen Veranstaltungen nicht öfter als drei mal pro Jahr stattfinden dürfen.
Nach den Feststellungen hatte der Beklagte ursprünglich eine Betriebsanlagengenehmigung der BH Kufstein für einen Schnellimbiss in der Zeit von 10.00 Uhr bis 22.00 Uhr sowie Genehmigungen des Bürgermeisters der Gemeinde Kramsach für Veranstaltungen an gewissen Tagen bis 23.00 Uhr mit einer Lautstärkenbeschränkung von 55 dB am Fenster des Nachbarhauses. Mit Bescheid vom wurde die Betriebsanlagengenehmigung dahin geändert, dass für gelegentliche Veranstaltungen (maximal 20 mal jährlich bis 22.00 Uhr) Musikstücke mit einem Dauerschallpegel von maximal 95 dB und in einer Entfernung von 20 m mit 64 dB (s Ersturteil S 16, „24 dB" im Berufungsurteil S 10 beruht auf einem Tippfehler) zu begrenzen sind. Diese Bewilligung ist noch nicht rechtskräftig. Der Beklagte betreibt nach den Feststellungen die Musikveranstaltungen seit ca 6 Jahren teilweise auch ohne einschlägige veranstaltungsrechtliche Genehmigung des Bürgermeisters und auch über die darin bis 23.00 Uhr begrenzte Zeit hinaus sowie in Überschreitung des dort festgelegten Grenzwerts von 55 dB am Fenster des Nachbarn. Der allgemeine Immissionsgrenzwert für die Lage des Camingplatzes des Klägers liegt nach den Feststellungen bei 55 dB tagsüber und 45 dB nachts.
Rechtliche Beurteilung
In der außerordentlichen Revision des Beklagten werden folgende Punkte als erhebliche Rechtsfragen bezeichnet:
1. Das Verhältnis von verwaltungsrechtlichem und gerichtlichem Immissionsschutz, insbesondere im Hinblick auf §§ 74 ff GewO, wobei der Revisionswerber meint, dass die Regelungen der Gewerbeordnung als späteres Gesetz jenen des ABGB vorgehen würden. Zur Frage, ob beide Regelungsbereiche nebeneinander oder alternativ anzuwenden seien, liege keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vor.
Tatsächlich ist das Verhältnis im Gesetz geregelt: soweit eine genehmigte Anlage vorliegt und sich dessen Emissionen im Rahmen der Genehmigung halten, besteht lediglich ein Ausgleichsanspruch nach § 364a ABGB und nicht ein Unterlassungsanspruch nach § 364 Abs 2 ABGB. Im Übrigen besteht dazu ausreichend Judikatur (vgl RIS-Justiz RS0010645; 2 Ob 659/86; RIS-Justiz RS0010682).
Lediglich mit seinem Vorbringen, wonach auf Grund einer Änderung der Gewerbeordnung nunmehr erstinstanzlich genehmigte Betriebsanlagen vor Eintritt der Rechtskraft des Genehmigungsbescheids errichtet und betrieben werden dürfen (§ 78 Abs 1 GewO; wobei dieses Recht spätestens drei Jahre nach Zustellung des Genehmigungsbescheids an den Genehmigungswerber endet), stellt der Revisionswerber die bisherige oberstgerichtiche Judikatur, wonach von einer behördlich genehmigten Anlage im Sinne des § 364a ABGB erst gesprochen werden könne, wenn die behördliche Genehmigung in Rechtskraft erwachsen ist (RIS-Justiz RS0010669), in Frage.
Allerdings gesteht der Revisionswerber selbst zu, dass der erstinstanzliche Betriebsanlagenänderungsbescheid vom (s Ersturteil S 16 sowie S 4 der Revision; das Datum in der Berufungsentscheidung S 10 scheint daher auf einem Tippfehler zu beruhen) „mittlerweile" aufgehoben und die Rechtssache zu neuerlicher Verhandlung an die Behörde in erster Instanz zurückverwiesen worden sei (S 4 der Revision). Es findet sich im Akt kein Hinweis, dass dieser Aufhebungsbeschluss angefochten und der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt worden wäre (vgl zu dieser Möglichkeit ua). Vor allem aber wurde weder festgestellt noch legt der Revisionswerber dar, dass der aufgehobene erstinstanzliche Bescheid der BH Kufstein der gerichtlichen Entscheidung widerspricht. Nach dem genannten Bescheid der BH Kufstein dürfen Abendveranstaltungen 20 mal jährlich bis 22.00 Uhr mit einem Dauerschallpegel von 95 dB und in einer Entfernung von 20 m mit 64 dB durchgeführt werden.
Damit ist der Spruchteil der Vorinstanzen, der die Zeit ab 22.00 Uhr (nachts) betrifft, jedenfalls nicht betroffen; der Spruchteil bis 22.00 Uhr beträfe nur maximal 20 Abende im Jahr. Dass in diesem Fall ein in einer Entfernung von 20 m einzuhaltender Pegel von 64 dB im Widerspruch zur gerichtlichen Anordnung von 55 dB auf dem Grundstück des Klägers stünde, behauptet der Revisionswerber nicht. Dieser Umstand ist auch nicht offensichtlich, sodass sich in diesem Zusammenhang keine aufgreifenswerte, nämlich „krass falsch" beurteilte Rechtsfrage stellt.
2. Als weitere erhebliche Rechtsfrage wird wieder auf die unterschiedlichen bürgerlich-rechtlichen bzw verwaltungsbehördlichen Inhalte des Immissionsschutzes hingewiesen. Der Revisionswerber meint, es sei unklar, welcher Standard anzuwenden sei bzw ob dies vom Zuvorkommen der jeweiligen Behörde abhänge.
Tatsächlich haben die Gerichte die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts (und dessen „Standard") und die Verwaltungsbehörden ihre einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen anzuwenden. Inwieweit in bürgerlichen Rechtssachen auf verwaltungsbehördliche Entscheidungen Rücksicht zu nehmen ist, ergibt sich aus § 364a ABGB. Eine erhebliche Rechtsfrage in diesem Zusammenhang ist - wie schon zu Pkt 1 ausgeführt wurde - nicht ersichtlich.
3. Weiters verweist der Revisionswerber darauf, dass die Musikveranstaltungen seit 6 Jahren stattfinden und sich die Frage stellt, ob dieser Zeitraum den Beurteilungsmaßstab der Ortsüblichkeit dahingehend verändert habe, dass die Musikveranstaltungen als ortsüblich zu achten sind.
Zur Frage, wann aus einer Überschreitung des bis dahin Ortsüblichen eine Änderung des Üblichen wird, vertritt Spielbüchler in Rummel3 Rz 15 zu § 364 die Ansicht, dass dies zwar zweifelhaft sei, am besten aber der in der gesamten Rechtsordnung für derartige Anliegen übliche Zeitraum von 3 Jahren (er verweist auf § 1488 ABGB und § 64 GBG)
geeignet sei. Dem hat sich der Oberste Gerichtshof in 7 Ob 361/97g =
SZ 70/251 zwar angeschlossen, diese Ansicht in 5 Ob 65/03z = SZ
2003/36 aber abgelehnt und auch die jahrelange Hinnahme von Beeinträchtigungen durch einen Nachbarn bei der Beurteilung der Ortsüblichkeit einer Immission außer Ansatz gelassen. Gegen die starre dreijährige Frist spricht sich auch Oberhammer in Schwimann Praxiskommentar3 § 364 Rz 19 aus. Ohne eigene Stellungnahme Eccher in KBB § 364 Rz 9.
Trotz dieser vermeintlichen Judikaturdivergenz stellt sich die aufgeworfene Rechtsfrage im gegenständlichen Fall nicht, weil der Rechtsstreit bereits seit 2004 anhängig ist und zumindest seit diesem Zeitpunkt von einem Hinnehmen der Immissionsbeeinträchtigung nicht gesprochen werden kann. Wenn daher im erstinstanzlichen Urteil von 2007 festgestellt wurde, dass vom Beklagten „seit 6 Jahren" solche Musikveranstaltungen durchgeführt werden, steht damit nicht einmal eindeutig fest, ob überhaupt die dreijährige Frist eines widerspruchslosen Hinnehmens abgelaufen wäre. Das erübrigt eine rechtliche Stellungnahme.
4. Letztlich meint der Revisionswerber, dass der gerichtlich bestellte Sachverständige die Grundlage für sein Gutachten aus Ö-Normen und Richtlinien und nicht aus den tatsächlichen örtlichen Verhältnissen gewonnen und nur so zu dem Ergebnis gekommen sei, dass auf der vorbeiführenden Gemeindestraße mittlere Spitzen von 65 dB Lärm erzeugt würden. Dagegen sei die Musik auf der Liegenschaft des Beklagten aber mit einem Schallpegel von 55 bzw 45 dB begrenzt worden.
Damit bekämpft der Revisionswerber in Wahrheit die Feststellungen des Erstgerichts, die vom Berufungsgericht trotz dagegen erhobener Tatsachenrüge des Beklagten gebilligt wurden. Auch hier liegt eine erhebliche Rechtsfrage nicht vor.