OGH vom 14.03.2005, 4Ob4/05z
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß als Vorsitzende und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Gitschthaler als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Hannes Pflaum und andere, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Josef Broinger und Mag. Markus Miedl, Rechtsanwälte in Linz, wegen Unterlassung, Beseitigung und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert 70.000 EUR), über den ordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 5 R 187/04p-25, womit der Beschluss des Landes- als Handelsgericht Wiener Neustadt vom , GZ 26 Cg 29/03z-21, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.384,54 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 564,09 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Mit der beim Landesgericht Wiener Neustadt eingebrachten Klage begehrt die Klägerin, der Beklagten bestimmte Werbeaussagen zu untersagen, die Beseitigung oder Unkenntlichmachung der betreffenden Werbeprospekte und Werbefolder der Beklagten und die Veröffentlichung des Urteils in zwei Tageszeitungen wegen Verstoßes gegen § 2 UWG. Zur örtlichen Zuständigkeit des Erstgerichts berief sich die Klägerin auf § 83c Abs 1 JN; die Wettbewerbsverstöße bezögen sich jedenfalls auch auf die im Sprengel des Erstgerichts gelegene Niederlassung der Beklagten. Die Beklagte habe ihren Sitz in Wels, betreibe aber mehrere Baumärkte in Form selbstständiger Niederlassungen in ganz Österreich, eine davon im Sprengel des Erstgerichts. Die Beklagte setze zur Unterstützung des Betriebs intensiv Werbung ein, insbesondere durch Auflage und Verteilung mehrseitiger färbiger Werbefolder und -prospekte in ihren Baumärkten, sowie durch österreichweite Verteilung dieser Werbefolder und -prospekte an Haushalte.
In der Klagebeantwortung wendete die Beklagte die örtliche Unzuständigkeit des Erstgerichts ein. Die beanstandeten Werbeaussagen bezögen sich auf alle ihre Niederlassungen in acht Bundesländern und nicht isoliert auf ihre Niederlassung im Sprengel des Erstgerichts. Es sei daher das Gericht allein zuständig, in dessen Sprengel die Hauptniederlassung/der Unternehmenssitz der Beklagten liege. Dieser befinde sich nicht im Sprengel des Erstgerichts.
Das Erstgericht verwarf die Unzuständigkeitseinrede der Beklagten. § 83c Abs 1 JN verlange nicht, dass sich die Handlung, die zum Gegenstand des Rechtsstreits gemacht werde, allein auf die Niederlassung beziehe. Da die beanstandeten Prospekte der Beklagten österreichweit und damit auch im Bereich der Niederlassungen der Beklagten im Sprengel des Erstgerichts verteilt worden seien, sei dessen örtliche Zuständigkeit zu bejahen.
Das Rekursgericht verneinte hingegen die örtliche Zuständigkeit des Erstgerichts, erklärte das Verfahren in der Hauptsache (nicht aber das Provisorialverfahren) für nichtig und wies die Klage zurück. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs mangels Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einem vergleichbaren Sachverhalt zulässig sei. Die Beklagte habe ihre Unzuständigkeitseinrede rechtzeitig erhoben, die Unzuständigkeit sei daher nicht geheilt, weil die Äußerung zu dem mit der Klage verbundenen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung kein Vorbringen im Hauptverfahren sei. Das Erstgericht sei für das Provisorialverfahren zum Zeitpunkt dieser Äußerung gemäß § 387 Abs 1 EO auch jedenfalls zuständig gewesen.
Die örtliche Zuständigkeit des Erstgerichts wäre nur dann gegeben, wenn sich im Sinn des § 83c Abs 1 JN die Handlung, die zum Gegenstand des Rechtsstreites gemacht worden sei, auf die Niederlassung der Beklagten im Sprengel des Erstgerichts beziehe. Die Vorgängerbestimmung des § 83c JN (§ 23 UWG idF vor der ZVN 1983) habe immer nur die ausschließliche örtliche Zuständigkeit eines einzigen Gerichts vorgesehen (Gericht am Sitz des Unternehmens; habe das Gericht mehrere Niederlassungen, dann das Gericht der Niederlassung, auf die sich die Handlung beziehe; beziehe sich die Handlung nicht auf eine Niederlassung, dann das Gericht der Hauptniederlassung). Nunmehr räume § 83c Abs 1 JN dem Kläger ein Wahlrecht ein, wenn die Beklagte mehrere Niederlassungen im Inland habe, und zwar zwischen dem Gericht der Hauptniederlassung und derjenigen Niederlassung, auf die sich die Handlung bezieht. Aus der Vorgängerbestimmung und aus der Formulierung „oder derjenigen Niederlassung" lasse sich ableiten, dass der Gesetzgeber von der wahlweisen örtlichen Zuständigkeit von höchstens zwei Gerichten ausgehe. Daraus folge, dass Voraussetzung des genannten Wahlgerichtsstands des Gerichts derjenigen Niederlassung, auf die sich die Handlung bezieht, sei, dass sich die beanstandete Handlung eben speziell auf diese eine Niederlassung und nicht generell auf alle Niederlassungen der Beklagten beziehe. Dieses Auslegungsergebnis entspreche auch der Rechtsprechung zu § 87 Abs 2 JN. Da die beanstandeten Werbeprospekte und -folder in allen Baumärkten der Beklagten aufgelegt und in ganz Österreich verteilt worden seien, die beanstandeten Werbeaussagen daher generell die Leistungen der Beklagten und nicht speziell ihre Leistungen oder Angebote allein in ihrer Niederlassung im Sprengel des Erstgerichts betroffen hätten, habe sich die Klägerin zu Unrecht auf den Gerichtsstand der Zweigniederlassung berufen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Klägerin ist zulässig und auch berechtigt.
Gemäß § 104 Abs 3 JN wird ein an sich aufgrund des Fehlens der örtlichen Zuständigkeit unzuständiges Gericht dadurch zuständig, dass der Beklagte zur Sache vorbringt (§ 74 ZPO) oder mündlich verhandelt, ohne die Einrede der örtlichen Zuständigkeit zu erheben, sofern er dabei durch einen Rechtsanwalt oder einen Notar vertreten ist. Die Beklagte hat sich in diesem Rechtsstreit (Hauptsache) erstmals in ihrer Klagebeantwortung zur Sache geäußert und ihrem Vorbringen die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit des Erstgerichts vorangestellt. Zu einer Heilung (einer allfälligen) örtlichen Unzuständigkeit ist es daher nicht gekommen.
Die Äußerung der Beklagten zu dem von der Klägerin mit ihrer Klage verbundenen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ist keine Einlassung in der Hauptsache; das Provisorialverfahren ist vom Verfahren in der Hauptsache getrennt zu sehen. Da das Erstgericht nach § 387 Abs 1 EO für das Verfahren über den mit der Klage verbundenen Sicherungsantrag jedenfalls zuständig war, bestand für die Beklagte auch kein Anlass, in ihrer Äußerung zum Sicherungsantrag die Zuständigkeitsfrage zu erörtern.
§ 83c Abs 1 JN schafft (unter anderem) für Streitigkeiten wegen Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht bei Vorhandensein mehrerer Niederlassungen des Beklagten eine Wahlmöglichkeit für den Kläger zwischen dem Gericht der Hauptniederlassung und dem Gericht, in dessen Sprengel sich diejenige Niederlassung befindet, auf die sich die (beanstandete) Handlung bezieht.
Die Revisionswerberin verweist zutreffend auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Vorgängerbestimmung des § 83c Abs 1 JN (§ 23 Abs 1 UWG), wonach es sich bei einer wettbewerbswidrigen Handlung, die sich auf eine Zweigniederlassung „bezieht", nicht immer um eine wettbewerbswidrige Handlung im Betrieb der Niederlassung handeln muss (4 Ob 331/67 = SZ 40/113 ua; RIS-Justiz RS008000). Zwar sprechen sowohl der Wortlaut der Zuständigkeitsnorm als auch der vom Rekursgericht angesprochene Zweck, das Gericht zur Entscheidung zu berufen, dass eine größere räumliche Nähe zur Streitigkeit aufweist, weil etwa in seinem Sprengel (in der in seinem Sprengel befindlichen Niederlassung der Beklagten) die beanstandete Handlung begangen wurde, dafür, für die örtliche Zuständigkeit des Gerichts, in dessen Sprengel die Zweigniederlassung der Beklagten liegt, eine sachliche oder rechtliche Nahebeziehung zu verlangen. Durch die Neufassung des Gerichtsstands für Wettbewerbsstreitigkeiten (§ 83c JN) sollten aber Zuständigkeitsstreitigkeiten vermieden werden (JAB 1337 BlgNR 15. GP). Dieses Ziel wird nicht erreicht, wenn - wie vom Rekursgericht - eine Prüfung aufgetragen wird, ob eine Handlung vorliegt, die sich „speziell" auf diese Niederlassung bezieht. Darüber hinaus hat die Ausübung des Wahlrechts zwischen dem Gericht der Hauptniederlassung und dem Gericht der Zweigniederlassung, auf die sich die Handlung bezieht, keine materiell-rechtlichen Auswirkungen (4 Ob 153/89 = ÖBl 1990, 87 - Milumil), weshalb beim angerufenen Gericht der Zweigniederlassung auch die Unterlassung von Handlungen begehrt werden kann, die das geklagte Unternehmen in anderen Zweigniederlassungen begeht (anders noch 4 Ob 430/81 = ÖBl 1982, 104 [abl Böhm] - Fotohandelsrabatte).
Die Regelung des Gerichtsstands der Niederlassung spricht nicht gegen die vom Rekursgericht abgelehnte Wahlmöglichkeit für den Kläger, wenn er einen Wettbewerbsverstoß geltend machen will, der sich auf mehrere Zweigniederlassungen des belangten Unternehmens gleichermaßen bezieht. § 87 JN fordert, dass sich die Streitigkeit auf „diese Niederlassung" bezieht. Eine besondere Intensität der Beziehung und insbesondere die Ausschließlichkeit einer solchen Beziehung verlangt das Gesetz nicht. Der Anspruch muss aus einem Ereignis herrühren, das in einem ursächlichen wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Niederlassung steht; der Klageanspruch muss Folge dieses Betriebs sein (7 Ob 25/65 = SZ 38/18; 1 Ob 301/01y = SZ 2002/7; Simotta in Fasching² § 87 JN Rz 33f mwN). Es ist nicht erforderlich, dass die Zweigniederlassung das streitgegenständliche Geschäft geschlossen hat.
Der erkennende Senat kommt daher zum Ergebnis, dass für den Gerichtsstand des § 83c JN kein besonderer sachlicher oder rechtlicher Zusammenhang zwischen der beanstandeten Handlung und der jeweiligen Zweigniederlassung zu verlangen ist, sondern es genügt, dass sich die beanstandete Handlung auch auf die jeweilige Zweigniederlassung bezieht.
Anzumerken bleibt, dass den von der Klägerin ins Treffen geführten Testkäufen zu Zwecken des Preisvergleichs gerade in der Verkaufsniederlassung im Sprengel des angerufenen Gerichts keine Bedeutung für die Beurteilung der Zuständigkeit zukommt, weil dadurch zwischen der beanstandeten Wettbewerbshandlung und der Niederlassung keine Nahebeziehung hergestellt wird. Die beanstandeten Wettbewerbshandlungen sind nämlich die (behaupteter Maßen) wettbewerbswidrigen Werbeaussagen in den österreichweit verteilten Werbeprospekten und -foldern und nicht etwa bestimmte Warenverkäufe (konkrete Verkaufsmodalitäten) einer bestimmten Niederlassung der Beklagten.
Die Verwerfung der Unzuständigkeitseinrede durch das Erstgericht ist daher wiederherzustellen.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf §§ 41 und 50 ZPO.