OGH vom 20.09.2013, 5Ob63/13w
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen N***** S*****, geboren am , und L***** S*****, geboren am , über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Eltern A***** S***** und P***** S*****, beide *****, beide vertreten durch Aschmann Pfandl Partnerschaft von Rechtsanwälten GmbH in Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom , GZ 1 R 272/12w 24, womit über Rekurs der Eltern der Beschluss des Bezirksgerichts Voitsberg vom , GZ 1 Ps 47/12f 19, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionrekurs der Eltern wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Entscheidung über den Antrag der Eltern, gemäß § 107a AußStrG über die Zulässigkeit der vom Jugendwohlfahrtsträger gesetzten Maßnahme zu entscheiden, obliegt dem Erstgericht.
Text
Begründung:
Die Minderjährigen N*****, geboren am , und L*****, geboren am , S***** lebten bis im gemeinsamen Haushalt mit ihren Eltern A***** und P***** S*****, denen die Obsorge zustand.
Am setzte der Jugendwohlfahrtsträger Land Steiermark, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft V***** gemäß § 215 Abs 1 zweiter Satz ABGB die vorläufige Maßnahme der Kindesabnahme und brachte die beiden Minderjährigen zur Abklärung des Verdachts auf körperliche Übergriffe gegen sie in das Kinderkrankenhaus G*****.
Am (Einlangen bei Gericht) beantragte der Jugendwohlfahrtsträger beim Erstgericht, den Eltern A***** und P***** S***** wegen Gefahr im Verzug gemäß § 215 Abs 1 ABGB die Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung für die beiden Minderjährigen zu entziehen und ihm die Obsorge in diesem Teilbereich zu übertragen. Anlass der Sofortmaßnahme waren blaue Flecken bei N*****, die im Kindergarten festgestellt worden waren und die den Verdacht der Kindesmisshandlung erweckten. Den Antrag auf Obsorgeübertragung gründete der Jugendwohlfahrtsträger auf den Umstand, dass die in der Familie trotz intensiver ambulanter Unterstützung bestehenden Probleme wie Verwahrlosung der Minderjährigen, mangelnde Grundversorgung, mangelnde Förderung der Minderjährigen und psychische Belastung der Mutter bei einem Weiterverbleib der Kinder in der Familie eine akute Gefährdung des Kindeswohls befürchten ließen.
Nach einem Aufenthalt in der Kinderklinik wurden die beiden Kinder bei einer Pflegefamilie untergebracht.
Am sprachen sich die Eltern, die in aufrechter Ehe leben, gegen den vom Jugendwohlfahrtsträger gestellten Antrag sowie gegen die gesetzte Maßnahme aus, bestritten die erhobenen Misshandlungsvorwürfe und vertraten den Standpunkt, gegenüber den zuständigen Sozialarbeitern hinsichtlich der Unterstützungsmaßnahmen stets kooperativ gewesen zu sein. Dadurch habe sich die Familiensituation auch ausreichend stabilisiert und verbessert.
Gleichzeitig beantragten die Eltern, die vom Jugendwohlfahrtsträger gesetzten Maßnahmen des Ausfolgungsverbots sowie der Krisenunterbringung nach dem Krankenhausaufenthalt unverzüglich aufzuheben und die gemeinsame Obsorge hinsichtlich beider Kinder bei ihnen zu belassen.
Das Erstgericht holte ein Gutachten einer Sachverständigen für Familien Kinder Jugendpsychologie und Systempädagogik zur Frage ein, ob durch das Unterbleiben der vom Jugendwohlfahrtsträger beantragten Maßnahme das Wohl der beiden Kinder gefährdet sei.
Das Gutachten wurde dem Rechtsvertreter der Eltern zur Stellungnahme übermittelt.
In der darauffolgenden Stellungnahme beantragten die Eltern ihre eigene Einvernahme sowie die des mütterlichen Großvaters zum Beweis ihrer Eignung, die Obsorge über die Minderjährigen zu behalten, ihren Umgang und ihre Bindung an die Kinder sowie ihre Wohn und finanzielle Situation, die die Aufrechterhaltung der Obsorge rechtfertigten.
Der Jugendwohlfahrtsträger teilte über Aufforderung des Gerichts mit, dass im Familienkreis der Betroffenen niemand anderer zur Übernahme der Obsorge bereit bzw vorhanden sei. Diese Stellungnahme wurde den Eltern nicht übermittelt.
Die Mutter wurde inzwischen mit Urteil vom rechtskräftig vom Anklagevorwurf der Misshandlung und fahrlässigen Verletzung ihres Sohnes N***** freigesprochen.
Ohne Durchführung eines weiteren Beweisverfahrens, insbesondere ohne Einvernahme der Eltern, entzog ihnen das Erstgericht die Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung und übertrug diese an den Jugendwohlfahrtsträger.
Dabei ging es zusammengefasst von folgenden Grundlagen aus: Aus der Exploration der Sachverständigen mit Kindern und Eltern, den Berichten der Sozialarbeiter und Frühförderer sowie dem Bericht der Pflegemutter ergebe sich, dass die Lebensbedingungen der Kinder und deren Entwicklungsdefizite trotz Einsatzes eines Krisendienstes und einer Frühförderin nicht verbessert hätten werden können. Dabei scheine das Entwicklungspotential der Kinder groß zu sein, sie hätten in nur zwei Monaten bei der Pflegemutter enorm viel aufgeholt. Beide Kindeseltern ließen eine wirkliche Problemeinsicht und kritische Selbstreflexion vermissen, weshalb für sie wohl auch kein Veränderungsbedarf gegeben scheine.
Die Bindungsqualität beider Kinder zur Mutter sei zumindest unsicher, diese habe zu ihren Kindern keine emotionale Beziehung aufbauen können, habe auch wenig Zugang zu ihren eigenen Gefühlen und bringe den Kindern wenig Wärme entgegen.
Der Vater zeige einen liebevollen und bemühten Umgang mit den Kindern, sei jedoch nicht in der Lage, die Defizite bei der Mutter zu erkennen.
Insgesamt bestünden bei den Kindern Entwicklungsdefizite, sie erhielten zu wenig Förderung, Zuwendung, Aufmerksamkeit und Anregungen. Emotionale und soziale Bedürfnisse sowie ein Explorationsbedürfnis der Kinder komme wegen des an Äußerlichkeiten orientierten Erziehungsverhaltens der Eltern zu kurz.
Schlagwortartig hielt das Erstgericht folgende „Risikofaktoren“ fest:
- November 2010 Gefährdungsmeldung (Einsperren und Schreien des mj N*****);
- Feststellung von Entwicklungsverzögerungen beider Kinder;
- Frühförderin berichtet von massiven Entwicklungsverzögerungen der Kinder, sehr strengem und rigidem Erziehungsverhalten der Eltern, motorischer Einschränkung der Kinder;
- Frühjahr 2011 eine weitere Gefährdungsmeldung, Inhalt wie November 2010;
- drohende Delogierung, weil seit Einzug 2010 nichts bezahlt wurde (Miete, Strom, Betriebskosten etc);
- Kinder in schlechtem körperlichen Zustand, auch häufig blaue Flecken (Bericht Frühförderin);
- Mutter psychisch sehr belastet, Zusammenbruch;
- Einsatz eines Krisendienstes erforderlich;
- N***** meist isoliert in seinem Zimmer, fragt häufig nach Essen und Trinken, wurde ihm verweigert;
- Dezember 2011 Meldung der Kinderklinik:Verdacht auf Vernachlässigung;
- während des Gesprächs mit der Sozialarbeiterin sind die Kinder unbeaufsichtigt im Kinderzimmer eingeschlossen;
- Kindeseltern können Gefahren nicht richtig einschätzen (Frühförderin);
- Jänner 2012: Der Kinderarzt berichtet von einem sehr strengen Erziehungsverhalten der Eltern, dass die Kinder öfters blaue Flecken hätten, er glaube nicht, dass diese von Stürzen kommen;
- sehr angespannte finanzielle Situation, Eltern dadurch aufgebracht und belastet;
- fehlendes soziales Netzwerk;
- Bericht der Pflegemutter: motorische, kognitive und sprachliche Entwicklung der Kinder defizitär, N***** kannte viele alltägliche Dinge nicht.
In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, dass das Kindeswohl bei Unterbleiben der vom Jugendwohlfahrtsträger beantragten Maßnahmen gefährdet erscheine; auch sei weder im Familienkreis noch darüber hinaus jemand für die Obsorgeübernahme vorhanden, sodass die Obsorge dem Jugendwohlfahrtsträger zu übertragen sei.
Dem dagegen von den Eltern erhobenen Rekurs gab das Gericht zweiter Instanz nicht Folge. Es verneinte die im Rekurs gerügte Nichtigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Die Rekurswerber hätten sich zwar zu Recht dagegen gewendet, dass ihnen die letzte Stellungnahme des Jugendwohlfahrtsträgers nicht übermittelt worden sei, doch hätten sie im Rekursverfahren die Möglichkeit gehabt, dem Inhalt dieser Stellungnahme zu widersprechen. Das hätten sie unterlassen, konkret hätten sie keine Personen bezeichnen können, die zur Übernahme der Obsorge für die beiden Kinder bereit und geeignet wären.
Eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens infolge der unterlassenen Einvernahme von Zeugen verneinte das Rekursgericht mit der Begründung, dass Zeugenaussagen ohnedies die aus dem Sachverständigengutachten hervorgehenden Gefährdungstatbestände nicht widerlegen könnten. Ein Ortsaugenschein sei überflüssig gewesen, weil die Wohnverhältnisse nicht Entscheidungsgegenstand gewesen seien. Letztlich habe es aber auch der Einvernahme der Eltern nicht bedurft, weil deren relevante Interaktion mit den Kindern ohnedies im Zug der Befundaufnahme durch die Sachverständige ausführlich exploriert worden sei. Im Übrigen hätten sie die Möglichkeit gehabt, zum Gutachten schriftlich Stellung zu nehmen. Warum dieses Gutachten unschlüssig oder unnachvollziehbar sein solle, hätten die Rekurswerber nicht dartun können.
Eine mündliche Verhandlung, die nicht zwingend vorgeschrieben sei, sei seitens der Eltern nie beantragt worden. Eine Erörterung des Gutachtens zu beantragen, wäre den Eltern jederzeit freigestanden. Hinsichtlich der rechtsanwaltlich vertretenen Rekurswerber habe insofern keine Anleitungspflicht bestanden. Dass die Mutter mittlerweile von dem gegen sie erhobenen Vorwurf, sie habe N***** am 1. und misshandelt, freigesprochen worden sei, ändere am geschilderten Gesamtbild nichts. Die in § 176 ABGB definierte Kindeswohlgefährdung liege jedenfalls vor.
Soweit der Vater rüge, dass nach den ermittelten Grundlagen jedenfalls er zur Ausübung der Obsorge in der Lage wäre, sei entgegenzuhalten, dass er eine Reflexion des Verhaltens seiner Gattin vermissen lasse, weshalb bei dieser Konstellation die Kinder im Ergebnis im bisherigen familiären Umfeld verbleiben würden. Es sei dem Vater offenkundig auch bis jetzt nicht gelungen, schädliche Einflüsse von den Kindern fernzuhalten.
Insgesamt sei daher die Entziehung der Obsorge als „äußerste Notmaßnahme“ erforderlich, um einer Gefährdung des Kindeswohls vorzubeugen.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionrekurs infolge Fehlens der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig sei.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der außerordentliche Revisionrekurs der Eltern mit dem Antrag auf Abänderung der Beschlüsse der Vorinstanzen im Sinne einer Aufhebung der vom Jugendwohlfahrtsträger gesetzten Maßnahmen des Ausfolgungsverbots und der Krisenunterbringung und Belassung der gemeinsamen Obsorge der beiden Kinder bei den Eltern. Hilfsweise wird beantragt, die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen. Darüber hinaus beantragen die Revisionsrekurswerber, die Maßnahme des Jugendwohlfahrtsträgers aufgrund Wegfalls der Gefahr für das Kindeswohl aufzuheben und den Jugendwohlfahrtsträger anzuweisen, die minderjährigen Kinder umgehend an die Eltern zurückzuführen.
Der zuständige Jugendwohlfahrtsträger hat zwar innerhalb der Frist des § 68 Abs 1 AußStrG keine Revisionsrekursbeantwortung eingebracht, sich jedoch in einer Kurzstellungnahme gegen die Abänderung der Rekursentscheidung ausgesprochen.
Die Eltern erstatteten ihrerseits „ergänzend zum außerordentlichen Revisionrekurs“ eine „Mitteilung mit Neuerungen“, wonach das Schuldenregulierungsverfahren der Mutter inzwischen aufgehoben und beide Eltern damit „vollständig entschuldet“ seien, sowie weiters, dass ein Fortsetzungsantrag des Jugendwohlfahrtsträgers in der Strafsache gegen die Mutter zurückgewiesen worden sei. Der Jugendwohlfahrtsträger bemühe sich auch bereits um einen Dauerpflegeplatz für die Kinder.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionrekurs der Eltern erweist sich als zulässig und im Sinn des in ihm gestellten Aufhebungsantrags auch als berechtigt.
1. Die behauptete Verletzung rechtlichen Gehörs liegt nicht vor. Noch im Revisionsrekursverfahren hätten die Revisionsrekurswerber, weil im Obsorgeverfahren insoweit kein Neuerungsverbot besteht (RIS-Justiz RS0106312; RS0106313 ua), Tatsachen behaupten und Beweise zur Unrichtigkeit der Stellungnahme des Jugendwohlfahrtsträgers anbieten können, wonach keine anderen Personen zur Übernahme der Obsorge bereit wären. Das haben sie unterlassen, weshalb ihre Rüge nicht durchschlägt.
2. Das Kindschafts- und Namensrechts Änderungsgesetz 2013 (BGBl I 2013/15, KindNamRÄG 2013) ist in den hier maßgeblichen Bestimmungen mit in Kraft getreten (§ 1503 Z 1 ABGB). Die neuen Bestimmungen sind auch in den zu diesem Zeitpunkt bereits anhängigen Verfahren anzuwenden (RIS Justiz RS0128634).
Entscheidungswesentlich ist hier aber primär die Bestimmung des § 181 (früher 176) ABGB, die inhaltlich keine Änderung erfahren hat (3 Ob 38/13d EF-Z 2013/109, 167 [ Beck ]).
Maßnahmen nach § 181 Abs 1 ABGB, insbesondere die gänzliche oder teilweise Entziehung der Obsorge über ein Kind, setzen eine Gefährdung des Kindeswohls durch die mit der Obsorge betrauten Eltern voraus. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass eine solche Änderung der Obsorge nur angeordnet werden darf, wenn sie im Interesse des Kindes dringend geboten ist, wobei grundsätzlich ein strenger Maßstab angelegt werden muss (RIS Justiz RS0048699; RS0047841).
In ständiger Rechtsprechung wird weiters betont, dass wegen des mit einer Obsorgeentziehung regelmäßig verbundenen Eingriffs in das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat und Familienlebens des Art 8 EMRK eine Beschränkung der Obsorge nur das letzte Mittel sein darf und nur insoweit angeordnet werden darf, als das zur Abwendung einer drohenden Gefährdung des Kindeswohls notwendig ist (RIS Justiz RS0048712; 8 Ob 304/00i; 3 Ob 155/11g; Höllwerth in Gitschthaler , Kindschafts und Namensrechtsänderungsgesetz 2013 EF-Spezial, 227 f). Dem trägt § 182 ABGB insofern Rechnung, als eine Verfügung nach § 181 ABGB die Obsorge nur soweit beschränken darf, als das zur Sicherung des Wohls des Kindes erforderlich ist. Ganz allgemein gelten für Maßnahmen des Gerichts nach § 181 ABGB die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit (5 Ob 227/07d EFSlg 116.949) und nach § 182 ABGB der Erforderlichkeit.
Einen Günstigkeitsvergleich vorzunehmen, lehnt die Rechtsprechung ab. Dass ein Kind in sozialen Einrichtungen oder bei Dritten besser versorgt, betreut oder erzogen würde als bei seinen Eltern, rechtfertigt nach ständiger Rechtsprechung für sich allein noch keinen Eingriff in die elterliche Obsorge (RIS Justiz RS0048704).
Die Vorinstanzen begründeten die ihren Entscheidungen zugrunde gelegte Annahme einer konkreten Gefährdung des Wohls der beiden Kinder im Fall eines Verbleibs bei ihren Eltern im Wesentlichen mit schwerwiegenden Erziehungs- und Betreuungsmängeln, die lediglich auf schriftlichen Stellungnahmen des Jugendwohlfahrtsträgers basieren. In den Feststellungen werden schlagwortartig und punktuell festgestellte Erziehungs oder Betreuungsfehler bis zum letztlich ungeklärt gebliebenen Verdacht auf Vernachlässigung und Kindesmisshandlung wiedergegeben. Sie bieten aber weder im Einzelnen noch insgesamt eine in rechtlicher Hinsicht verlässlich überprüfbare Sachverhaltsgrundlage. Ungeklärt blieb, worin eine körperliche Vernachlässigung bestand und welche Verzögerung der motorischen, kognitiven oder sprachlichen Entwicklung der Kinder (eines der Kinder war im Zeitpunkt der Kindesabnahme nur knapp ein Jahr alt) festzustellen war. Die Frage der Kindesmisshandlung wurde nicht geklärt, sondern als Vorwurf schlicht (und ungeprüft) „im Raum stehen gelassen“. Das Ergebnis der Untersuchung der beiden Kinder nach der Kindesabnahme in einer Kinderklinik fand keinen Eingang in die Feststellungen. Hingegen wird breiter Raum dem Gutachten der Sachverständigen gegeben, nach deren Beobachtung die Mutter gegenüber den Kindern beim beobachteten Spielen völlig empathielos zu sein schien. Die positive Einschätzung des Vaters, die dem kinderpsychologischen Gutachten zu entnehmen ist, wird in den Feststellungen durch bloße Vermutungen relativiert.
Dem Gutachten sind hinsichtlich des Entwicklungsstands der Kinder keine Aussagen zu entnehmen.
Die vom Erstgericht schlagwortartig als „Risikofaktoren“ aufgelisteten Umstände bleiben in ihrer Bedeutung und in ihrem Gewicht für die Unabdingbarkeit der Obsorgeentziehung unklar. Es bedarf konkreter Feststellungen, um beurteilen zu können, ob es sich dabei um punktuelle Ereignisse handelt, um Erziehungsfehler oder tatsächlich um Ausschnitte eines Bildes von untragbarer Kindesverwahrlosung und Kindesmisshandlung.
Klärungsbedürftig sind neben diesen Umständen auch die in der Zwischenzeit stattgefundenen Veränderungen der finanziellen und der Wohnsituation der Eltern, eine mögliche Hilfestellung durch den Großvater, auch wenn dieser zur Übernahme der Obsorge nicht bereit ist, und welche konkreten Hilfsmaßnahmen seitens des Jugendwohlfahrtsträgers zur Verfügung gestellt wurden und werden könnten, weil sich dem Akteninhalt auch entnehmen lässt, dass beide Eltern diesbezüglichen Hilfestellungen durchaus positiv gegenüberstehen.
Es ist daher dahin zusammenzufassen, dass die von den Vorinstanzen zugrunde gelegte Gefährdung des Kindeswohls bei Verbleib der beiden Kinder bei ihren Eltern, die als ultima ratio den Entzug der Kinder aus der Obsorge der Eltern rechtfertige, nicht auf ausreichender Klärung und umfassenden Feststellungsgrundlagen beruht und daher nicht nachvollziehbar ist.
In diesem Sinn erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig, wobei eine Einvernahme der Eltern, des mütterlichen Großvaters und jener Personen, die seitens des Jugendwohlfahrtsträgers konkrete Missstände wahrnahmen, unumgänglich für eine Gesamtsicht sein wird. Die bisherige Vorgangsweise, dass nämlich das Erstgericht weder eine mündliche Verhandlung durchführte noch die Eltern befragte, ihnen anscheinend überhaupt nie persönlich begegnete, bedeutet einen schweren Verstoß gegen die Verfahrensgebote des § 13 Abs 1 und 2 AußStrG, was nicht zu billigen ist.
Es war daher spruchgemäß mit einer Aufhebung vorzugehen.
3. Zum (neuerlichen) Antrag der Eltern, die vom Jugendwohlfahrtsträger gesetzten Sofortmaßnahmen aufzuheben, ist Folgendes anzumerken:
Während nach alter Rechtslage eine durch den Jugendwohlfahrtsträger getroffene Maßnahme wegen Gefahr im Verzug ohne ausdrückliche Entscheidung des Gerichts solange aufrecht blieb, bis entweder der Jugendwohlfahrtsträger selbst die getroffene Maßnahme aufhob oder das Gericht zu einer endgültigen Entscheidung gelangte, Eltern und Kind daher keine Möglichkeit hatten, die bloß faktische Entscheidung des Gerichts, die Maßnahme des Jugendwohlfahrtsträgers vorerst nicht aufzuheben oder abzuändern, mit einem Rechtsmittel zu bekämpfen, sieht nunmehr § 107a Abs 1 AußStrG idF KindRÄG 2013 BGBl I 2013/15, das am in Kraft getreten ist, ein mit vier Wochen nach Beginn der Maßnahme befristetes Antragsrecht von Eltern und Kind zur Überprüfung einer aufrecht bestehenden Maßnahme des Jugendwohlfahrtsträgers vor. Eine Entscheidung über den im Revisionrekurs gestellten Antrag obliegt daher ebenfalls dem Erstgericht.
Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.