OGH vom 05.06.2008, 6Ob99/08i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ.-Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am verstorbenen Andrä S*****, zuletzt wohnhaft in *****, über den Revisionsrekurs der Republik Österreich (Finanzamt I*****), vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17-19, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom , GZ 52 R 11/08m-15, womit der Rekurs gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom , AZ 36 A 20/08i, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Am verstarb Andrä S***** ohne Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung. Die anschließende Todfallsaufnahme führte zum Ergebnis, dass der Wert des Nachlassvermögens die Grenze des § 72 AußStrG 1854 nicht erreicht. Daraufhin sprach das Erstgericht mit Beschluss vom (ON 7) aus, dass „mangels eines abhandlungspflichtigen Nachlassvermögens eine Verlassenschaftsabhandlung nicht stattfindet". Dieser Beschluss wurde von einer Rechtspflegerin gefasst und enthält keine weitergehende Begründung. Nach der Aktenlage wurde dieser Beschluss nicht zugestellt. Vielmehr wurden die Kinder und die Witwe des Erblassers unter Verwendung des Außerstreitformblattes 5a davon verständigt, dass eine Verlassenschaftsabhandlung von Amts wegen nicht eingeleitet wird.
In der Folge übermittelte das Erstgericht der Finanzverwaltung im Jänner 2008 über deren Anfrage eine mit datierte, mit der Stampiglie eines Rechtspflegers als Entscheidungsorgan versehene Beschlussausfertigung, wonach gemäß § 153 AußStrG mangels den Wert von 4.000 EUR übersteigender Aktiven die Abhandlung unterbleibe. Dieser Beschluss, der auch eine weitere Begründung enthält, langte am bei der Finanzverwaltung ein. Im Akt befindet sich kein Original dieser Entscheidung.
Die vom Rekursgericht angestellten Erhebungen ergaben, dass diese Beschlussausfertigung insoweit irrtümlich erfolgte, als das falsche Formblatt verwendet wurde.
Auf der Anfrage des Finanzamts I***** hatte das Erstgericht folgende Verfügung in Urschrift getroffen (ON 8):
„A-Form 5a an <oben>" wobei durch Inclusum das anfragende Finanzamt als Adressat dieses Formulars bezeichnet wurde. Nach Auskunft des Erstgerichts wurde der Beschluss vom „irrtümlich ausgestellt"; es fänden sich zwei Beschlüsse im Computer, einmal für das „alte AußStrG" und einmal für das neue AußStrG. Der Beschluss für das neue AußStrG sei irrtümlich ausgestellt worden (ON 13).
Das Rekursgericht ging davon aus, dass das Erstgericht tatsächlich eine Ausfertigung des Beschlusses vom herstellen wollte und der Rekurs sich daher zumindest inhaltlich gegen diesen Beschluss richte.
Der Rekurs sei unzulässig.
Gemäß § 72 Abs 2 AußStrG 1854 habe das Gericht, wenn der Nachlass nach den allenfalls durch das Gericht ergänzten Feststellungen der Todfallsaufnahme ohne Abzug der Schulden den Betrag von 3.000 EUR nicht übersteige und Liegenschaften nicht dazu gehörten, die letztwillige Anordnung kundzumachen, jedoch eine Verlassenschaftsabhandlung nicht einzuleiten. Hievon habe das Gericht die zur Erbschaft Berufenen und die Noterben mit dem Beisatz zu verständigen, dass es ihnen freistehe, die Einleitung der Verlassenschaftsabhandlung zu begehren. Inwiefern die Kosten einer auf einen solchen Antrag eingeleiteten Verlassenschaftsabhandlung von allen oder nur von einzelnen Beteiligten zu tragen oder zu ersetzen seien, entscheide das Gericht nach billigem Ermessen.
Nach dieser Bestimmung sei bei Vorliegen der darin genannten Voraussetzungen von der sonst normierten amtswegigen Einleitung der Verlassenschaftsabhandlung abzusehen. Allerdings stelle das Gericht den zur Erbschaft Berufenen und den Noterben frei, das zur Einantwortung führende Verfahren fortzusetzen. Sei die Verlassenschaftsabhandlung unterblieben, sei gemäß § 179 Abs 2 AußStrG dennoch die Verlassenschaftsabhandlung einzuleiten, wenn sich nachträglich herausstelle, dass unter Berücksichtigung eines später zum Vorschein gekommenen Nachlasses die im § 72 AußStrG für das Unterbleiben der Abhandlung bestimmten Voraussetzungen nicht zutreffen.
Insofern sei daher die vom Erstgericht im Beschluss vom (ON 8) gewählte Vorgangsweise, beschlussmäßig festzustellen, dass eine Verlassenschaftsabhandlung nicht stattfinde, vom Außerstreitgesetz nicht gedeckt, gehe sie doch über die Verständigung nach § 72 Abs 2 AußStrG, dass die Abhandlung nicht von Amts wegen, sondern nur über Antrag eingeleitet wird, hinaus und bringe nach ihrem Wortlaut die Absicht des Gerichts zum Ausdruck, die Durchführung der Abhandlung endgültig abzulehnen. Eine wie immer geartete Bedachtnahme auf ein Antragsrecht der berufenen Erben und der Noterben sei der vom Erstgericht gewählten Formulierung - jedenfalls in der Urschrift ON 7 und auch in der der Rekurswerberin zugekommenen Ausfertigung - nicht zu entnehmen, sodass es sich bei dieser Entscheidung um eine normativ wirkende Anordnung handle, die als anfechtbare Entscheidung zu werten sei (9 Ob 32/03a).
Zur Stellung eines solchen Antrags, das Verlassenschaftsverfahren fortzusetzen, seien freilich nur potentielle Erben, nicht aber Gläubiger des Verstorbenen berufen, sofern durch die angefochtene Verfügung nicht in ihre rechtliche Position eingegriffen werde. Ein solcher Eingriff sei grundsätzlich nur in Ansehung der Gläubigerrechte nach §§ 811, 812 und 815 ABGB und immer dann anzunehmen, wenn in Gläubigerrechte unmittelbar eingegriffen worden sei, etwa dadurch, dass der Nachlass einem anderen Gläubiger an Zahlungs statt überlassen wurde (RIS-Justiz RS0006659, Edlbacher, Verfahren Außerstreitsachen2 § 72 Anm 9; 6 Ob 120/04x; 3 Ob 126/02d; 1 Ob 58/54). Dies gelte auch für die Bestimmung des § 153 AußStrG 2003 (Wruhs in Rechberger, AußStrG § 153 Rz 4; Fucik/Kloiber, AußStrG § 153 Rz 6).
Im vorliegenden Fall sei die Rekurswerberin nach ihrem eigenen Vorbringen jedenfalls Gläubigerin des Verstorbenen. § 153 AußStrG 2003 sei auf das vorliegende Verfahren nicht anzuwenden. Die erst im Rekurs „aus anwaltlicher Vorsicht" abgegebene bedingte Erbserklärung enthalte keinen Erbrechtstitel im Sinne des AußStrG 1854. Die erläuternden Bemerkungen zur RV zum AußStrG 2003 (abgedruckt bei Fucik/Kloiber, AußStrG 455 ff), wonach derjenige, der mit einer Erledigung nach § 153 AußStrG 2003 nicht einverstanden sei, die Möglichkeit habe, selbst eine Erbantrittserklärung abzugeben, vermöge einen Erbrechtstitel nicht zu ersetzen. Daher liege nach Ansicht des Rekursgerichts keine rechtswirksame Erbantrittserklärung vor. Als schlichte Gläubigerin des Verstorbenen sei die Rekurswerberin nicht zur Rekurserhebung legitimiert.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage, ob auch ein Gläubiger, sofern er nur eine (untaugliche) Erbserklärung abgebe, die Einleitung eines Verlassenschaftsverfahrens begehren könne, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle.
Rechtliche Beurteilung
Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
1.1. Nach § 205 AußStrG 2003 sind die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes auf Verlassenschaftsverfahren anzuwenden, die nach dem erstmals bei Gericht oder beim Gerichtskommissär anhängig gemacht wurden, sofern sie nicht schon früher eingeleitet hätten werden können. Sonst sind die bisher in Geltung gestandenen Vorschriften über das Verlassenschaftsverfahren weiter anzuwenden. Diese Regelung betrifft jedoch - trotz der weit gefassten Formulierung („die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes") - nur die §§ 143 bis 185 AußStrG 2003 (Fucik/Kloiber, AußStrG § 205 Rz 1). Dies ergibt sich zweifelsfrei aus dem zweiten Satz dieser Bestimmung, wonach auf andere Verfahren die bisher in Geltung gestandenen Vorschriften (über das Verlassenschaftsverfahren) weiter anzuwenden seien. Daraus ergibt sich, dass die gesonderten Übergangsbestimmungen zum I. Hauptstück (§ 204 AußStrG) davon unberührt bleiben (Fucik/Kloiber aaO). Daher sind auch in „Altverfahren" die Vorschriften des AußStrG 2003 über den Rekurs und den Revisionsrekurs anzuwenden, wenn nur die Entscheidung erster Instanz ein Datum nach dem trägt (Fucik/Kloiber aaO).
1.2. Hingegen ist § 153 AußStrG 2003 auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden; soweit die Revisionsrekurswerberin aus einer gestützt auf diese Bestimmung abgegebenen Erbserklärung eine Parteistellung abzuleiten versucht, ist dies daher verfehlt.
2.1. Nach ständiger Rechtsprechung hat ein Nachlassgläubiger im Nachlassverfahren keine Parteistellung und ist daher auch zur Erhebung von Rechtsmitteln nicht berechtigt (SZ 23/390; EvBl 1954/178; EvBl 1955/155; 6 Ob 139/97b uva). Der Nachlassgläubiger hat an und für sich nicht das Recht, im Verlassenschaftsverfahren als Beteiligter einzuschreiten; er kann keinen Einfluss auf die Verlassenschaftsabhandlung nehmen (RIS-Justiz RS0006611). Ihm steht lediglich die Ausübung der in den §§ 811 f, 815 und 822 ABGB sowie § 73 AußStrG 1854 (iure crediti- Einantwortung) und § 135 f AußStrG 1854 (Forderungsanmeldung) eingeräumten Rechte zu (EvBl 1968/32; NZ 1994, 116; 6 Ob 139/97b). In allen anderen Fällen hat der Nachlassgläubiger kein Rekursrecht (RIS-Justiz RS0006611, RS0006604). Diese Auffassung wird auch von der Lehre gebilligt (Eccher in Schwimann, ABGB2 § 798 Rz 2).
2.2. Verlassenschaftsgläubiger haben daher im Verlassenschaftsverfahren nur dann Beteiligtenstellung und ein Rekursrecht, wenn durch die angefochtene Verfügung in ihre rechtliche Position eingegriffen wurde. Ein solcher Eingriff ist grundsätzlich nur in Ansehung der Gläubigerrechte nach den §§ 811, 812 und 815 ABGB (3 Ob 561/88; 1 Ob 613/94; 6 Ob 120/04x) und etwa dann anzunehmen, wenn in Gläubigerrechte unmittelbar eingegriffen wurde, etwa wenn der Nachlass einem anderen Gläubiger an Zahlungs statt überlassen wurde (RIS-Justiz RS0006659). Hingegen liegt in der Vorgangsweise nach § 72 AußStrG 1854 kein Eingriff in die Rechtsstellung der Nachlassgläubiger, bleibt doch die Nachlassforderung im Rechtsweg gegen die ruhende Verlassenschaft durchsetzbar (6 Ob 120/04x). Bei Unterbleiben einer Verlassenschaftsabhandlung besteht der ruhende Nachlass nach herrschender Ansicht weiter (Ehrenzweig, Familien- und Erbrecht 610; Eccher in Schwimann, ABGB2 § 798 Rz 7; SZ 19/22; NZ 1986, 259; NZ 1986, 280; NZ 1990, 277). Die ruhende Verlassenschaft ist weiterhin parteifähig (EvBl 1961/311) und kann geklagt werden, wobei deren Vertretung durch einen Kurator zu erfolgen hat (SZ 8/156; JBl 1952/268).
Ein Beschluss nach § 72 AußStrG greift daher in die Rechtssphäre der Verlassenschaftsgläubiger nicht ein, sodass ihnen die Legitimation zur Bekämpfung eines derartigen Beschlusses fehlt (6 Ob 120/04x).
2.3. Der Revisionswerberin ist zuzubilligen, dass der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 9 Ob 32/03a den Ausspruch, dass eine Verlassenschaftsabhandlung nicht stattfinde, als eine über die Verständigung nach § 72 Abs 2 AußStrG, dass die Abhandlung nicht von Amts wegen, sondern nur über Antrag eingeleitet wird, hinausgehende selbständig anfechtbare Entscheidung qualifiziert hat, die Durchführung der Abhandlung endgültig abzulehnen. Diese Entscheidung betrifft jedoch lediglich die Statthaftigkeit des (Revisions-)Rekurses, nicht die Legitimation. In der zitierten Entscheidung erblickte der Oberste Gerichtshof in einem derartigen Ausspruch des Verlassenschaftsgerichts einen Eingriff in die Legitimation des Noterben, gegebenenfalls die Einleitung eines Abhandlungsverfahrens zu beantragen. Auf den Verlassenschaftsgläubiger, dem nach § 72 AußStrG 1854 ein derartiges Recht nicht zusteht, lässt sich diese Auffassung jedoch nicht übertragen.
2.4. Entgegen der Rechtsansicht der Revisionsrekurswerberin ergibt sich ihre Beschwer auch nicht aus dem bei Unterbleiben der Abhandlung angeblich drohenden Verlust ihres Afterpfandrechts an einem dem Erblasser zustehenden Pfandrecht. Abgesehen davon, dass im vorliegenden Fall nicht zu sehen ist, auf welche Weise das Pfandrecht des Erblassers ohne Zustimmung der - gegebenenfalls durch einen Kurator zu vertretenden - Verlassenschaft gelöscht werden könnte (zu grundbuchsrechtlichen Fragen in diesem Zusammenhang siehe Schmelz, Die abhandlungsbehördliche Genehmigung von Grundbuchsurkunden, NZ 1959, 147 [149 ff]), würde die Löschung des Pfandrechts gemäß § 51 Abs 1 GBG keine Wirkung gegenüber dem Afterpfandgläubiger entfalten; das Pfandrecht würde vielmehr so weit als weiterbestehend fingiert, als es zur Befriedigung des Afterhypothekars erforderlich ist (G. Kodek in Kodek, Grundbuchsrecht § 51 GBG Rz 1 und 6).
3. Auch aus der fehlerhaften Ausfertigung eines Beschlusses kann keine weitergehende Rekurslegitimation abgeleitet werden. Für die Überprüfung einer Entscheidung ist nur deren Urschrift maßgebend (RIS-Justiz RS0119273, RS0098513). Divergenzen zwischen der Urschrift und der Ausfertigung gerichtlicher Beschlüsse sind durch Berichtigung der Ausfertigung zu beseitigen. Bei bloßer Unrichtigkeit der Ausfertigung kann es zu keiner Abänderung dieser Entscheidung im Rechtsmittelwege kommen (RIS-Justiz RS0041530). Hingegen begründen Divergenzen zwischen der Ausfertigung und der Urschrift keine Aktenwidrigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens (7 Ob 74/77) oder Nichtigkeit (11 Os 85/81).
Der Revisionsrekurs war daher spruchgemäß als unzulässig zurückzuweisen.