OGH vom 20.11.2017, 5Ob61/17g
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Gemeinde P*****, 2. Röm.-Kath. Pfarrkirche *****, beide vertreten durch die Scherbaum Seebacher Rechtsanwälte GmbH, Graz, gegen die beklagten Parteien 1. E***** S 2. G***** S*****, vertreten durch DI Dr. Peter Benda, Mag. Dr. Franz Benda, Rechtsanwälte in Graz, wegen (restlich) Feststellung und Einverleibung von Servituten, Leistung und Unterlassung (Streitwert 9.000 EUR), infolge der außerordentlichen Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 165/16h-56, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Das Berufungsgericht bestätigte das Endurteil des Erstgerichts, in dem dieses die Dienstbarkeit der Grundnutzung zum Zwecke des Abstellens von Fahrzeugen aller Art auf im Einzelnen genau bezeichneten Bereichen der im Eigentum der Beklagten stehenden Grundstücke sowie der Zu- und Abfahrt zu diesen Teilen der Grundstücke zugunsten der erst- und der zweitklagenden Partei festgestellt und deren Begehren auf Zustimmung in die Einverleibung der Dienstbarkeiten in diesem Umfang sowie den damit im Zusammenhang stehenden Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen stattgegeben hat.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten, die keine Rechtsfragen von der Bedeutung gemäß § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt.
Rechtliche Beurteilung
1.1 Das Berufungsgericht hat die von der Beklagten behaupteten Verfahrensmängel erster Instanz, weil 35 weitere Zeugen nicht einvernommen worden seien und die Einholung eines weiteren Gutachtens unterblieben sei, nach inhaltlicher Prüfung verneint. Bereits vom Berufungsgericht verneinte Verfahrensmängel können nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in der Revision nicht neuerlich geltend gemacht werden (RISJustiz RS0042963). Dieser Grundsatz kann auch nicht durch die Behauptung, das Berufungsverfahren sei – weil das Berufungsgericht der Mängelrüge nicht gefolgt sei – mangelhaft geblieben, umgangen werden (RIS-Justiz RS0042963 [T58]). Dass das Berufungsgericht bei der Behandlung der Mängelrüge Verfahrensgrundsätze unrichtig angewendet hätte, wie die Revisionswerber meinen, ist nicht erkennbar. In dem Umfang, in dem sie auf Ausführungen in ihrem Berufungsschriftsatz verweisen, ist ihr Rechtsmittel zudem nicht ordnungsgemäß ausgeführt (vgl RIS-Justiz RS0007029).
1.2 Eine Mangelhaftigkeit, weil es das Erstgericht unterlassen habe, einen Ortsaugenschein durchzuführen, haben die Beklagten in ihrer Berufung nicht geltend gemacht. Ein in zweiter Instanz nicht gerügter Verfahrensfehler erster Instanz kann nach ständiger Rechtsprechung in der dritten Instanz nicht mehr geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0043111).
2.1 Der Revisionsgrund des § 503 Z 4 ZPO liegt nur dann vor, wenn, ausgehend vom festgestellten Sachverhalt, aufgezeigt wird, dass den Vorinstanzen bei Beurteilung dieses Sachverhalts ein Rechtsirrtum unterlaufen ist (RIS-Justiz RS0043312).
2.2 Die Ausführungen der Beklagten zum Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung beruhen weitgehend nicht auf den Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen, sondern bekämpfen in unzulässiger Weise deren Beweiswürdigung (vgl RIS-Justiz RS0069246 [T1; T 2]), mit dem erkennbaren Ziel, ihrem Verfahrensstandpunkt günstigere Feststellungen der Beurteilung zugrunde zu legen. Gegenstand der Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof ist nicht ein von der Revision unterstellter „Wunschsachverhalt“ (RIS-Justiz RS0069246 [T6]). Insoweit kann auf die Revisionsausführungen auch nicht näher eingegangen werden (RIS-Justiz RS0043312 [T12; T 14]).
3.1 Voraussetzungen für die Ersitzung sind neben dem Zeitablauf während der gesamten Ersitzungszeit (RIS-Justiz RS0010175) echter und redlicher Besitz eines Rechts, das seinem Inhalt nach dem erwerbenden Recht entsprochen hat. Ein Rechtsbesitzer ist redlich, wenn er glauben kann, dass ihm die Ausübung des Rechts zusteht (RIS-Justiz RS0010137). Ob in einem bestimmten Fall die festgestellten Umstände die Qualifikation des Verhaltens eines Ersitzungsbesitzers als redlich oder unredlich fordern, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab und wirft regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (RIS-Justiz RS0010184 [T13]). Die Redlichkeit des Besitzes wird im Zweifel vermutet (RIS-Justiz RS0034237 [T5]). Der Ersitzungsgegner hat daher die Unredlichkeit des Besitzes zu beweisen (RIS-Justiz RS0010175 [T2]). Der Beweis von Art und Umfang der Besitzausübung sowie die Besitzdauer obliegt hingegen dem Ersitzungsbesitzer (RIS-Justiz RS0034237 [T5]).
3.2 Die Revisionswerber bekämpfen im Kern ihrer Argumentation die Ansicht der Vorinstanzen, die die Redlichkeit für die gesamte Ersitzungszeit von 30 Jahren bejahten, weil sich der Zufahrtsweg bis 1956 als Hohlweg dargestellt habe, der – so ihre Auffassung – kein Längsparken erlaubt und eine solche Möglichkeit erst durch den Ausbau des Weges (den sie frühestens ab 1957 zugrunde legen) bestanden hätte. Abgesehen davon, dass die Beschreibung der Zufahrt als Hohlweg die Möglichkeit, ein Fahrzeug im hier strittigen Bereich nahe des Anwesens längs zu parken, nicht zwingend ausschließt, lassen sie die Feststellungen der Vorinstanzen unbeachtet. Danach ist die Befahrbarkeit des Wegs lange vor dem Jahr 1956 mit Fahrzeugen entsprechend den jeweiligen technischen Gegebenheiten ebenso wenig zweifelhaft, wie der Umstand, dass diese Fläche von Wanderern oder Besuchern der Kirche stets zum Abstellen ihrer Fahrzeuge genutzt wurde. Auch steht hier fest, dass sich das bis zum Jahr 1985 praktizierte Parkverhalten (Abstellen am östlichen Fahrbahnrand in Längsrichtung) auch nach dem Ausbau der Zufahrtsstraße und des Parkplatzes (auch) im Bereich des Gasthofs nicht änderte, obwohl damals vom Rechtsvorgänger der Beklagten ein Schild mit der Aufschrift „Privatparkplatz für Gäste des [Gasthauses]“ errichtet wurde. Diese Tafel wurde zwar Jahre später durch weitere Schilder mit der Aufschrift „Parken auf eigene Gefahr bis auf Widerruf gestattet“ ergänzt, gab aber für sich genommen (für Jahre) nur einen bloßen Hinweis auf den Privatbesitz eines Teils der tatsächlich zum Parken genutzten Fläche. Bei dieser Sachlage ist es im Einzelfall jedenfalls vertretbar, wenn die Vorinstanzen die Redlichkeit während der gesamten für die Ersitzung erforderlichen Zeit annahmen, weil auch der ab dem Jahr 1985 angebrachte Hinweis auf die Eigentumsverhältnisse der gutgläubigen Annahme eines (hier:) Parkrechts nicht entgegen steht (4 Ob 49/16h).
4. Die Frage, ob eine gemessene oder eine ungemessene Dienstbarkeit vorliegt, ist ebenso wie die Auslegung des Umfangs der Dienstbarkeit stets von den Umständen des Einzelfalls abhängig und stellt daher keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung dar (RIS-Justiz RS0105550 [T5], RS0011720 [T7]). Eine solche können die Beklagten schon deshalb nicht darstellen, weil feststeht, dass die Nutzung der Parkflächen stets mit Fahrzeugen
– entsprechend dem jeweiligen technischen Fortschritt – erfolgte und auch eine gemessene Servitut nicht immer ihrem Umfang nach exakt bestimmt sein muss (1 Ob 211/15h), wobei die durch eine dem Urteil integrierte Skizze konkret umschriebene Fläche die Anzahl der Fahrzeuge, mit welchen dort zugleich in Längsrichtung geparkt werden kann, grundsätzlich begrenzt.
5. Mit der Frage der „Notwendigkeit“ eines Weges für die Allgemeinheit, die nach herrschender Rechtsprechung bei Ersitzung eines Wegerechts zu Gunsten einer Gemeinde (hier: Erstbeklagte) erforderlich ist, hat sich der Oberste Gerichtshof bereits in einer Vielzahl von Entscheidungen befasst (10 Ob 77/04b; 9 Ob 122/06s; 9 Ob 22/09i ua; siehe auch M. Bydlinski in Rummel, ABGB³ § 1460 Rz 5 mwN). Bei der Ersitzung eines Wegerechts durch die Gemeinde genügt es nach ständiger Rechtsprechung, wenn der Weg vom Publikum offenkundig zum allgemeinen Vorteil benützt wird (6 Ob 208/08v; 9 Ob 22/09i mwN). Diese Grundsätze kommen beim hier zu beurteilenden Recht, Fahrzeuge abzustellen, zum Tragen und gelten auch für die Zweitklägerin, sodass keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung (dazu 10 Ob 77/04b; 9 Ob 122/06s; 6 Ob 208/08v; 9 Ob 22/09i ua) vorliegt, wenn die Vorinstanzen diese Voraussetzung wegen der sonst fehlenden Parkmöglichkeiten für Wanderer oder Gläubige bejahten.
6. Die sogenannte Freiheitsersitzung, auf die sich die Beklagten berufen, ist nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung ein Verjährungsfall (RISJustiz RS0034333; M. Bydlinski aaO § 1488 Rz 1; Dehn in KBB5§ 1488 Rz 1). Voraussetzung für deren Eintritt ist, dass sich der Verpflichtete fortwährend der Ausübung der Dienstbarkeit widersetzt und der Berechtigte deshalb deren Ausübung drei Jahre lang, ohne richterliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, tatsächlich unterlassen hat. Im Gegensatz zur nach wie vor vertretenen Auffassung der Revisionswerber liegen diese Voraussetzungen keineswegs vor, weil feststeht, dass die hier strittigen Grundstücksteile auch nach dem Anbringen der weiteren Tafeln gleichbleibend zum Abstellen von Fahrzeugen genutzt wurden, und dieses Verhalten erst im Jahr 2013 unterbunden wurde, als die Beklagten die Straße mit einem Schranken verschlossen haben (vgl auch die in dieser Sache bereits ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 5 Ob 74/15s).
7. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:0050OB00061.17G.1120.000 |
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HAAAD-70863